Saturday, January 03, 2009

Fata Morgana

Die Koffer liegen in spontaner Auslegeordnung auf dem Fussboden. Wenn eine fünfköpfige Familie – mit unterschiedlicher Aufenthaltsdauer - nach ausgiebigen Weihnachtsferien zurück nach Abu Dhabi reist, gibts einiges im Reisegepäck zu verstauen. Zwar sind wir viele Geschenke bei diversen Feiern losgeworden. Dafür erhalten wir im Gegenzug das eine oder andere Päckchen. Keine Frage: die Koffer werden einmal mehr pumpenvoll.














Wolkenlos
Ach es gäbe sooo viel zu schreiben. Die Höhepunkte reihen sich aneinander wie die „Centerline lights“ einer Landepiste für automatische Landungen bei 75 Metern.
Wir treffen viele Freunde und Verwandte, diskutieren, lachen, essen und trinken das eine oder andere Glas mit ihnen. Manchmal begegnen wir unverhofft, auf der Strasse oder in einem Geschäft, bekannten Gesichtern, was nicht selten zu längeren „Trottoir-Gesprächen“ oder einem spontanen Besuch im Kaffeehaus führen kann.
Beim Betreten des kleinen Sportgeschäfts am Fusse des Kinder-Skilifts im Diemtigtal werden Tim und ich wie verlorene Söhne begrüsst. Ein schönes Gefühl. Am 21. Dezember wagen wir uns zum ersten Mal auf die Piste. Wir haben enormes Glück, denn es liegt soviel Schnee wie selten um diese Jahreszeit. Dazu lacht die Sonne gutgelaunt vom knallblauen Himmel. Hier in den Bergen erscheint mir Abu Dhabi weit weg. Manchmal habe ich das Gefühl, der Wüstenaufenthalt sei bloss ein Traum. Eine Fata Morgana. Ich freue mich nicht nur auf Schwünge und Schussfahrten, sondern mindestens ebenso auf den Kafi mit Schnaps und Rahm! Anstandshalber verwende ich an dieser Stelle den Singular. Das gute Wetter hält an. In der Silvesternacht beginnt es zu schneien. Und Frau Holle scheint nicht viel von der grossen Krisenstimmung mitbekommen zu haben, schüttelt sie doch ihre Kissen mit einer beneidenswerten Energie. Wir „rutschen“ auf glitschiger Unterlage im wahrsten Sinne des Wortes ins neue Jahr, trinken im alten Holzschopf bei der offenen Eisbahn Prosecco aus Plastikgläsern und singen dazu passende und weniger passende Lieder in erstaunlich variantenreichen Disharmonien.

Sorgenlos
Traditionellerweise fahren Tim und ich in der Altjahreswoche nach Davos zum Spengler-Cup. Begonnen haben wir diese Sitte vor 13 Jahren. Aus einem Spiel pro Turnier wurden zwei – und heuer sitzen wir gar viermal auf der Tribüne. Die Matches sind unterhaltsam, zwei gar äusserst spannend, doch beinahe noch mehr amüsieren wir uns auf der Hin- und Rückreise im Car: umringt von Bier trinkenden und Sprüche klopfenden Bernern bleibt uns Zürchern nicht viel Luft zum Atmen. Zum Sprechen noch weniger! Vorsicht ist geboten, jedes falsche Wort kann zum Verhängnis werden. Die Stimmung steigt mit jedem Schluck Bier, und zwischen der Abfahrt in Thun um 0700 Uhr und der Ankunft im Landwassertal kurz vor zwölf werden einige Flaschen geköpft. Davos scheint fest in Berner Hand, wobei Väterchen Alkohol ein gewichtiges Wörtchen mitredet. Als ich nach unserer Nacht im Taubenschlag duschen will, schwappt mir eine gewaltige Alkohol-Tsunami-Geruchswelle entgegen und ich schaffe es lediglich dank meiner, in unzähligen Squash-Stunden angeeigneten Grundschnelligkeit nüchtern in die Duschkabine. Eishockeyfans aller Couleur und Lager geniessen in Davos sorgenlose Tage zwischen Theke und Puck. Und im Fanzelt singen sie, auf wackligen Bänken balancierend „Mir si alles geili Sieche...!“ Ob da die Zürcher wohl auch gemeint sind...?

Nahtlos
Mit viel Glück überleben Vater und Sohn den mutigen Ausflug ins Berner Schlachtgetümmel auf Bündner Boden. Im Diemtigtal scheint immer noch die Sonne, und auf den Hängen liegt nach wie vor Schnee. So wechseln wir vom Eisfeld nahtlos auf die Skipiste. Vom Silvester und dem Übergang ins neue Jahr habe ich bereits berichtet: Für unsere Familie werden 2009 das „Wann, Wie und Wohin“ - kurz unser Leben nach Abu Dhabi - zur zentralen Frage. Entschieden ist nach wie vor nichts, „les jeux ne sont pas encore faits“ – die Spannung bleibt erhalten.
Nahtlose Übergänge sind entscheidend. Nicht nur im Spiel, auch beim Reisen: Der Schwiegervater fährt uns am 2. Januar im Verlaufe des Nachmittags mit dem Auto nach Spiez. Zu fünft wuchten wir vier stattliche Koffer, eine Eishockeytasche sowie diverses Handgepäck in den Zug. Umsteigen in Bern, Aussteigen in Genève-Aéroport.

Glücklos
Beim Etihad Check-In werden uns vorerst fünf Sitze in der Economy zugegeteilt. Mit unseren „Annual-Leave“-Tickets sind wir berechtigt, in der First Class zu fliegen. Beim Boarding erfahren wir, dass vier in der Business-Class reisen dürfen, was bedeutet, dass jemand in der „Economy“ verbleiben muss. Da unsere familieninterne Senioritätsliste mindestens so gnadenlos ist wie jene einer etablierten Airline, trifft es unsere Jüngste pickelhart: Ninas Blick verdüstert sich mit jedem Schritt durchs Fingerdock. Jung muss leiden, alt muss zahlen. Des Lebens einfache Regeln. Glücklicherweise gelingt es dem Stationschef in letzter Minute, ihr immerhin einen Zweiersitz am Fenster zuzuweisen. Die Situation ist entschärft, ich meine gar, ein Lächeln über Ninas Gesicht huschen zu sehen. Oder ist es bloss eine Fata Morgana...?

Atemlos
Der Flug startet püntklich und landet nach einigen Filmen, zwei Gläsern australischen Shiraz’ und etwas Schlaf noch pünktlicher. Es ist erst sechs Uhr in der Früh, als wir unsere Koffer vom Band hieven. Als wir verschlafenen Blickes in die Ankunfsthalle treten, kommt uns Tims Freundin entgegen. Fata Morgana? Noch während wir freudig grüssen springt uns ein atemloser junger Mann von hinten an. In der rechten Hand hält er einen Blumenstrauss. Es ist Lindas Freund. Die Freude auf ein Wiedersehen mit ihm, hat unsere Tochter wohl arg verwirrt: Sie verliert nicht nur ihre SIM-Karte für die Emirate, sondern lässt auch den Laptop im Flugzeug liegen. Doch was zählt, ist einzig der junge, hüpfende und atemlose Mann mit dem bunten Blumenstrauss in seiner Hand.
Den Laptop können wir übrigens nachträglich lokalisieren, die SIM-Karte lässt sich ebenfalls ersetzen. Und bereits am Nachmittag desselben Tages sitzen Franziska und ich zusammen mit den Lembachs, deren Sprösslinge Johann und Jette als "Ball-Kids" amten und den Tenniscracks die Bälle und Handtücher zuspielen, im Tennisstadion von Abu Dhabi und geniessen das hochspannende Finale der „Capitala World Tennis Championships“ zwischen Andy Murray und Rafael Nadal. Traum oder Wirklichkeit? Fata Morgana? Schwer zu sagen. Aber Murray gewinnt das Match, dessen bin ich mir sicher...

4 comments:

Anonymous said...

Liebe Eppler Family, um es vorwegzunehmen, dieser Comment ist ausschließlich Nina, dem ärmsten unter den Eppler Kindern, gewidmet. Vielleicht solltest Du, liebe Nina, wie Deine Geschwisterchen auch, schnellstens versuchen, einen Lebensabschnittspartner zu gewinnen. Denn wie Du auf Eurem Heimflug ja schmerzlich hast erfahren müssen, denken Deine Eltern zunächst einmal nur an die eigene Beinfreiheit und wären wahrscheinlich, käme es im Laufe der wohl bevorstehenden Weltwirtschaftskrise zu einer Lebensmittelknappheit, auch zu noch drastischeren Maßnahmen bereit. Also dann sieh mal zu, dass Du auch einen der hiesigen Kavaliere ergatterst, der Dir dann vielleicht neben einem Blumenstrauß auch noch ein Lunch-Paket mitbringt...
Nichtsdestotrotz freuen sich Eure Abu Dhabi Freunde sehr über Euer aller Rückkehr aus der winterlich schönen Heimat und wir wünschen Euch auf diesem Wege nochmals ein gutes, vor allem gesundes neues Jahr sowie ein glückliches Händchen/Köpfchen bei allen anstehenden Entscheidungen!!!
Eure Lembachs

Anonymous said...

Hallo Dide bzw. natürlich ganze Eppler Family,

ich bin über NFF auf die Wüstenspuren gestoßen und habe mir in den letzten Tagen alle Berichte von Beginn an durchgelesen.
Und da Sie zwischenzeitlich um mehr Kommentare bitten, möchte ich das jetzt, wo ich auf dem neusten Stand bin tun.
Vielen Dank für die viele Arbeit. Für mich als Flugzeugbegeisterten sind die Berichte über Brisbane und den etwas anderen NY Aufenthalt die Highlights.
Aber gerade der letzte Eintrag und die knallharte familieninterne Senioritätsliste hat mich wirklich sehr schmunzeln lassen.
Für mich ist das Geschriebene sehr authentisch, auch weil ich die Schweiz und das Diemtigtal gut kenne.
Ich freue mich auf jeden Fall auf das nächste Kapitel.

Und laut dem Eintrag vor einem Jahr, sagt man jetzt noch „Ä guets Nöis“ in der Schweiz..

Freundliche Grüße aus dem heute tief verschneiten Süddeutschland,

Joachim

Anonymous said...

War ja einiges los!

Schön, wie sie das wieder in Worte fassen. "Es gäbe sooo viel zu schreiben", wie sie erwähnen.
Dies scheint durch ihre Texte hindurchzuscheinen, es ist als ob all das nicht-gesagte mitschwänge im Hintergrund. Wohl auch deshalb sind ihre Zeilen so prall.

Als ich las, wie sie "unverhofft" bekannten Gesichtern begegneten, musste ich an "always expect the unexpected" denken, und mir kam eine mögliche Deutsche Übersetzung dafür in den Sinn:
"Unverhofft kommt oft"...

Dide said...

@Lembachs, Joachim und Crowi,
nach drei Wochen wieder einmal im Cockpit, dafür gleich 14 Stunden. Landung in Sydney, nach der Ankunft im Hotel noch schnell einen Blick ins Internet. Dies, obwohl ich eigentlich viel zu müde bin und schon schlafen sollte. Dann - quasi als Tüpfelchen auf dem "I" - eure Kommentare. Da kann ich nicht anders und muss doch einfach reagieren. Umso mehr ich weiss, dass meine liebe Familie - allen voran die allerliebste Nina - momentan in Abu Dhabi den wohl verdienten Schlaf geniessen.
Mit den Lembachs werden wir mündlich abrechnen, den Joachim begrüsse ich mit Freude als neuen "Wüstenspuren-Leser" und dem Crowi sei gesagt, dass seine deutsche Übersetzung der englischen Originalfassung sehr nahe kommt.
Und last but not least bedanke ich mich für die guten Wünsche zum Neuen Jahr: Ich gebe sie hiermit nur zu gerne zurück! Mögen uns die Sterne günstig gesinnt sein, Insch Allah...