Saturday, December 06, 2008

Flug-Lust

Ein Blick ins elektronisch sauber aktualisierte Flugbuch bestätigt mein Gefühl: Der letzte Flug liegt schon lange zurück. Am 15. November ist es, als ich, von Frankfurt kommend, zum letzten Mal einen Airbus zu Boden bringe. Dann gibts einen fehlgeschlagenen Kathmandu-Trainingsversuch im Simulator, einige Freitage sowie einen „Stand by“-Block. Doch die Leute vom Crew Control sind gnädig und lassen mich in Ruh. Die Familie beginnt sich bereits zu beklagen: "Wann gehst du endlich wieder einmal fliegen?" Die lieben Kinderlein, offenbar genervt ob meiner edukativen Einwürfe, scheinen langsam mit ihrer Geduld am Ende. Und bei Franziska meine ich leises Kopfnicken zu erkennen, doch vielleicht unterliege ich hier einer optischen Täuschung.

Ausfälle
Gestern habe ich mein dreitägiges Simulator-Paket mit einem erfolgreich bestandenen OPC (Operator Proficiency Check) abgeschlossen. Al Hamdullilah!
Immerhin gibt mir dies Gelegenheit, wieder einmal Hand an den Sidestick zu legen. Wenn auch die Simulator-Szenarien nur selten entspanntes und genussvolles Steuern zulassen. In drei Tagen, an denen je eine vierstündige Übung ansteht, wissen die Instruktoren virtuos auf ihrer Tastatur zu spielen. Der Anflug unter „Electrical Emergency Power“ fordert mich ebenso wie der simulierte Einflug in die Vulkanasche, gefolgt von einem Ausfall sämtlicher Triebwerke, verbunden mit unverlässlicher Geschwindigkeitsanzeige ("Unreliable Airspeed") und jeder Menge akkustischer Warnungen. Zwar können wir später eines der Aggregate aus seinem „Vulkanschlaf“ erwecken, doch dafür verlangt das ausgeklügelte Drehbuch kurz darauf einen Kollaps des Kapitäns und der Copi muss den angeschlagenen Vogel mit dem noch angeschlageneren Kommandanten alleine landen. Für mich ein eher lockeres Übungselement, bei dem ich, angesichts des konstanten leichten Rüttelns des Simulators, beinahe einschlafe.
Bei anderer Gelegenheit fallen zwei von drei hydraulischen Systemen aus, oder die „Kabinenbesatzung“ meldet nach dem Start einen ausser Kontrolle geratenen Toilettenbrand, der uns zu einer sofortigen Rückkehr zwingt. Geradezu eintönig nimmt sich da der Checkflug mit lediglich einzelnen Triebwerksausfällen oder Startabbrüchen aus.
Die Instruktoren wechseln jeden Tag; mal ist es ein Österreicher, dann ein Australier, und den Check absolviere ich... bei einem Helvetier! Die europäische Übermacht verleiht der ganzen Angelegenheit beinahe Kaffeekränzchen-Charakter. Auf der anderen Seite mahnt mich diese Konstellation an die in wenigen Tagen anstehende Unterredung mit dem SWISS-Chefpiloten zwecks Planung unserer dereinstigen Rückkehr in die Schweiz. Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl.

Der Copi bleibt der gleiche, er kommt aus Trinidad und ist dermassen akkurat, dass auch der exakteste aller Schweizer Uhrenmacher nicht mithalten könnte. Meine Wenigkeit schon gar nicht, habe ich mir doch im Laufe der Jahre angewöhnt, gewisse Dinge als gegeben zu betrachten und nicht ständig zu hinterfragen. Als Pilot eines modernen Flugapparates mit vernetzten Systemen läuft mann oder frau bei „Mehrfach-Ausfällen“ in Gefahr, sich in Details zu verlieren. Die Kunst des Handlings besteht unter anderem darin, Unwichtiges auszufiltern und Prioritäten zu setzen. Die elektronischen Warnsysteme präsentieren einem mitunter endlose Checklisten und Statusangaben, die es unmöglich machen, jede Zeile oder jedes Wort zu lesen und zu verarbeiten. Manchmal – bei Rauch oder Feuer beispielsweise – fehlt auch schlicht die Zeit dazu. In solchen Situationen müssen Briefings auf das Wesentliche reduziert werden. Mein Kollege zur Rechten steht unmittelbar vor seiner Kapitänsausbildung. Da ist es nicht nur verständlich, sondern auch vorbildlich, wenn einer die Dinge gründlich angehen will. Vielleicht habe ich mich einfach schon zu sehr an eine gewisse Grosszügigkeit gewöhnt, so dass mich derartiges Präzisions- und Detailstreben manchmal leicht irritiert.

Vol de nuit
Nun habe ich also wieder für sechs Monate Ruhe. Doch in die Luft lassen sie mich immer noch nicht. Nach drei Freitagen steht eine Bürowoche an. Die Kinder haben alle Ferien, die Frau schläft – auch in diesem Fall solidarisch mit dem Nachwuchs – ebenfalls einige Stunden länger, während ich mich frühmorgendlich als einziger aus den Federn kämpfe. Und als Zückerchen gibt es dann Ende der Woche doch noch den lang ersehnten Flugeinsatz. Allerdings handelt es sich dabei lediglich um einen Nachtflug nach Beirut – und zurück. Doch ich bin aviatisch ausgetrocknet und daher bereit, alles zu akzeptieren. Ab Mitte Monat sind Weihnachtsferien angesagt, der nächste Flug wird frühestens anfangs Januar stattfinden. Ein Grund mehr, die Nachtmission in den Libanon zu geniessen; Mit „Vol de nuit“ hat Antoine de Saint-Exupéry seinerzeit einen Literaturpreis eingeheimst. Für den wirds wohl nicht reichen, „Wüstenspuren“ hin oder her. Dafür werde ich mir im Dutyfree des "Rafic Hariri International Airport" drei Flaschen „Château Kefraya“ kaufen. Und das ist schliesslich auch nicht ohne, oder...?

2 comments:

Anonymous said...

Danke für den Buchtipp!

Gruss Christoph, der in den nächsten Buchladen rennt, weil «Nichtstun» auch nicht immer die leichteste Aufgabe ist…

Dide said...

Hallo Christoph: keine Ursache, gern geschehen. Hast natürlich vollkommen recht: "Nichts tun" fordert uns letztlich immer wieder heraus, etwa "Zweckmässiges" zu tun...

Viel Spass beim Lesen!