Tuesday, March 30, 2010

"Standby"

Wer mit „Standby“-Tickets reist, und das tun Mitarbeiter einer Fluggesellschaft des Öfteren, ist den Launen voller Flieger und heimtückischer Vorschriften ausgeliefert. Im besten aller Fälle gibts den erhofften Passagiersitz, läufts schlecht, wird dieser gegen einen „Jumpseat“ getauscht. Läufts noch schlechter, sieht mann oder frau den Flieger gar nur von aussen.

Mit „Jumpseat“ werden in der aviatischen Umgangssprache Klapp-Sitze im Bereich der Flugzeugtüren und Galleys bezeichnet, auf denen sich die Mitglieder der Kabinenbesatzung für die rund viertelstündigen Start- und Landephasen, Steig- und Sinkflug inbegriffen, anschnallen. Für mehrstündige Reisen sind diese Sitze eher ungeeignet. Der Komfort lässt zu wünschen übrig, ausserdem zwingen einem ständig vorbeikarrende Esstrolleys immer wieder in Stellungen, die an frühere Zeiten im Mutterleib erinnern.
„Jumpseats“ können zum ersten Ärgernis für Kapitäne oder zur letzten Hoffnung für „Standby“-Reisende werden. Denn es ist der verantwortliche Captain, der, nach Rücksprache mit der Kabinenbesatzung, seine Zusage zur Vergabe an Reisende mit „Standby“-Tickets geben muss. Ohne sein Einverständnis sind den Bodenstellen die Hände gebunden, und ist die Maschine voll, wird auch der treueste aller Airline-Angestellen mit einem unbeteiligten aber folgenschweren Kopfschütteln abgewunken.

Auf meinem Flug nach Sydney gerät einmal mehr ein Kollege in diesen Strudel von Hoffnung, Bangen und Frust. Und wir, die Cockpitbesatzung, mit ihm. Er will nach Neuseeland. Zu seiner Frau und den beiden Kindern, die nach vier Jahren in Abu Dhabi in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Familienleben und Kindererziehung auf Ultralangstrecken-Distanz. Schauerliche Vorstellung. Bereits am Vortag tut er uns per Mail seine Absicht kund. Wir sichern ihm unsere volle Unterstützung zu.
Anfänglich scheint alles zu klappen. Es sind genügend freie Sitze vorhanden, die Morgenmaschine aus Dhaka, welche der Kapitänskollege am Tage unseres Abflugs nach Abu Dhabi pilotiert, soll pünktlich landen. Auf dem Flugzeug angekommen, erwartet uns der TAS (Turnaround Supervisor) mit der Neuigkeit, dass mit einem höheren „Zero Fuel Weight“ (Gesamtgewicht ohne den zu tankenden Treibstoff) gerechnet werden müsse. Da wir am maximalen Startgewicht anstehen und auf keinen Tropfen unserer berechneten 145 Tonnen Sprit verzichten können, liegen die angegebenen anderthalb Tonnen Zusatzfracht nicht drin. Also muss ein Fracht-Container in Abu Dhabi bleiben, denn schwerer als 380 Tonnen darf unser A340-600 beim Eindrehen auf die Piste nicht sein. Uns Piloten ist in diesem Moment nicht bekannt, dass beim Auslad von „Umsatz generierender“ Ladung (Revenue load) keine "Standby"-Passagiere mitgenommen werden dürfen.
Der Witz ist zwar schlecht, aber leider wahr!
Unser Kollege bleibt vorerst am Check-In hängen. Dies, obwohl genügend Sitzplätze frei sind und unser Startgewicht nach der Frachtverminderung unter der Limite liegt. Ich spüre förmlich, wie er nach Luft ringt, als ich ihn per Handy informiere. Doch so schnell geben wir nicht auf. Unverzüglich setze ich mich mit dem „Duty Manager“ in Verbindung. Der wiederum verspricht, beim „Airport Manager“ anzuklopfen. Was denn der Flughafenchef damit zu tun habe, will ich wissen. Darauf folgt die Erklärung, dass ausschliesslich dieser besagte Vorschrift umgehen könne. Der fern erziehende Familienvater steckt noch immer am Check-In und lässt bereits zum dritten Mal mein Handy vibrieren. Zum Glück sind wir zu viert im Cockpit und verfügen über genügend Ressourcen. Nach zwei weiteren Telefonrückfragen erhalten wir endlich grünes Licht, zumindest einen "Standby"-Gast mitzunehmen. Zwei wären gar nicht möglich, das maximale Startgewicht schiebt uns einen knallharten Riegel.
Dann taucht unvermittelt der TAS mit überraschenden News im Führerstand auf. Der Kapitän darf leider doch nicht fliegen, seine Dienstalter-Priorität wäre zu schlecht. Da er eine sehr tiefe Senioritätsnummer ausweist, stimmt uns diese Aussage skeptisch. Wohl wissen wir, dass die Zuteilung dieses Platzes nach Dienstalter erfolgt, doch hier scheint etwas nicht zu stimmen. Wir stehen ganz nah beim TAS, als er sich telefonisch nach den Details der Sitzplatz-Vergabe erkundigt. Derart nah, dass wir die hastig sprechende Frauenstimme am anderen Ende hören können. Langsam scheint sich der Knoten zu lösen. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Irgend jemand hat sich irgendwie geirrt, Nummern und Daten verwechselt. In letzter Minute erreicht uns die erlösende Zusage, dass der Kollege fliegen darf. Wenig später kommt der Neuseeländer mit feuchter Stirne angekeucht. Hat kaum genügend Luft, sich bei uns und dem TAS zu bedanken. Sichtlich erleichtert sinkt er in seinen Sitz. Die Türen werden geschlossen, die vier Triebwerke gestartet.
In 13 Stunden und 30 Minuten werden wir in Sydney landen. Dann sind es nur noch drei Stunden bis nach Auckland. Die Gutenachtgeschichte wird wohl noch ein wenig warten müssen.

4 comments:

Bungee said...

toll.
guter spannungsverlauf mit gelungenem climax ;)
ich bin begeistert!

Crowi said...

"ausserdem zwingen einem ständig vorbeikarrende Esstroleys immer wieder in Stellungen, die an frühere Zeiten im Mutterleib erinnern." ho ho ho, was habe ich gelacht. Typisch Eppler'scher Humor; diesmal von der prähistorischen bzw. pränatalen Sorte;)

Stefan said...

Hallo Familie Eppler,

ich habe jetzt innerhalb weniger Wochen euren Aufenthalt in Abu Dhabi nachgelesen und bin begeistert von deiner Art zu schreiben @Dide, von deinem Einsatz in der Bücherei @Franziska und von den sportlichen Erfolgen der Kids. Hut ab euch allen.

Für mich sind eure Erlebnisse was ganz neues. Ein Land von dem ich bisher nicht viel wusste, ein Leben eines Piloten welches ich mir nicht vorstellen konnte und ein Abenteur welches ich sehr gerne verfolge.

Ich bin sehr gespannt drauf wie es bei euch weitergeht und denke - egal wie ihr euch entscheidet - das ihr das richtige macht.

Alles Gute, Stefan

Dide said...

@Bungee und Crowi: Danke für das Kompliment (wenn ich auch bei Bungee nicht ganz sicher bin, ob er mich auf den Arm nehmen will...)

@Stefan:...Wir sind selber ebenfalls gespannt darauf, wie es weitergehen wird...

Gruss