Wednesday, August 11, 2010

Umzug

Der Kragen platzt mir bereits am Donnerstag. Einen Tag vor dem Umzug in die Stadt. Der Chef der Zügeltruppe windet sich am Telefon und meint, dass am Freitag niemand arbeiten würde. Auch seine Angestellten nicht. Obwohl er dies vor zwei Wochen noch ausdrücklich bestätigt hat. Er hätte sich im Wochentag geirrt, stammelt er nun in sein Handy. Eine miserable Vorgabe, wenn das nur gut kommt.
So beginnt unser Umzug statt am muslimischen Sonntag, der eigentlich Freitag ist, am Samstag. Darüber schwebt wie ein Damoklesschwert meine Langstrecken-Reserve, die mich allenfalls über den Pazifischen oder Atlantischen Ozean schicken könnte. Spätestens am Montag gehts definitiv nach Down Under. Mit 48 Stunden Aufenthalt in Sydney. Bis dann soll möglichst viel verschoben, ausgepackt, abgestaubt, verräumt und aufgehängt sein. Also Vollgas.

Tatsächlich stehen die Zügelmänner am Samstag kurz nach 8 Uhr vor dem Haus. Den Chef plagt immer noch ein schlechtes Gewissen, dabei ist mein Zorn längst verflogen. 15 junge, kleingewachsene und zerbrechlich wirkende Inder stürmen mit zusammengefalteten Kartonschachteln unter ihren Armen unser Haus und machen sich in sämtlichen Zimmern an die Arbeit. Kaum sind die braunen Boxen aufgeklappt, sind sie auch schon halb gefüllt. Alles verschwindet darin; Büromaterial, Kleider, Bilder, Nagelfeile, Bücher, Gläser, Pfannen und Töpfe. Ein bisschen wie im Märchen. Keine sieben Zwerge, dafür 15 Heinzelmännchen, die uns mit ihren Diensten unterstützen. Katze Bart (nach dem Simpson-Sprössling benannt) rauscht wild fauchend durch die Räume. Linda und Nina stehen verloren und verschlafen zwischen den Arbeitern. Die beiden sind vor Aufregung die halbe Nacht wach gelegen, ihre jugendliche Dynamik ist ihnen gänzlich abhanden gekommen. Franziska und ich eilen durch alle drei Etagen und versuchen, den Überblick zu behalten.

Umziehen ist in Abu Dhabi wesentlich einfacher als in der Schweiz. Diverse Moving Companies bieten einen Komplettservice an, der uns eigentlich erlauben würde, während des Wohnortwechsels eine Woche in die Ferien zu verreisen. Die Jungs räumen ab und bauen wieder auf. Jedes Glas, jede Weinflasche wird vorsichtig in Papier gewickelt und am neuen Ort wieder ins entsprechende Regal gestellt. 5000 Dirham (1500 CHF) kosten uns diese Verrichtungen, dafür werden auch Bilder und Vorhänge aufgehängt. Nicht immer ganz im Lot, aber immer noch besser und schneller, als ich das machen würde.
Am Nachmittag entscheide ich mich, den Fernseher inklusive Satellitenempfänger und Videogerät in die neue Wohnung zu transportieren. Sollten mir die Arbeiter die mühsam erarbeitete Kabelkombination zerpflücken, wäre ich hoffnungslos verloren. Etwa so, wie beim Versuch, die Sender im neuen Heim zu programmieren. Dabei glaube ich alles richtig zu machen. Tröstlich immerhin, dass es dem kurzfristig zu Hilfe geholten Fachmann nicht besser ergeht. Erst ein Anruf bei der für die Montage der Satellitenschüssel zuständigen Firma bringt Aufklärung: „First you have to pay 280 Dirhams, only then we will activate the reception in your apartment“. Immerhin können wir uns die Kosten der Installation sparen. Anders als vor vier Jahren, beim Einzug ins Haus im Al Qurm Compound.

Es ist 1700 Uhr, als ein Bus mit der ersten Ladung Möbel vorfährt. Die 15 Inder verrichten ihre Arbeit auch am Nachmittag wie ein fleissiges Bienenvolk. Zwischen 22° in klimatisierten Räumen und 48° im Freien laufen sie sich die Füsse wund. Ihre blauen Hemden sind schweissnass. Wir offerieren Wasserflaschen und Cookies. Sie akzeptieren mit einem schüchternen Lächeln und ihrem typischen Kopfwackeln; die einen nehmen nur ein Bisquit, andere gleich die ganze Packung.
Hossein, der Wachmann im neuen Wohnblock, erweist sich als zuverlässiger und ungemein wertvoller Koordinator. Er, der täglich von 0900 bis 2100 seinen Dienst verrichtet und pro Monat nur zwei Tage frei hat, ist freundlich und um keinen Rat verlegen. Ich schiebe ihm gleich am ersten Abend 100 Dirham über den Tresen. Viel Geld für ihn, ein Achtel seines Monatsgehalts, doch damit schaffe ich uns viele Probleme vom Hals. Er dankt es mit leuchtenden Augen, und ich weiss mir seine Dienste für die nächsten zwölf Monate auf sicher.

Es ist bereits halb zehn, als sich die letzten Zügelmänner auf den Heimweg machen. Wir haben entschieden, schon heute in der neuen Wohnung zu nächtigen. Das Abendessen besteht aus Sushi und Pouletschenkeln. Zum Dessert gibts Datteln und Berliner. Dazu trinken wir Mineralwasser. Wir essen am Boden und auf dem Sofa. Der Kühlschrank mit dem Bier, und sämtliche Tische stehen noch im Al Qurm Compound.

Am nächsten Morgen früh gehts weiter. Christian Laulund, ehemaliger SAS-Pilot und neuer Nachbar aus der fünften Etage, bringt Espresso in die Stube, während die Inder immer neue Schachteln schleppen und drei Lieferwagen füllen.
Franziska versucht bei den Stadtbehörden unseren Hausvertrag für Strom und Wasser zu kündigen. Sie darf gerade mal die letzte Rechnung bezahlen, ihre Unterschrift fürs offizielle Formular wird nicht akzeptiert. „Only your husband can give us the signature“. Also zeige ich mich am Abend persönlich, komme aber auch nicht weit: „I need a copy of your passport“, begrüsst mich der arabische Beamte. Schade, dass er das nicht bereits am Morgen erwähnt hat. Eigentlich hätte ich es wissen müssen.
Immerhin laufen die Dinge bei der Neuinstallation der Internet-Dienste flüssiger. Schilderungen von Kollegen haben uns das Schlimmste befürchten lassen. Linda zeigt in dieser Sache Gelassenheit. Dank Schwarzbeer-Technologie bleibt sie auch ohne Netz stets im Loop. Zumindest bis Anfang Oktober, dann sollen die Blackberry-Dienste gestoppt werden. Sie zählt auf das Verhandlungsgeschick der Saudis und hofft, dass die Emirate von ihren Kompromissen mit den RIM-Managern profitieren können.
Der staatliche Kommunikations-Anbieter etisalat schickt bereits am Montag einen Techniker in die Wohnung. Glücklicherweise ist Franziska wach und öffnet ihm die Tür. Ich schlafe noch und stolpere nach dem Aufstehen beinahe über seinen Kabelsalat im Büro. Es dauert keine Stunde, und wir sind wieder mit der grossen weiten Welt verbunden.

Unsere indischen Helfer sind eine Wucht! Wir werden von ihrem Einsatz und ihrer Hilfsbereitschaft freudig überrascht. Nicht ein einziges Glas geht in die Brüche. Dafür schafft es Nina, die Glasfront eines Bildes zu zertrümmern. Das Auspacken der Kartonschachteln läuft flüssig. Unsere Schwierigkeit liegt darin, die kleinen aber wichtigen Dinge des Alltags im allgemeinen Wirrwarr zu orten: Franziska sucht ihre Schlüssel, ich mein Buch und meine Uniformjacke. Schwer zu finden sind auch Ladegeräte für Telefone und Computer. Dafür geraten mir frühere Rechnungen in die Hände, für die wir bereits die Mahnungsgebühren beglichen haben.
Der Wohnraum wirkt im allgemeinen Umzugs-Chaos bedrohlich eng. Der Versuch, ein geräumiges 6-Zimmerhaus mit Garten in eine durchschnittliche 5-Zimmerwohnung ohne Balkon zu packen, verlangt Opfer. Vieles hat keinen Platz und muss verkauft, verschenkt oder entsorgt werden. Entsorgen ist meine Stärke und gleichzeitig Franziskas Schwäche. Der Konflikt ist vorprogrammiert. So zollen wir dem Umzug seinen Tribut; mit lauten Worten und dem einen oder anderen Schweisstropfen.

48 Stunden nach dem ersten Handgriff ist der Spuk vorbei. Vieles steht, wenn auch noch nicht dort, wo es hingehört. Wir beginnen uns wohlzufühlen. Die einen weniger, die andern mehr. Alles ist neu und ein bisschen anders: Die treue Maid Romana wohnt nicht mehr bei uns, und die Katze kackt verstört vor Lindas Augen auf ihre Bettdecke.
Tumbler, Kaffee- und Waschmaschine sind angeschlossen und betriebsbereit. Die Satellitenschüssel sorgt für flimmerfreies TV-Bild, Internet und Festanschluss garantieren den Kontakt zur Aussenwelt. Der Geschirrspüler allerdings braucht noch ein bisschen elektrische Hilfe, ebenso warten wir darauf, dass der Kochherd an der Gasverteilung angeschlossen wird. Schon am dritten Morgen liegt die Gulf News vor der Wohungstür, die Normalität scheint langsam zurückzukehren. Ich kann beruhigt nach Sydney fliegen.






























































Von Müdigkeit überfraut














Der neue Wohnpalast














Blick vom Wohnzimmer auf die Stadt


























Lindas Zimmer mit Rundblick










































6 comments:

Anonymous said...

Toller und ausführlicher Bericht, obwohl jeder, gut beinahe jeder, weiss wie nervtötend und aufreibend so ein Umzug sein kann und meist auch ist. Doch scheint mit 15 Helfern ganz flott zu gehen (man denke an die 42° Celsius ;-))

Das Rundblick-Zimmer ist ja grossartig, wahrscheinlich mit Blick auf den Burji Kalifa??


Weiter so, ein wirklich toller Blog!

Gruss vom verpi***en Lago Maggiore

Dide said...

@Anonymous: Zwar haust der Herrscher des Landes, Sheikh Khalifa, in Abu Dhabi, der höchste Turm der Welt, nach ihm benannt, befindet sich allerdings in Dubai. Das von dir angesprochene "Rundblickzimmer" ist gegen das Hotel Emirates Palace ausgerichtet, leider sind wir aber zu weit entfernt, als dass man die Hotellanlage sehen könnte.

Gruss ins Tessin, wird schon werden mit dem Wetter!

Anonymous said...

Danke für die Information! Aber bei Euch unten wächst alles (noch) so rasant schnell, da kommt man gar nicht mehr mit;-)

Hoffen wir das Beste!


Gruss
Louis

Der Fischotter said...

"dreimal umgezogen ist einmal abgebrannt"

:-)

ich wünsche euch in eurem neuen heim viel glück und fun !

gruessle
der fischotter

Crowi said...

Das war wieder mal schön zu lesen. Diese 15 Helferlein!

Was mich wunder nähme: Der startende oder landende Papa, weit her kommend oder in weite Ferne fliegend -
von welcher Wohnung aus war man näher dran?
Kann man Herrn Eppler vom neuen Rundblick-Zimmer aus an- oder abfliegen sehen?

Dide said...

@Fischotter: Der dritte Umzug wäre dann die Rückkehr in die Schweiz. Was in diesem Fall heisst, dass wir uns eine feuerfeste Bleibe suchen müssen.

@Crowi: Die Fahrt zum Flughafen dauert jetzt fünf Minuten länger. Aber nur dank der Tatsache, dass quasi gleichzeitig mit unserem Umzug eine weitere Etappe des Ausbaus der Salam-Street abgeschlossen wurde.
Das Rundblickzimmer erlaubt keinen Blick auf an- oder abfliegende Flugzeuge, dafür auf die "Airport-Road", welche früher die Hauptverbindung zwischen Flughafen und Stadtzentrum war.

Gruss