Wednesday, September 02, 2009

Mount Everest und Marienplatz

Hinter der letzen einfachen Häuserzeile von Kathmandu erheben sich die Achttausender dieser Erde, mit dem stolzesten ihrer Gipfel, dem Mount Everest. Im Herzen der Stadt München lockt dieser Tage der Marienplatz Tausende von Touristen in die Strassencafés. Die beiden Städte könnten gegensätzlicher nicht sein. Wer innerhalb 48 Stunden zwischen diesen Welten pendelt, ist zweifellos privilegiert.

Nach zwei Wochen Bürodienst darf ich wieder einmal an den Sidestick. Gleich der Einstieg ins Cockpit sorgt für Spannung; mein erster „Alleinflug“ nach Kathmandu ist angesagt. So ganz alleine steuere ich den Airbus A330 natürlich nicht zum Himalaya, der Arbeitgeber gewährt mir grosszügigerweise Copilot und Kabinenbesatzung. Dafür bleibt der Instruktor zuhause. Aber nach zwei Simulatorübungen, einer Streckeneinführung auf dem dritten Cockpitsitz, sowie zwei Streckeneinweisungen sollte der Flug eigentlich zu schaffen sein.
Noch immer sorgt der Monsun für Unruhe über dem Gebiet des Indischen Subkontinents. Bereits nördlich von Karachi fliegen wir Zick-Zack zwischen hohen Gewittertürmen. Über Delhi zucken gewaltige Blitze, und der soeben ausgeprintete Wetterbericht von Kathmandu verheisst nicht viel Gutes. Ausführlicher als dies bei anderen Destinationen der Fall ist, briefe ich den Copiloten über die Besonderheiten des Anflugs. Vor dem Sinkflug messe ich meinen Puls. Einfach so, aus Neugierde, vielleicht weil am Donnerstag mein Medical Check ansteht; 84 Schläge, na ja – beim Mondfahrer Buzz Aldrin hämmerte das Herz unmittelbar vor dem Apollo 11 Start 110 Mal pro Minute. Er verzeichnete damit übrigens den tiefsten Vergleichswert aller Apollo–Astronauten. Die erste Mondlandung gehört meines Erachtens nach wie vor zu DEN Abenteuern der Menschheit schlechthin. Ich verschlinge im Moment Alles, was mir dazu in die Finger oder auf den Bildschirm gerät! Mit jeder gelesenen Seite steigt meine Faszination, die schon lange in Bewunderung für die involvierten Protagonisten umgeschlagen hat.

Ich befinde mich heute allerdings nicht auf dem Flug zum 384'000 Kilometer entfernten Erdtrabanten, sondern sinke mit 5.8 Grad gegen die hügelige Topografie der nepalesischen Hauptstadt. Die Geschwindigkeit des Flugzeugs nimmt zu, was ich mit dem Ausfahren der Bremsklappen kompensiere. Der Anflug gelingt einwandfrei, doch bei der Landung patzere ich. Der Flughafen liegt auf 4300 Fuss, also knapp 1300 Meter über Meer. Die Wirkung des Höhensteuers ist verzögert, träge, verlangsamt. Dies muss beim Abflachvorgang berücksichtigt werden. Ich habe dies zwar entsprechend gebrieft, doch meine Korrektur fällt zu verhalten aus. Und schon rumpelt es ziemlich unangenehm, als die acht Räder des Hauptfahrwerks die Piste malträtieren.
Beim Zurückrollen zum Parkplatz werden Erinnerungen an meine erste Landung als Kapitän auf dem ehemaligen Flughafen Hong Kong Airport Kai Tak wach. Der IGS-Anflug auf die Piste 13 hat den Puls ebenso beschleunigt wie der aussergewöhnliche VOR-Approach in Kathmandu. Und ein bisschen bin ich stolz, beide Anflüge in meinem Palmares zu notieren. Ist zwar keine Landung auf dem Mond, aber immerhin...













Wir landen erst kurz vor Mitternacht wieder in Abu Dhabi. Hin- und Rückflug dauern je ziemlich genau vier Stunden. Bei einem Glas Rotwein schalte ich zuhause ab, und zerstreue meine Gedanken, indem ich durchs nächtliche Internet surfe. Die Familie hat sich bereits in die Betten verzogen. Morgen ist Schule, meine Wenigkeit wird hingegen ausschlafen. Deshalb stört es mich nicht, dass die Uhr 02.40 zeigt, als ich endlich in die Federn krieche.
In der kommenden Nacht steht bereits der nächste Flug an: diesmal in die andere Richtung, nach München. Ich war sicher über ein Jahr nicht mehr im Einzugsgebiet des Hofbräuhaus und freue mich, denn unser Aufenthalt beträgt ergötzliche 30 Stunden.
Wir landen am frühen Dienstagmorgen, die Heimreise ist erst auf den späten Mittwochabend angesagt. So gönne ich mir zuerst einige Stunden Erholung im bequemen Hotelbett. Wie immer nach solchen Nachtflügen schlafe ich oberflächlich und unruhig, und werde von meiner verwirrten Blase ständig auf die Schüssel gehetzt. Um 14 Uhr kämpfe ich mich unter die Dusche.

Der Himmel ist strahlend blau, der erste Septembertag zeigt sich von seiner allerbesten Seite. Mit der Strassenbahn fahre ich ins Zentrum der Stadt, wo ich mich vom Strom umtriebiger Shopper und Geschäftsleute treiben lasse. Die belebte Theatinerstrasse rauf und runter, bis ich schliesslich in einem Kaffeehaus mit urchigen Holztischen im Freien lande. Ich bestelle einen grossen Latte Macchiato und gönne mir dazu eine kubanische Zigarre, die ich vorgängig in einem schicken Tabakladen erstanden habe. Dazu studiere ich abwechselnd den Stadtplan und die vorüberziehenden schicken Damen. Dann mache ich mich auf den Weg zum Marienplatz, wo ich mich um sieben Uhr mit einigen Mitgliedern der Crew verabredet habe. Vorher reicht die Zeit gerade noch zu einer spontanen Besichtigung der „Heilig Geist“- und der „St. Peter“-Kirche, in welcher ein katholischer Gottesdienst stattfindet. Ich setze mich in einen der hinteren Bänke und lausche fasziniert und ein wenig befremdet den Gesängen der Gläubigen. Getrieben von irdischen Gelüsten wie Durst und Hunger verlasse ich das Gotteshaus nach einer Viertelstunde wieder und genehmige mir am Viktualienmarkt ein Paulaner.
Das gemeinsame Nachtessen mit Kollegen der Besatzung fällt ins Wasser. Dummerweise haben wir am Morgen im Hotel den Treffpunkt nicht präzise genug definiert. Weiter tragisch ist das nicht, ich tröste mich mit zwei „Leberkäs-Semmeln“ und einem weiteren Paulaner. Ganz unkompliziert, im Stehen mitten auf der Gasse. So gefällt es mir – mehr brauche ich nicht. Im Gegenteil. Wie eigenartig ist doch diese Ausgangslage: Als Europäer in der Wüste lebend, versetzt mich ein Flug in den urtümlichen Bayernstaat richtiggehend ins Staunen. Ein Europäer in Europa. Und ich stelle einmal mehr fest, wie wenig es doch braucht, bis die Menschenseele ins Schwärmen gerät!














4 comments:

nff said...

.... mhh, gegen die Erhebungen des Himalaya sind die Engadiner Hügel wirklich nur ein Sandhaufen, aber dafür auch wunderschön.

Ich möchte Flugkapitän Eppler einmal dazu einladen, Graf Tilly in München in der Feldherrenhalle zu beehren. Er hätte trotz seines Namens in den Airbus Crewbunk gepasst :-)

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tilly_Feldherrnhalle_Muenchen-1.jpg

Dide said...

Durchlaucht! Habe gar nicht gewusst, dass blaues Blut in deinen Adern fliesst. Damit kompensierst du definitiv die "Sandhaufen"-Dimensionen der Engadiner Hügelketten im Vergleich mit den "Himmelskratzern" des Himalaya.
Werde deinem in Bronze gegossenen Vorfahren beim nächsten Besuch in Bayern die entsprechende Ehre erweisen. Auf Kosten eines Paulaners am Viktualienmarkt. Ich hoffe, sie gewähren mir auch Einlass, wenn ich nicht in der Uniform erscheine...

G! said...

Gratulation zur Solofeuertaufe in Kathmandu! DIESER Anflug wäre ja schon auf dem Jumpseat ein Abenteuer...

Hm, mit dem Anfangspuls hätte ich dir jetzt den Link für die ESA-Astronautenselektion geschickt, aber die Anmeldefrist ist inzwischen ja schon länger abgelaufen. Schade.

Apropos: BUZZ ist übrigens mit SWISS zur BASELWORLD 2009 (OMEGA) und zurück geflogen. Er hätte sicher noch einige spannende Sachen zu erzählen gehabt. Leider hatte ich ihn nicht auf dem Flieger...

Noch was zur Mondlandung:

http://www.worldtempus.com/en/news/watch-news/detail/article/1252807471-omega-the-first-watch-worn-on-the-moon/

IVBANKER said...

Auch ich bin ein grosser Fan der Mondlandung.

Kann die DVD Serie "From the Earth to the Moon" bestens empfehlen sowie das Buch von Andrew Chaikin "A Man on the Moon"

Gruss aus Zürich

Maurus