Sunday, March 15, 2009

Kathmandu

Einfädeln über dem Cheung Chau-VOR, dann bringen uns zwei Rechtskurven auf die Achse des „IGS 13 Approach“. Landekonfiguration erstellen, absinken und mit einem Auge nach dem „Checkerboard“ spähen. Die Flugzeugnase zeigt sauber auf die rot-weiss karierte Markierung am Hang. Unten rechts die Sportanlage, jetzt den finalen „Right turn“ knapp über den Dächern der Stadt einleiten. Die rechte Flügelspitze scheint die Dächer zu kratzen, der Copi wirft einen kurzen Blick in diverse chinesische Familienstuben und Suppentöpfe. Die beiden Flight Attendants auf den „Jumpseats“ hinter unserem Rücken verfolgen das Geschehen mit grossem Staunen. Volle Konzentration, auf keinen Fall überdrehen. Der kurze Endanflug lässt wenig Zeit für Korrekturen. Vor uns die Piste, auf zwei Seiten umgeben von Wasser. Aufsetzen, Schubumkehr, Bremsen. Beim Zurückrollen weicht die Spannung einem Hochgefühl.
Der „IGS-Approach“ auf den legendären „Kai Tak“-Airport in Hong Kong hatte es in sich. Bis zu dessen Schliessung im Jahre 1998 eine der letzten echten Herausforderungen des modernen Aviators.

Einführung in drei Stufen
Heute werden Piloten und ihre Besatzungen vorwiegend durch stockende Verkehrsflüsse und vorlaute Passagiere mit aggressiven Tendenzen gefordert. So ändern sich eben die Zeiten. Es sei denn, man erhalte die Chance, nach Kathmandu zu fliegen; der nepalesischen Hauptstadt auf 1300 m Höhe, in einem Tal-Kessel von etwa 30 km Durchmesser gelegen, mit umliegenden Bergen in Höhen zwischen 2000 und 2700 m. Nicht ganz unproblematisch, und deshalb nachvollziehbar, dass Etihad-Piloten vor ihrer Zulassung nach Nepal eine entsprechende Sonderabreibung erhalten.
Wer vom Chefpilot ausgewählt wird, marschiert zuerst für vier Stunden in den Simulator, wo die einzige Anflug-, sowie alle Abflugvarianten durchgespielt werden. Mit und ohne Triebwerksausfall. Dergestalt getrimmt, geht’s in die Luft. Kapitäne müssen vorerst allerding auf dem dritten Cockpitsitz Platz nehmen. Als „Observer“ blicken sie zwei Kollegen über die Schulter. Copiloten erhalten ihren Einführungsflug direkt auf dem rechten Sitz. Überwacht von einem Instruktor. Ihnen ist es letztlich auch nicht erlaubt, in Kathmandu zu landen oder zu starten. Gemäss Etihad-Verfahren ist dies allein dem Captain vorbehalten. Dieser schliesst denn seine „Kathmandu-Ausbildung“ mit einem „Line Check“ ab, bei dem er zum ersten Mal Anflug, Landung und Start durchführen darf.

Strenge Vorschriften
Kathmandu-Flüge haben eigene Gesetze, was aber nicht heisst, dass die sonst gültigen Verfahren und Vorschriften hinfällig würden. Auch nach dem Check-Out gelten besondere Regelungen: Nach einem Unterbruch von mehr als 90 Tagen ohne Landung im nepalesischen Hochland, bedarf es einer weiteren Einführung mit einem Instruktor, ausserdem müssen Kathmandu-Piloten alle zwölf Monate ein Simulatortraining absolvieren. Überdies muss für jeden Start ein Ausweichplatz bestimmt werden. Denn eine Rückkehr nach Kathmandu im Falle eines Triebwerkausfalls soll nach Möglichkeit vermieden werden.
So gesehen, ist Kathmandu also eines der letzten aviatischen Abenteuer unserer Zeit. Das topografisch erschwerte „Eintauchen“ in den Talkessel, verbunden mit dem steilen Anflug, verlangt eine disziplinierte Vorgehensweise. Während Verkehrsflugzeuge normalerweise mit einem Anflugwinkel von 3 Grad die Landepiste anpeilen, tun sie dies in Kathmandu zeitweise mit 5,8 Grad. Dabei müssen die sonst üblichen Verfahren entsprechend angepasst werden. Die Rollen im Cockpit sind strikte zugeordnet: Der Captain steuert die Maschine, während der First Officer assistiert, und dabei – ähnlich wie bei einer Auto-Rallye – immer den nächsten Schritt ankündigt. Der Endanflug beginnt beim Punkt Nopen (siehe Anflugprofil) auf 11500 Fuss. Sollte hier ein technisches Problem auftreten, muss der Anflug abgebrochen und durchgestartet werden. Es sei denn, die Piste wäre bereits sichtbar. Das Tal ist eng, ähnlich wie der pilotische Spielraum: Allfällige Gewitterzellen können nicht mehr umflogen werden.













Anflugprofil

VOR-Approach Runway02
Wir sind um 1010 Uhr Lokalzeit in Abu Dhabi gestartet. Der Tag ist mit einem Hin- und Rückflug von je dreieinhalb bis viereinhalb Stunden lang und anstrengend. Das erste Teilstück führt uns über den Arabischen Golf, Karachi und das indische Ahmedabad. Dann drehen wir Richtung Norden. Wir überfliegen Lucknow, die Hauptstadt des Bundesstaates Uttar Pradesh. Kurz vor dem Sinkflug verlangt „Varanasi Control“, dass wir zwecks Koordination auf dem zweiten Funkset Allahabad aufrufen. Das erweist sich insofern als unangenehm, als dass die Frequenz dauernd belegt ist. Auf der anderen Seite bittet uns Kathmandu, die Geschwindigkeit möglichst hoch zu halten. Denn wir sind die Nummer eins, vor Maschinen der Biman Airlines und der Qatar Airways.
Während meines Observerfluges konnte ich das Gelände nicht wahrnehmen. Der Anflug erfolgte bei Dunkelheit. Jetzt ist es hell, und die aufgelockerte Bewölkung gibt die Sicht auf die unter uns liegenden Bergkuppen frei. Der eindrückliche Blick aus dem Cockpit lässt mich für einen Sekundenbruchteil vergessen, dass ich im Begriff bin, einen Anflug mit einem Airbus A330 einzuleiten. Ich wähne mich vielmehr an einem Alpenrundflug, so nahe scheinen die Kreten. Doch schon nimmt mich wieder das Handling des Autopiloten in Anspruch. 30 Meilen vor der Piste fahren wir die Flaps auf die erste Stufe aus. Jeder Schritt, jede Konfigurationsänderung ist akribisch vorgegeben. Der Instruktor auf dem rechten Sitz kündigt an, dass wir demnächst weiter absinken: „At 13DME descend to 9500!“. Ich tue wie mir befohlen, drehe die entsprechende Zahl ins Höhen-Anzeigefenster und überprüfe den Wert im „Primary Flight Display“, dem Bildschirm mit dem künstlichen Horizont sowie Höhen- und Geschwindigkeitsangaben. Eine elektronische Gleitweganzeige ist keine vorhanden. Beim publizierten "VOR-Approach" handelt es sich um einen "Non Precision Approach" mit einem entsprechend höheren Anflugminimum.
Zehn Meilen vor der Piste erhöhe ich gemäss Vorgabe den Anflugwinkel auf 5.8 Grad. Obwohl Fahrwerk und Landeklappen voll ausgefahren sind, nimmt die Geschwindigkeit zu und ich bin gezwungen, mit den „Speed Brakes“ zu korrigieren. Der Instruktor liest weiter die entsprechenden Distanz- und Höhenwerte. Aufgrund des herrschenden Rückenwindes sind wir etwas hoch, steiler dürfen wir allerdings nicht absinken. Vier Meilen vor der Piste reduziere ich den Winkel auf 3,5 Grad, Sinkrate und Geschwindigkeit nehmen langsam ab. Noch immer ist der Autopilot eingeschaltet. Ich kann die Piste erkennen, in deren Hintergrund sich steil die Himalaya-Flanken erheben. Jetzt fliege ich manuell. Auf 300 Fuss (90 Meter) über Boden müssen sämtliche Werte stabilisiert sein. Die Landung wird etwas früher eingeleitet, da das Flugzeug auf dieser Höhe etwas verzögert auf Steuerinputs reagiert. Wir setzen auf, aktivieren die Schubumkehr und überprüfen die Funktion des automatischen Bremssystems. Alles im grünen Bereich. Wir verlassen die Piste und rollen zu unserem Standplatz. Als hätte ich einen 8000er bezwungen, beginnt die Anspannung langsam einem Hochgefühl zu weichen. Beinahe wie vor dreizehn Jahren in Kai Tak.
















Position Nopen, 16 Meilen vor der Piste 02















10 Meilen...
















5 Meilen...















Short Final, 2 Meilen vor der Piste

10 comments:

Anonymous said...

GRATULATION!

WOW, vielen Dank für den superinteressanten Artikel!

Als ich - vor bald 20 Jahren (ich bin doch schon alt ;-)) das bisher einzige Mal in KTM - war, wollte ich zwar schon Pilot werden, war mir diesen Besonderheiten aber nicht bewusst ;-)

Happy Flights!

G!

Anonymous said...

Sehr gut geschrieben, klasse! Interessant zu hören, dass auch so ungewöhnliche Anflüge weitgehend per Autopilot gemacht werden.

Zwei Fragen hätte ich zu den Bildern: Sieht man auf dem 10-Meilen-Foto da schon die Landebahn hinter dem Bergrücken vorspitzen oder ist das eine Täuschung? Und was ist auf dem 2-Meilen-Bild links des Feldwegs rosa eingekreist, das VOR?

nff said...

Uff!

Der 5.8° Anflug mit einem A330 (sorry, ich bin immer noch der Meinung, dass ein A330 männlich ist :-)) macht mir grossen Eindruck!

Anonymous said...

Mmh… tatsächlich ein Leckerli, auch wenn ich als Nicht-Aviatiker sicher nur die hälfte richtig Verstanden habe, da bin ich jetzt trotzdem von Zeile zu Zeile am Text kleben geblieben.

Dominic said...

@nff Der Duden meint auch das Airbus männlich ist :)

http://www.duden-suche.de/suche/abstract.php?shortname=fx&artikel_id=3582

Dominic

Dide said...

@G: Gern geschehen! Wahrscheinlich hast du vor 20 Jahren die Fliegerei noch nicht so aktiv mitverfolgt wie heute. Und auch bei einem 5.8 Grad-Approach hängt man als Passagier nicht gerade in den Gurten.

@Jürgen: Wenn man weiss, wo die Piste ist, kann man die Stelle erahnen. Klar erkennen tut man auf dem 10NM-Foto aber nichts. Vergleiche einmal die Hügelkrete mit dem 5NM-Bild. Dann wird es etwas klarer. Was der rosafarbene Kreis bedeutet, kann ich dir nicht mit Sicherheit sagen. Es könnte das VOR sein. Diese Fotos stammen nicht von mir, sondern gehören zu den Einführungsunterlagen meines Arbeitgebers. Wir selber hatten erstens nicht so gutes Wetter und zweitens hätte ich keine Zeit gehabt, Bilder zu schiessen...

@NFF: Der 5.8° Anflug macht auch mir Eindruck. Immer noch! Ich weiss jetzt einfach, dass er fliegbar ist, solange man sich an das vorgegebene Verfahren hält.

@NFF und Dominic: Ich bin auch der Meinung, dass "der" A3XY männlich ist. Und noch sicherer weiss ich, dass es "die" Rallye heisst. Habe unverzüglich nachgebessert...

Gruss

nff said...

... war nicht als Kritik gedacht, sondern als Verteidigung. Seit Jahren kreuze ich mit einem Lektor die Klingen wegen des Geschlechts einer Aluminiumröhre....

Dide said...

@nff: kein Problem. Habe das auch nicht als solche verstanden.

@G!: Habe dir noch gar nicht zum erfolgreichen Bestehen des A330-UK gratuliert. Jetzt steht ja dem aviatischen Espresso-Erlebnis nichts mehr im Wege... Viel Spass und Happy Landing!!!

Gruss
Dide

Anonymous said...

Wie umsichtig hier verfahren wird! Wenn man bedenkt, wie dieser schwierige Landeplatz tagtäglich, und nicht nur bei Schönwetter, angeflogen wird. Ihr seid halt Profis.

5,8 Grad hört sich zwar für den Durchschnittsleser nicht besonders steil an. Aber mit einem solchen A330-Apparillo muss es wohl ziemlich gäch sein.

Anonymous said...

@NFF
Hm, vom sprachlichen Gefühl her bin ich auch der Meinung, dass es DER ist. Aber wenn ich IHN mir anschaue denke ich, dass es eine SIE ist, denn so schön kann nur etwas weibliches sein. :-D

@Dide
Vielen Dank. Bei meinem Jungfernflug nach JFK hatte ich das Glück EINE (tönt definitiv falsch ;-)) Nespresso-330 zu haben, was ich - wie auch das übliche 1st-Classessen - in vollen Zügen geniessen konnte :-D. Btw: mir reichen derzeit schon 3.0 Grad mit deM Segler vollkommen...

G!