...das zumindest ist die Idee an diesem herrlich sonnigen Samstagnachmittag. Dabei gibt es drei Möglichkeiten: Den exklusiven und teuren Barbier in einer Hotelanlage, den ebenfalls nicht billigen libanesischen Hairdresser in der Marina Mall, oder den günstigen und für europäische Verhältnisse eher unkonventionellen Inder in unmittelbarer Nähe unseres Wohnquartiers. Sämtliche Varianten habe ich schon ausgetestet. Mit unterschiedlichem Preis, allerdings auch mit ebenso unterschiedlichem Resultat.
Ich entscheide mich für den Inder. Nicht zuletzt wegen der gegen einen geringen Aufpreis erhältlichen Kopfmassage. Nach kurzer Fahrt parke ich meinen Wagen direkt vor „Ruby’s Salon“. Im Eingangsbereich sitzen vier weiss-beschürzte Inder und starren gebannt auf ein Fernsehgerät. Als ich eintrete springt der jüngste von ihnen auf und führt mich in eines der durch rotfarbene Vorhangtücher abgeschirmten Séparés. Während ich es mir auf dem Stuhl bequem mache, öffnet der emsige Figaro einen Kasten, der mich an unser Mikrowellengerät erinnert. Der Apparat ist allerdings mit „Sterilizer“ beschriftet und die geöffnete Glasklappe offenbart einen Blick auf diverse Kämme, Bürsten und Scheren. Neben dem riesigen Spiegel steht ein kleines TV-Gerät, in dem ein kahlköpfiger Araber monoton referiert. Später, im Verlauf der mehrstufigen Prozedur wechselt der Friseur den Kanal und übers unscharfe Bild flimmert ein US-Spielfilm älteren Jahrgangs.
Ich weise den Meister an, auf keinen Fall zuviel meiner Haarpracht zu kupieren, wohl wissend, dass mein Wunsch auf taube Ohren stösst. Mein Haarschnitt wird letztlich von der Laune und der individuellen Präferenz des Friseurs abhängen, und nicht von meinen Wünschen. Gewaschen werden die Haare nicht, lediglich nass gesprüht und kunstvoll gekämmt. Mir ist im Laufe meiner Fliegerjahre bewusst geworden, dass Länder nicht nur über individuelle kulinarische Sitten, sondern auch über besondere Haarschneide-Kulturen verfügen. Die Europäer mögens eher nüchtern kühl, die Amerikaner gesellig tratschig und die Inder schwungvoll und ölig.
Der Schnitt gelingt heute ganz passabel. Nach wenigen Minuten sind meine Spitzen gekappt, der Nacken gestutzt. In Erwartung einer entspannenden Massage lehne ich mich im Sessel zurück. Was folgt, übertrifft allerdings meine kühnsten Erwartungen.
Mein Schopf wird mit Öl übergossen, anschliessend hämmern zwei Hände ein wildes Stakkato auf mein Haupt. Zwischendurch fühle ich mich wie ein Boxer vor dem Knockout, dann wieder mache ich mir Sorgen um meine alten Amalgam-Plomben. Eine Viertelstunde etwa dauert das Hämmern und Schrubben, dann pflückt der Meister einen stattlichen Topf vom Regal, und verteilt auf meinem Kopf eine eisgekühlte, gelbfarbene, schlabbrige Paste, deren Temperatur meine Hirntätigkeit schlagartig zum Gefrieren bringt. Es folgt das Gesicht, der junge Mann ist kaum zu bremsen; diesmal ist die Paste orange, die Temperatur nicht unbedingt freundlicher. Derweilen flinke Hände meine Visage einschmieren und mir den Atem zu rauben drohen, frage ich mich, wieso mir heute solch grenzenlose Grosszügigkeit widerfährt. Eigentlich wollte ich mir ja nur mal schnell die Haare schneiden lassen, angereichert durch eine kleine Kopfmassage. Mittlerweile werde ich den Eindruck nicht los, einen Locken-Garantie-Generalservice zu absolvieren. Nachfragen bringt wenig, die Antworten meines Vis-à-vis sind kaum verständlich.
Doch die Krönung steht erst noch bevor, denn nun wird eine altertümliche Trockenhaube hinter den Vorhang geschoben, die einen Adrenalinausstoss auslöst, der meine tiefgefrorenen Hirnzellen sogleich wieder in rege Aktivität versetzt. Verstehen tue ich schon lange nichts mehr, eine Blösse geben will ich mir auch nicht. So lasse ich es denn schweigend geschehen, dass mir diese Salatschüssel über mein Gel-gepflastertes Haupt gestülpt wird. Der ausströmende Dampf raubt mir beinahe den Atem, droht meine Kopfhaut zu versengen. Diskret rutsche ich im Sessel eine Spur nach unten. Der Haar-Künstler schiebt ebenso diskret das Gebläse nach. Man offeriert mir stark gesüssten Tee im gläsernen Tässchen. Ein Blick in den Spiegel lässt mich erstarren: mit weiss getünchtem Gesicht, um Jahre gealtert, könnte ich in jedem Gruselfilm locker die Hauptrolle übernehmen. In einer unbewachten Minute greife ich heimlich nach meinem Handy und knipse einige Bilder. Ein auto-dokumentarisches Harakiri, das wohl mit einer völlig aus dem Häusschen geratenen Hirnaktivität erklärt werden muss.
Schliesslich spült mir der innovative Friseur sämtliche Pasten aus Haar und Gesicht. Das Wasser ist zwar nicht viel wärmer als das Geschmiere, doch nach der atemraubenden Dampfhaube schätze ich die Abkühlung ausserordentlich. Nach einer Stunde verlasse ich den Laden wieder aufrechten Schrittes. Meine Hirnzellen sind intakt und ich muss nicht künstlich beatmet werden. Zeugnis meiner nach wie vor robusten Konstitution.
Ausserdem war der Haarschnitt günstig und darf als gelungen bezeichnet werden. Und das ist es doch, was letztlich zählt.
Saturday, March 13, 2010
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10 comments:
herrlich :)
... sieht ein wenig aus wie eine männliche Geisha.
Doch wie überall zählt das Endergebnis! Da wirst du gepunktet haben wie immer ;-)
da geh ich auch immer sehr gerne hin. geniesse es total, nur ist bei mir der haarschnitt nebensache ;-)
greez üse
...wäre die Haube auch noch rot, mit ein paar weissen Tüpfelchen drauf, wär's ein Fliegerpilz.
Auf meinem Skalp hätte der Indische Figaro weniger Haarwuchs vorgefunden und nicht so in die Vollen gehen können.
War wohl recht anregend für die Hirnzellen, die ganze Prozedur - der köstliche Beitrag lässt darauf schliessen.
Zum schiessen!
Köstlich! Nun ja, noch zwei Behandlungen und die Amalgan-Plomben sind alle raus. Billiger kannst du sie in der alten Heimat sicher nicht entfernen lassen :-)
Bleibt nur noch eine Frage: Hast du die Haare auch SO schön?
http://www.youtube.com/watch?v=lfXyQkxDX10
G!
@anonymous: Danke!
@nff: ...du weist ja - die Punktzahl ist immer abhängig vom Urteil des (bestechlichen) Schiedsgerichts...
@üse: Hab auch an dich gedacht; wie fühlt sich diese kalte Paste eigentlich auf einer Glatze an...?
@crowi: FliegeR-Pilz oder FliegeN-Pilz?
@G!: so schön sind meine Haare nicht - aber singen kann ich besser!
Fliegen sowieso!
Ein Alternate, oder eine Alternative wäre "Fliegender Champignon",
soll heissen "Flying Champion"
Thumbs Up, Sir!
Eine überaus amüsante Variante einer guten Haarpflege. Generell bin ich der Meinung, dass jeder bekommen sollte, was er verdient. In deinem Fall hatte der Inder vermutlich (wegen deinem, naja Äusseren) erbarmen und nicht zuletzt auch grosse Hoffnung, mit seinen Bemühungen noch etwas zu verbessern.
@Hüri: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, ich glaube aber, so richtig Erbarmen hat der Inder erst bekommen, als er mich unter der Maske leiden sah...
@dide: das sind die kommentare die ich so an dir liebe...............
:-)))))üse
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