Die Nacht ist einmal mehr lang und verdammt dunkel. Zwar leuchten über uns die Sterne um die Wette, doch der Körper ist auf Schlaf eingestellt. Die Augen brennen und jede Sitzposition wird bereits nach wenigen Sekunden zur Qual. Während langer Zeit hat uns „Swiss 243“ begleitet. Aus einem spontanen Aufruf auf dem zweiten Funkset ergibt sich eine kurze Plauderei mit alten Bekannten. Ob wir denn unser Haus im Zürcher Unterland noch immer besässen, erkundigt sich der Kollege, der 2000 Fuss oder 600 Meter über uns dahindüst. Und wie’s den Kindern gefalle... Später überfliegen wir das hell erleuchtete Baghdad, und grausamerweise muss ich mir eingestehen, dass ich die Stadt nach Feuern oder Explosionen absuche.
Das Jahr hat sowieso ruppig begonnen. Nur wenige Kilometer von unserer Ferienwohnung im Diemtigtal entfernt, donnern in den ersten Januartagen die Schneemassen ins Tal und fordern sieben Menschenleben. Zwei Tage knattern die Helikopter unentwegt über unsere behelmten Köpfe. Beinahe gleichzeitig erreicht uns die Nachricht, dass unser Nachbar in Abu Dhabi, mein Berufskollege, an den Folgen seines Hirntumors gestorben ist. Trotz ungünstigem Krankheitsverlauf überraschend schnell. Die Vergänglichkeit in neuen Dimensionen. Sofern sie denn überhaupt irgendwelche hat.
Mittlerweile befinden wir uns bereits im Sinkflug. Hinter unserem Rücken dösen 290 zufriedene Passagiere. Zufrieden, nicht nur, weil wir vor der geplanten Ankunftszeit in London landen werden, sondern auch weil sie das Privileg geniessen, im neuesten A340-600 der Etihad zu reisen. Mit einem jungfräulich anmutenden Innenleben. Ausserdem ist diese Maschine mit der brandneuen und edlen Erstklass-Variante ausgestattet. Dunkle Holzimitation, abtrennbare "Séparées" und eine in schwarz gehaltene Toilette, die in ihrer Grosszügigkeit an ein Hotel der Luxusklasse erinnert. Auch der Omanische Scheich und seine Frau zeigen sich zufrieden ob derartiger „Noblesse“.
Die Anflugkontrolle schickt uns vorerst in eine Warteschlaufe über Lambourne. Es ist erst sechs Uhr in der Früh, die morgendlichen Nebelschleier dämpfen die Lichter der Themse-Stadt wie moderne Potentiometer die Deckenspots in schicken Wohnzimmern. Die „Runway Visual Range“ (RVR) der Piste 27R wird mit 500 Metern angegeben. Die Wolkendecke soll auf 100 Fuss oder 30 Metern über der Bodenoberfläche liegen. Wie so oft stellt sich für die Piloten die Frage, welches Anflugverfahren, mit welchem Anflugminimum denn nun am sinnvollsten sei. Dabei gilt es nicht nur die herrschenden Wetterbedingungen zu berücksichtigen, sondern auch den technischen Zustand der Anflughilfen und des Fluggeräts. Eventualitäten werden versucht abzudecken, beispielsweise ein möglicher Ausfall einer wichtigen Flugzeugkomponente. Denn ein Systemausfall unter 1000 Fuss verlangt bei einem „Autoland Approach“ (Anflug mit automatischer Landung) in der Regel nach einem Durchstart. Mit wenigen Ausnahmen, welche für die Piloten auf detaillierten, nicht immer sehr übersichtlichen, Tabellen zusammengetragen sind.
Transmissometer zur Messung der RVR
Wir planen ein „Autoland“ mit einer Entscheidungshöhe (Minimum) von 50 Fuss (15 Meter). Dazu benötigen wir eine minimale Sicht von 200 Metern, die in diesem Fall gegeben ist. Während uns die Anflugkontrolle aus der Warteschlaufe ordert, steigt die RVR gar auf 900 Meter. Entwarnung, denn bei dieser Sicht dürfen wir auch von Hand landen. Einzig die tiefe Wolkendecke macht mich stutzig. London erklärt die „Low visibility procedures“ ab sofort für beendet und fädelt uns, lediglich fünf Nautische Meilen hinter der vorderen Maschine, auf der „ILS“ (Instrument Landing System) ein. Damit sind die entsprechenden Sicherheitsabstände von Vehikeln zu Pisten und Sendeanlagen für automatische Landungen nicht mehr gewährleistet, und es besteht ein erhöhtes Risiko, dass Störsignale die Kurs- und Gleitwegsignale irritieren. Wir fahren trotzdem wie geplant weiter. Ich bin bereit, den Autopiloten jederzeit, auch während der heiklen Landephase, auszuschalten und das Manöver manuell zu Ende zu führen. Bei 800 Fuss tauchen wir in ein, in seinen Dimensionen undefinierbares, Nebelmeer. Der 260 Tonnen schwere A346 ist zur Landung konfiguriert, die Anfluggeschwindigkeit liegt bei 159 Knoten. Der Nebel vor unseren Augen erhellt sich, ich suche nach Anfluglichtern, während die Augen des Copiloten ausschliesslich die Abläufe der beiden Autopiloten überwachen. Auf 300 Fuss hat uns der Towerbeamte noch keine Landebewilligung erteilt, und Lichter kann ich auch noch keine ausmachen. Eine sehr spät erteilte "Landing Clearance" ist in Heathrow zwar an der Tagesordnung, in diesem Fall aber speziell ungemütlich. Endlich schimmern weisslich-gelbe Lichter der Anflugbefeuerung durch, beinahe gleichzeitig erkenne ich die grell wirkende Pistenbeleuchtung. Das Bild bleibt verschwommen, das Ende der Piste verschlucken einzelne Nebelfetzen. Der Copi bestätigt den Abflachvorgang, die Flugzeugnase hebt sich leicht, die Räder berühren sanft die Piste. Schubumkehr, das automatische Bremssystem beginnt beinahe gleichzeitig, die Geschwindigkeit abzubauen. Wenig später schalte ich den Autopiloten aus und rolle von der Piste. „Follow the greens“ weist uns „Heathrow Ground Control“ an. Kein anderer Flugplatz auf dieser Welt, den ich kenne, verfügt über ein vergleichbares System: Von Geisterhand für jede Maschine individuell gesteuert, leitet uns die grüne Rollwegbeleuchtung durch die Irrungen und Baustellen dieses vewirrenden Flughafens zum Standplatz.
Der Copi und ich sind uns einig: Eine konventionelle Landung wäre unter den gegebenen Wetterbedingungen sehr schwierig geworden, denn die wandernden Nebelschwaden haben die Ausgangslage ständig verändert. In solchen Fällen sind die Wettermeldungen nur bedingt hilfreich, da sie bei der Publikation bereits an Aktualität verloren haben. Das ist besonders bei Nebellagen keine Seltenheit, und es gilt einmal mehr: „Expect the unexpected!" Auch in London Heathrow
Monday, January 18, 2010
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