Thursday, January 22, 2009

Zwei Fäuste für ein Halleluja oder ein Ticket für die Strassenbahn

Wer sich in fremden Städten fortbewegt, ist früher oder später auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Am Anfang einer jeden Fahrt steht der Ticketkauf. Und dieser treibt uns doch so oft – der modernen Technik sei’s verdankt – an den Rand der schieren Verzweiflung.

Es hat mich wieder einmal nach Frankfurt verschlagen. Ein Heimspiel quasi. Ich stelle mich der Besatzung zwar als Schweizer vor, werde aber kaum als solcher wahrgenommen. Dazu trägt nicht zuletzt die sprachliche Vielfalt unseres Landes bei. Für viele Erdenbürger östlich des Bodensees (westlich des Nordatlantiks soll es noch viel schlimmer sein...) gehen Schweizer gut und gerne auch als Franzosen, Italiener, Deutsche oder Schweden durch. „Tout est possible“ – wir sind ja der verschiedensten Sprachen und Dialekte mächtig, da soll mann oder frau also keineswegs betupft sein, wenn sich andere mit unserer nationalen Zugehörigkeit schwer tun.
Schwer tue auch ich mich immer wieder. Eben dann, wenn ich eine Fahrkarte für Zug, Tram oder Bus erwerben will. Das Malheur beginnt ja peinlicherweise im eigenen Land, wo ich auch nach 52 Versuchsjahren immer noch strauchle. Und wenn ich denn die neuste Technologie in Zürich endlich kapiert habe, heisst das noch lange nicht, dass ich in der Lage bin, auch in Winterthur ein Billet lösen zu können, ohne mindestens drei Busse der betreffenden Linie zu verpassen. Geschweige denn in Thun oder Bern. Dort kommt mir allerdings zugute, dass die Busse langsamer fahren, die Ticketmaschinen langsamer printen, und sich die hinter mir anstehenden Personen etwas geduldiger zeigen weil sie mehr Zeit benötigen, die Karte zu studieren und die Anweisungen zu lesen.

















Doch heute bin ich in Frankfurt. Glücklicherweise befindet sich die Pizzeria, in der wir nach dem Flug unseren Hunger stillen wollen, in allernächster Hotelnähe. Das erspart mir langwierige Ticketkäufe. Immerhin besammeln sich heute elf (!) Besatzungsmitglieder in der Lobby. Das ist rekordverdächtig. Da ich als einziger Deutsch parliere, erhalte ich automatisch das Prädikat „Einheimischer“ und wäre demzufolge – so nötig – für die Instruktion am Billetautomaten zuständig. Beim Bestellen der Speisen fühle ich mich wesentlich sicherer und kann besser helfen. So kriegen alle, was sie wollen: Pizza füllt hungrige Mägen und Bier netzt trockene Kehlen.

Am anderen Morgen aber gilts ernst. Meine Frau hat in der Stadt Bücher bestellt und mich beauftragt, die Lieferung ins Morgenland zu überführen. Bereits um acht Uhr treiben mich die drei Stunden Zeitverschiebung aus den Federn und vor den ungeliebten Ticketautomaten. Dieser wirkt zu dieser neblig kalten Stunde noch viel hässlicher und komplizierter. Bereits ein flüchtiger Blick auf die riesige Infotafel macht klar, dass ich infolge mangelnder Übersicht wohl kaum in absehbarer Zeit in der Lage sein werde, die notwendige Kaufbereitschaft zu erstellen. In solchen Momenten erwäge ich stets, die teuerste Karte zu lösen. „Straight forward“ und ohne Skrupel. Im Bewusstsein, damit mindestens bis zu meiner Pensionierung gratis durch die Stadt und sämtliche Vororte touren zu können. Doch zum touren fehlt mir die Zeit, deshalb halte ich mich zurück.
Eine andere, ebenfalls bewährte Möglichkeit wäre, jemanden zu fragen. In London, New York oder auch Paris hätte ich keine Mühe damit. In Deutschland schon eher. Wie sieht das denn aus, wenn ich als Deutschsprachiger nicht einmal in der Lage bin, einen simplen Ticketautomaten zu verstehen! Obermegapeinlich, diese Blösse will ich mir nicht geben.
Mittlerweile hat sich hinter mir eine kleine Schlange gebildet, und im Wissen, dass diese Leute zur Arbeit müssen, trete ich grosszügig einen Schritt zur Seite. Den Anschein erweckend, ich würde das nötige Kleingeld in der Hosentasche zusammenkramen, verfolge ich heimlich, wie eine junge Frau unter flinker Eingabe einer geheimen Tastenkombination ihren Fahrschein löst. Wo die wohl hinfährt? Ich werde nicht klüger, kann die Augen verdrehen wie ich will. Alles zwecklos. Die erste Tramkomposition ist bereits durch, das verschafft mir wieder etwas Luft an der Haltestelle.
Himmel - ich kann einen Airbus steuern, aber kein Ticket lösen. Doch für den Airbus gibts einen Umschulungskurs, die hohe Kunst des Fahrscheinbezugs muss jede und jeder autodidaktisch erlernen. Das ist volkswirtschaftlich zwar billiger, leider aber auch erfolgloser. Eine innere Stimme meint: „Eigentlich solltest du in deinem Alter wissen wie das geht“. Und ich meine, sie – die Stimme – hat recht. Aber ich sollte, so schiesst es mir durch den Kopf, als gebildeter Mensch auch wissen, wann die Schlacht am Morgarten stattgefunden, oder wer den „Götz von Berlichingen“ geschrieben hat. Erstes weiss ich nicht, die zweite Frage kann ich beantworten. Was wiederum zeigt, dass bei mir geschichtlicher Nachholbedarf besteht. Eine Erkenntnis, die mich in der momentanen Situation noch hilfloser macht. Vielleicht finde ich ja in der Buchhandlung ein Buch über Schweizer Geschichte. Oder mit verständlichen Erläuterungen zum Bezug eines Automaten-Tickets. Doch zuerst muss ich es erst einmal in die Innenstadt schaffen.
Schliesslich reisst der Geduldsfaden, denn bereits kurvt das nächste Tram um die Ecke. Und es kommt, wie es immer kommt: Verzweifelt drücke ich irgendeine Taste und werfe den Geldbetrag ein, der auf der Tafel aufleuchtet. In diesem Fall erscheinen mir die 3.80 Euro nicht nur adäquat, sondern auch verhältnismässig günstig. Damit fahre ich in die Stadt und später wieder zurück.
Das nächste Mal werde ich keine Karte mehr lösen, sondern nur noch die Fäuste in den Taschen ballen. Für ein Halleluja und die Hoffnung, dass an diesem Tag niemand die Fahrscheine kontrollieren möge.

9 comments:

Anonymous said...

Um deutsche Fahrkartenautomaten nicht zu verstehen, muss man nicht zwingend Schweizer sein. Schon als Deutscher geht es mir so: In Köln gilt - eine Stadt, ein Tarif. Sehr einfach. In Düsseldorf und dem kompletten Rhein-Ruhr-Bereich gibt es Waben. Un dieses System erschließt sich auch erst nach Studium der Tarifinformationen. Und in München bin ich noch nie schlau geworden und kaufe meine Fahrkarte immer am Schalter. MUC mit den "Ringen" begreift wohl eh kein Mensch, der nicht mindestens ein Jahr am Stück in MUC gewohnt hat.

Dide said...

So wirklich beruhigend sind diese Erklärungen eigentlich nicht. Wenn die Schweizer, die Deutschen und wahrscheinlich viele andere Nationalitäten das eigene ÖV-Ticketsystem nicht verstehen, müssten vielleicht die Verantwortlichen noch einmal über die Bücher, bzw. Fahrscheinautomaten.
Da können einem ja die armen Japaner auf ihren Europatouren leid tun...

Anonymous said...

Seit nunmehr 18 Jahren erleide ich schon das Frankfurter RMV-Bahnsystem. Das interessante ist dabei nicht nur die Komplexität des Automats an sich, sondern die trickreiche, jährliche Umstellung desselben: Man kann darauf wetten, dass der angezeigte Betrag ein Jahr später bei der gleichen Zahlenkombination um mindestens ,30€ teurer geworden ist.
Da wünsche ich mir doch das System Hongkongs zu uns an den Main: Den gewünschten Ort auswählen und drauftippen, Betrag einwerfen (der selbst im achten Jahr dergleiche war) und eine der im Minutentakt fahrenden Züge nehmen.
Ich wette um ,30€, das wir sowas nicht hinbekommen würden. Wenn ich gewinne, kann ich wenigstens die hiesige Preiserhöhung bezahlen...

Einen schönen Gruß ins wohl um einiges wärmere Abu Dhabi und kommen Sie mich doch nächsten Mal besuchen, wenn Sie schon hier weilen :)

Dide said...

@McBirdie: Ein Besuch liegt nur dann drin, wenn Sie mir vorgängig die Bücher besorgen. Ausserdem benötige ich eine exakte Angabe der Strassenbahn-Route, inklusive Beschreibung des notwendigen Fahrscheins...

Und was das Wetter betrifft, so bringt der Winter auch in Abu Dhabi kühlere Temperaturen. Zur Zeit sinkt das Thermometer jede Nacht auf 10 Grad, die Tageshöchstwerte liegen bei rund 20 Grad. Heute hat es gar geregnet und gedonnert. Für einen "Pseudo-Beduinen" in einem Haus ohne Heizung ist das eher auf der kühlen Seite...

Gruss

Annette said...

Hallo,

also wenn Sie das nächste Mal in Frankfurt sind, einfach die Zahlen 60 eingeben (stehen für Frankfurt Innenstadt) und dann auf das Männchen mit dem Erwachsensymbol, dann sollte es gehen. ich weiß ja nicht, von wo aus Sie losgefahren sind, aber wenn Sie bereits im Frankfurter Stadtgebiert waren, sind 3,80 definitiv zuviel. Dan wären es max. 2,--€. Aber ich gebe Ihnen völlig recht, die Frankfurter autmotane sind, wenn man nicht mit Ihnen vertraut ist, echt ein Buch mit 7 Siegeln.

Liebe Grüße, Annette Albers

Dide said...

Das ist doch für einmal eine klare Instruktion! Herzlichen Dank. Ich bin übrigens "an der Dammhalde" zugestiegen. Der Name wird glücklicherweise der Station nicht gerecht, oder anders ausgedrückt, die Haltestelle präsentiert sich wesentlich "zivilisierter" als ein unwissender Schweizer bei diesem Namen vermuten würde...
Liebe Grüsse

Anonymous said...

Die Konfrontation mit diesem Cash-Monster; mit allem was dazugehört.

Klasse Satire!

giuliano said...

1.) Die Angaben zu den Bernern sind wohl nicht im Ernst gemeint; was meinen die Verwandten?

2.) In Abu Dhabi kurven keine Tram aber Busse auf den Strassen. Deren Frequenz ist so selten, dass fuer Geldsuche alle moegliche Zeit vorhanden ist. Im Moment zwar noch ein theoretisches Problem (Gratistransport bis Ende Maerz); anschliessend aber bestimmt auch nicht einfach zu loesen.

Dide said...

@Giuliano:

1. Die üben sich in vornehmer Zurückhaltung. Vermute aber, dass ich beim nächsten Besuch in der Schweiz auf Wasser und Brot gesetzt werde. Edelmütig hat meine Frau reagiert. Mildes Lächeln und ein Blick, der klar macht, dass sie solche Bemerkungen aus meiner Ecke kaum noch erschüttern...

2. Dazu kann ich leider nichts sagen. Habe dieses Angebot bislang noch nicht genutzt.

Gruss