Der Unterschied zwischen Piloten und Spitzensportlern liegt nicht nur in der Grösse des Bankkontos. Piloten können auch nach 29 Berufsjahren noch Rekorde brechen! Die Karriere eines Sportprofis ist in der Regel nach der Hälfte dieser Zeit beendet.
Schuld ist die Asche des Vulkans mit dem unaussprechbaren Namen. Schuld am Rekord, meine ich. Denn der weiträumig geschlossene europäische Luftraum zwingt Etihad, neue Wege zu fliegen.
Ich bin gespannt, als ich um 0730 Uhr am Flughafen eintreffe. Die Planungsunterlagen für meinen Flug nach New York liegen noch nicht bereit. Ich folge meiner üblichen „Eincheck“-Routine und bereite als erstes meinen Laptop für den Update vor. Nach der Anmeldung am Computer-Terminal besorge ich mir eine Liste mit sämtlichen Besatzungsnamen, bevor ich schliesslich beim Restaurant in der nahen Abflughalle einen Cappuccino hole. Wieder zurück im Planungsraum, den Pappbecher mit dem Kaffee in der Hand, ist das Fach im Regal noch immer leer. An einem der herumstehenden Telefone rufe ich den Dispatcher an. Die Flugplanung hat ihre Büros im Hauptsitz, was die Kommunikation erschwert. Der zuständige Kollege erklärt mir, dass die erste Berechnung eine Flugzeit von 15.45 Stunden ergeben habe. Das ist bei einer geplanten Flugzeit von 14.25 Stunden eher unpraktisch, weil viel zu lang. Doch der Dispatcher arbeitet bereits an einer effizienteren Alternative, die in der Tat zehn Minuten später ausgedruckt vor uns auf dem Tisch liegt.
Die Planung ist eng. Das „Zero Fuel Weight“ (Flugzeuggewicht vor Betankung) muss limitiert werden. Rund 150 Tonnen Kerosen wird in die Tanks gepumpt, die damit quasi voll sind. Das Startgewicht liegt am Maximum von 380 Tonnen. 299 Passagiere wollen mit uns diese nicht alltägliche Route abfliegen. Dummerweise verletzt sich bei den Vorbereitungen im Galley eine unserer Hostessen. Ein Container donnert auf ihren Fuss, mit einem Rollstuhl wird sie durch die Einstiegbrücke ins Flughafengebäude gefahren. Wir fordern Ersatz an, doch man teilt uns mit, dass keine Reserve mit entsprechender Qualifikation am Flugplatz anwesend sei. Jemand aufzubieten dauert mindestens eine Dreiviertelstunde. Da wir bereits 30 Minuten im Verzug sind, wollen wir nicht zuwarten. Ich muss die skeptische Kabinenchefin mit sanftem Druck überzeugen, dass wir auch mit lediglich elf Flight Attendants einen zufriedenstellenden Service bieten können.
Die Route führt uns anfänglich über Saudi Arabien, Jordanien, Syrien und den Libanon. Anschliessend gehts übers Mittelmeer und die Griechischen Inseln nach Malta. Wir folgen der Küste Nordafrikas, die Flugzeugnase zeigt Richtung Casablanca. Vom Dispatch in Abu Dhabi erhalten wir eine Meldung, dass der Luftraum bis auf die Höhe von Madrid geschlossen sei. Am Funk hören wir, wie eine Maschine, die in Ancona landen will, nach Rom umgeleitet wird. In Italien sind einige Flughäfen offen. Die Aschenwolke hat sich gegen Süden ausgebreitet, und liegt unbeweglich wie ein Grizzly im Winterschlaf über weiten Teilen Europas.
Kurz vor Casablanca tauchen die beiden Pilotenkollegen vom Team B im Cockpit auf. Nach einer kurzen Plauderei und den üblichen Infos schnallen sie sich auf den von uns während sieben Stunden vorgewärmten Sitzen an. Sie werden in Kürze gegen Lissabon abdrehen, um dann die Atlantiküberquerung Richtung Azoren und New York zu beginnen.
Ich meinerseits schnappe mir eines dieser portablen DVD-Geräte und verziehe mich damit in den Crewbunk. Wir sind heute mit einer der neuen A340-600 unterwegs, bei denen die Ruheräume für die Piloten getrennt sind. Eine Kabine befindet sich unmittelbar hinter dem Cockpit, das zweite Kabäuschen liegt, zusammen mit den Kojen für die Kabinenbesatzung, im Heck. Ganze sieben Stunden Ruhezeit stehen mir heute zu. Das entspricht einem Flug von Abu Dhabi nach Frankfurt. Schlafen kann ich so lange nicht, mehr als zwei Filme scheinen nicht zweckmässig, und auch die Völlerei hat ihre Grenzen. Lesen bringt Abwechslung, daneben empfehlen Fachleute zu trinken, die Luftfeuchtigkeit beträgt lediglich fünf Prozent. Die volle Blase unterbricht den Schlaf und treibt den geplagten Ruhesuchenden wiederholt auf die Toilette. Vielleicht liegt es auch an der Prostata.
Eine Stunde vor der Landung sitze ich wieder im Cockpit. Nicht unbedingt frisch, aber dergestalt intakt, dass es für einen kontrollierten Anflug und eine passable Seitenwindlandung reicht. Als wir endlich an unseren Standplatz rollen, stehen die Zeiger der Uhren in Abu Dhabi bei 0302 Uhr.
Ich bin seit 21 Stunden wach, habe einen persönlichen Rekord gebrochen, und bin mit einer Flugzeit von 15.38 Stunden in eine neue aviatische Dimension gestossen. Auch für meine Cockpit-Kollegen war es der bisher längste Flug ihrer Karriere.
Trotz der Müdigkeit reicht es für einen Cheeseburger und einige Bierchen in der Hotelbar. Am nächsten Morgen wird mir eine Dame vom Crew Control eine Email schicken: Mit insgesamt 18.20 Stunden Einsatzzeit haben wir die vorgegebene Limite um 20 Minuten überzogen.
Doch wer Rekorde brechen will, muss hart arbeiten, und kann sich nicht am Achtstundentag orientieren. Das gilt übrigens für Piloten wie für Spitzensportler.
Tuesday, April 20, 2010
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8 comments:
Hallo Dide!
15:38 ist schon der Wahnsinn.Ich verfolge Deinen Blog schon von Anfang an,habe allerdings noch nie einen comment geposted.
Den Wüstenspuren zu folgen ist mir eine wahre Freude!Weiter so und allzeit happy landings.Güsse aus Köln!Mario
gibt es eigentlich irgendwelche konsequenzen, wenn die Limits(aus welchem Grund auch immer) überschritten werden??
LG aus Köln
@Mario: Herzlichen Dank für deine Lesetreue! Selbstverständlich freue ich mich über alle LeserInnen, auch ohne Comment...
@cbs: Bei den Flugzeitenregelungen (Flight Duty Regulations) handelt es sich um eine komplexe Angelegenheit. Es gibt internationale wie auch nationale Vorgaben, innerhalb derer jede Airline eigene (engere) Limiten definieren kann. Die angewandten Richtlinien sind im Operationshandbuch (OM=Operational Manual) niedergeschrieben. Etihad setzt die Limite für Ultra Longrange Flüge (ULR) bei 18 Stunden an. Der Kapitän kann, in Absprache mit der Crew und dem Netzwerkkoordinator bis maximal 22 Stunden verlängern. Darüber hinaus geht nichts mehr!
Eine Verlängerung ist nur angebracht, wenn die Befindlichkeit der Besatzung so gut ist, dass keine Sicherheitseinschränkungen zu erwarten sind.
Konsequenzen gibt es allenfalls im planerischen Bereich, dass ein Besatzungsmitglied beispielsweise eine Einsatz-Änderung in den nachfolgenden Arbeitstagen erhält.
Liebe Grüsse an beide!
bei uns purzeln die Rekorde anders. Anstatt der langen Flugzeit haben wir den wohl laengsten Layover seit langem. Mit Sechs Strich von Donnerstag bis Donnerstag anstatt dem geplanten Rueckflug am Sonntag. Da werden zwei paar Unterhosen (Copi) oder ein mini Flaeschli Antibrumm, schnell mal knapp zumal in Yaoundé reichlich geschwitzt und gestochen wird...
Gruesse aus Afrika,
Severin
18 bzw.22 Stunden ist ja schon eine beachtlich lange Zeit.Also bei uns sind es zum Glück `nur`13Stunden,die aber in Relation zur Anzahl der Legs weiter reduziert werden müssen.Wird einschliesslich des Kommandantenentscheids die Max.Duty-time überschritten,folgt die Selbstanzeige beim Luftfahrt Bundesamt.
Bezieht sich auf die `hanseatische` Kurz-Mittelstrecke.Was braucht man denn nach so einer Ultra Langstrecke bei EY für ein Minimum Rest???
Grüsse!Mario
@Severin: Das kann ich mir vorstellen. Doch solange das Bier an der Bar nicht ausgeht, besteht nicht unmittelbare Lebensgefahr, oder...?
@Mario: Minimum rest nach ULR sind 2 "local nights" und minimum 48 Stunden frei, plus einige zusätzliche Planungsrestriktionen.
Erfolgt die Landung beispielsweise am Montagabend um 2000h, so kann ich am Donnerstagmorgen um 0800h wieder einchecken. Bei Check-In zwischen 0800 und 1000h dürfen allerdings nur Turnarounds (also keine Auswärtsübernachtung)geplant werden.
Gruss
WOW!!! Merci für's Posting!
Das ist richtig, kommt hinzu dass die Gin Tonics und Whisky Colas im Hilton in Yaoundé von ausgesprochener Qualität sind! Wir harrten aus und sind nun glücklich zuhause
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