Ich bin wunschlos glücklich!
Nicht etwa, weil wir vom Vorstadthaus in den Vogelkäfig gezogen sind. Obwohl sich die neue Wohnung letztlich als ganz flott erweist. Mein Seelenwohl gründet weder in einem Karrieresprung noch in der erhofften Eingebung in der Frage unseres Rückkehr-Entscheids. Keine neue Frau (die bestehende ist mir nach wie vor lieb und teuer), kein unerwarteter Lottogewinn. Viel einfacher - auf unserem Rückflug von Sydney durchqueren wir den Perseiden-Schauer. Es ist die perfekte Nacht, stille, heimliche, bescheidene, lang gehegte, spontane und unverschämte Wünsche an die Sternschnuppe zu bringen.
Wie jedes Jahr im August kreuzt die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne in diesen Tagen die Spur des Kometen Swift-Tuttle. Alle 133 Jahre kehrt dieser Komet ins innere Sonnensystem zurück, zuletzt im Jahr 1992. Auf seiner Kometenbahn lässt Swift-Tuttle eine Staubspur mit winzigen Kometenpartikeln in der Grösse von Sandkörnern zurück. Als die Erde in der Nacht unseres Rückflugs die alte Kometenbahn kreuzt, rast sie mit knapp 30 Kilometern pro Sekunde auf die kleinen Kometenstaubkörner, genannt Meteoroiden, zu. Diese kollidieren mit der Atmosphäre und treten mit einer Geschwindigkeit von etwa 60 Kilometern pro Sekunde in die oberen Luftschichten ein. Die vor den Staubteilchen liegende Luft wird so stark zusammengepresst, dass sie über 3000 Grad heiß wird und dadurch zu leuchten beginnt. Ähnlich wie in einer Neonröhre, in der Gasteilchen ionisiert werden und somit leuchten, beginnen in der Atmosphäre die Luftteilchen vor dem rasenden Staubkorn Licht auszustrahlen. Das Ergebnis sind Sternschnuppen.
Nach nur einer Sekunde in der Erdatmosphäre sind die Meteoroiden verglüht. Dennoch reichen die winzigen Staubteilchen aus, um eine gut sichtbare Sternschnuppe zu erzeugen. Die meisten Sternschnuppen werden für die Nacht vom 12. auf den 13. August angekündigt, denn dann kommt die Erde der Staubspur von Swift-Tuttle am nächsten. Gemäss Aussagen von Fachleuten kann ein Beobachter etwa 100 Meteoroiden pro Stunde erwarten. Es ist, wie gesagt, die Nacht unseres Rückflugs von Australien.
Obwohl sich das Ganze in einer Höhe von 80 bis 100 Kilometern abspielt, können wir den Meteorschauer mit bloßem Auge von der Erde aus beobachten. Noch viel idealer ist ein Beobachtungsposten auf 12'000 Metern.
Meine Schicht beginnt kurz bevor wir das ebenfalls hell erleuchtete Singapur überfliegen. Wir löschen sämtliche Lichter im Cockpit und starren aus dem Fenster. Der Mond ist leer, die Nacht ist finster. Mit jeder Sekunde gewöhnt sich das Auge besser an die Dunkelheit. Immer klarer und leuchtender heben sich die Sterne und Planeten vom Schwarz des Himmels ab. Dann zischt die erste Sternschnuppe aus dem Nichts. Ihr kurzes Leuchten verlischt sogleich wieder. Es dauert nur wenige Minuten, bis sich das Schauspiel wiederholt. Unglaublich, als wären wir im Planetarium. Rechts, links – die Lichter schiessen aus allen Richtungen. Vor mir liegt der Zettel mit meinen vorgängig notierten Wünschen. Bei jeder Sternschnuppe hake ich eine Zeile ab. 14 Stunden Flug, von denen ich die Hälfte im Cockpit sitze, genügen, um meine Liste abzuarbeiten. Mein Arbeitsplatz auf 40'000 Fuss ermöglicht mir das Paradies auf Erden.
Ich fahre nach der Landung am frühen Morgen freudig gespannt nach Hause. Im Wissen, dass die Lohnerhöhung, der neue Mercedes, die Vermehrung meiner Pensionskassenfonds ebenso wie die gesteigerte Hilfsbereitschaft der Töchter im Haushalt nur eine Frage der Zeit sind.
Saturday, August 14, 2010
Subscribe to:
Post Comments (Atom)
6 comments:
super Text! Auf dass die Wünsche in Erfüllung gehen mögen!
Bei dieser tollen Lektüre bedauere ich fast, in den (Griechenland-)Ferien zu sein...
Sogar eine Züglete scheint eine schöne Erfahrung zu sein?
Herzliche Grüsse
@severin; Die Wünsche werden in Erfüllung gehen. Zweifellos. Man muss nur daran glauben...
@giuliano: Wir mögen euch beiden die Ferien von Herzen gönnen und freuen uns auf den ersten gemeinsamen Kaffee (oder was auch immer) in der neuen "Stube mit Ausblick".
Gruss
"Staubspur des Swift-Tuttle" passt gut in diese Wüstenspuren.
Die "rasenden Staubkörner", zu Sternschnuppen metamorphisierend.
Tja; zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort in 40'000 Fuss - das nenne ich gutes Timing.
Toller Bericht.
Thanks!
@Crowi: Da hab ich wieder mal Glück gehabt. Ich erinnere mich allerdings, die Perseiden-Schauer schon früher einmal durchflogen zu haben: Es war auf dem B747, von Bombay nach Zürich, zwischen 1996 und 2000. Möglicherweise habe ich mir auf jenem Flug gewünscht, die Sternschnuppen-Nacht alle zehn Jahre im Cockpit erleben zu dürfen. Um sicher zu stellen, dass die Wunschliste nie zu lang wird...
bis auf die pensionskasse hab ich für alles verständnis.....
greez eppi
Post a Comment