Der Campus wirkt gemütlich; rote Backsteinhäuserzeilen mit weiss gestrichenen Fenster- und Türrahmen und kleinen Vorgärten. Dazwischen Büro- und Unterrichtsgebäude im gleichen Stil, einfach ein bisschen grösser. Wer weiter ins Gelände vorstösst, trifft irgendwann auf moderne Holz- oder Betonbauten mit grosszügigen Glassfassaden. Moderne Baukunst als Zeuge fortwährenden Wachstums der etablierten Cranfield University bei London.
Am Sonntagabend stehen mein Arbeitskollege Azwan und ich, nach knapp acht Stunden Flug, einer Stunde Busfahrt und zwanzig Minuten Holper-Taxi vor der Rezeptionsdame, die uns mit freundlichem Lächeln die Zimmerschlüssel aushändigt. Das Gemach erinnert an eine Mönchskammer; eng, mit kleiner Schlafstatt. Die Bildfläche des Fernsehers verleiht meinem Laptop Flügel und macht ihn glauben, er wäre eine Grossleinwand.
Doch schliesslich sind wir nicht zum entspannten Filmgenuss hier. Auch nicht zum Vergnügen.
Lernen sollen wir, uns weiterbilden, den Horizont erweitern. „Flight Data Monitoring (FDM) and Flight Operational Quality Assurance (FOQA) in Commercial Aviation” – so lautet die verheissungsvolle Überschrift dieses viertägigen Lehrgangs. 46 Kandidaten aus der ganzen Welt haben den Weg nach Britannien gefunden; eingeflogen aus fernen Orten wie den Seychellen, Hong Kong, Japan oder Argentinien. Ich werte dies als positives Zeichen; für die Reputation des Instituts, wie auch für die Qualität des Gebotenen. Und ich werde – um es an dieser Stelle gleich vorwegzunehmen – im weiteren Kursverlauf keineswegs enttäuscht.
Die Auswertung von Flugdaten ist eine komplexe Angelegenheit. Es geht um die kritische Betrachtung von bis zu 2500 aufgezeichneten Parametern pro Flug! Was sich in der Luft abspielt, versucht der Experte anhand wild gezackter Linien und Kurven zu rekapitulieren. Dabei richtet sich sein Auge in erster Linie auf Übertretungen von Limiten, auf Abweichungen von Betriebsverfahren oder auf willkürliche Verletzungen von Vorschriften. Die Arbeit verlangt beinahe kriminalistisches Gespür, wenn es gilt, die relevanten Daten miteinander zu vernetzen. Um den Überblick zu erhalten, muss Unwichtiges eliminiert werden. Kombinationsgabe ist genauso wichtig, wie die Erfahrung des Analysten.
Bei Bedarf werden die aufgezeichneten Daten auch zur Erfassung von Trends oder zur Erstellung von Statistiken beigezogen. Wer Zugang zum „Flight Data Monitoring“ hat, verfügt über intimste Kenntnisse der Operation einer Airline. Aufgrund der Vertraulichkeit dieser Daten wird der Kreis der Eingeweihten bewusst möglichst klein gehalten. Nicht zuletzt auch zum Schutz der involvierten Besatzungen. Gerade der Umgang mit dieser Vertraulichkeit wird in unserem Kurs zum wiederholten Diskussionspunkt. Erst bei einer willkürlichen Verletzung von Vorschriften oder bei extremen Vorfällen mit grossem Unfallpotential werden allenfalls weitere Stellen der Flugoperation in die Untersuchung miteinbezogen. Doch wo liegt die Grenze? Jede Airline setzt eigene Massstäbe. Auch hier gilt, dass Piloten, die in einem Berufsverband zusammengeschlossen sind, besseren Rückhalt und in den meisten Fällen wohl auch solidere Vertraulichkeit geniessen.
Neben Ethik haben wir uns in kurzweiligen Workshops mit zahlreichen Fallbeispielen beschäftigt. „Don’t jump on conclusions“ wird zum geflügelten Wort. Alles wird mehrfach überprüft, um sämtliche Zweifel aus dem Weg zu räumen. Wie peinlich wäre es doch, eine Besatzung eines Fehlverhaltens zu beschuldigen, um später zu realisieren, dass die Daten ungenau oder gar falsch interpretiert wurden.
In der gleichen Bankreihe wie ich sitzt der Vertreter von Air Zimbabwe. Ein bescheidener, ruhiger Mann. Er hört auf den Namen „Hopeful“ und hofft - Nomen es Omen - wie wir alle, mit seinem hier erworbenen Wissen einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit seines Unternehmens leisten zu können.
Die Tage auf dem weitläufigen Campus mit Pub, einem "Café Bookshop" und einem kleinen Einkaufsladen vergehen viel zu schnell. Die Stunden im Theoriesaal sind spannend wie anregend, die Buffets im Speisesaal üppig wie vielfältig. Bereits am zweiten Tag beschliesse ich, Morgen- und Mittagessen durch einen Apfel zu ersetzen. Allfällige Schwächeanfälle kompensiere ich problemlos mit englischem Gerstensaft aus dem Zapfhahn.
Am Schluss gibts ein Zertifikat für jeden Kursteilnehmer; beim offiziellen Schlussessen individuell ausgehändigt. Mit Handschlag. Erinnert ein bisschen an die Offiziersschule. Wenn da nicht der nuancierte britische Humor des Kursleiters wäre, der etwa die ausgemergelten Franzosen mit folgenden Worten nach Hause schickt: „I’m sure you can’t wait to fly home to get a proper meal.“
Tuesday, September 22, 2009
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3 comments:
Schön, ich sehe in diesem Studizimmer einfach alles andere als feine Äpfel…
@Agapitos: Thanks a lot! Efharisto!
@Christoph: Da hat jemand aber ganz genau hingeguckt...
Äpfel und Orangen befinden sich im blauen Plastiksack auf dem Pult! Just so you know...
Gruss
@Eppler Family: Ist gut zu wissen! Dass es Früchte dort oben auch gibt, weil ich mich in kommenden Tagen mit den britischen kulinarischen Gegebenheiten auseinandersetzen muss und ich schon vieles darüber gehört habe.
Gruss Christoph
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