Thursday, July 12, 2007

Müllerst Lust – Expats Frust

Das Wandern, so sagt der Voldsmund, ist des Müllers Lust. Und der Sommer (wie übrigens auch die Weihnachtszeit), so wage ich zu behaupten, des Expats Frust.

Zumindest was die Abu Dhabi-Kommune anbelangt. Denn die Sommermonate Juni bis August gehören in der Tat zu den aktivsten Phasen der Expats hier, insbesondere der Familienangehörigen. Nicht aber, wie man jetzt vielleicht vermuten könnte, was die Bruttätigkeit betrifft. Genau diese leidet nämlich, da in erster Linie die Reisetätigkeit rapide zunimmt. Dies wiederum führt oftmals zu längeren Phasen der Trennung. Es sei denn, der vereinsamte Zurückgebliebene lasse sich dazu verleiten, die nervenaufreibende Geduldsprüfung beim Staffschalter in Angriff zu nehmen und ein Ticket für einen Spontan-Besuch in der Heimat zu erstehen. Wohl wissend, dass er einen solchen in der Regel bitter bezahlt mit Schlafstörungen infolge übermässiger Reisetätigkeit, gekoppelt mit erhöhter Nachtaktivität.
So gebärden kann sich der einsame Familienvater natürlich nur dann, wenn ihm ein genügend grosser Freitageblock zur Verfügung steht. Mindestens drei Tage sollten’s schon sein, ideal wären vier und bei akutem Testosteron-Überschuss versucht man’s auch mal bei nur zwei.

Insider sprechen übrigens auch von der sogenannten „WANKER-Periode“. Was nichts anderes heisst als „Wife Away No Kids Eating Rubbish”! Speziell letzteres bringt dummerweise den Nachteil, dass auch die Körpermasse, insbesondere der BMI in Mitleidenschaft gezogen werden, was wiederum das individuelle Frusttotal über Gebühr belastet und den Gang zum Staffschalter begünstigt.

Freizügige Crew Controller
Auch ich habe mich vor wenigen Tagen zu einem Kurztrip in die Schweiz entschieden. Es war keine Verzweiflungstat, sondern vielmehr die Frucht eines taktisch raffiniert ausgehandelten zusätzlichen Freitages, indem ich die Crew Control-Oberinstanz kühn darum bat, man möge mir doch einen (für mich) ungünstig gelegenen „Stby-Tag“ erlassen. Ich lockte die Dame am Schalter mit der Aussicht auf extra für sie importierte Schokolade aus frischer Alpenmilch und erhielt meine Anfrage mit überraschender Freizügigkeit gewährt.
Der Familie sagte ich vorerst nichts, denn noch schien mir die Sache nicht ganz geheuer. Ich flog zuerst einmal nach New York und kontrollierte, kaum im Hotelzimmer angekommen, einmal mehr meinen laufenden Einsatzplan im Internet. Alles ok – keine Änderung. Langsam begann ich daran zu glauben und zog in Betracht, der ahnungslosen Gattin ein SMS zu schicken. Doch ich konnte mich beherrschen und wartete weiter zu, derweil ich mich mit einigen Besatzungsmitgliedern zum Abendessen ins nahe gelegenen Steakhouse aufmachte.

Keine Änderung in Sicht...
Am nächsten Morgen holte uns der Crewbus um 0830 Uhr Lokalzeit (1630 Uhr Abu Dhabi Zeit / 1430 Uhr Schweizer Zeit) beim Hotel ab. Ich informierte endlich Franziska per SMS über meine Absicht, und sie war ob der Nachricht dermassen verwirrt, dass sie zweifelnd zurückschrieb, ob ich ihr wohl aus Versehen ein „altes SMS“ geschickt hätte...
Der Rückflug verlief ohne Probleme und nach 11 Stunden und 50 Minuten landeten wir am Morgen kurz vor acht Uhr in Abu Dhabi. Ich fuhr nach Hause, kontrollierte meinen Einsatz (keine Änderung), leerte den Koffer, packte ihn neu, kontrollierte meinen Einsatz (keine Änderung), goss die Pflanzen, spülte das Geschirr, kontrollierte meinen Einsatz (keine Änderung), duschte, kleidete mich an, organisierte mit Toni, der zufälligerweise den Flug nach Genf pilotierte, die gemeinsame Fahrt zum Flughafen, und kontrollierte schliesslich nochmals – mittlerweile war’s Routine – meinen Einsatz. Immer noch keine Änderung. Ich war erleichtert.

Die grosse Odyssee
Damit setzte sich die unendliche Reise fort. Seit ich den Crewbus in New York bestiegen hatte, waren rund 18 Stunden vergangen, in denen ich kaum länger als eine Stunde am Stück geschlafen hatte. Dummerweise war der Flug nach Genf gut ausgelastet und mir blieb trotz Tonis verzweifelter „Upgrade-Bemühungen“ lediglich ein enger Sitz in der hintersten Reihe der „Coral-Zone“ (Economyclass). Die bedrückenden Platzverhältnisse verunmöglichten eine Sitzposition mit Chancen für einen schlafähnlichen Zustand. So wachte ich tapfer weiter und unterhielt mich mit meiner Sitznachbarin Sarina, einer indischen Cabin Managerin, die ihren „Boyfriend“ in der Calvinstadt besuchen wollte.
Die Landung in Genf erfolgt pünktlich, so dass ich bereits eine halbe Stunde später im Zug nach Bern sass. Diesmal in der ersten Klasse, mit Beinfreiheit bis zum geht nicht mehr. Ich fühlte mich langsam wie ein Zombie und hätte viel für eine bequeme Liegestatt gegeben. Indes ratterte die Eisenbahn flott über’s Schweizerische Schienennetz und überquerte den „Röschtigraben“ derart fein, dass ich ihn kaum spürte. Das Umsteigen in Bern geschah beinahe mechanisch und an die Fahrt nach Thun kann ich mich kaum noch erinnern. Franziska, Linda und zwei ihrer zahlreichen Cousinen – ich glaube es waren Larissa und Melina? – erwarteten mich freudig auf dem Perron. Alsdann fuhren wir durch die dunkle Nacht, die Uhren zeigten 2230 Uhr als wir im hintersten Winkel des Diemtigtals eintrafen, wo ich den Rest der Sippe begrüsste. Inzwischen war ich über 30 Stunden ohne vernünftigen Schlaf. Wen wundert’s, dass da Erinnerungen an alte Militärdienstzeiten aufkamen...?

Mussestunden im Dauerregen
Vor mir lagen vier erholsame Tage. Tim hatte ich seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Er hatte in der Zwischenzeit in Bern auf dem Bau gearbeitet und seine Ferienkasse aufgepeppt. Ich genoss die Tatsache, dass für kurze Zeit die ganze Familie im heimeligen, angenehm kühlen Diemtigtal vereint war. Wir übten uns im Müssiggang, spielten „Bunko“ und streiften durch die Altstadt von Thun. Der Regen war unser ständiger Begleiter. Doch er kümmerte uns wenig.
Am dritten Tag, es war Dienstag, packten wir unsere Koffer und Reisetaschen und fuhren Richtung Stadel. Bei den Kindern stieg die Spannung merklich. Der so heiss ersehnte Moment des Wiedersehens mit ihren ehemaligen Schulfreunden rückte näher. Lange hatten sie darauf gewartet, die Vorfreude war riesig. Alle drei hatten im Sinn, ihre Klassen und vereinzelte Unterrichtsstunden zu besuchen. Die Mädchen hatten Powerpoint-Präsentationen vorbereitet, um von ihrem ersten Jahr in Abu Dhabi zu berichten.
Als wir schliesslich in Stadel einfuhren, ging es Schlag auf Schlag:
Zuerst Ablad von Tim bei einem Schulfreund, dann brachte ich Nina zu ihren Freundinnen Leana und Delia, wo Franziska gleich mit ausstieg und zum Abendessen blieb. Derweil der rastlose Vater nach Kloten raste, wo Linda das Training ihrer früheren Unihocky-Mannschaft besuchen wollte. Die Wartezeit überbrückte ich bei einem Bier mit meinem Bruder in der Hilton Bar. Anschliessend Rückfahrt mit Linda zu einer Freunding in Stadel. Aber noch war meine Mission nicht erfüllt, ich musste weiter, Franziska wartete. Vor der Weiterfahrt noch kurz Kaffee und Fruchtsalat, dann verabschiedeten wir uns von Nina und fuhren ins nahe gelegene Bülach. Die Familie hatte sich nach zwei gemeinsamen Tagen wieder in Einzel-Elemente aufgelöst. Tim würde in den nächsten Tagen mit seinem Schulfreund für zwei Wochen nach Norddeutschland fliegen, Linda hatte die Absicht, mit ihrer Freundin nach Lausanne zu fahren. Einmal mehr trennten sich unsere Wege. Den Eltern blieb ein anregender Abend bei Michelle in Bülach. Ein Abend, der sich bei Schampus bis in die frühen Morgenstunden hinzog.

Rückreise
Die fünf Stunden Schlaf taten gut, mehr hätten allerdings noch besser getan. Doch Franziskas „Handy-Alarm“ mahnte uns unüberhörbar an geplante Besuche. Mit frischen Gipfeli tauchten wir vor der grossen Zehnuhrpause im Lehrerzimmer des Primarschulhauses Stadel auf. Franziska freute sich auf die Begegnung mit ehemaligen Kollegen und Kolleginnen aus ihrer Zeit als Schulpflegerin. Auch wenn die Zeit für solche Gespräche grundsätzlich immer zu knapp scheint, so sind diese Begegnungen stets etwas Besonderes, etwas Spannendes. Unzählige Dinge gibt es zu bereden, zu berichten, zu bereinigen oder auch zu bekennen. Doch die Pause war bald vorbei und die LehrerInnen zog es in ihre Schulzimmer.
Unser nächstes Ziel war des Pfarrers Haus hoch auf dem Stadlerberg. Für einmal war der Weitblick ins Zürcher Unterland im wahrsten Sinne des Wortes vernebelt und getrübt. Die gereichte „Wähe“ mundete deswegen nicht schlechter, doch auch hier blieb kaum ausreichend Zeit für die Bewältigung der zahlreichen Gesprächsthemen. So wirbelten denn zahlreiche Gedanken in unseren Köpfen als wir bereits wieder Richtung Bülach unterwegs waren.
Und bereits wenige Stunden später machte ich mich auf den Weg zum Flughafen Zürich, wo ich am Nachmittag – es regnete immer noch (oder schon wieder?) eine SWISS-Maschine nach Frankfurt bestieg. Dort war warten angesagt, der Anschlussflug nach Abu Dhabi startete erst kurz nach 23 Uhr.
Das gab mir Zeit zum Nachdenken. Zu meinem grossen Erstaunen, verfügt Etihad seit kurzer Zeit über eine brandneue „Diamond- und Pearl-Lounge“ mit allem, was des Reisenden Herz begehrt; Business-Center, Duschmöglichkeit, „Prayer Room“, Lesematerial, TV sowie diversen Snacks und Drinks. Natürlich alles „free of charge“.
















Etihad-Lounge in Frankfurt


Besinnung
In diesem Umfeld versuchte ich, meine etwas durcheinander geratenen Sinne zu ordnen. Wie so oft half mir dabei das Niederschreiben meiner Eindrücke. Vieles hatte ich in diesen vier Tagen erlebt. Dabei schienen sich die Dinge immer wieder zu überstürzen, dass mir manchmal kaum Zeit zur Verarbeitung blieb.
Unser Familienleben hat sich unglaublich verändert. Einmal mehr wurde mir dies bewusst. Die vielen Trennungen kontrastieren stark mit einem neu entstandenen Zusammengehörigkeitsgefühl, das sämtlichen Distanzen trotzt. Dies hängt nicht nur mit den neuen Lebensumständen zusammen, sondern auch mit der Entwicklung der Kinder. Einer Entwicklung, so zumindest habe ich den Eindruck, die sich mit dem Umzug in die Emirate rapide beschleunigt hat. Dies zu realisieren, bereitet mir manchmal Mühe. Die Freude über die Selbstständigkeit des Nachwuchses vermischt sich mit den zwiespältigen Gefühlen, die mich beim Gedanken an ihren dereinstigen Auszug überkommen. Auch wenn ich glaube, dass unser momentaner Lebensstil mir dabei helfen wird.
Aber vorerst wird weiter geflogen. Morgen früh werde ich wieder in Abu Dhabi sein. Ich werde nach Hause fahren, den Koffer leeren, neu packen, etwas schlafen, duschen, die Unform anziehen und um Mitternacht wieder einchecken. Für den nächsten Flug – einmal mehr nach New York.

4 comments:

Anonymous said...

Mann, ein so langer Blo-eintrag und ich bin gerade mit einer Zeile erwähnt.
Unbelievable!
wie immer sehr schön geschrieben. Hoffe du überstehst die einsame Zeit.
regards
üse

nff said...

Noch nie einen Text gelesen, der so schön zwischen den Zeilen beschreibt, wie es sich anfühlt, wenn die Beine vor Müdigkeit schwerer und schwerer werden...

Der Satz mit der Wanker-Definition kommt im meine Zitatensammlung, eingereiht zwischen Peter Bichsel und Max Frisch.

Anonymous said...

Super schoen geschrieben!, I´m a spanish speaker but I can say with good German knowledge, some years ago working for Malaysian Air Lines as Cabin Crew.
Just to say that your style is very fresh, and so well explained that every thing is in the memory like in a screen. Your Blogger is genial!!!.
Just because we are moving to Abu Dhabi and on the way for some information... I found this incredible good writer.
saludos,
Monica

Anonymous said...

3 comments bringing me 3 positive feedbacks. thank you all - it's very much appreciated and at the same time also quite inspiring. I'll keep going...

For Monica all the best in Abu Dhabi! It's going to be a rich, interesting, fascinating but also demanding and challenging experience. But it's worth it, no doubt! Good luck.