Thursday, June 28, 2007

Wenn die Mutter mit dem Sohne...

Donnerstag Nacht, oder besser gesagt, Freitag Morgen, 2.00 Uhr. Jetzt ist es klar, für Tim und mich gibt’s auf dem Flug nach London kein freies Plätzchen mehr. Dide, der um Mitternacht direkt von Sydney kommend gelandet ist, hat mit uns ausgeharrt. Zu dritt fahren wir nach Hause, um am nächsten Tag ausgeschlafen den Mittagsflug zu besteigen.

Wedding invitation
Der Grund, weshalb Tim und ich überhaupt nach London fliegen, ist eine „Wedding invitation“.
Vor 26 Jahren verbrachte ich in dieser tollen Stadt ein wunderbares Jahr als Au-pair, bei Ann und Julian, sowie ihren Kindern Miriam und Daniel. Letzterer kam übrigens in eben diesem Jahr auf die Welt. Über die Jahre blieben wir immer in Kontakt mit der Familie Futter, dabei haben wir sie auch ein paar Mal besucht. Und nun also werden wir zu Daniels Hochzeit eingeladen!
Da Tim schon Ferien hat und früher als der Rest der Familie in die Schweiz will (um einen Ferienjob anzutreten), begleitet er mich zu diesem besonderen Fest. Wir sind beide sehr gespannt und freuen uns, eine jüdische Hochzeit miterleben zu dürfen.
Da wir erst mit dem Mittagsflug reisen, bleibt uns letztlich etwas weniger Zeit zum Sightseeing. Wir treffen am Freitagabend in der Stadt ein und beziehen zuerst einmal unser Zimmer im Hotel Royal Lancaster, das direkt am Hyde Park liegt.
Doch lange wollen wir dort nicht bleiben. Uns zieht es ins pulsierende Strassenleben. So fahren wir mit der „Underground“ nach Covent Garden, wo wir uns im Strom der Passanten treiben lassen und wenig später im Freien eine Pizza geniessen. Tim und ich sind fasziniert von der Ausstrahlung und der Energie dieses Quartiers. Die Szenerie ist unglaublich belebt, Strassenmusiker und -künstler an allen Ecken. Das Leben spielt sich draussen ab, die Luft scheint herrlich frisch – und Tim friert. Wir sind uns diese beinahe arktisch scheinenden Temperaturen (20°) wahrlich nicht mehr gewohnt. Doch was soll’s. Der Puls dieser Stadt lässt uns die „Kälte“ vergessen und wir reihen uns nach dem Essen erneut ein in den flanierenden Touristenstrom. Man hört oft Schweizerdeutsche Wortfetzen, und für mich werden zahlreiche Erinnerungen wach. Ich geniesse es, mit meinem beinahe erwachsenen Sohn in dieser Stadt zu sein. Wir schlendern zum Leicester Square, und nehmen dann die U-Bahn zurück zum Hotel.
















Sightseeing
Am nächsten Morgen, es ist Samstag, begeben wir uns auf eine “Sightseeing-tour” mit dem offenen „Hop-on, hop-off“-Bus. Der Start erfolgt beim Marble Arch. Die Fahrt führt uns vorbei an Madam Tussauds (haben wir ausgelassen, zu lange Warteschlangen) und später zum Picadilly Circus (wo ich vor 26 Jahren meine Platten kaufte). Dann geht’s zu Fuss zum Swiss Court (Frühstück bei Mc Donalds) und weiter zum Trafalgar Square.
Als nächstes steigen wir in einen Doppeldeckerbus, der uns zum Big Ben fährt. Die Aussicht auf die Themse und London Eye ist faszinierend. Es geht weiter an der St. Pauls Cathedral vorbei zur Tower Bridge und zum Tower of London, dessen unheimliche Foltergeschichten uns kalte Schauer über den Rücken jagen. Schliesslich spazieren wir The Mall runter zum Buckingham Palace. Das Wetter ist wunderbar. Abends um sechs Uhr treffen wir totmüde wieder im Hotel ein. Der Hunger lässt uns jedoch keine Ruhe, und wenig später schon sitzen wir in einem der zahlreichen Chinesen beim Nachtessen.




















Big Ben...




















... und Trafalgar Square
















Vor dem London Eye
















The Mall

Wedding day
Den Sonntag beginnen Mutter und Sohn mit einem gemütlichen Frühstück draussen in einem kleinen Gässchen hinter der berühmten Oxford Street. Dann bummeln wir durch alte Häuserzeilen mit tollen Pubs, geben uns noch einmal unseren „Shopping-Gelüsten“ hin, um wenig später im Hyde Park bei herrlichstem Sonnenschein und angenehmen Termperaturen zu relaxen.































Gruppenbild - das einzige - im Hyde Park
















Dann gilt es Ernst. Schliesslich haben wir hier eine “Mission” zu erfüllen. Als Schweizer, die in Arabischen Landen wohnen und in London eine Jüdische Hochzeit besuchen, kommen wir uns – trotz offizieller Einladung – etwas seltsam vor. Ein „London Taxi“ bring uns zum Park Lane Hotel. Tim und mich befällt ein mulmiges Gefühl. Jetzt, wo wir die vielen schicken Leute erblicken, von denen wir überhaupt niemanden kennen. Meine Au-pair Familie, die Futters, können wir nirgends entdecken. Schliesslich werden sämtliche Gäste in einen reich geschmückten Saal geführt. Alle Männer – auch Tim – kriegen für die Trauzeremonie die jüdische Kopfbedeckung, die sogenannte „Kippa“. Die gesamte Hochzeitsfeier wird nach traditionellem, über 2000 Jahre altem jüdischem Muster gehalten.



































Ein sichtlich "entspannter" Tim mit Kippa

Die Zeremonie beginnt
Futters haben mindestens 250 Gäste geladen. Tim und ich setzen uns an den Gang mit direktem Blick auf die „Chupah“; Dieses kleine weisse Zelt ist auf allen vier Seiten offen und mit Hunderten von weissen Rosen geschmückt. Es symbolisiert das Heim, welches das Brautpaar gemeinsam aufbaut und das für Gäste immer offen stehen soll. Während wir auf den Beginn der Trauzeremonie warten, frage ich mich, ob ich Futters wohl auf Anhieb erkennen würde. Tim ist nervös und sitzt ganz steif, weil er befürchtet, die „Kippa“ könnte ihm vom üppig gelierten Haar rutschen. Neben uns hat ein Freund der Brautfamilie, der eben erst aus New York eingetroffen ist, Platz genommen. Dann erblicke ich endlich Miriam, die Tochter, der ich vor knapp drei Jahrzehnten die Windeln zu wechseln pflegte. Eine äusserst hübsche junge Frau. Jetzt sehe ich auch ihre Eltern. Sie haben sich kaum verändert.
Dann beginnt die Trauung. Eine faszinierende, vielschichtige und Symbol geladene Zeremonie, die detailliert in dem an sämtliche Gäste verteilten Faltblatt „The Wedding Service“ beschrieben wird:

















The Ketubah (Marriage Contract)
Immediately before the ceremony the Ketubah is signed. Originally introduced in the first century as a legal contract defining the obligations of a husband to his wife.

The Bedeken (Veiling of the Bride)
Just before the ceremony begins, Daniel is escorted to the bridal room. He will lift the veil from Rebecca’s face so that he can check she is indeed the bride he has chosen, then replace it.


The Ceremony
Close family members wait under the Chupah while the bridal procession enters. Rebecca is escorted by her father after everyone has entered. On arrival under the Chupah she circles Daniel seven times before taking her place at his side. This symbolizes their binding together in love. The number seven corresponds to the seven days that God took to create the world, a reminder that creation is central to marriage.

The Ring
Daniel now places the ring on the finger of Rebecca’s right hand and recites in Hebrew: „Behold, you are consecrated to me with this ring according to the Law of Moses and Israel!“ The ring itself must be circular and therefore without end, being a symbol of eternity.

The Ketubah
This is now read out in Aramaic and English

Second Cup of Wine and Seven Blessings
The second cup of wind is poured and the seven blessings sung to Daniel and Rebecca.

Breaking of the Glass
After the couple have both sipped from the wine, the ceremony is concluded by Daniel breaking a glass. This customs serves to remind the bride and groom that even during times of great joy, one should not forget the destruction of the Temple in Jerusalem and the sorrows inflicted on the Jewish people.

Signing of the Civil Register
Rebecca and Daniel will sign the official civil registers and be given their civil marriage certificate in addition to their Ketubah.

Yichud – Privacy
After the ceremony the couple adjourn together to a private room. This is called Yichud and represents an earlier time when a couple could never be alone before their marriage took place. Rebecca and Daniel will spend a few moments together as Husband and Wife before joining their guests.

















Chupah

Ausgelassene Feier
Nach der rund einstündigen Zeremonie begibt sich die Gästeschar in den ersten Stock, wo bereits der Apéro bereitsteht. Tims Nacken hat sich beim Sitzen derart versteift, dass er über Rückenbeschwerden klagt. Er ist froh, sich endlich seiner „Kippa“ entledigen zu können. Bei einem Glas Sekt treffe ich katholische Schulfreunde von Miriam. Auch sie besuchen zum ersten Mal eine jüdische Hochzeit. Ich mache mich auf die Suche nach Futters. Im Getümmel stosse ich dann endlich auf Miriam, Julian und Ann. Wir umarmen uns, sie scheinen sich riesig über unser Wiedersehen zu freuen. Erst jetzt beginne ich mich richtig wohl zu fühlen. Die Stimmung ist herzlich und wenig später können wir trotz eines grossen Menschenauflaufs auch dem Brautpaar gratulieren.
Ich suche unsere Plätze an einem der runden 10er Tische. Wir sitzen getrennt, Tim am anderen Ende das Saales, mit jungen Leuten seines Alters. Ich hingegen mit alten Leuten – in meinem Alter eben.... Doch meine Tischgenossen und -genossinnen, darunter eine ehemalige Nachbarin der Familie Futter aus „meiner Ära“, erweisen sich als amüsante Gesprächspartner. Bevor wir uns über die verlockende Tafel hermachen können, beginnt die Musik (Liveband) zu spielen. Sofort erheben sich die Gäste und beginnen zu klatschen, während in der Mitte wild im Kreis getanzt wird. Immer mehr stürmen auf die Tanzfläche, die Braut und Bräutigam werden auf Stühlen empor gehoben und im Kreis gedreht. Die Stimmung ist fröhlich, glücklich, einfach famos!
Zwischen den einzelnen Gängen gibt es Ansprachen vom Brautvater (sehr berührend), vom Rabbi, vom „Best Man“ und schliesslich auch vom Bräutigam.
Es würde zu weit führen, sämtliche Details des Abends an dieser Stelle zu schildern. Erwähnenswert ist vielleicht noch die Tatsache, dass Tim, der sich an seinem Tisch bestens unterhält (auch wenn sein arg amerikanisiertes Englisch mit Wörtern wie "awesome" oder "amazing" bisweilen für dezentes britisches Schmunzeln sorgt) , für einmal gar seine Mutter aufs Tanzparkett begleitet, und dass die Tischmajorin zu vorgerückter Stunde uns alle bittet, aufzustehen und das Glas zu erheben, um zwei Toasts auszusprechen; auf die Queen, worauf alle aus voller Kehle „God save the Queen“ singen, und auf den Staat Israel (hier tun sich Tim und ich etwas schwerer, trotz Textbüchlein. Aber auch der Bräutigam vermag nicht immer ganz mitzuhalten...).
















mit Ann und Julian...
















...Daniel und Rebecca...




















...und Miriam
















Getrennter Rückflug
Am nächsten Tag, dem Montag, gilt es bereits wieder, die Koffer zu packen. Wir reisen getrennt, denn Tim fliegt direkt nach Genf, von wo er mit dem Zug nach Thun fährt. Er will die nächsten beiden Wochen etwas Geld verdienen und hat auf dem Bau angeheuert. Unterkunft und Verpflegung findet er bei seiner „Gotte“ im bernischen Oberdiessbach.
Gegen Mittag fahren wir mit dem Bus zum Flughafen Luton. Nach dem Einchecken, unmittelbar bevor wir uns verabschieden wollen, kommt plötzlich Hektik auf wegen einer Bombendrohung. Der ganze Flughafen wird blitzartig geräumt. Wir begeben uns ins Freie und fühlen uns unwohl. Warten ist angesagt, es herrscht Verwirrung. Satte anderthalb Stunden stehen wir uns die Füsse wund, bis endlich klar wird, dass es sich lediglich um „a technical problem“ gehandelt hat und der Airport wieder normal zu funktionieren beginnt. Tim begibt sich durch die Passkontrolle und ich fahre mit dem Bus zurück in die Stadt, wo ich mich mit Ann und Miriam zu einem Kaffee verabredet habe.
Mein Flug nach Abu Dhabi startet kurz nach 21 Uhr. Etihad bringt mich sicher und pünktlich zurück in die Wüste (Diesen Satz musste ich auf Druck meines Mannes nachträglich einbauen...)

Wie habe ich doch diese vier Tage in London genossen. Diese Stadt, die mich schon immer in ihren Bann gezogen hat, weckt bei mir zahlreiche Erinnerungen an frühere Zeiten. Darin zu schwelgen, ist herrlich. Auch wenn mir an Tims Seite bewusst wurde, wie schnell sich doch das Rad der Zeit dreht.

1 comment:

Anonymous said...

ich habs auch genossen, obwohl ich mich eigentlich nicht mehr so gut an london erinnern konnte. nur noch die schlimmen minuten im grusel-kabinett von madam tussauds...wirklich ein kindheits-trauma.

liebe grüsse aus der schweiz
tim