Tuesday, May 26, 2009

Idyllische Linienfliegerei

Wieder einmal im Cockpit! Nach akkurat vier Wochen und zwei Tagen Büro-Aktivität muss ich meinen Koffer vor dem Packen zuerst von einer dicken Sandschicht befreien. Mein Einsatzplan schickt mich zur Feier des Tages nach Melbourne. Für mich bedeutet dies Neuland, die Destination figuriert erst seit diesem März im Etihad-Angebot und lockt mit Neugierige mit einer täglichen Verbindung in die Hauptstadt des Bundesstaates Victoria. Günstig für die Reisenden, die dadurch an Planungsflexibilität gewinnen – weniger einträglich hingegen für die Besatzungen; denn intensivere Frequenzen haben kürzere Aufenthalte für Flight Attendants und Piloten zur Folge. Und bei 14-stündigen Passagen wäre eine mehr als 26 Stunden dauernde Ruhezeit eine angenehme Entschädigung.

Gestartet wird in der Nacht, kurz nach 22 Uhr. Ich bin in der „zweiten Schicht“ eingeteilt, darf mich also für die ersten Stunden ins Kabäuschen im Heck des A340-600 legen. Doch müde bin ich eigentlich nicht, habe lange geschlafen am Morgen. So quetsche ich mich zuerst in einen Sitz der hintersten Economy-Reihe und entspanne mich bei Dustin Hofmanns Bemühungen um die Gunst einer Dame mit feinstem englischen Akzent. Doch offenbar ist er nicht fein genug, der Akzent. Irgendwann vermag ich der Leinwand-Konversationen nicht mehr zu folgen und verfalle in einen lang anhaltenden Dämmerschlaf. Später, als ich verstört die Augen aufschlage, fühle ich mich zu kraftlos, um einen Umzug in den eine Etage tiefer liegenden Crewbunk in Angriff zu nehmen. Ich döse weiter, bis ich mich nach insgesamt fünfeinhalb Stunden Ruhezeit durch den dunklen Gang, über unanständig ausgestreckte Passagierbeine und noch viel unanständiger unbesockte Füsse, einem Hürdenläufer gleich nach vorne in den Führerstand kämpfe. Die Sonne scheint ähnlich schlapp wie ich. Sie hat sich soeben träge über den Horizont gehievt und blinzelt in flachem Winkel verschlafen durchs Cockpitfenster.
Der Flug verläuft ruhig und ohne Zwischenfälle. Weder Herzattacken noch unanständige Passagiere machen uns zu schaffen. Es ist bereits Abend in Melbourne, als mein Kapitäns-Kollege aus dem Malayischen Archipel einige Zeiteinheiten später unseren Flieger für den Landeanflug konfiguriert. Aufsetzen, Abbremsen, Ausrollen, Parkieren. Dann, nach vielen „Bye-Bye’s“ und „Thank you’s“ hält uns nichts mehr in der 75 Meter langen Röhre.

Die Fahrt zum Hotel dauert 40 Minuten. Alle sind müde, doch niemand will ans Schlafen denken. Wir verabreden uns für 1930 Uhr in der Lobby. Gewöhnlich nicken alle bei der Bekanntgabe solcher Treffpunkte, aber ausser den Cockpitkollegen oder dem Cabin Manager glänzt die Mehrheit meist durch diskrete Abwesenheit. Nicht so heute: Zu unser aller Überraschung trudeln letztlich sämtliche Besatzungsmitglieder – mit Ausnahme einer Hostess – in der Hotelhalle ein. Frisch geduscht und neu gewandet. Das ist beinahe geschichtsträchtig: 14 Flight Attendants und vier Piloten ziehen los, um an einem Freitagabend im Herzen von Melbourne einen Tisch fürs gemeinsame Nachtessen zu finden. Und die Geschmäcker sind bei diesem Nationalitätenmix total gegensätzlich: Malaysier, Inderinnen, Vertreterinnen der Philippinen und die Chinesin schreien nach Reis und Scharfem, die Slowakin und die Rumäninnen gelüstet nach Schweinefleisch und der kümmerliche Rest der Besatzung, bestehend aus Vertretern Ägyptens, Kenias, Australiens und der Schweiz verspüren keinen Hunger oder sind untentschlossen. Ich spüre förmlich, wie sich "nff" beim Lesen dieser Schilderung die Nackenhaare sträuben. Er, der im Laufe der Jahre eine Abneigung gegen lange Tische und grosse Gruppen entwickelt hat, dürfte hier lediglich den Kopf schütteln; Im Wissen um die zerbrechliche Struktur einer solch grossen Truppe, und mit der Erkenntnis, dass bereits das simple Überqueren einer Strasse zur anspruchsvollen Teamprüfung verkommt.
Doch das subtil aufgebaute CRM (Crew Ressource Management)-Training der Etihad ist offenbar nicht spurlos an uns vorbeigegangen und zeigt Wirkung. Auch mehrere unangekündigte Richtungsänderungen vermögen uns nicht auseinanderzutreiben, und so strömen alle, einem Wolfsrudel gleich, Richtung Casino. Genauer gesagt visieren wir einen der grossen „Food Courts“ im langen Gebäudekomplex an. Ich bin unschuldig. Ich kenne ja nichts in dieser mir so unbekannten Stadt. Ich gehöre in diesem Fall zu den rangniedrigen Wölfen, die mit hängender Rute der Spur der Alphatiere folgen.
Der „Food Court“ scheint wie geschaffen für uns. Grosse lange Tische – im Moment leider alle besetzt – umgeben von einer kulinarischen Ländervielfalt, wie sie den Bedürfnissen unseres Wolfsrudels nicht besser entsprechen könnte. Während die meisten sogleich zwecks Nahrungsbeschaffung ausströmen, kümmert sich ein rumänisches Flight Attendant um Sitzgelegenheiten. Dank ihres verwegenen Charmes schafft sie es im Nu, einen zeitungslesenden australischen Eremiten von unserer Notlage zu überzeugen. Verlegen lächelnd faltet er seine Lektüre zusammen und räumt seinen Platz. Wenig später versammeln sich 18 hungrige Mäuler über Plastikschalen und Pappteller und geniessen diskutierend, lachend und heftig gestikulierend ein wohlverdientes Nachtessen.

So idyllisch kann die Linienfliegerei sein.

4 comments:

nff said...

... da bin ich wieder einmal im Schussfeld :-)

Als Vertreter der Kategorie 40+ leide ich unter den typischen Krankheitsbildern unserer Generation. Zum leichten Hörschaden und der Kurzsichtigkeit, gesellt sich ein Aufmerksamdefizitsyndrom. Mit Ritalin ist dem Leiden nicht beizukommen, weil die Komponente der Hyperaktivität eindeutig fehlt.
Sehe ich einen Tisch von 18 Personen vor mir, bekomme ich feuchte Hände.

Denn:
- ich sehe nur die Hälfte der Besatzung (Kurzsichtigkeit)
- kann den Gesprächen nicht folgen (Hörschaden)
- ich bekämpfe das Aufmerksamdefizitsyndrom fatalerweise immer mit Bier, was das Krankheitsbild nur verstärkt.

Darum bevorzuge ich Kleingruppen, wie dies früher im Golden Club in Atlanta so üblich war.

Dide said...

@nff: Der Vorteil der Kategorie 50+ ist, dass die eigenen Krankheitsbilder nicht mehr so genau wahrgenommen werden können. Mitunter kommt es auch zu Sinnestäuschungen. Vergesslichkeit und Erinnerungslücken treten auf: Atlanta? Golden Club? Was war da schon wieder...?

skypointer said...

Ok, ich sehe Eure Probleme, kann sie aber nur zum Teil nachvollziehen. Mit meinem Chef 2 Tage im regnerischen Nairobi von der Cabin Crew verlassen, würde ich ein paar junge Damen am Tisch zu schätzen wissen! Aber vielleicht liegt es ja daran, dass ich noch zu den 40- gehöre ;-)

Dide said...

@skypointer: Bin gerade von einem Einnächter London zurückgekommen. Zugegeben, der Layover war mit 16 Stunden eher kurz, doch nicht eine einzige Seele konnte sich aufraffen, mit mir an der Hotelbar ein Bier zu trinken. Gegensätze, wie sie das (Flieger-)Leben schreibt.

Gruss