Wer mit „Standby“-Tickets reist, und das tun Mitarbeiter einer Fluggesellschaft des Öfteren, ist den Launen voller Flieger und heimtückischer Vorschriften ausgeliefert. Im besten aller Fälle gibts den erhofften Passagiersitz, läufts schlecht, wird dieser gegen einen „Jumpseat“ getauscht. Läufts noch schlechter, sieht mann oder frau den Flieger gar nur von aussen.
Mit „Jumpseat“ werden in der aviatischen Umgangssprache Klapp-Sitze im Bereich der Flugzeugtüren und Galleys bezeichnet, auf denen sich die Mitglieder der Kabinenbesatzung für die rund viertelstündigen Start- und Landephasen, Steig- und Sinkflug inbegriffen, anschnallen. Für mehrstündige Reisen sind diese Sitze eher ungeeignet. Der Komfort lässt zu wünschen übrig, ausserdem zwingen einem ständig vorbeikarrende Esstrolleys immer wieder in Stellungen, die an frühere Zeiten im Mutterleib erinnern.
„Jumpseats“ können zum ersten Ärgernis für Kapitäne oder zur letzten Hoffnung für „Standby“-Reisende werden. Denn es ist der verantwortliche Captain, der, nach Rücksprache mit der Kabinenbesatzung, seine Zusage zur Vergabe an Reisende mit „Standby“-Tickets geben muss. Ohne sein Einverständnis sind den Bodenstellen die Hände gebunden, und ist die Maschine voll, wird auch der treueste aller Airline-Angestellen mit einem unbeteiligten aber folgenschweren Kopfschütteln abgewunken.
Auf meinem Flug nach Sydney gerät einmal mehr ein Kollege in diesen Strudel von Hoffnung, Bangen und Frust. Und wir, die Cockpitbesatzung, mit ihm. Er will nach Neuseeland. Zu seiner Frau und den beiden Kindern, die nach vier Jahren in Abu Dhabi in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Familienleben und Kindererziehung auf Ultralangstrecken-Distanz. Schauerliche Vorstellung. Bereits am Vortag tut er uns per Mail seine Absicht kund. Wir sichern ihm unsere volle Unterstützung zu.
Anfänglich scheint alles zu klappen. Es sind genügend freie Sitze vorhanden, die Morgenmaschine aus Dhaka, welche der Kapitänskollege am Tage unseres Abflugs nach Abu Dhabi pilotiert, soll pünktlich landen. Auf dem Flugzeug angekommen, erwartet uns der TAS (Turnaround Supervisor) mit der Neuigkeit, dass mit einem höheren „Zero Fuel Weight“ (Gesamtgewicht ohne den zu tankenden Treibstoff) gerechnet werden müsse. Da wir am maximalen Startgewicht anstehen und auf keinen Tropfen unserer berechneten 145 Tonnen Sprit verzichten können, liegen die angegebenen anderthalb Tonnen Zusatzfracht nicht drin. Also muss ein Fracht-Container in Abu Dhabi bleiben, denn schwerer als 380 Tonnen darf unser A340-600 beim Eindrehen auf die Piste nicht sein. Uns Piloten ist in diesem Moment nicht bekannt, dass beim Auslad von „Umsatz generierender“ Ladung (Revenue load) keine "Standby"-Passagiere mitgenommen werden dürfen.
Der Witz ist zwar schlecht, aber leider wahr!
Unser Kollege bleibt vorerst am Check-In hängen. Dies, obwohl genügend Sitzplätze frei sind und unser Startgewicht nach der Frachtverminderung unter der Limite liegt. Ich spüre förmlich, wie er nach Luft ringt, als ich ihn per Handy informiere. Doch so schnell geben wir nicht auf. Unverzüglich setze ich mich mit dem „Duty Manager“ in Verbindung. Der wiederum verspricht, beim „Airport Manager“ anzuklopfen. Was denn der Flughafenchef damit zu tun habe, will ich wissen. Darauf folgt die Erklärung, dass ausschliesslich dieser besagte Vorschrift umgehen könne. Der fern erziehende Familienvater steckt noch immer am Check-In und lässt bereits zum dritten Mal mein Handy vibrieren. Zum Glück sind wir zu viert im Cockpit und verfügen über genügend Ressourcen. Nach zwei weiteren Telefonrückfragen erhalten wir endlich grünes Licht, zumindest einen "Standby"-Gast mitzunehmen. Zwei wären gar nicht möglich, das maximale Startgewicht schiebt uns einen knallharten Riegel.
Dann taucht unvermittelt der TAS mit überraschenden News im Führerstand auf. Der Kapitän darf leider doch nicht fliegen, seine Dienstalter-Priorität wäre zu schlecht. Da er eine sehr tiefe Senioritätsnummer ausweist, stimmt uns diese Aussage skeptisch. Wohl wissen wir, dass die Zuteilung dieses Platzes nach Dienstalter erfolgt, doch hier scheint etwas nicht zu stimmen. Wir stehen ganz nah beim TAS, als er sich telefonisch nach den Details der Sitzplatz-Vergabe erkundigt. Derart nah, dass wir die hastig sprechende Frauenstimme am anderen Ende hören können. Langsam scheint sich der Knoten zu lösen. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Irgend jemand hat sich irgendwie geirrt, Nummern und Daten verwechselt. In letzter Minute erreicht uns die erlösende Zusage, dass der Kollege fliegen darf. Wenig später kommt der Neuseeländer mit feuchter Stirne angekeucht. Hat kaum genügend Luft, sich bei uns und dem TAS zu bedanken. Sichtlich erleichtert sinkt er in seinen Sitz. Die Türen werden geschlossen, die vier Triebwerke gestartet.
In 13 Stunden und 30 Minuten werden wir in Sydney landen. Dann sind es nur noch drei Stunden bis nach Auckland. Die Gutenachtgeschichte wird wohl noch ein wenig warten müssen.
Tuesday, March 30, 2010
Tuesday, March 23, 2010
Share the experience
Wer bereit ist, seine Erfahrungen zu teilen, hilft nicht nur sich selber, sondern auch den anderen. Sich selber, weil es in besonderen Fällen hilfreich und entlastend sein kann, Erlebtes zu teilen – den anderen, weil sie sich aufgrund der Erkenntnisse allenfalls einige Lernschritte sparen können. Die Aviatik hat sich diese Prämisse hinter die Ohren - beziehungsweise auf die Flügel - geschrieben. Doch anscheinend hat sich besagte Weisheit auch in anderen Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen durchgesetzt.
„Share the experience“ kann weit gehen. Verwirrend weit. Insbesondere in einer Zeit, in der modernste Kommunikation sämtliche Sippen- und Ländergrenzen zu durchbrechen vermag.
Heute Nachmittag, vor meinem Laptop sitzend, benommen von einem quälenden Nachtflug, dessen Spuren auch nach einigen Stunden Tages-Schlaf meinen Geist und Körper spürbar drangsalieren, ihm jegliche Energie rauben. Unvermittelt piepst mein Handy, kündigt den Empfang einer SMS an. Absender ist eine mir unbekannte Schweizer Nummer, die nicht in meinem Adressbuch gespeichert ist. Der Wortlaut:
„Marlene ist schwanger... Kann und will nicht mehr so viel putzen... Es wird immer lustiger... Ihr Freund will helfen...“
Die Meldung verunsichert mich. Wer um Himmels Willen hat es gewagt, Marlene zu schwängern? Und was bitte schön, soll daran - am Schwängern - so lustig sein? Mir kämen da eher andere Adverbien in den Sinn.
In Ermangelung passender Antworten, muss ich die Primärfrage neu formulieren: „Welche Marlene kenne ich, die zur Gruppe der empfänglichen Frauen gehört? Das passt irgendwie nicht zusammen. Ich bin allein zu Hause und kann niemanden um Rat fragen. Da bimmelt mein Handy wieder:
„Sorry falsches SMS...“
Aha, falscher Alarm also, beziehungsweise falsche Adresse. Erleichtert antworte ich, meinem unbekannten Gesprächspartner (-partnerin) zuliebe ebenfalls die „Drei-Pünktchen-Technik“ anwendend:
„Hab ich mir gedacht... Trotzdem Gratulation und alles Gute!“
Und es dauert nur wenige Sekunden bis zur nächsten Piepsmeldung:
„Ist meine Haushälterin... Muss wieder eine neue suchen:(“
Er muss suchen, ich muss schmunzeln. Über den Umstand, dass der unbekannte Landsmann (der Genus Masculinus scheint in diesem Fall ausser Zweifel) seine Sorgen ungewollt mit einem ihm ebenfalls unbekannten Genossen teilt, den es in eine Gegend verschlagen hat, in der über die Hälfte aller Familien eine „Maid“ (Haushälterin) beschäftigt. Ob ich ihm wohl bei der Suche einer Nachfolge helfen soll...?
„Share the experience“ kann weit gehen. Verwirrend weit. Insbesondere in einer Zeit, in der modernste Kommunikation sämtliche Sippen- und Ländergrenzen zu durchbrechen vermag.
Heute Nachmittag, vor meinem Laptop sitzend, benommen von einem quälenden Nachtflug, dessen Spuren auch nach einigen Stunden Tages-Schlaf meinen Geist und Körper spürbar drangsalieren, ihm jegliche Energie rauben. Unvermittelt piepst mein Handy, kündigt den Empfang einer SMS an. Absender ist eine mir unbekannte Schweizer Nummer, die nicht in meinem Adressbuch gespeichert ist. Der Wortlaut:
„Marlene ist schwanger... Kann und will nicht mehr so viel putzen... Es wird immer lustiger... Ihr Freund will helfen...“
Die Meldung verunsichert mich. Wer um Himmels Willen hat es gewagt, Marlene zu schwängern? Und was bitte schön, soll daran - am Schwängern - so lustig sein? Mir kämen da eher andere Adverbien in den Sinn.
In Ermangelung passender Antworten, muss ich die Primärfrage neu formulieren: „Welche Marlene kenne ich, die zur Gruppe der empfänglichen Frauen gehört? Das passt irgendwie nicht zusammen. Ich bin allein zu Hause und kann niemanden um Rat fragen. Da bimmelt mein Handy wieder:
„Sorry falsches SMS...“
Aha, falscher Alarm also, beziehungsweise falsche Adresse. Erleichtert antworte ich, meinem unbekannten Gesprächspartner (-partnerin) zuliebe ebenfalls die „Drei-Pünktchen-Technik“ anwendend:
„Hab ich mir gedacht... Trotzdem Gratulation und alles Gute!“
Und es dauert nur wenige Sekunden bis zur nächsten Piepsmeldung:
„Ist meine Haushälterin... Muss wieder eine neue suchen:(“
Er muss suchen, ich muss schmunzeln. Über den Umstand, dass der unbekannte Landsmann (der Genus Masculinus scheint in diesem Fall ausser Zweifel) seine Sorgen ungewollt mit einem ihm ebenfalls unbekannten Genossen teilt, den es in eine Gegend verschlagen hat, in der über die Hälfte aller Familien eine „Maid“ (Haushälterin) beschäftigt. Ob ich ihm wohl bei der Suche einer Nachfolge helfen soll...?
Saturday, March 20, 2010
Im Garten
Nach dem nicht unbedingt schmeichelhaften Foto im letzten Beitrag bin ich unter Druck. Ein neuer Eintrag muss her, der die Coiffeur-Story mit der Gruselfratze unter dem Pilzhut in den Hintergrund drängt: Ein kurrliger Event, eine interessante Begegnung, ein Aufstand der Kinder, zur Not tuts auch eine banale Geschichte. Doch nichts von alledem trifft ein. Hätte ich meine journalistischen Lehrjahre als Kantischüler beim "Blick" und nicht beim Winterthurer „Landboten“ absolviert, würde ich meiner Tastatur mühelos eine reisserische Schlagzeile entlocken. Doch es tut sich nichts, kein müdes Schreiblüftchen weht mir durch die Hirnwindungen. Vermutlich Folgeschäden meines kürzlich erfolgten Besuchs im „Ruby’s Salon“.
Piloten lernen, sich bei unklaren Situationen mit reduzierter Übersicht aufs Wesentliche zu konzentrieren; Flughöhe, Geschwindigkeit, Position, Schubleistung. Was unnötig scheint und verwirrt, wird ausgeschaltet oder ausgeblendet. Die Analogie in der Bloggerei hiesse, mich alltäglichen und einfachen (nicht simplen!) Themen zuzuwenden.
Unserem Gartensitzplatz beispielsweise, den wir vor fünf Monaten mit kleinen umbaulichen Retouchen aufgefrischt und von pakistanischer Hand erweitern liessen. Mit Pflanzentöpfen, einer Lichterkette sowie einem raffiniert hinter dem einzigen Baum versteckten Spot. Bei den angenehmen Temperaturen dieser Tage lässt sich herrlich verweilen, diskutieren und philosophieren. Die Kinder zeigen etwas weniger Sitzleder. Hormonelle Schwingungen und kommunikative Dringlichkeiten geniessen höhere Priorität. Wenn nicht der Freund oder die Freundin wartet, dann bedarf die „Wand im Gesichtsbuch“ einer Überprüfung.
Die Sitzecke im Garten eignet sich übrigens auch ganz ausgezeichnet zum Schreiben. Im Schatten des Baumes, dessen Gattung mir bis heute unbekannt ist, fühle ich mich ungestört. Abgesehen von einzelnen Grillen, die abends hinter der Gartenmauer zirpen. Manchmal rattert auch ein Kompressor auf der nahen Baustelle. Oder es beschleunigt ein Business-Jet auf der Piste des benachbarten Al Bateen-Airports. Dann wiederum vermögen sich die Grillen akustisch kaum durchzusetzen.
Dazwischen – da herrscht die totale Stille. Für kurze Momente nur, dafür um so intensiver.
Piloten lernen, sich bei unklaren Situationen mit reduzierter Übersicht aufs Wesentliche zu konzentrieren; Flughöhe, Geschwindigkeit, Position, Schubleistung. Was unnötig scheint und verwirrt, wird ausgeschaltet oder ausgeblendet. Die Analogie in der Bloggerei hiesse, mich alltäglichen und einfachen (nicht simplen!) Themen zuzuwenden.
Unserem Gartensitzplatz beispielsweise, den wir vor fünf Monaten mit kleinen umbaulichen Retouchen aufgefrischt und von pakistanischer Hand erweitern liessen. Mit Pflanzentöpfen, einer Lichterkette sowie einem raffiniert hinter dem einzigen Baum versteckten Spot. Bei den angenehmen Temperaturen dieser Tage lässt sich herrlich verweilen, diskutieren und philosophieren. Die Kinder zeigen etwas weniger Sitzleder. Hormonelle Schwingungen und kommunikative Dringlichkeiten geniessen höhere Priorität. Wenn nicht der Freund oder die Freundin wartet, dann bedarf die „Wand im Gesichtsbuch“ einer Überprüfung.
Die Sitzecke im Garten eignet sich übrigens auch ganz ausgezeichnet zum Schreiben. Im Schatten des Baumes, dessen Gattung mir bis heute unbekannt ist, fühle ich mich ungestört. Abgesehen von einzelnen Grillen, die abends hinter der Gartenmauer zirpen. Manchmal rattert auch ein Kompressor auf der nahen Baustelle. Oder es beschleunigt ein Business-Jet auf der Piste des benachbarten Al Bateen-Airports. Dann wiederum vermögen sich die Grillen akustisch kaum durchzusetzen.
Dazwischen – da herrscht die totale Stille. Für kurze Momente nur, dafür um so intensiver.
Oase der Stille; am Tag...
...und am Abend
Saturday, March 13, 2010
Ich lass mir mal die Haare schneiden...
...das zumindest ist die Idee an diesem herrlich sonnigen Samstagnachmittag. Dabei gibt es drei Möglichkeiten: Den exklusiven und teuren Barbier in einer Hotelanlage, den ebenfalls nicht billigen libanesischen Hairdresser in der Marina Mall, oder den günstigen und für europäische Verhältnisse eher unkonventionellen Inder in unmittelbarer Nähe unseres Wohnquartiers. Sämtliche Varianten habe ich schon ausgetestet. Mit unterschiedlichem Preis, allerdings auch mit ebenso unterschiedlichem Resultat.
Ich entscheide mich für den Inder. Nicht zuletzt wegen der gegen einen geringen Aufpreis erhältlichen Kopfmassage. Nach kurzer Fahrt parke ich meinen Wagen direkt vor „Ruby’s Salon“. Im Eingangsbereich sitzen vier weiss-beschürzte Inder und starren gebannt auf ein Fernsehgerät. Als ich eintrete springt der jüngste von ihnen auf und führt mich in eines der durch rotfarbene Vorhangtücher abgeschirmten Séparés. Während ich es mir auf dem Stuhl bequem mache, öffnet der emsige Figaro einen Kasten, der mich an unser Mikrowellengerät erinnert. Der Apparat ist allerdings mit „Sterilizer“ beschriftet und die geöffnete Glasklappe offenbart einen Blick auf diverse Kämme, Bürsten und Scheren. Neben dem riesigen Spiegel steht ein kleines TV-Gerät, in dem ein kahlköpfiger Araber monoton referiert. Später, im Verlauf der mehrstufigen Prozedur wechselt der Friseur den Kanal und übers unscharfe Bild flimmert ein US-Spielfilm älteren Jahrgangs.
Ich weise den Meister an, auf keinen Fall zuviel meiner Haarpracht zu kupieren, wohl wissend, dass mein Wunsch auf taube Ohren stösst. Mein Haarschnitt wird letztlich von der Laune und der individuellen Präferenz des Friseurs abhängen, und nicht von meinen Wünschen. Gewaschen werden die Haare nicht, lediglich nass gesprüht und kunstvoll gekämmt. Mir ist im Laufe meiner Fliegerjahre bewusst geworden, dass Länder nicht nur über individuelle kulinarische Sitten, sondern auch über besondere Haarschneide-Kulturen verfügen. Die Europäer mögens eher nüchtern kühl, die Amerikaner gesellig tratschig und die Inder schwungvoll und ölig.
Der Schnitt gelingt heute ganz passabel. Nach wenigen Minuten sind meine Spitzen gekappt, der Nacken gestutzt. In Erwartung einer entspannenden Massage lehne ich mich im Sessel zurück. Was folgt, übertrifft allerdings meine kühnsten Erwartungen.
Mein Schopf wird mit Öl übergossen, anschliessend hämmern zwei Hände ein wildes Stakkato auf mein Haupt. Zwischendurch fühle ich mich wie ein Boxer vor dem Knockout, dann wieder mache ich mir Sorgen um meine alten Amalgam-Plomben. Eine Viertelstunde etwa dauert das Hämmern und Schrubben, dann pflückt der Meister einen stattlichen Topf vom Regal, und verteilt auf meinem Kopf eine eisgekühlte, gelbfarbene, schlabbrige Paste, deren Temperatur meine Hirntätigkeit schlagartig zum Gefrieren bringt. Es folgt das Gesicht, der junge Mann ist kaum zu bremsen; diesmal ist die Paste orange, die Temperatur nicht unbedingt freundlicher. Derweilen flinke Hände meine Visage einschmieren und mir den Atem zu rauben drohen, frage ich mich, wieso mir heute solch grenzenlose Grosszügigkeit widerfährt. Eigentlich wollte ich mir ja nur mal schnell die Haare schneiden lassen, angereichert durch eine kleine Kopfmassage. Mittlerweile werde ich den Eindruck nicht los, einen Locken-Garantie-Generalservice zu absolvieren. Nachfragen bringt wenig, die Antworten meines Vis-à-vis sind kaum verständlich.
Doch die Krönung steht erst noch bevor, denn nun wird eine altertümliche Trockenhaube hinter den Vorhang geschoben, die einen Adrenalinausstoss auslöst, der meine tiefgefrorenen Hirnzellen sogleich wieder in rege Aktivität versetzt. Verstehen tue ich schon lange nichts mehr, eine Blösse geben will ich mir auch nicht. So lasse ich es denn schweigend geschehen, dass mir diese Salatschüssel über mein Gel-gepflastertes Haupt gestülpt wird. Der ausströmende Dampf raubt mir beinahe den Atem, droht meine Kopfhaut zu versengen. Diskret rutsche ich im Sessel eine Spur nach unten. Der Haar-Künstler schiebt ebenso diskret das Gebläse nach. Man offeriert mir stark gesüssten Tee im gläsernen Tässchen. Ein Blick in den Spiegel lässt mich erstarren: mit weiss getünchtem Gesicht, um Jahre gealtert, könnte ich in jedem Gruselfilm locker die Hauptrolle übernehmen. In einer unbewachten Minute greife ich heimlich nach meinem Handy und knipse einige Bilder. Ein auto-dokumentarisches Harakiri, das wohl mit einer völlig aus dem Häusschen geratenen Hirnaktivität erklärt werden muss.
Schliesslich spült mir der innovative Friseur sämtliche Pasten aus Haar und Gesicht. Das Wasser ist zwar nicht viel wärmer als das Geschmiere, doch nach der atemraubenden Dampfhaube schätze ich die Abkühlung ausserordentlich. Nach einer Stunde verlasse ich den Laden wieder aufrechten Schrittes. Meine Hirnzellen sind intakt und ich muss nicht künstlich beatmet werden. Zeugnis meiner nach wie vor robusten Konstitution.
Ausserdem war der Haarschnitt günstig und darf als gelungen bezeichnet werden. Und das ist es doch, was letztlich zählt.
Ich entscheide mich für den Inder. Nicht zuletzt wegen der gegen einen geringen Aufpreis erhältlichen Kopfmassage. Nach kurzer Fahrt parke ich meinen Wagen direkt vor „Ruby’s Salon“. Im Eingangsbereich sitzen vier weiss-beschürzte Inder und starren gebannt auf ein Fernsehgerät. Als ich eintrete springt der jüngste von ihnen auf und führt mich in eines der durch rotfarbene Vorhangtücher abgeschirmten Séparés. Während ich es mir auf dem Stuhl bequem mache, öffnet der emsige Figaro einen Kasten, der mich an unser Mikrowellengerät erinnert. Der Apparat ist allerdings mit „Sterilizer“ beschriftet und die geöffnete Glasklappe offenbart einen Blick auf diverse Kämme, Bürsten und Scheren. Neben dem riesigen Spiegel steht ein kleines TV-Gerät, in dem ein kahlköpfiger Araber monoton referiert. Später, im Verlauf der mehrstufigen Prozedur wechselt der Friseur den Kanal und übers unscharfe Bild flimmert ein US-Spielfilm älteren Jahrgangs.
Ich weise den Meister an, auf keinen Fall zuviel meiner Haarpracht zu kupieren, wohl wissend, dass mein Wunsch auf taube Ohren stösst. Mein Haarschnitt wird letztlich von der Laune und der individuellen Präferenz des Friseurs abhängen, und nicht von meinen Wünschen. Gewaschen werden die Haare nicht, lediglich nass gesprüht und kunstvoll gekämmt. Mir ist im Laufe meiner Fliegerjahre bewusst geworden, dass Länder nicht nur über individuelle kulinarische Sitten, sondern auch über besondere Haarschneide-Kulturen verfügen. Die Europäer mögens eher nüchtern kühl, die Amerikaner gesellig tratschig und die Inder schwungvoll und ölig.
Der Schnitt gelingt heute ganz passabel. Nach wenigen Minuten sind meine Spitzen gekappt, der Nacken gestutzt. In Erwartung einer entspannenden Massage lehne ich mich im Sessel zurück. Was folgt, übertrifft allerdings meine kühnsten Erwartungen.
Mein Schopf wird mit Öl übergossen, anschliessend hämmern zwei Hände ein wildes Stakkato auf mein Haupt. Zwischendurch fühle ich mich wie ein Boxer vor dem Knockout, dann wieder mache ich mir Sorgen um meine alten Amalgam-Plomben. Eine Viertelstunde etwa dauert das Hämmern und Schrubben, dann pflückt der Meister einen stattlichen Topf vom Regal, und verteilt auf meinem Kopf eine eisgekühlte, gelbfarbene, schlabbrige Paste, deren Temperatur meine Hirntätigkeit schlagartig zum Gefrieren bringt. Es folgt das Gesicht, der junge Mann ist kaum zu bremsen; diesmal ist die Paste orange, die Temperatur nicht unbedingt freundlicher. Derweilen flinke Hände meine Visage einschmieren und mir den Atem zu rauben drohen, frage ich mich, wieso mir heute solch grenzenlose Grosszügigkeit widerfährt. Eigentlich wollte ich mir ja nur mal schnell die Haare schneiden lassen, angereichert durch eine kleine Kopfmassage. Mittlerweile werde ich den Eindruck nicht los, einen Locken-Garantie-Generalservice zu absolvieren. Nachfragen bringt wenig, die Antworten meines Vis-à-vis sind kaum verständlich.
Doch die Krönung steht erst noch bevor, denn nun wird eine altertümliche Trockenhaube hinter den Vorhang geschoben, die einen Adrenalinausstoss auslöst, der meine tiefgefrorenen Hirnzellen sogleich wieder in rege Aktivität versetzt. Verstehen tue ich schon lange nichts mehr, eine Blösse geben will ich mir auch nicht. So lasse ich es denn schweigend geschehen, dass mir diese Salatschüssel über mein Gel-gepflastertes Haupt gestülpt wird. Der ausströmende Dampf raubt mir beinahe den Atem, droht meine Kopfhaut zu versengen. Diskret rutsche ich im Sessel eine Spur nach unten. Der Haar-Künstler schiebt ebenso diskret das Gebläse nach. Man offeriert mir stark gesüssten Tee im gläsernen Tässchen. Ein Blick in den Spiegel lässt mich erstarren: mit weiss getünchtem Gesicht, um Jahre gealtert, könnte ich in jedem Gruselfilm locker die Hauptrolle übernehmen. In einer unbewachten Minute greife ich heimlich nach meinem Handy und knipse einige Bilder. Ein auto-dokumentarisches Harakiri, das wohl mit einer völlig aus dem Häusschen geratenen Hirnaktivität erklärt werden muss.
Schliesslich spült mir der innovative Friseur sämtliche Pasten aus Haar und Gesicht. Das Wasser ist zwar nicht viel wärmer als das Geschmiere, doch nach der atemraubenden Dampfhaube schätze ich die Abkühlung ausserordentlich. Nach einer Stunde verlasse ich den Laden wieder aufrechten Schrittes. Meine Hirnzellen sind intakt und ich muss nicht künstlich beatmet werden. Zeugnis meiner nach wie vor robusten Konstitution.
Ausserdem war der Haarschnitt günstig und darf als gelungen bezeichnet werden. Und das ist es doch, was letztlich zählt.
Friday, March 12, 2010
Der Wind, das himmlische Kind
Manager pflegen Entscheide mitunter spontan zu fällen, auch wenn sie sich dabei auf allerlei Statistiken und Marktanalysen berufen. Dies ist in der Airlinebranche nicht anders – im Gegenteil; das unberechenbare und dynamische Umfeld verlangt Flexibilität und rasche Richtungswechsel, von deren Konsequenzen oftmals selbst jene, die dafür verantwortlich zeichnen, überrumpelt werden.
Der anstehende Wechsel vom Winter- auf den Sommerflugplan hält wie jedes Jahr einige Überraschungen parat; unter anderem verzögert sich die auf Ende März geplante Umstellung der Kathmandu-Flüge vom A330 auf den A320. Wie bereits früher erwähnt, hat lediglich eine reduzierte Anzahl von Piloten die Berechtigung, die Hauptstadt Nepals anzufliegen. Die Planung versucht den Schaden möglichst klein zu halten und beschliesst, die Lücken mit Kapitänen zu schliessen, die in Bürofunktionen beschäftigt sind. Dass solches Hickhack Löcher in anderen Bereichen zur Folge hat, scheint in dieser Phase nur wenige zu interessieren. So komme ich denn zu drei Kathmandu-Einsätzen innerhalb der ersten beiden März-Wochen. Und von ursprünglich zehn geplanten Bürotagen bleiben letztlich mickrige sechs. Dabei gäbe es so Vieles zu erledigen. Meine Proteste verhallen, ähnlich wie der tägliche Ruf des Muezzin, in der Weite des Wüstensandes.
Im Steigflug über "The Palm" Dubai
In diesen Tagen erstreckt sich ein langgezogener und markanter „Subtropen-Jetstream“ vom südlichen Golf über Indien bis nach China. Weniger kräftig als die Windbänder an der Polarfront, zeichnen sich subtropische Ausläufer über eine grössere Beständigkeit in Position und Intensität aus. Auch sie entwickeln sich in den Grenzbereichen von kalten und warmen Luftmassen und können im Winter Geschwindigkeiten bis zu 400km/h entwickeln.
Entstehungsweise der "Jetstreams"
Selbstverständlich versuchen wir, auf dem Hinflug die Route wie auch die Flughöhe möglichst nahe ans Zentrum des „Jets“ zu rücken. Das gelingt unserem Flugplaner nicht schlecht. Für die insgesamt 3300 Kilometer nach Kathmandu benötigen wir lediglich drei Stunden und zehn Minuten. Eine Rekordzeit, ob der die Kabinenbesatzung geradezu ins Schwitzen gerät. Die ausgeprägten Westwinde verfolgen uns bis zum Endanflug, wo wir, aufgrund der topografischen Begebenheiten, von einigen Böen durchgerüttelt werden.
Hinflugroute in roter Farbe, Jetstreams in Gelb
Beim Rückflug ändern sich die Vorzeichen; der Freund wird zum Feind und zwingt uns, mit ausgeklügelter Strategie, die Flugzeit zu minimieren. Unser Flugplan schlägt vor, nach dem Start auf 36000 Fuss zu steigen, später gar noch 2000 Fuss höher. Uns scheint dies, aufgrund der beim Hinflug beobachteten Windstärke, wenig sinnvoll. Zwar tun wir anfänglich so, wie geheissen, doch müssen wir feststellen, dass uns der Wind auf "Flight Level 360" mit einer Stärke von 125 Knoten ins Gesicht bläst. Nach kurzer Diskussion erfragt der Copi bei „Varanasi Control“ eine Bewilligung, um wieder abzusinken. Der Flugverkehrsbeamte scheint verwirrt, doch er lässt uns gewähren. Und siehe da; Auf der tieferen Höhe verbessert sich unsere „Ground Speed“ (Geschwindigkeit über Grund) um satte 50 Knoten. Akribisch vergleichen wir den aktuellen Brennstoffverbrauch mit den ursprünglich gerechneten Zahlen. Wir liegen gut, der gemessene Verbrauch scheint unseren Entscheid zu rechtfertigen! Zudem gewinnen wir Zeit. Zwei Stunden später, als sich unsere Route etwas vom Zentrum des Höhenwindes separiert, steigen wir einen Stock höher, wo wir in finsterer Nacht die zweite Hälfte unseres Heimflugs erdulden. Arbeitsbeginn war 12.30 Uhr, die Landung erfolgt schliesslich kurz nach Mitternacht. Nach einer Flugzeit von vier Stunden und 50 Minuten. Die anfänglich tiefere Reiseflughöhe hat den Rückflug um 25 Minuten verkürzt. Kerosen haben wir ebenfalls gespart. Und auch wenn uns die Geschäftsleitung keinen Fils zurückvergütet, bleibt uns zumindest die Freude darüber, dem Wind, dem himmlischen Kind, ein irdisches Schnippchen geschlagen zu haben.
Der anstehende Wechsel vom Winter- auf den Sommerflugplan hält wie jedes Jahr einige Überraschungen parat; unter anderem verzögert sich die auf Ende März geplante Umstellung der Kathmandu-Flüge vom A330 auf den A320. Wie bereits früher erwähnt, hat lediglich eine reduzierte Anzahl von Piloten die Berechtigung, die Hauptstadt Nepals anzufliegen. Die Planung versucht den Schaden möglichst klein zu halten und beschliesst, die Lücken mit Kapitänen zu schliessen, die in Bürofunktionen beschäftigt sind. Dass solches Hickhack Löcher in anderen Bereichen zur Folge hat, scheint in dieser Phase nur wenige zu interessieren. So komme ich denn zu drei Kathmandu-Einsätzen innerhalb der ersten beiden März-Wochen. Und von ursprünglich zehn geplanten Bürotagen bleiben letztlich mickrige sechs. Dabei gäbe es so Vieles zu erledigen. Meine Proteste verhallen, ähnlich wie der tägliche Ruf des Muezzin, in der Weite des Wüstensandes.
Im Steigflug über "The Palm" Dubai
In diesen Tagen erstreckt sich ein langgezogener und markanter „Subtropen-Jetstream“ vom südlichen Golf über Indien bis nach China. Weniger kräftig als die Windbänder an der Polarfront, zeichnen sich subtropische Ausläufer über eine grössere Beständigkeit in Position und Intensität aus. Auch sie entwickeln sich in den Grenzbereichen von kalten und warmen Luftmassen und können im Winter Geschwindigkeiten bis zu 400km/h entwickeln.
Entstehungsweise der "Jetstreams"
Selbstverständlich versuchen wir, auf dem Hinflug die Route wie auch die Flughöhe möglichst nahe ans Zentrum des „Jets“ zu rücken. Das gelingt unserem Flugplaner nicht schlecht. Für die insgesamt 3300 Kilometer nach Kathmandu benötigen wir lediglich drei Stunden und zehn Minuten. Eine Rekordzeit, ob der die Kabinenbesatzung geradezu ins Schwitzen gerät. Die ausgeprägten Westwinde verfolgen uns bis zum Endanflug, wo wir, aufgrund der topografischen Begebenheiten, von einigen Böen durchgerüttelt werden.
Hinflugroute in roter Farbe, Jetstreams in Gelb
Beim Rückflug ändern sich die Vorzeichen; der Freund wird zum Feind und zwingt uns, mit ausgeklügelter Strategie, die Flugzeit zu minimieren. Unser Flugplan schlägt vor, nach dem Start auf 36000 Fuss zu steigen, später gar noch 2000 Fuss höher. Uns scheint dies, aufgrund der beim Hinflug beobachteten Windstärke, wenig sinnvoll. Zwar tun wir anfänglich so, wie geheissen, doch müssen wir feststellen, dass uns der Wind auf "Flight Level 360" mit einer Stärke von 125 Knoten ins Gesicht bläst. Nach kurzer Diskussion erfragt der Copi bei „Varanasi Control“ eine Bewilligung, um wieder abzusinken. Der Flugverkehrsbeamte scheint verwirrt, doch er lässt uns gewähren. Und siehe da; Auf der tieferen Höhe verbessert sich unsere „Ground Speed“ (Geschwindigkeit über Grund) um satte 50 Knoten. Akribisch vergleichen wir den aktuellen Brennstoffverbrauch mit den ursprünglich gerechneten Zahlen. Wir liegen gut, der gemessene Verbrauch scheint unseren Entscheid zu rechtfertigen! Zudem gewinnen wir Zeit. Zwei Stunden später, als sich unsere Route etwas vom Zentrum des Höhenwindes separiert, steigen wir einen Stock höher, wo wir in finsterer Nacht die zweite Hälfte unseres Heimflugs erdulden. Arbeitsbeginn war 12.30 Uhr, die Landung erfolgt schliesslich kurz nach Mitternacht. Nach einer Flugzeit von vier Stunden und 50 Minuten. Die anfänglich tiefere Reiseflughöhe hat den Rückflug um 25 Minuten verkürzt. Kerosen haben wir ebenfalls gespart. Und auch wenn uns die Geschäftsleitung keinen Fils zurückvergütet, bleibt uns zumindest die Freude darüber, dem Wind, dem himmlischen Kind, ein irdisches Schnippchen geschlagen zu haben.
Monday, March 08, 2010
Lebenskreise
Die Lembachs gehören zu unseren Abu Dhabi-Freunden der ersten Stunde. Ursprünglich für ein Jahr nur angereist, sind mittlerweile deren vier daraus geworden. Erste Berührungspunkte bietet im Sommer 2006 die Deutsche Schule. Zwei ihrer drei Kinder teilen nicht nur das Klassenzimmer mit Nina und Tim, sondern auch die Freuden und Leiden mittelöstlicher Lernkultur. Den elterlichen Diskussionsrunden fällt die eine oder andere Weinflasche und Bierbüchse zum Opfer. Manchmal vergreifen wir uns auch am Ramazzotti (der Flasche, nicht dem Sänger...). Angehäufte Pfunde werden auf dem Tennisplatz wieder abgerackert. Das heisst, rackern tue ich, Peter verteilt lediglich die Bälle.
Wir alle haben im Laufe der Expat-Zeit gelernt, wiederholt Abschied zu nehmen. Von Menschen, mit denen wir ein Stück weit unser Schicksal geteilt haben, mit denen wir über imaginäre Dünen gewandert, und nicht selten dabei im lockeren Sand stecken geblieben sind.
Von der frankophonen Dichtung wissen wir, dass weggehen immer auch ein bisschen sterben bedeutet. Und wer nur „ein bisschen“ stirbt, darf weiterhin irdische Freuden geniessen und aus der Ferne sein Schicksal mit uns teilen.
Doch nicht allen bleiben diese Optionen. Das vergangene Jahr hat uns in Erinnerung gerufen, dass weggehen endgültig sein, und der Mensch auch mehr als nur „ein bisschen“ sterben kann.
Beinahe zur gleichen Zeit wie unser Nachbar von seinem Hirntumor erfährt, wird ein deutscher Arbeitskollege, der mit Peter an der gleichen Klinik arbeitet, mit einer Krebskrankheit konfrontiert. Bei der für die Verlängerung des UAE-Visums erforderlichen Lungen-Röntgenaufnahme entdecken die Ärzte verdächtige Schatten. Weitere Abklärungen bringen nicht die erhoffte Entwarnung. Im Gegenteil. Der Herzchirurg wird unerwartet und unvermittelt selbst zum Patienten.
Die Tragik beider Familienväter bringt uns in Grübeln. An vorderster Front erleben wir ein ständiges Auf und Ab. Ein Bangen und Hoffen zwischen der manchmal irrealen Expat-Welt des Mittleren Ostens und der Hightech-Medizin des europäischen Mutterlandes. Nach ersten Behandlungen kehren beide Kollegen an ihren Arbeitsplatz zurück; der eine in den Operationssaal, der andere muss den Cockpitsessel mit dem Bürostuhl tauschen.
Es ist der beeindruckende Versuch, in die Normalität zu finden, das Unheilvolle zu vergessen. Wir alle hoffen mit, und klammern uns einen Herbst an den dünnsten aller Strohhalme.
Dann kommt der Winter – und mit ihm die Realität.
Unser Nachbar stirbt nach einer zweiten Operation in der Schweiz, unmittelbar nach dem Jahreswechsel, der Freund der Lembachs in den letzten Tagen des Februars. Zurück bleiben Ehefrauen mit kleinen Kindern. Freunde, Verwandte Arbeitskollegen.
Die zeitlichen und schicksalshaften Parallelen stimmen nachdenklich. Der Begriff Abschied erscheint in einem neuen Licht. Schroff, bestimmt, endgültig.
Wir alle haben im Laufe der Expat-Zeit gelernt, wiederholt Abschied zu nehmen. Von Menschen, mit denen wir ein Stück weit unser Schicksal geteilt haben, mit denen wir über imaginäre Dünen gewandert, und nicht selten dabei im lockeren Sand stecken geblieben sind.
Von der frankophonen Dichtung wissen wir, dass weggehen immer auch ein bisschen sterben bedeutet. Und wer nur „ein bisschen“ stirbt, darf weiterhin irdische Freuden geniessen und aus der Ferne sein Schicksal mit uns teilen.
Doch nicht allen bleiben diese Optionen. Das vergangene Jahr hat uns in Erinnerung gerufen, dass weggehen endgültig sein, und der Mensch auch mehr als nur „ein bisschen“ sterben kann.
Beinahe zur gleichen Zeit wie unser Nachbar von seinem Hirntumor erfährt, wird ein deutscher Arbeitskollege, der mit Peter an der gleichen Klinik arbeitet, mit einer Krebskrankheit konfrontiert. Bei der für die Verlängerung des UAE-Visums erforderlichen Lungen-Röntgenaufnahme entdecken die Ärzte verdächtige Schatten. Weitere Abklärungen bringen nicht die erhoffte Entwarnung. Im Gegenteil. Der Herzchirurg wird unerwartet und unvermittelt selbst zum Patienten.
Die Tragik beider Familienväter bringt uns in Grübeln. An vorderster Front erleben wir ein ständiges Auf und Ab. Ein Bangen und Hoffen zwischen der manchmal irrealen Expat-Welt des Mittleren Ostens und der Hightech-Medizin des europäischen Mutterlandes. Nach ersten Behandlungen kehren beide Kollegen an ihren Arbeitsplatz zurück; der eine in den Operationssaal, der andere muss den Cockpitsessel mit dem Bürostuhl tauschen.
Es ist der beeindruckende Versuch, in die Normalität zu finden, das Unheilvolle zu vergessen. Wir alle hoffen mit, und klammern uns einen Herbst an den dünnsten aller Strohhalme.
Dann kommt der Winter – und mit ihm die Realität.
Unser Nachbar stirbt nach einer zweiten Operation in der Schweiz, unmittelbar nach dem Jahreswechsel, der Freund der Lembachs in den letzten Tagen des Februars. Zurück bleiben Ehefrauen mit kleinen Kindern. Freunde, Verwandte Arbeitskollegen.
Die zeitlichen und schicksalshaften Parallelen stimmen nachdenklich. Der Begriff Abschied erscheint in einem neuen Licht. Schroff, bestimmt, endgültig.
Tuesday, March 02, 2010
Chicago
Die Stimmung ist ausgelassen. Die Gläser voll. Der Steward mit Wurzeln in Vietnam und Thailand plappert ebenso angeregt wie die Hostessen aus Sydney, Washington und Camagüey (na, wo liegt das denn schon wieder...?). Der Copi aus Wellington langt genauso herzhaft zu wie mein Kapitänskollege aus Malaysia. Die Steaks auf unseren Tellern sind „overlapping“, das „Sam Adams“ eisgekühlt und der Wein, dessen Traube nach jener persischen Stadt benannt ist, wo sie der Legende nach von den Teilnehmern der Kreuzzüge entdeckt wurde, schmeichelt unserem Gaumen auch nach 14-stündigem Aufenthalt in trockenster Kabinenluft.
Das Lokal in der Innenstadt Chicagos ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gäste stehen sich an diesem Samstagabend die Füsse platt, frei gewordene Tische werden nach kurzer Reinigungsprozedur sogleich wieder besetzt.
Vor wenigen Stunden noch düsten wir auf 36000 Fuss über dem Nordatlantik. Zusammen mit 249 Passagieren. Der Flug hätte viel länger ausfallen können. Die WindmacherInnen sind uns gnädig gesinnt; statt wie den zu dieser Jahreszeit üblichen schroffen Gegenwinde, zeigt der Flugplan eine durchschnittliche Rückenwindkomponente von zwei Knoten. Bei einer Distanz von rund 11600 Kilometern zahlt sich das aus. Doch kurze Flugzeiten haben ihre Tücken. Denn wer zu früh landet muss damit rechnen, dass kein Standplatz zur Verfügung steht. Zumindest auf stark frequentierten Destinationen wie Chicago. Aus diesem Grund reduzieren wir unsere Geschwindigkeit im Reiseflug. Damit sparen wir zusätzlich teuren Sprit und scheffeln etwas Geld für den Jahresendbonus auf die Seite. Ich weiss, der Scherz ist nicht angebracht, meine Arbeitskollegen mögen mir verzeihen. Boni in der Airlinebranche sind selten geworden, ähnlich wie olympische Goldmedaillen im Schweizer Bobteam.
Noch immer schnitzeln wir an unseren überdimensionierten Steaks herum. Und bevor der letzte Bissen verdrückt ist, bringt ein Heer von weiss berockten Kellnern eine ebenso überdimensionierte Schokoladetorte an unseren Tisch. Dazu schmettern sie einen unverständlichen Geburtstagstoast, mit dem ein jeder General auch die ängstlichsten Krieger seiner Truppe zu Winkelried-Taten beflügelt hätte. Geschmettert wird für Ahmad; Mein Kapitänskollege feiert Geburtstag. Kalendarisch zwar um einen Tag verfrüht, aber morgen fliegen wir bereits wieder zurück, und da lassen weder Zeit noch Alkoholregelung ausgelassenes Festen zu.
Fünf Jahre liegt mein letzter Besuch in der windigen Stadt zurück. Damals noch mit einem Schweizerkreuz auf der Heckflosse. Etihad führt die Metropole am Lake Michigan erst seit wenigen Wochen im Streckennetz. Anders als in New York, wo jede Woche Geschäfte dicht machen und neue Läden ihre Pforten öffnen, zeigt sich Chicago ziemlich unverändert. Einzig meine bevorzugte Starbucks-Filiale an der Michigan-Avenue ist verschwunden. Dafür gibt’s auf der gegenüberliegenden Strassenseite Ersatz. Der Sonntagmorgen ist gerettet.
Nach dem Nachtessen, für das Ahmad selbstlos aufkommt, möchte die kubanische Kollegin das Salsa-Tanzbein schwingen, was uns, in Anbetracht der verschlungenen Kalorie-Einheiten, auf jeden Fall gut getan hätte. Es erweist sich jedoch als schwierig, ein geeignetes Lokal zu finden. So macht sich die kleine Gruppe auf, das 344 Meter hohe John Hancock Center zu erklimmen. Ohne Seil und Haken, lediglich mit Hilfe eines Lifts, der jeglicher Alters- und BMI-Stufe den Zugang zur eindrücklichen Fernsicht über die Dächer Chicagos ermöglicht. Dabei befinden sich die Damen leicht im Vorteil, besonders beim Toilettengang. Die Aussicht soll besonders reizvoll sein. Welch ätzend sexistische Ungerechtigkeit!
Das Lokal in der Innenstadt Chicagos ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gäste stehen sich an diesem Samstagabend die Füsse platt, frei gewordene Tische werden nach kurzer Reinigungsprozedur sogleich wieder besetzt.
Vor wenigen Stunden noch düsten wir auf 36000 Fuss über dem Nordatlantik. Zusammen mit 249 Passagieren. Der Flug hätte viel länger ausfallen können. Die WindmacherInnen sind uns gnädig gesinnt; statt wie den zu dieser Jahreszeit üblichen schroffen Gegenwinde, zeigt der Flugplan eine durchschnittliche Rückenwindkomponente von zwei Knoten. Bei einer Distanz von rund 11600 Kilometern zahlt sich das aus. Doch kurze Flugzeiten haben ihre Tücken. Denn wer zu früh landet muss damit rechnen, dass kein Standplatz zur Verfügung steht. Zumindest auf stark frequentierten Destinationen wie Chicago. Aus diesem Grund reduzieren wir unsere Geschwindigkeit im Reiseflug. Damit sparen wir zusätzlich teuren Sprit und scheffeln etwas Geld für den Jahresendbonus auf die Seite. Ich weiss, der Scherz ist nicht angebracht, meine Arbeitskollegen mögen mir verzeihen. Boni in der Airlinebranche sind selten geworden, ähnlich wie olympische Goldmedaillen im Schweizer Bobteam.
Noch immer schnitzeln wir an unseren überdimensionierten Steaks herum. Und bevor der letzte Bissen verdrückt ist, bringt ein Heer von weiss berockten Kellnern eine ebenso überdimensionierte Schokoladetorte an unseren Tisch. Dazu schmettern sie einen unverständlichen Geburtstagstoast, mit dem ein jeder General auch die ängstlichsten Krieger seiner Truppe zu Winkelried-Taten beflügelt hätte. Geschmettert wird für Ahmad; Mein Kapitänskollege feiert Geburtstag. Kalendarisch zwar um einen Tag verfrüht, aber morgen fliegen wir bereits wieder zurück, und da lassen weder Zeit noch Alkoholregelung ausgelassenes Festen zu.
Fünf Jahre liegt mein letzter Besuch in der windigen Stadt zurück. Damals noch mit einem Schweizerkreuz auf der Heckflosse. Etihad führt die Metropole am Lake Michigan erst seit wenigen Wochen im Streckennetz. Anders als in New York, wo jede Woche Geschäfte dicht machen und neue Läden ihre Pforten öffnen, zeigt sich Chicago ziemlich unverändert. Einzig meine bevorzugte Starbucks-Filiale an der Michigan-Avenue ist verschwunden. Dafür gibt’s auf der gegenüberliegenden Strassenseite Ersatz. Der Sonntagmorgen ist gerettet.
Nach dem Nachtessen, für das Ahmad selbstlos aufkommt, möchte die kubanische Kollegin das Salsa-Tanzbein schwingen, was uns, in Anbetracht der verschlungenen Kalorie-Einheiten, auf jeden Fall gut getan hätte. Es erweist sich jedoch als schwierig, ein geeignetes Lokal zu finden. So macht sich die kleine Gruppe auf, das 344 Meter hohe John Hancock Center zu erklimmen. Ohne Seil und Haken, lediglich mit Hilfe eines Lifts, der jeglicher Alters- und BMI-Stufe den Zugang zur eindrücklichen Fernsicht über die Dächer Chicagos ermöglicht. Dabei befinden sich die Damen leicht im Vorteil, besonders beim Toilettengang. Die Aussicht soll besonders reizvoll sein. Welch ätzend sexistische Ungerechtigkeit!
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