Wer „Reserve (oder„Standby“) schiebt“, wird bei Etihad in diesen Monaten eher selten für einen Flug aufgeboten. Was nichts anderes bedeutet, als dass die aktuellen Pilotenbestände ausreichend sind. Mich hat es gestern trotzdem erwischt. Zu früher Stunde, beim Morgengrauen.
Meine „Standby“ beginnt um sieben Uhr. Die Tagesaktivitäten – in diesem Fall mag der Begriff „Aktivitäten“ nicht ganz zutreffen – beginnen in unserem Haus um halb sieben. Ich habe mit Franziska vereinbart, etwas länger zu schlafen, um auch für längere Flüge gewappnet zu sein. Expect the unexpected. Um sieben Uhr höre ich im Halbschlaf, wie sich Nina in unser Badezimmer schleicht. Dabei realisiere ich, dass mein Handy auf lautlos gestellt ist. Es geht eben nichts über einen gesunden, erholsamen Nachtschlaf. Mit geübtem Griff wechsle ich trotz vernebelten Blickes die Einstellung, und noch bevor ich das Mobiltelefon wieder zur Seite gelegt habe, klingelt es. Perfektes Timing. Die auf dem Display angezeigte Nummer lässt auf einen Arbeitseinsatz deuten. „Good morning, is this Captain Dietrrrr speaking...?“ Die freundliche Dame spricht mit dem für Philippinen charakteristischen „R“, bei dem die Zunge nach hinten gerollt und an den oberen Gaumen gepresst wird. Die freundliche Dame will mich auch geich für einen "Bahrain-Turnaround" gewinnen. Wobei sie mir sanft zu verstehen gibt, dass meine „Reporting time“ eigentlich jetzt wäre. Um 07.05 Uhr!
Wie lange ich denn brauchen würde, um einzuchecken, forscht sie neugierig weiter. Ich verspreche ihr, in 40 Minuten vor dem Schalter zu stehen und beschliesse in diesem Moment, auf die Morgenrasur zu verzichten. Ab unter die Dusche und in die Uniform. Und schon sitze ich in meinem frisch reparierten Zweitwagen: Der neue Kompressor und der jüngst ersetzte Alternator verrichten zuverlässige Dienste. Einzig die Uhr im Tacho, so fällt mir auf, tickt mit 20 Minuten Verzögerung. Wäre vom Workshop-Personal auch zuviel verlangt, nach einer Reparatur die Zeiger richtig zu justieren...
Auch mit schleppenden Zeigern treffe ich, wie angekündigt, in weniger als einer Stunde am Flughafen ein. Die Kabinenbesatzung befindet sich mitten im Briefing, der koreanische Copi sortiert die Flugunterlagen. Der ursprünglich für diesen Einsatz geplante A320 hatte wohl ein Alternator-Problem (kleiner Scherz meinerseits) und musste in der Folge durch einen A330 ersetzt werden. Die meisten Besatzungskollegen wurden jedenfalls aus der Reserve aufgeboten, allerdings bereits um 0615 Uhr, was bei mir aufgrund meines Standby-Beginns um Sieben Uhr leider nicht möglich war.
Trotz anfänglicher Frühhektik heben wir pünktlich ab. Der kurze Hüpfer nach Bahrain verläuft problemlos, ebenso der Rückflug. Kurz nach Mittag bin ich bereits wieder auf dem Heimweg Richtung Al Qurm Compound und freue mich auf einen freien Nachmittag: Zwei Stunden am Pool, eine halbe Stunde auf dem Laufband, eine Pizza im Garten mit der ganzen Familie und den Schwiegereltern vereint am langen Holztisch sowie einige Gläser Chardonnay runden den Tag ab. Relativ früh verziehe ich mich in die Federn. Nein – nicht wegen der Schwiegereltern, sondern weil ich bereits am nächsten Morgen wieder früh einchecken muss.
Wieder klingelt das Handy im Morgengrauen. Der Tag bringt mich wieder einmal nach Kathmandu. Die Jahreszeit ist perfekt. Kein Monsun, keine Gewitterwolken. Der Himmel am Himalaja präsentiert sich unbewölkt, die Sicht ist ausgezeichnet. Noch nie bin ich bei solch traumhaften Wetterbedingungen hier angeflogen. Zum ersten Mal realisiere ich, wieso der aussergewöhnlich steile Anflugwinkel von 5.8 Grad unabdingbar ist.
Das Panorama verschlägt mir beinahe den Atem. Leider ist fotografieren während dieses Anfluges unmöglich. Auch wenn Bilder diese Szenerie kaum in derselben Dichte aufzeigen könnten. Unter uns die Hügel, zum Greifen nah. Vor uns die Ebene mit der Stadt Kathmandu und dem Flughafen. Im Hintergrund die beindruckende Kette des Himalaja, wo sich die Schnee bedeckten Achttausender Schulter an Schulter präsentieren. Im Angesicht von Nanga Parbat, Dhaulagiri, Annapurna, K2 und Mount Everest fädeln wir für den Eindanflug auf die Piste 02 ein. Und es fällt sowohl meinem französischen Copi als auch mir schwer, uns ausschliesslich auf den anspruchsvollen Anflug zu konzentrieren. Keine Aussichtsterrasse offeriert einen solchen Rundblick, bei dem sich die Landschaft unter und vor uns ständig verschiebt. Wir kratzen am "Dach der Welt". Ohne zu übertreiben - ich habe noch selten eine derart beindruckende Kulisse erlebt!
Es hat sich fürwahr gelohnt, im Morgengrauen aufzustehen.
Mit dem Handy geknipst - kurz nach dem Start
Wednesday, November 25, 2009
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2 comments:
super Bilder, muss echt atemberaubend schön sein der Himalaya. Alternatorprobleme scheinen die Schreibfeder nicht zu beschäftigen
... die Texte sind einfach unterhaltsam und süffig!
Liebi Grüess us de herbstlichste Schwiz,
Severin
Danke Severin, noch hält mein Laptop wacker mit. Angesichts meiner kürzlich erlebten Pannenserie ist aber mit allem zu rechnen.
Die beiden Fotos sind, in Anbetracht der realen Szenerie, wirklich sehr bescheiden. Der Anblick der Bergkette war in der Tat unbeschreiblich.
Ich habe selten so gestaunt.
Gruss
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