Acht Stunden und fünf Minuten dauert der Flug, und er scheint uns endlos lang. Wir starten kurz nach 14 Uhr Lokalzeit in Abu Dhabi. Die Sonne brennt unerbärmlich und treibt das Quecksilber auf schweisstreibende 46 Grad. Die Rollzeit zur Startpiste 13L beträgt eine Viertelstunde, und wegen eines Defekts zweier Ventilatoren zur Kühlung der Bremsen behalte ich die entsprechende Temperaturanzeige aufmerksamer als üblich im Auge.
Ramadan – wir entfliehen der fastenden Welt und drehen die Flugzeugnase Richtung Westen. Steigen auf 40'000 Fuss, überfliegen Bahrain, Saudi Arabien, Jordanien, Syrien und den Libanon. Dann geht es weiter über Zypern und die griechische Inselwelt Richtung Malta. Später folgen wir der Küste Nordafrikas, durchreuzen diverse Lufträume des Maghrebs, bevor der Copi schliesslich unseren A330 kurz vor Sonnenuntergang in Casablanca landet. Die Temperatur beträgt angenehme 25 Grad, die Rollzeit zum Terminal ist diesmal kurz und lässt der Kabinenbesatzung kaum genügend Zeit, die Passagieransagen runterzuspulen. Hastig verlassen die 57 Fluggäste die Kabine und strömen Richtung Ankunftshalle. Wenig später folgen wir ihnen. Das riesige Gebäude wirkt ausgestorben und leer. Viele Schalter sind verwaist, denn es ist immer noch Ramadan. Und wir sind mittendrin!
Vor wenigen Minuten ist die Sonne unter dem Horizont abgetaucht.
Iftarzeit: Die Menschen haben sich zurückgezogen, um nach den Stunden des Fastens die trockene Kehle zu netzen und den leeren Magen zu füllen. Sie tun dies nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, gierig und schnell, sondern besinnlich und langsam. Geniessen den ersten Schluck aus der Wasserflasche genauso wie die erste Dattel, die sie förmlich im Mund zergehen lassen.
Derweil steht unsere Besatzung am Zoll und wartet auf Einlass. Gut Ding will Weile haben, die Religion hat sowieso Priorität, denke ich mir, und beginne, die während des Fluges auf meinem – selbstverständlich ausgeschalteten – Handy eingegangenen SMS zu studieren. Wie immer ein vielfältiger Mix aus lästiger Werbung, langweiligen Bankinformationen und lesenswerten Nachrichten von Familie und Freunden.
Eine Meldung stammt von Nina: Sie berichtet von ihrem ersten Volleyballspiel. Obwohl die Schule eben erst vor zwei Wochen wieder begonnen hat, herrscht sportlicher Hochbetrieb. An amerikanischen Schulen laufen die einzelnen Disziplinen und Wettbewerbe jeweils immer nur über einige Monate, bevor anschliessend zu anderen Sportarten gewechselt wird. Auf diese Weise erleben die TeilnehmerInnen die entsprechenden Perioden äusserst intensiv. Sowohl Linda, die sich bereits bestens an der ACS eingelebt hat, als auch Nina haben es nach harten
„Try-Outs“ in die Volleyballteams ihrer Jahrgangsgruppen geschafft. Beide trainieren mit ihren Mannschaften viermal in der Woche. Linda muss am Montag gar um 0630 Uhr, vor dem Läuten der ersten Schulglocke, zum Training antraben. Dieser Tage finden die ersten Spiele gegen andere, vorwiegend amerikanische Schulen der Region statt. Höhepunkt und Abschluss der Saison bilden die
EMAC-Turniere (
Eastern Mediterranean Activities Conference), bei denen US-Schulen aus der gesamten Golfregion gegen einander antreten. Für die
JV-Equippe (
Junior Varsity) von Nina bedeutet dies eine mehrtägige Reise nach Kairo, während Lindas
Varsity-Team Ende Oktober nach Kuwait fliegen wird. Für einmal dominiert also Volleyball die Diskussion am Familientisch, währen Eishockey lediglich eine untergeordnete Rolle einnimmt. Doch Tim und seine Freunde sind bereits in der Aufwärmphase für die in wenigen Tagen beginnende
Soccer-Saison. Auch hier freuen wir uns auf das
EMAC-Turnier Ende November, heuer ein
"Heimspiel" in Abu Dhabi.
Während ich also lese, dass Ninas Team das erste Trainingsspiel gegen die
„American International School of Abu Dhabi“ ohne Satzverlust gewonnen hat, stehen wir immer noch vor der marokkanischen Passkontrolle und warten. Die Beamten lassen sich Zeit. Ebenso wie die Koffer zweier Flight Attendants übrigens. Es dauert eine halbe Stunde, bis die Gepäckstücke gefunden und ausgeliefert werden. Dann gehts Richtung Hotel. Mittlerweile ist es dunkel, unser Busfahrer fährt trotzdem ohne Licht. Vielleicht ein neuer, innovativer Ansatz, Energie zu sparen. Schliesslich ist die Strasse relativ hell erleuchtet und die anderen Verkehrsteilnehmer sind meist auch ohne Licht unterwegs.
Nach der Ankunft im Hotel lösen sich die vier marokkanischen Hostessen quasi in Luft auf. Uns bleiben grosszügige 48 Stunden bis zur Heimreise, diese Zeit muss effizient zum Familienbesuch genutzt werden. Von den Zurückgebliebenen treffen sich nach Dusche und Parfümierung sieben Crew-Mitglieder zu einem Nachtessen mit lokalen Spezialitäten. Unter ihnen eine Inderin, die während zwei Jahren für Singapore Airlines geflogen ist, und eine Finnin, die früher im Dienste der Finnair Fluggäste betreute. Der Copi pilotierte Maschinen der in Trinidad und Tobago beheimateten
„BWIA“ (British West Indian Airways"), und der
„Food and Beverage Manager“ arbeitete vor seiner Zeit bei Etihad in Hotels in Zürich und Montreux.
Wenn auch die Diskussion durch die unmittelbar neben unserem Tisch positionierte arabische Musikgruppe teilweise erschwert wird, ziehen sich die Gespräche lange hin. Zum Schluss trinken wir süssen marokkanischen Tee, den der Kellner mit elegantem Schwung gezielt in die Gläser giesst.
Am nächsten Morgen, nach erquicklichem Schlaf, packe ich mein Bündel in der Absicht, am Hotelpool einige Dokumente für den in der kommenden Woche geplanten
„Flight Data Monitoring“-Kurs in London zu studieren. Doch der Pool ist geschlossen. Wegen Renovation. Kommt mir irgendwie bekannt vor. Was solls, dann verkrieche ich mich zum Lesen halt ins Zimmer, wo die Klimaanlage funktioniert und ich trotz Ramadan ohne schlechtes Gewissen eine marokkanische
"Harira Fassia" geniessen kann.