Monday, January 25, 2010

V1-Rotate!












Der Start mit einem gut beladenen A340-600 ist immer wieder eindrücklich. Auch für mich. Die Maschine wirkt träge, will ihre 372 Tonnen nach dem Anschieben der Triebwerke kaum in Bewegung setzen. Ich bin versucht, mit der Peitsche zu knallen. Wie ein Dompteur, dessen voll gefressene Truppe den Dienst verweigert. Der Airbus verweigert nicht, lässt sich jedoch Zeit. Irgendwann, zwischen 80 und 100 Knoten, kommt das Ding spürbar in Fahrt. Die Entscheidungsgeschwindigkeit V1 liegt bei 148 Knoten (274 km/h). Jetzt kann und darf der Start nicht mehr abgebrochen werden. Auch nicht beim Auftreten einer technischen Störung. Deshalb nehme ich bewusst die rechte Hand von den Leistungshebeln. Das Verfahren verlangt dies so, um allfälligen Reflexen vorzubeugen. Die Maschine beschleunigt weiter, mit unbändiger Kraft peitschen uns die vier Rolls Royce Triebwerke über die 4100 Meter lange Startbahn. 167 Knoten (309 km/h) – die Computerstimme meldet „Rotate“, der Copi gibt den ersten Input am Sidestick. Vorsichtig, denn es gilt zu vermeiden, dass die Heckpartie des 76 Meter langen Rumpfes den Boden touchiert. Im ungünstigsten Fall geschieht dies bereits bei einem Anstellwinkel zwischen acht und neun Grad. Doch aufgepasst; rotiert der Pilot zu langsam, kostet dies wertvolle Pistenlänge. Das Ende der Startbahn rückt plötzlich unangenehm nah. Besonders bei vierstrahligen Jets. Die Vorschriften für die Performance-Berechnungen beim Start sind komplex, unter anderem muss im Fall eines Triebwerkverlusts bei V1 innerhalb der verbleibenden Pistendistanz eine Beschleunigung auf die minimale Steigfluggeschwindigkeit V2 möglich sein. Mehr noch, das Flugzeug muss dabei mindestens eine Höhe von 35 Fuss (10 Meter) erreichen. Im Falle einer nassen Piste reduziert sich dieser Wert gar auf lediglich 15 Fuss! Ein zweistrahliges Flugzeug verliert mit einem Triebwerk die Hälfte des Gesamtschubs, eine Maschine mit vier Aggregaten lediglich einen Viertel, beschleunigt mit dem vorhandenen Restschub also besser, was letztlich wiederum die dafür benötigte Distanz verkürzt und die "kritische Schwelle" näher ans Pistenende schiebt.

Auch wir können das Pistenende gut erkennen, als sich das Hauptfahrwerk endlich vom Boden löst. Mit einer selbstverständlichen Schwerfälligkeit, als wollte uns das Flugzeug augenzwinkernd zuraunen: „Schon gut, schon gut, bin wohl etwas fett aber die Luft ist mein Element, don’t worry!“ (Beim Airbus wohl eher „N’inquiétez pas!“...)
Langsam erklimmen 140 Tonnen Kerosen, vierzehn Tonnen Fracht, 253 Passagiere und 17 Besatzungsmitglieder Höhe, steigen Fuss um Fuss. Vor uns liegen 14.20 Stunden Flug über Land und über Wasser. Wir werden Wolkendecken durchstossen und Turbulenzen „erleiden“, Checklistenpunkte abarbeiten, mindestens 20 „Fuel-Checks“ durchführen und mehrere Liter Wasser und Kaffee trinken. Bei der Landung in New York werden wir 127 Tonnen Sprit verbrannt haben, über brennende Augen, eine trockene Kehle und einen Blähbauch klagen. Bei allen drei Leiden ist Abhilfe möglich; der Preis dafür variiert, die Umweltverträglichkeit ebenso...

3 comments:

cbs said...

wie immer toll geschrieben !!! mehr fällt mir dazu nicht ein..

Dide said...

@cbs: Vielen Dank! We got a lift-off...

giuliano said...

Wusste nicht, dass Du eine Computerstimme hast