Monday, April 05, 2010

Multitasking

Es ist kurz vor Mitternacht, als ich, nach 14 Stunden störungsfreier Laufzeit, den vier Triebwerken die Kerosenzufuhr abdrehe. Selbstverständlich erst, nachdem wir das Flugzeug ordentlich in den Standplatz manövriert haben. In meinem Dienstplan öffnet sich eine dreitägige Lücke. Ohne Flug- und ohne Büropflichten. Doch statt mich am Pool den Sonnen- und Lesegelüsten hinzugeben, und die letzten Tage eines angenehm erträglichen Frühlings am Golf zu geniessen, zwänge ich mich nach nur einer Nacht wieder in eine dieser langen Flugzeugröhren. Zwar nicht auf den linken Sitz unmittelbar hinter der Frontscheibe, doch immerhin schaffe ich es ins vordere Rumpf-Drittel. Auch ohne Hut und Schulterpatten.

In drei Tagen via Frankfurt nach Zürich und zurück in die Wüste. Franziska fährt mich kurz vor Mittag an den Flughafen. Es wäre eine Verschwendung wertvoller Mobilitätsressourcen, meinen Zweitwagen, Typ einfache Grundvariante, drei Tage ungebraucht am Flughafen zu deponieren. Weil die Uhren in Europa am Sonntag auf Sommerzeit umgestellt wurden, verpasse ich in Frankfurt den Anschluss nach Zürich. Etihad operiert in diesen Tagen noch immer nach dem Winterflugplan. Die Emirate kennen nur die Sommerzeit. Es entspricht nicht der Art ihrer Ureinwohner, sich dem Diktat eines Sommer-Winterzeit-Zyklus zu beugen, der ihrer Lebens- und Arbeitsweise kaum zum Vorteil gereicht.

Den Abend verbringe ich bei Toni und Andrea, die sich nach zwei Jahren Abu Dhabi wieder ins feucht-sumpfige Neerach zurückgezogen haben. Der Nebel kümmert sie indes nicht gross, ihr Haus liegt an bevorzugter Hanglage. Unseren angeregten Diskussionen fallen eine Flasche Rotwein sowie einige Biskuits zum Opfer. Die gemütliche Runde zerschlägt sich, als die Flasche leer ist und die Geisterstunde bereits lange ausgeschlagen hat.

Am nächsten Morgen treffe ich mich mit meinem Bruder an der Bar eines flughafennahen Hotels. Ebenfalls Hanglage, allerdings mit Blick auf die stark befahrene Autobahn. Die gemeinsame Zeit reicht knapp für zwei Espressi und einen gegenseitigen Update: Kinder, Beruf, Frau, Freundin, die beiden letzten natürlich entweder oder!
Als mein Bruder geht, bleibe ich sitzen und warte auf den wahren Grund meines kurzen Abstechers in die Schweiz. Ich bin mit einer Dame für ein Gespräch verabredet, dessen Ausgang meinem freiberuflichen Schaffen allenfalls entscheidende Impulse verleihen könnte. Auch wenn ich mich an dieser Stelle bewusst zurückhaltend äussere, wird in Bälde mehr darüber zu berichten (und zu lesen) sein. Insh Allah!
Auf dem Rückweg ins Zürcher Unterland reicht es für einen Blitzbesuch bei den Kollegen der SWISS Flight Safety Abteilung, von denen uns vor Wochenfrist zwei in Abu Dhabi besucht haben. In rein beruflicher Mission, mit anschliessend lukullischem Privatvergnügen im Shangri-La, von dessen Terrasse man eine fantastische Aussicht auf die grosse Moschee geniesst.














Am späten Nachmittag besteige ich eine Lufthansa Boeing 737 nach Frankfurt. Es bleiben mir drei Stunden bis zum Abflug nach Abu Dhabi, in denen ich mir in einer Buchhandlung das neue Buch von Miriam Meckel erstehe: Ihr Brief an ihr Leben beeindruckt mich ab der ersten Zeile. An der Bar eines dieser anonymen Flughafenlokale, wo wildfremde Gäste aus aller Welt sich zufällig für kurze Momente die Theke teilen, lese ich mich, Weisswein trinkend, durch die ersten 30 Seiten. Dabei werde ich einer, speziell in Pilotenkreisen weit verbreiteten Illusion beraubt: Das menschliche Gehirn ist nicht multitaskingfähig! Weil wir unsere Gedanken, wie ein Computer, angeblich nicht parallel, sondern ausschliesslich seriell prozessieren. Sogar Beweise soll es dafür geben. Spontane Recherchen im Internet verstärken meine Zweifel. Im Zeitalter der „Mehrfach-Telefonie“ und Internetkommunikation werden „Single Tasker“ hoffnungslos abgehängt. Piloten sind Multitasker erster Güte. Ohne Multitasking kein Überleben im Simulator: Oder wie sonst wären meine Kollegen und ich in der Lage, den Ausfall eines elektrischen Systems, einen Fahrwerkschaden, eine Hydraulikpanne und einen Ausfall des Geschwindigkeitsmessers gleichzeitig zu meistern? Seit Beginn meiner Berufslaufbahn überspringe ich die Hürden dieses Lebens vorwiegend „multitaskend“. Nicht nur im Cockpit, auch im Büro und in der Familie. Ganz speziell im ehelichen Diskurs. Multitasking als letzte Rettung, wenn mich meine Frau bei heiklen Diskussionen der Unaufmerksamkeit bezichtigt. Frau Meckel, die ich ansonsten ausserordentlich schätze, stellt mein Arbeits- und Beziehungsdenken auf den Kopf. Ab heute muss ich meine Taktik ändern. Oder das Buch vor meiner Gattin fernhalten.
Frau Meckel hat sich bestimmt geirrt, da bin ich mir beinahe sicher, lege das Handy zur Seite, klappe das Buch zu, drücke die TV-Fernbedienung und fahre meinen Laptop herunter. Noch während ich mich frage, ob der Computer „hinunter-“ oder „herunter-“gefahren wird, dringt aus der Ferne der verzweifelte Hausaufgaben-Hilferuf meiner Tochter ans linke Ohr, unterbrochen vom kritischen Einwurf meiner Frau, ich möge doch bitte die Klimaanlage im Wohnzimmer um einige Grad nach oben schrauben.
Multitasking, die Überlebensstrategie des modernen Menschen.

5 comments:

nff said...

Miriam Meckel hat in ihrem ersten Buch anhand eines interessanten Experiments bewiesen, dass Multitasking nicht funktioniert. Die eine Gruppe wurde mit Mails bombardiert, während sie eine Aufgabe lösen sollten und die andere wurde mit einem Joint ausgestattet bei der Arbeit in Ruhe gelassen. Keine Frage, wer die besseren Resultate erzielte...

Jetzt meine Frage an den Flight-Safety-Fachmann: Ist es im Cockpit förderlich, während Stresssituationen einen Joint zu entzünden oder reicht eine Cohiba auch?

Auf die Antwort wartet NFF gespannt!

Martin said...

I) Multitasking funktioniert, leider aber bloss für ein paar Prozent der Menschheit - Frau Meckel müsste die entsprechenden Studien eigentlich kennen ...

II) Nur Sommerzeit? Eher nur Normalzeit, nicht? Jedenfalls vernünftig, Mauritius z.B. brach den Versuch auch ab.

Martin said...

I) zum Zweiten: http://www.psych.utah.edu/lab/appliedcognition/publications/supertaskers.pdf (Lesestoff ;) )

Dide said...

@NFF: Ich habe ja dein Feedback gleichsam gespürt; die Auswahl des Posters mit Hinweis auf den Koffeinkonsum soll dir nicht zuletzt das schlechte Gewissen beim übermässigen Espresso-Konsum nehmen. Wie du siehst, hat die Sache auch einen positiven Nebeneffekt.
Zu deiner Frage. Meine Antwort lautet kurz und simpel: "Weder noch". Die Frage ist falsch gestellt und müsste heissen: Wie kann ich Stresssituationen im Cockpit vermeiden, so dass ich meinen Joint- und Cohibakonsum ausschliesslich auf die (leider immer knapper werdenden)Ruhepausen zwischendurch legen kann! Alles eine Frage des Timings und der Prioritätensetzung (vielleicht auch der Quantität). Für Copiloten vielleicht etwas schwierig abzuschätzen. In diesem Sinne empfehle ich dir, deine Gras-Vorräte uneigennützig mit den Chefpiloten und Chefplanern zu teilen; es könnte sich erfreulich auf die Terminierung deines Upgradings auswirken...

@Martin: Den Begriff "Sommerzeit" habe ich in diesem Fall ganz bewusst gewählt: Schliesslich scheint hier die Sonne beinahe täglich: Wir fühlen uns stets wie im Sommer!
Herzlichen Dank für den Link.

Gruss

Crowi said...

"Aufgabenvielfaltsgleichzeitigkeit"? Englisch ist manchmal einfach kürzer und handhabbarer - handy halt.
"Nicht parallel, sondern seriell"? Mit Verlaub, ich wage Frau Meckel's Theorie zu bezweifeln. Käse? Ihre Simulator Beispiele, Herr Eppler, sind doch recht aussagekräftig. Frau Meckel möge sich doch mal mit Piloten wie ihnen auseinandersetzen: Multitasking = gleichzeitig mehrere Dinge im Auge behalten, sich auf verschiedene Dinge gleichzeitig konzentrieren, Schwerpunkte setzen, in Sekundenschnelle das Nötige vom Unnötigen trennen - sind das nicht sehr spezifische Anforderungen an den Berufsstand der Piloten?

Kürzlich hat ein Kollege von mir seinen Autoreifen aufgeschlitzt, am Randstein, als er, abgelenkt, am CD-Player rumfummelte. Multitasking im Alltag - einem Piloten wäre das vielleicht nicht passiert...