Thursday, January 29, 2009

Von Dädalus bis Bellerophon

Wieder einmal drücke ich die Schulbank. Präziser noch, den Seminarstuhl. Im Rahmen meiner Tätigkeit im Departement Flight Safety nehme ich diese Woche an einem „ISASI-Reachout Workshop for Accident Investigators“ teil. ISASI steht für „International Society of Air Safety Investigators”, einer Vereinigung, die sich weltweit mit Fragen der Flugsicherheit auseinandersetzt und vielfältige Seminare und Workshops anbietet.

Erfahrungs- und Visitenkarten-Austausch
Während einer Woche tauschen Instruktoren und Teilnehmer mit unterschiedlichem aviatischen Hintergrund ihre Meinungen und Erfahrungen zum Thema Flugunfall-Untersuchungen aus. Beinahe intensiver noch werden Visitenkarten herumgereicht und ausgetauscht. Velfältige Kontakte haben noch nie geschadet, und wer reist, der weiss, dass die Intensität des Kartentausches zunimmt, je weiter man gen Osten vordringt.
Die Zusammenstellung der Themenbereiche ist spannend und verspricht Abwechslung. Insbesondere die Fallstudien zu umfassenden Unfalluntersuchungen. Einer der Referenten war in früheren Jahren auch für das „Transportation Safety Board of Canada“ tätig und am Rande in die Untersuchung des Swissair MD11-Absturzes in Halifax involviert. Auch dies einer der zahlreichen kleinen Lebens-Kreise, die sich immer wieder schliessen.

Der Workshop wird aufgelockert durch Gastreferate: beispielsweise von Dr. Sodhi, dem „Chief Medical Officer“ der Etihad. Er berichtet über flugmedizinische und zwischenmenschliche Faktoren bei Unfällen, und dabei nähert er sich der Thematik auf originelle Art und Weise, mit Hilfe der Griechischen Mythologie. Vier Piloten-Archetypen will er da ausgemacht haben. Mit Eigenschaften, die deren Verhalten am Steuerknüppel und im Cockpit kennzeichnen. Und – was in diesem Fall mit einer gehörigen Portion Witz und Humor beäugt werden soll – mit Verhaltensmustern, die auch heute noch, im Zeitalter digitaler Checklisten und „Fly by Wire“-Steuerung Gültigkeit bewahren.




















Typ 1: Dädalus
Gefangen gehalten in seinem selbst entworfenen Irrgarten, baut er Schwingen aus Wachs. Zusammen mit seinem Sohn Ikarus schwingt er sich in die Luft. Während sein Sprössling tragisch scheitert, rettet sich der Vater und findet schliesslich auf Sizilien Zuflucht. Vor der Flucht warnt er seinen übermütigen Sohn eindringlich vor den lauernden Gefahren. Dädalus ist ein umsichtiger Mann mit guter fliegerischer Begabung. Ein Tüftler, der die Dinge überlegt und vorsichtig angeht. Der ideale Mann im Cockpit eines Verkehrsflugzeuges!

Typ 2: Ikarus
Gleiches kann von seinem Sohn nicht unbedingt behauptet werden. Obwohl ihn sein Vater darauf hinweist, dass bei einer zu grossen Flughöhe die Sonnenhitze das Wachs seiner Flügel schmelzen lässt, lässt sich dieser nicht zurückhalten und steigt unbedacht der Feuerkugel entgegen.
Dr. Sodhi bezeichnet Ikarus als „Prima Donna Pilot“. Kopflos und unvorsichtig, die Mahnungen seines Vaters in den Wind schlagend. Wohl ist er ein begabter Pilot, aber er lässt sich leicht verführen und offenbart narzistische Grundzüge. Ikarus benötigt Führung und Überwachung. Nur an der Seite eines starken und überlegten "Mentors" wird er sich erfolgreich ins Team einbringen können. Ansonsten droht er abzudriften. Wörtlich meint der Referent: „He will land in bad weather just because he has a date...“

Typ 3: Phaeton
Der dritte im Bunde, Phaeton, Spross von Helios, dem Sonnengott, möchte unbedingt den kostbaren „Sonnenwagen“ seines Vaters lenken. Dieser ist wenig begeistert und versucht, seinen Sohn davon abzubringen. Vergeblich. Das Viergespann rast los und gerät alsbald ausser Kontrolle. Er verlässt die übliche Fahrstrecke zwischen Himmel und Erde und löst in der Folge schreckliche Katastrophen aus. Erst Zeus, von der Mutter Erde um Hilfe gerufen, bereitet dem Chaos ein Ende und schleudert einen Blitz. Der Wagen wird zertrümmert und der Wagenlenker Phaethon stürzt in die Tiefe, wo er tot im Fluss Eridanus landet.
Auch Phaeton verfügt zwar über eine überdurchschnittliche fliegerische Begabung, allerdings wird diese durch sein unüberlegtes Handeln neutralisiert. Im Gegensatz zu Ikarus kennt er zwar die Regeln und Verfahren (OM A), doch er schert sich einen Dreck darum. Seine innere Zerrissenheit treibt ihn unentwegt an, bis die Mission schliesslich im Desaster endet. Dr. Sodhi rät, ihn nur im Falle einer akuten Pilotenknappheit einzustellen.

Typ 4: Bellerophon
Er ist der Sohn des Poseidon. Neugierig und auf spannende Abenteuer bedacht. Eines Tages steht er vor der Aufgabe, die "Chimäre", ein feuerspeiendes Mischwesen mit drei Köpfen, zu töten. Dies gelingt ihm mit Hilfe des geflügelten Pferdes Pegasus. Später soll er übermütig geworden sein und versucht haben, mit Pegasus zum Olymp zu fliegen. Zeus schickt eine Bremse (Insekt), die das Pferd sticht, so dass dieses seinen Reiter abwirft. Der tragische Held Bellerophon bleibt für den Rest seines Lebens gelähmt und erblindet.
Im Grunde genommen ist er ein "Macho Pilot", der für Teamwork und Kommunikation eine echte Gefahr darstellt. Sein Drang nach Individualität unterbindet sämtliche „CRM-Bestrebungen“ (Crew Ressource Management) im Ansatz. Ein klares „No Go“ für jedes Selektionsteam!

Dädalus, Ikarus, Phaeton oder Bellerophon. Mit Sicherheit werde ich beim nächsten Flug ein kritisches Auge auf meinen Cockpitpartner werfen. Und dabei versuchen, ihn einem dieser Archetypen zuzuordnen. Mit einem Augenzwinkern selbstverständlich, denn spätestens seit dieser Woche ist mir klar, dass auch Griechische Götter vom Himmel fallen können.

1 comment:

Anonymous said...

...when the first officer advised the captain to ascend again for landing, about 5 seconds before impact, the captain did not react...

Das war 2005, Air China Flight 129 nach Busan, Korea.

Hätte der Chinesische Kapitän damals etwas von CRM oder Teamwork gehalten, oder schlicht auf seinen Copiloten gehört - es wären wohl einige Leute noch am leben.

Aber das "Macho" Syndrom, von dem Sie hier schreiben, war wohl am Werk, und vielleicht auch das "Loss-of-face Syndrom", welches in Asiatischen Ländern immer noch grassiert, die Angst vor dem Gesichtsverlust.

Jedenfalls scheint Dr. Sodhi, der Chief Medical Officer von Etihad, über einige Kenntnisse des alten Griechenland zu verfügen, der Wiege der Europäischen Kultur.