Thursday, June 19, 2008

Und weg sind sie...

Vor einer Woche haben Andrea und Toni Abu Dhabi verlassen. Nach etwas mehr als zwei Jahren tauschen sie den Sand wieder gegen Nebel und Schnee und ziehen vom Al Qurm Compound an der Salam Street an die steuergünstige Hanglage in Neerach. Gespiesen wird zukünftig in der urchigen Bauernbeiz statt am üppigen Buffet im „Shangri-La“. Das wärmende Cheminéefeuer erlöst die beiden vom unangenehmen Luftzug der Klimaanlage. Die T-Shirts bleiben vorerst im Schrank, dafür dürfen die Faserpelz-Pullover wieder einmal ans Tageslicht. Doch das Schlimmste: Gebadet wird zukünftig nicht mehr im 30 Grad warmen Pool- oder Meerwasser sondern in „eisigen“ Bädern und Seen mit Wassertemperaturen von knapp über 20 Grad. Sie werden es überleben.

Als wäre es gestern gewesen
Mit der Abreise der Ackermanns schliesst sich auch für mich persönlich ein bedeutungsvoller Kreis. Als wäre es gestern gewesen – so frisch und unverbraucht sind die Eindrücke: An die frühmorgendliche Autofahrt vom 20. Mai 2006 nach Genf kann ich mich so gut erinnern wie and den anschliessenden Firstclass-Flug nach Abu Dhabi. Sowohl für Toni als auch für mich war’s eine Reise in eine ungewisse Zukunft. Gemeinsam sind wir in unser Wüstenabenteuer gestartet und waren dadurch in der Lage, Freuden zu teilen und bei Ansätzen zum Trudeln frühzeitig Gegensteuer zu geben. Wir kauften Autos gleicher Marke jedoch unterschiedlicher Farbe, und zogen wenig später mit Frauen und Kindern in benachbarte Häuser des gleichen Compounds.
Doch trotz all dieser Gemeinsamkeiten entwickelten sich unsere Karrieren in Abu Dhabi nicht analog. Durch die drei Kinder an der Deutschen Schule knüpften wir schon bald erste Kontakte, und Franziskas Aktivitäten im Festkomittee und als Elternvertreterin katapultierten uns in kürzester Zeit in den Deutschen Zirkel Abu Dhabi’s. Durch das Engagement im Eishockeyclub verlängerte sich die Liste neuer Bekannter noch einmal. Für Andrea und Toni ergaben sich solche Gelegenheiten nicht automatisch. Es harzte beim Aufbau eines neuen Beziehungsnetzes - trotz Tonis sprichwörtlicher Kontaktfreudigkeit (!), und forderte den beiden mehr Energien ab. Irgendwann kam hinzu, dass Toni sich schwer tat mit den zahlreichen Nachtflügen und Einsatzumstellungen. In der Folge begann er nach Alternativen Ausschau zu halten. Seine Anfrage auf ein reduziertes Arbeitspensum wurde nicht erhört und Toni musste bald einmal die Aussichtslosigkeit dieses Ansinnens erkennen.
Selbstverständlich genossen Andrea und er die zahlreichen positiven Seiten ihres UAE-Abenteuers; im Sand, am Pool, im Zelt oder im Lokal, zuhause oder auf Ausflügen – allein oder mit Freunden. Auch wenn wir nicht ständig zusammen „hockten“, waren es zwei intensive Jahre auf sandigem Grund. Dies, nach einer 25 Jahre dauernden Aktivzeit bei Swissair und SWISS, deren Ursprung in der gemeinsam absolvierten Pilotenschule im Jahre 1979 lag. Im Mai 2006 starteten wir zu einer neuen Etappe in den pilotischen Dünen Abu Dhabis. Ich kann mich erinnern, als wäre es gestern gewesen.
Nun wollen sie weiterziehen, Andrea und Toni; auf zu neuen Ufern, zurück in die Schweiz. Wir schreiben Juni 2008.

Simulator-Vorbereitungen
Während sich die beiden für ihren „Home return“ Flug nach Genf in der Warteschlange vor dem eigens für Angestellte vorgesehenen Schalter einreihten, mühte ich mich im Simulator ab. Die Vorbereitungen für die zwei Tage „Recurrent“ und „Check“ waren etwas hektisch verlaufen. Durchbrochen von langen Fussballnächten einerseits (man bedenke die zwei Stunden Zeitdifferenz zur Schweiz) und abgelenkt durch die Präsenz unserer „Ex-Nachbarn“ andererseits. Denn die lieben Ackermanns waren zu diesem Zeitpunkt „home- and carless“ (nicht „careless!), hatten sie doch ihr Haus bereits geräumt und den Prado verkauft. Letzteren für einen Wucherpreis, der jedoch, ich muss es fairerweise gestehen, absolut den lokalen Marktgepflogenheiten entsprach.
So versuchte ich also immer wieder, mich in Anflugverfahren oder technische Systeme zu vertiefen. Die Tatsache jedoch, den langjährigen Weggefährten als „Neo-Rentner“ im gleichen Haushalt zu erleben, dämpfte meine an und für sich schon moderate Arbeitslust erheblich. Während ich mich frühmorgendlich aus dem Bett und hinter den Laptop kämpfte, genossen Andrea und Toni die Privilegien des Ruhestandes: schliefen aus, vertieften sich stundenlang ins Internet oder die Zeitung, pafften im Garten gemütlich ihre Glimmstengel, schlenderten durch den Goldsouk, studierten bunte Faltprospekte von Hörgeräten und Herzschrittmachern oder schmiedeten Pläne für die ersten Wochen und Monate in der Schweiz. Zwei Welten prallten in diesen wenigen Tagen aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein hätten können. Und ich erhielt in meinen jugendlichen Jahren einen eindrücklichen und nachhaltigen Vorgeschmack auf die nächste Lebensphase.
Den Check habe ich übrigens trotzdem bestanden. Trotz verzettelter Vorbereitung. Und Ackermanns ist der Sprung ins neue (alte) Leben ebenfalls gelungen. Die Schweiz hat sie wieder.

Ferien
Meine Wenigkeit folgt ihnen auf dem Fuss. Reiner Zufall, denn meine Ferien beginnen zwei Tage nach ihrer Abreise. Seit Eintritt Etihad war es mir bis heute nicht vergönnt (ein verwirrendes Wort mit unklarer Vorsilbe), mehr als 14 Tage Ferien am Stück zu geniessen. Jetzt endlich hat es geklappt. Mit Tim, dessen Schule ihre Tore bereits verriegelt hat, fliege ich in der Nacht auf den 14. Juni nach Genf. Wir werden uns einige Tage ohne die Frauen vergnügen, wenn auch mit unterschiedlicher Begleitung an verschiedenen Orten. Es bleiben nur wenige Tage, die bei beiden bereits ziemlich verplant sind. Gleiches gilt übrigens auch für die sonnenarmen, sprich dunkleren Stunden des Tages, denn in kurzer Zeit will so einiges nachgeholt werden. Dazwischen lässt uns die Euro08 nicht aus ihrem Bann und sorgt für die eine oder andere hoch-emotionale Fernsehstunde.
Die Schweizer Kicker haben sich zwar bereits abgemeldet – dafür haben sich andere Helvetier für einige Wochen im Lande angemeldet. Mittlerweile, beim Verfassen dieser letzten Zeilen, sind unsere Frauen in Abu Dhabi auch am Kofferstopfen. Sie fliegen heute Nacht via Frankfurt nach Zürich. Und morgen geht’s dann für alle weiter ins Tessin. Wir brauchen unbedingt ein bisschen Sonne...





"Last flight"

Tuesday, June 03, 2008

Coitus Reservatus

Seit gestern Nachmittag bin ich nicht mehr Präsident der Abu Dhabi Falcons. An der „End of the year“-Party kommts zum „Handover“. Das bisherige Führungsteam tritt – mit Ausnahme eines Mitglieds – ab und übergibt das Zepter der neuen Crew. Es war ein intensives Jahr mit vielen Hochs und Tiefs sowie aussergewöhnlichen Begegnungen. Das Umfeld in den Emiraten ist nicht einfach. Der Grund liegt unter anderem in der äusserst limitierten Zahl von Clubs und der damit verbundenen gegenseitigen Abhängigkeit. Da sich ausserdem die Grössen-, und damit die Machtverhältnisse sehr ungleich präsentieren, verstricken sich die Clubverantwortlichen immer wieder in Widersprüche wenn es um Turniere und Regelauslegungen geht,.

Tausendundeine Nacht
So bin ich denn in der Tat nicht unglücklich über meinen Abgang.
Da es mein persönliches Ziel ist, den Saison-Schlussanlass im neu renovierten „Ice Rink“ durchzuführen, verkommen die letzten drei Wochen zur Zitterpartie. Denn die Halle wird seit sechs Wochen totalrenoviert. Würde es den Verantwortlichen gelingen, die Auffrischung des gesamten Innenlebens pünktlich fertigzustellen? Wer die Gegend hier kennt, würde wohl auf „Nein“ tippen. Allein – ich will es wissen und spekuliere, ähnlich wie ein Börsen-Spekulant bis zum letzten Moment. Mit der Alternative eines Bowling-Zentrums im Rücken, ist das Risiko vertretbar. Die beiden Wochen vor der Party bin ich beinahe täglicher Gast im Ice Rink. Dabei schlürfe ich nicht nur regelmässig mit dem sudanesischen Manager Tee in seinem Büro, sondern mache auch Bekanntschaft mit den beiden extra für den „Final Touch“ eingeflogenen kanadischen Eismachern. Absolute Profis, die ansonsten in Diensten der NHL stehen. Die Banden, die Tore und die Netze stammen ebenfalls aus dem Mutterland des Eishockeys. Auf dem Luftweg ins Land geholt. Nichts ist den Orientalen zu teuer oder zu aufwendig.
Der Zeitplan scheint haarscharf aufzugehen. Drei Tage vor dem Anlass soll die Entscheidung fallen. Und sie fällt zu Gunsten der Eishalle, auch wenn die Baustelle nach wie vor gewisse Zweifel an der termingerechten Fertigstellung der Anlage offen lässt. Schliesslich stirbt die Hoffnung zuletzt. Leider stirbt sie in unserem Fall wirklich – und zwar den brutalen und heldenhaften Tod von Tausendundeiner Nacht.

Diplome und Trophäen
Denn wenn der Scheich ins Spiel kommt, sind Hopfen und Malz, oder besser „Gas und Öl“ verloren. Keine 24 Stunden nach unserem Grünlicht klärt mich der Manager der Eishalle auf, dass der zuständige Scheich, seines Zeichens Bruder des regierenden Scheichs Khalifa gewünscht hätte, als erster das neu gefrorene Eis zu testen. Keine andere Kufe soll vor der seinen die jungfräulich glatte Fläche zerkratzen.
Hoffnungsvoll: Sein Besuch ist auf den exakt selben Tag angesagt wie unser Fest. Hoffnungslos: Eine präzise Zeitangabe fehlt. Um ehrlich zu sein, ich hätte auch nicht viel darauf gegeben. Zu gut kenne ich mittlerweile die landesüblichen Gepflogenheiten. So ist denn unser Fest akut gefährdet, das geplante fünfstündige Powerprogramm mit Skateathon und Skill competition auf dem Eis kurz vor dem Schmelzen. Noch will ich nicht aufgeben. Nicht das Kriegsbeil, sondern das Handy grabe ich aus. Ein Anruf jagt den anderen und mir erscheint vor dem geistigen Auge bereits jetzt die entsetzte Miene meiner Frau beim Betrachten meiner monatlichen Handy-Rechnung. Franziska dürfte diesen Monat ihre Augen noch ein bisschen weiter aufreissen, ein wenig länger nach Luft schnappen und mit etwas kräftigerer Stimme den (leider unerreichbaren) Tarif durchgeben. Für einmal gehe ich weder mit der Angetrauten noch mit Cicero einig, der da gesagt haben soll: „Magnum vectigal est parsimonia“. Oder zu gut Deutsch: „Sparen ist eine gute Einnahme“. Die einzig gute Einnahme ist in diesem Moment die Durchsetzung meiner Absicht, und mit Sparen gelange ich nicht zum Ziel. Trotz flatternden Nerven stehe ich (noch) über der Sache. Ein echter Präsident muss leiden oder zahlen können, und da letzteres aufgrund mangelnder Ressourcen (siehe oben) nicht realisierbar ist, optiere ich in diesem kritischen Fall für den ultimativen Opfergang.
Am Tage vor der Stunde X gelingt mir der kommunikative Durchbruch und ich erhalte einen nahen Vertrauten des besagten Scheichs ans Telefon. Seine Aussagen lassen allerdings wenig Hoffnung aufkommen. Ich will nichts unversucht lassen, lobe das Morgen- wie auch das Vaterland, preise alle mir in dieser Stunde in den Sinn kommenden geistigen Ideale – und scheitere schliesslich trotzdem.
So sehen wir uns am nächsten Morgen – drei Stunden vor Beginn der „End of the year“-Party gezwungen, per Mail und SMS alle Eltern und Spieler zu informieren, dass wir das Eis nicht benutzen können. Zu schade – der Ice Rink strahlt in vollem Glanze, und wir stehen lechzend an der Bande.
Das Fest wird dennoch ein Erfolg. Die Spieler erhalten Diplome und Trophäen, die Helfer und Coaches Blumen und Gutscheine und die Eltern stürzen sich auf’s Buffet. Nach drei Stunden ist alles vorbei und ich bin nicht mehr Präsident der Abu Dhabi Falcons.
















Erinnerungen 1: Grillabend mit Jari Kurri














Erinnerungen 2: Tim mit Ayoub und Ricky
















Aktuell: Der renovierte Ice Rink in neuem Glanz

Da fehlt doch was
Beruhigend zu erfahren, dass nicht nur die Wege des Eishockeyclubs mit Hindernissen gepflastert sind. Auch die Deutsche Schule tut sich mitunter schwer in der arabischen Hitze. So zum Beispiel an ihrem Schlussabend vom vergangenen Freitag.
Höhepunkt dieses Anlasses ist traditionsgemäss die Übergabe der Abschlusszeugnisse (Mittlere Reife) an die SchülerInnen der 10. Klasse. Nach üppigem Buffetgenuss und launig geschwungenen Reden steigt die Spannung. Die SchülerInnen haben sich vor dem Rednerpult aufgereiht, derweil Eltern und Gäste gespannt an ihren Tischen sitzen. Das Licht gedimmt, die Musik verstummt. Schulleiter und Klassenlehrer tuscheln mit gerunzelter Stirn hinter dem Mikrofon. Was sie wohl heimlich zu besprechen haben in allerletzter Minute...? Das Geheimnis lüftet sich alsbald: Die Zeugnisse fehlen! Niemand hat daran gedacht, die ach so wichtigen Dokumente mitzubringen. Stumm und unschuldig dämmern sie im Safe des Schulhauses vor sich hin. Und erst die beherzte Fahrt des Schulleiters in die Stadt verhindert letztlich, dass der erklärte Höhepunkt des Abends nicht zum „Coitus reservatus“ verkommt.