Wednesday, June 08, 2011

Vier Hüte

„Cheers! Salud! Prost!“
Glas auf Glas, lautes Klirren, dann erlösen vier Männerarme und -hände durstige, von langem Flug ausgetrocknete Kehlen und führen den Gerstensaft mit elegantem Schwung an die richtige Körperstelle.

Da sitzen wir also zu viert. Die Cockpitcrew meines letzten Ultra Long Range-Fluges in Etihad-Diensten. Es war gleichzeitig auch meine letzte Landung mit dem A340-600. Wenn nicht für immer, dann mit Sicherheit für lange Zeit.

Die Stadt hat mich angestrahlt. Ein Meer von funkelnden orangen und weissen Lichtern. Vor rund drei Stunden wars, als wir in sanftem Sinkflug durch dünne Wolkenschichten stiessen und die Anflugkarten von Melbourne sortierten. Zum besonderen Anlass wurde mir ein VOR-Approach auf die Piste 34 angeboten. Ich ging das Unpräzise mit grösster Präzision an. Im Bestreben, meinen Kollegen noch einmal schweizerisches Pilotenhandwerk dergestalt zu präsentieren, dass sie auch in Zukunft auf Schweizer Uhren, Schweizer Käse und ebensolche Schokolade setzen würden. Das Resultat war ansprechend. Trotz verschobener Anflugachse, trotz leichtem Seitenwind und trotz defekter Pistenmittellinienbeleuchtung. Sanft, und gut in der Länge. Beim Wein würde man in diesem Fall von einem runden Abgang sprechen.

Jetzt sitzen wir, unweit unseres Crew Hotels, im Irish Pub auf unbequemen Hockern. Auf einer kleinen Bühne in einer entfernten Ecke gibt ein entfesseltes Duo irische Folkmusik zum Besten. Die scharfen Banjoklänge erschweren die Unterhaltung. Es geht selten, ohne nachzufragen.
Unser Quartett ist vielfältig. Ebenso wie die Biersorten, die wir trinken: Ein Pironi (nicht zu verwechseln mit Pirelli! Ist etwas ganz anderes) für den Engländer, ein Stella für den Spanier, ein Pure Blonde (Wir sind immer noch beim Bier...) für den Belgier und ein Cascade für den Schreiberling. Ob es Zufall ist, dass just an dem Tag ein spanischer Copi mittut, an dem Federer zum wiederholten Mal gegen Nadal das Endspiel in Roland Garros verliert? Wenn Paco, so heisst der Iberer, redet, habe ich das Gefühl, an einer Pressekonferenz von Rafa zu sitzen: „Ai chäv a chaus in Balensia ....“

Jeder der drei Kollegen blickt auf eine interessante aviatische Vergangenheit zurück. Der Engländer Mark war bis zu seinem 37sten Altersjahr bei der Royal Air Force. Als Kampfpilot und Instruktor. Er flog insgesamt 3500 Stunden und begann auf dem Hawk. Dann folgte der Phantom und später wechselte Mark auf den Tornado. 1993 war er für drei Monate im Süden Italiens stationiert, von wo er wiederholt Einsätze in Bosnien absolvierte. Der Einstieg in die Zivilfliegerei erfolgte bei Virgin Atlantic. Nach einem Abstecher bei Emirates heuerte Mark vor zwei Jahren bei Etihad an. Wie die meisten Copis in der Hoffnung auf ein schnelles Upgrading.
Auch Paco verdiente seine fliegerischen Sporen bei der Luftwaffe ab. In Spanien, wo fast immer die Sonne scheint, der Rioja fliesst und wo Nadal so erfolgreich auf Sand trainiert. Paco flog keine Kampfjets sondern Maschinen des Typs Canadair CL215T, mit denen er Hektoliterweise Wasser über brennenden spanischen Wäldern abliess.
Dann ist da noch Piet, der belgische Kapitänskollege. Als er hört, dass ich dereinst in Swissair-Diensten stand und bald zur SWISS zurückkehre, runzelt er die Stirn. Nach einem kräftigen Schluck aus seinem beinahe leeren Glas wühlt er noch einmal kräftig in der Vergangenheit und berichtet von mindestens zwei Kollegen, die nach dem Swissair-Sabena Debakel und dem Verlust ihres Pilotenjobs Selbstmord begangen haben. Piet selber hat Glück gehabt. Vor zehn Jahren brach er mit Frau und zwei kleinen Kindern nach Italien auf. Zuerst flog er für Volare. Das Arbeitspensum war enorm. Piet erklärt, dass er vor lauter Fliegen kaum Zeit hatte, einen neuen Job zu suchen. Während er die italienischen Luftstrassen im Sturm eroberte, surfte seine Frau tagelang durchs Internet und suchte nach vakanten Pilotenstellen. Schliesslich landete die Familie in Sri Lanka. Fünf Jahre knüppelte (abgeleitet vom Hantieren am Steuerknüppel, hat jedoch in jüngster Zeit immer mehr Gemeinsamkeiten mit dem im Volksmund besser bekannten krüppeln...) der Belgier für Sri Lankan Airlines, bevor er eines schicksalhaften Tages in einem Hotel in Colombo einer Etihad-Cockpitbesatzung begegnete. Wenige Monate später streifte sich der Kapitän die Etihad-Uniform über. Er trägt sie auch heute noch – manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Freude.

Morgen fliegen wir zurück nach Abu Dhabi. Vier Piloten, vier Länder, vier Geschichten. An der Rückwand des Cockpits werden unsere vier Hüte hängen. Wie immer sauber ausgerichtet. An den beiden linken Haken die Kapitänshüte, links die Kopfbedeckungen der Kopiloten. Soviel Ordnung muss sein. Auch auf meinem letzten Etihad A340 Flug!

8 comments:

Young Pilot said...

Toller Bericht! Eine Frage hätte ich noch: Musst du jetzt bei der Swiss tatsächlich wieder "unten" anfangen? Also zuunterst auf der Senioritätsliste mit niedrigstem Gehalt?

Schönen Heimflug,

Roman, der sich in ein paar wenigen Jahren für die Ab-Inito Ausbildung bei LX bewirbt ;-)

Dide said...

@Roman: Wenn dem so wäre, dass ich zuunterst auf der Senioritätsliste, also als Kopilot, wieder einsteigen müsste, würde ich in Abu Dhabi bleiben. Dann brächten mich keine zehn Kamele in die Schweiz. Meine Rückkehroption erlaubt mir - mit dreieinhalbjährigem Senioritätsverlust - quasi dort wieder einzusteigen, wo ich vor fünf Jahren ausgestiegen bin.

Dir drücke ich die Daumen für deine zukünftige Ausbildung!!!

Gruss

Tabaluga said...

Danke, für 5 Jahre Berichterstattung und das Teilhaben lassen, an den Höhen und Tiefen eines Expat Lebens im Sandkasten. Jeder einzelne Beitrag war lesenswert und ich freue mich auf das Buch :-) und im Zweifelsfall sind diese Zeilen sehr passend, denn ein Stückchen Wüste wird immer in den Herzen bleiben :-)

Niemals Geht Man So Ganz
Wenn man Abschied nimmt,
geht nach unbestimmt,
mit dem Wind, wie Blätter wehn,

sing ma et Abschiedsleed,
dat sich öm Fernweh drieht,
um Horizont, Salz und Teer.

Wer singe Püngel schnürt,
söök, wo er hinjehürt,
et wie ne Zuch fuhr,
nit nur ein Zuhuss.

Man läßt vieles hier,
Freund ich danke dir,
für den Kuß, den letzten Gruß.

Ich will weiter gehn,
keine Tränen sehn,
so ein Abschied ist lang noch kein Tod.

Niemals geht man so ganz
irgendwas von mir bleibt hier
es hat seinen Platz
immer bei dir. Wenn et auch noch so sticht, denn wer in dr Kält
keen Zukunft sieht,

maach enem Vagabund
doch et Hätz net wund,
fliech e Stück mit
op singem Weech.

Doch dann lass mich los,
sieh die Welt ist groß,
ohne Freiheit bin ich fast schon wie tot.

Niemals geht man so ganz,
irgendwas von mir bleibt hier,
es hat seinen Platz immer bei dir.

Niemals geht man so ganz,
irgendwas von mir bleibt hier,
es hat seinen Platz immer bei dir.

Ich verspreche dir,
wenn zurück bei dir,
wenn der Wind von Süden weht.

Ich saach nit leb wohl,
dat Wort dat kling wie Hohn,
völlig hohl maach et joot.

Sieh, ich weine auch,
Tränen sind wie Rauch,
sie vergehn, dieser Käfig macht mich tot.

Niemals geht man so ganz,
irgendwas von mir bleibt hier,
es hat seinen Platz immer bei dir.

Niemals geht man so ganz,
irgendwas von mir bleibt hier,
es hat seinen Platz immer bei dir.

Nie verläßt man sich ganz,
irgendwas von dir geht mit,
es hat seinen Platz immer bei mir.

Anonymous said...

Lieber Schreiberling

Ich hoffe trotz der endenden Zeit in den Emiraten weiterhin dieses Blog verfolgen zu können. :)

Alles Gute für die Heimreise nach Abu Dhabi und dann in die verregnete Schweiz:)

Gruss aus dem Bündnerland

L.

nff said...

… also ich würde Dich sofort als Copi nehmen!

Crowi said...

"Zuerst flog er für VOLARE"

Cantare! Ich denke, jeder Copi & Kapitän (jeder/jede Copi/In, Kapitän/In, Kopilotresse, Kapitainesse; Steward und Stewardesse, aber muss das sein?) kann ein Lied singen - über seine Lauf- bzw. ihre Flugbahn.

Danke nochmals für die diesbezüglichen Einblicke in ein nach wie vor faszinierendes Metier.

"All dulls down to convention and routine"

Wie der Dichter sagt und wie's halt so ist im Leben.

Aber "Vier Hüte" ist einmal mehr glänzend geschrieben und setzt Glanzpunkte; so wie sich Oasen finden, in der Wüste.

Dide said...

@Tabaluga: Gern geschehen! Ein wirklich schöner Liedtext. Habe mir den Song gleich auf youtoube angehört: "Niemals geht man so ganz,
irgendwas von mir bleibt hier,
es hat seinen Platz immer bei dir." Trifft die Sache wohl im Kern.

@Anonymous (L): So ganz ausgestanden ist es ja noch nicht. Mittlerweile bin ich zwar wieder in Abu Dhabi, noch steht am Sonntag aber ein Flug nach Frankfurt an. Und wer weiss, vielleicht verschlägt es uns ja wieder mal ins Bündnerland.

@nff: Jederzeit: Ready for "Crew at stations"!

@Crowi: Oase ist gut, wenns denn nur keine Fata Morgana ist...

Crowi said...

Fata Morgana?
Nee, is nich....ist ja nicht vom Mirage Piloten die Rede im Text hier, sondern Phantom...