Im diesen Tagen dreht sich Vieles um Geschwindigkeit. „Speed“ ist das halbe Leben. Zumindest in der Fliegerei. Doch die Sache hat einen Haken. Nur wer weiss, wie schnell – oder langsam – er wirklich fliegt, kann adäquat handeln und bei Bedarf Flugzeuglage oder Triebwerkleistung anpassen. Und wer glaubt, dass redundante Mess- und Anzeigesysteme zur Kompensation technischer Ausfälle jederzeit Abhilfe schaffen, der hat die sprichwörtliche Rechnung – leider – ohne den Wirt gemacht.
Das Planungsschicksal will, dass ich just in der Nacht des Air France-Absturzes im A330-Simulator schwitze. Es ist der dritte Tag meines halbjährlichen „Recurrent-Trainings“. Den „OPC“ (Operator Proficiency Check), dessen Bestehen über Verlängerung der Linienpilotenlizenz entscheidet, habe ich am Vortag erfolgreich hinter mich gebracht. Ebenso wie eine Übung, bei der wir uns mit doppeltem Hydraulikausfall, mit Rauch im Cockpit und einem Brand im Frachtraum herumschlagen. Heute stehen Triebwerkausfälle und Navigationsstörungen unter erweiterten Langstreckenbedingungen (Extended-range Twin-engine Operational Performance Standards) auf dem Programm. Der Höhepunkt aber ist der simulierte Einflug in Vulkanasche. Im Reiseflug, auf „Flight Level 390“, was einer Höhe von rund 11700 m entspricht.
Vulkanasche ist ein besonders heimtückisches Phänomen, das, im Gegensatz zu Gewitterzellen, von keinem Wetterradar dieser Welt entdeckt werden kann. In der Erinnerung vieler Piloten und Fachleute haftet in diesem Zusammenhang der Vorfall einer Boeing 747 der British Airways aus dem Jahr 1982, deren vier Triebwerke beim Einflug in eine Wolke von Vulkanasche beinahe gleichzeitig erlöschten. Glücklicherweise gelang es der Besatzung, sämtliche Aggregate wieder zu starten und in Jakarta sicher zu landen.
Ein „Volcanic Ash Encounter“ kann ähnliche Konsequenzen haben wie der Durchflug einer heftigen Gewitterzone. Eigentlich müsste ich anders herum formulieren: Denn wer in Vulkanasche einfliegt, wird wahrscheinlich härter bestraft als beim Passieren einer Gewitterfront. Wobei ich in diesem Fall davon ausgehe, dass die Piloten regelmässig ihr Wetterradar konsultieren und einen Weg wählen, der die gefährlichen, rot markierten Gewitterzellen vermeidet.
Unser simulierter Einflug in die Vulkanasche produziert zuerst eine Rauchwarnung im hinteren Frachtraum. Noch während wir mit der Checkliste beschäftigt sind, beginnt eine der Triebwerkanzeigen zu rebellieren. Dann geben beide Motoren innert weniger Sekunden ihren Geist auf. Ich schalte den Autopiloten aus und lege den Airbus in eine enge Umkehrkurve und beginne, leicht abzusinken. So eng es eben geht, wenn die Geschwindigkeit aufgrund des totalen Schubausfalls rapide abnimmt. Der Copilot hat sich mittlerweile die Checkliste „All Engine Flame out“ geschnappt. Mit Hilfe seiner Angaben kann ich eine Fluglage einnehmen, bei der beide Triebwerke optimal angeströmt werden. Sofort beginnt mein Kollege mit den Anlassversuchen.
Aufgrund der von Asche verstopften Pitot-Rohre und Statik-Sensoren zeigen alle drei primären Geschwindigkeitsmesser wie auch die Stand by-Anzeige unterschiedliche Werte. Autopilot und die automatische Schubregelung lassen sich nicht mehr zuschalten. Wir müssen den begonnen Sinkflug fortsetzen, um weitere Höhenmeter in Geschwindigkeit umzuwandeln. Unsere Cockpit-Kommunikation wird massiv gestört durch eine eklige Stimme, die regelmässig „Stall, Stall, Stall“ schreit. Stall bedeutet Strömungsabriss, das Flugzeug wird in der Folge unkontrollierbar. Wir fliegen zu langsam. Oder nicht? Oder doch zu schnell? Die Indikationen sind verwirrend, störend, verunsichernd. Ständig bimmelt es irgendwo, die warnende Stimme lässt nicht locker. „Aviate, navigate, communicate“ mahnt eine Grundregel der Fliegerei. Eine erfolgreich durchgeführte Checkliste nützt wenig, wenn die Piloten schlecht navigieren und in der Folge einen Berg rammen.
Noch segeln wir ohne Schub und aufgrund der stillgelegten Kabinendruckregulierung sehen wir uns gezwungen, die Sauerstoffmasken anzulegen. Die Kommunikation wird noch übler. Eines der Hauptprobleme ist, dass wir keine Ahnung haben, welche der vier angezeigten Geschwindigkeiten korrekt ist und welche Fluglage wir einnehmen müssen, um einen totalen Strömungsabriss oder ein Überschreiten der Maximalgeschwindigkeit zu verhindern. Zwar liefert uns die Checkliste für einen totalen Triebwerksausfall rudimentäre Angaben, doch hilfreicher in Sachen Speed wäre die Checkliste für „Unreliable Speed Indication“. Uns fehlt jedoch in diesem Moment schlicht die Zeit, die entsprechenden Seiten zu suchen. Auch die Checkliste für „Volcanic Ash Encounter“ nützt nicht viel, denn unser Hauptinteresse gilt in diesen Minuten dem Wiederanlassen der Rolls Royce-Triebwerke. Meine Übersicht ist eingeschränkt, die Lesebrille unter der Sauerstoffmaske will ihren Zweck nicht so richtig erfüllen.
Es gibt Momente in der Fliegerei, da fällt es schwer, die richtigen Prioritäten zu setzen. Checklisten und technische Kenntnisse sind gut, aber auch Erfahrung und Instinkt können hilfreich sein. Wenn auch der Grat äusserst schmal ist. Moderne Verkehrsflugzeuge sind vollgepfropft mit Computern, die für den Normalverbraucher (Pilot) nicht selten in völlig unlogischer Kombination miteinander vernetzt sind. Grundsätzlich sind Improvisation und unmotivierte „Pröbelei“ nicht ratsam. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass Checklisten immer und jederzeit die "richtige" Lösung bieten.
Glücklicherweise sitzen wir in dieser Nacht in einem Simulator. Ein Knopfdruck des Instruktors genügt, und die Fehler lassen sich – zumindest teilweise – beheben. Es gelingt uns, einen der beiden Motoren zu starten.
Glücklicherweise sitzen wir in einem Simulator. Der Pulsanstieg hält sich in Grenzen. Welcher Pilot weiss denn schon, wie er im Ernstfall reagiert.
Glücklicherweise sitzen wir in einem Simulator. Getragen von der Hoffnung, in der Realität niemals in eine solche Situation zu geraten.
Glückliche Umstände, die AF447 in dieser Nacht leider nicht beschieden waren.
Tuesday, June 09, 2009
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4 comments:
Treffender kann man das nicht formulieren und mit einem Beispiel zeigen. Danke!
G!
Als Airbus Pilot und regelmäßiger Leser Ihres Blogs, möchte ich mich dem Vorredner anschließen: Treffend auf dem Punkt gebracht! Ich habe Demut für diesen Job, so schön es auch ist, manchmal gehört eben auch nur ein Portion Glück haben/oder nicht haben dazu.
Gerne würde ich mal mit Ihnen mal einen Cockpit teilen, aber bis nach ME hat es mich bis jetzt noch nicht verschlagen! Einen Fliegerischen Gruß! Ihr HBB
Hatte an meinem CRP Kurs mit dem selben Problem zu kämpfen. Es gibt wohl nicht viel be@#&isseneres als ein Ausfall aller Triebwerke in Kombination mit ausgefallenen Geschwindigkeitsanzeigen!
Zum Glück wars auch bei mir nur synthetisch...
@G!,HBB und skypointer:
Vielen Dank!
Ich schätze diese Kommentare besonders, handelt es sich hier doch um Betrachter, die mit den Unzulänglichkeiten unseres Berufes (die gibt es in der Tat!) bestens vertraut sind.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Linienpiloten über die Jahre immer mehr zu Individualisten mutieren. Hunderte von Rotationen in ständig wechselnder Umgebung und mit immer neuen Besatzungsmitgliedern, sowie lange (und kurze) Nächte in Hotels hinterlassen deutliche Spuren. Und trotzdem ist Teamgeist gefragt! Nur ein effizient funktionierendes Team wird in kritischen Situationen bestehen können. In diesen beiden Elementen offenbart sich ein Widerspruch. Und ebenso widersprüchlich pflegen Piloten gewisse Sachverhalte zu kommentieren. So wirr es auch klingen mag - es liegt in der Natur der Sache, und dient letztlich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Gruss
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