Wednesday, December 16, 2009

Die Maske des Schreckens

Der näher rückende Jahreswechsel löst bei mir regelmässig philosophische Wandelgänge aus. Gedanken an die nahe und ferne Zukunft, verbunden mit vielen Fragen und wenig Antworten. Dazwischen mischen sich Hoffnungen und Wünsche, ebenso wie Ängste und Zweifel. In der Regel überwiegen erstere, und mit der Zeit entsteht der irreführende Glaube, die unsichtbaren Lebensfäden instinktiv günstig zu spinnen. Doch das Schicksal (oder die Bestimmung?) schmiedet seine eigenen Pläne. Ohne sich um unsere Meinung zu scheren.
Die Krankheit unseres Nachbarn, meines Arbeitskollegen, hat sich verschlimmert und ihn und seine Familie abrupt gezwungen, ihre unmittelbaren Absichten zu ändern. Kurz vor Weihnachten, in einer Zeit, in der wir eher das Festessen als den Spitalaufenthalt zu planen pflegen. Das eigene Leben bewusst zu leben, bleibt eine hohe Kunst. Ein Spagat, der immer wieder höchste Ansprüche an unsere Flexibilität und Balance stellt.

Vor solchem Hintergrund geraten gedankliche Höhenflüge mitunter ins Trudeln und erreichen nicht immer die gewünschte Flughöhe. Ich bin froh, kann ich mich mindestens mit dem Airbus A330 wie gewünscht vom Boden lösen und auf den ursprünglich geplanten „Flight Level“ steigen.
Der Dezember-Einsatz hat mir einen besonderen Leckerbissen beschert. Es mag seltsam klingen, aber ich musste zuerst nach Abu Dhabi „auswandern“, um endlich anständige „Nightstops“ in Europa zu erhalten. In diesem Fall handelt es sich um eine „lange“ Mailand-Rotation: Abflug in Abu Dhabi um 0850 Uhr, Ankunft in Malpensa um 12.45 Uhr. Dann zwei volle Tage frei (zwei Striche), und wieder mit einem Tagflug zurück in die Wüste. Während ich diesen Eintrag verfasse, pendle ich noch immer von einer Espresso-Bar zur anderen. Eine Destination passend zur Advents- und Guetzlizeit. Die „Mailänderli“ – die Rede ist bitteschön von den Backwaren – gehörten schon immer zu meinen Favoriten. Und wer geniesst denn schon das Privileg, in Abu Dhabi zu leben, Weihnachtseinkäufe in "Milano"zu tätigen und die Festtage im verschneiten Berner Oberland verbringen zu dürfen...?
In meinem Crewbag verstaut habe ich Unterlagen, um mein Schul-Italienisch aufzubessern. Denn wer seine Rente in Lugano zu geniessen beabsichtigt, sollte der italienischen Sprache mächtig sein. So studiere ich neben dem Stadtplan Mailands Konjugationstabellen, stolpere über indefinite und finite Modi und stelle fest, dass unsere südlichen Nachbarn – anders als im Deutschen – bei den Objektpronomen zwischen betonten und unbetonten Formen unterscheiden. Zur Auflockerung stürze ich mich in einen italienischen Lernkrimi mit dem verheissungsvollen Titel „Die Maske des Schreckens“. Ob die Überschrift in direktem Zusammenhang mit den Tücken der Sprache steht, oder sich ausschliesslich auf inhaltliche Begebenheiten bezieht, kann ich im Moment noch nicht mit letzter Sicherheit feststellen.

Im mailändischen Hotelzimmer angekommen, muss ich mich zuerst etwas erwärmen. Die Po-Ebene erstarrt im Kälteschock, das Thermometer bei 3 Grad Celsius. Die MailänderInnen eilen mit raschem Schritt und gesenktem Blick durch die Stadt. Bei diesen klimatischen Verhältnissen verkommt der gemütliche Bummel zum frostigen Ladenhüpfen. Ich packe jede Gelegenheit, um in beheizten Räumen Füsse, Ohren und Nasenspitze aufzuwärmen. Ungeachtet der Temperaturen geniesse ich italienische Wortfetzen, die mich in quadrophonischer Vielfalt linguistisch inspirieren; Flüchtige „Ciao’s“ oder hoffnungsvolle „A più tardi’s“. Wie herrlich diese Sprache doch klingt; rhythmisch, abgerundet mit einer Melodie, die sowohl Temperament als auch Sanftmut in ihren Lauten vereint. Unverfälschte Italianità, der in diesem Fall auch die herrschende Unterkühlung keinen Abbruch tut. Einzig die blutende Nase Berlusconis, noch immer omnipräsent in den lokalen Medien, wirkt etwas störend, und weckt letztlich Assoziationen an den Titel meiner Lern-Lektüre: „La maschera del terrore“.



1 comment:

Crowi said...

Leider bin ich dieser schönen Sprache nur wenig mächtig.
"La maschera del terrore" passt gut zu einem italienischen Buch, welches ich kürzlich gelesen habe -ein Bestseller auf deutsch.
Die Übersetzung enthält trotzdem eine Menge wohlklingender italienischer Wörter, wie ´o lione, ´o re, ´o´ntufato, mignolino, ´o bellillo und viele andere.
Das sind lauter Decknamen von Camorra Oberhäuptern. Das Buch heisst "Gomorrha", der Autor ist Roberto Saviano.

Starker Tobak!