Das Kürzel könnte aus dem Hause Airbus stammen und für eines der schwer durchschaubaren technischen Flugzeugsysteme stehen. Tut es allerdings nicht. Geprägt von einer, momentan in der Schweiz unter dem Namen Jeder Rappen zählt, äusserst erfolgreich laufenden TV- und Radio-Sammelaktion steht ESC schlicht für Every Second counts.
Sogar in Abu Dhabi läuft der Fernseher den ganzen Tag; SF2 sendet ununterbrochen aus der Glasbox am Berner Bundesplatz. Aus dem politischen Zentrum Helvetiens, wo sich Volkes Seele bei frostigem Wind und Schneetreiben bereits zu früher Morgenstund' die Hirnwindungen tieffrieren lässt, um letztlich am Schalter eine Münze oder gar eine Note ins Kässeli zu legen.
Auch wir sind heute früh aufgestanden. Später zwar, als geplant, aber nur, weil Franziskas Handy den Weckdienst verweigert hat (Weshalb bleibt letztlich ungeklärt...). Die Damen wollen für einige Tage nach Genf fliegen. Freunde und Familie zum vorweihnachtlichen Guetzli-Klatsch treffen. Und wegen der Winterstimmung. Und überhaupt. Ferien gibts für mich keine über die Festtage. Wir feiern heuer in Abu Dhabi. Alle werden sie deshalb am 22. zurückfliegen: Franziska, Linda, Nina und Tim.
Wie wir also, leicht gehetzt und mit morgendlicher Übellaune, heute früh am Flughafen vorfahren, erwartet uns die nächste Überraschung: Menschen, die sich in langen Schlangen in der Abflughalle vor den Check-In Schaltern aufreihen. Das heisst, sie sollten sich eigentlich reihen; In Tat und Wahrheit erinnert die Schar an die jährliche Wanderung der Gnu-Herden von der Serengeti in die Masai Mara Kenias. Und ich bin beinahe sicher, sprängen die Vordersten in die Fluten des Grumeti-Flusses, die anderen würden mit Koffer und Handgepäck auf der Stelle folgen.
Franziska und Nina, die mit gebuchten Jahrestickets reisen, haben bereits gestern elektronisch eingecheckt, müssen allerdings ihr Gepäck an einem der überlaufenden Schalter deponieren. Linda stellt sich in die Schlange vor dem Staff Check-In. Sie hat ihr Annual Leave Ticket bereits letzten Monat für die Reise nach Vancouver gebucht und versuchts mit einem Zehnprozent-Ticket. Eigentlich hoffnungslos. Die Maschine ist ausgebucht. Sicherheitshalber informiere ich den diensttuenden Captain via SMS. Er ist wahrscheinlich im (Planungs-)Stress. In seiner Heimat Sri Lanka fällt der Schnee nicht in denselben Mengen wie in diesen Tagen in der Schweiz.
Franziska und Nina kommen kaum vorwärts. Dabei müssen sie noch mindestens sieben Slalomschlaufen bewältigen bis zur Schalterreihe. Die Ungeduld wächst, der Flug geht in etwas mehr als einer Stunde. In diesem Moment wird die erste Verspätung auf den Anzeigetafeln signalisiert. Dreissig Minuten Gnadenfrist. Die Menschen wirken gestresst, Personal ist kaum auszumachen. Chaos total. Eine mutige holländische Passagierin baut sich zwischen zwei Schaltern auf und versucht, Ordnung ins Getümmel zu bringen. Alle drängeln nach vorn, wechseln die Spur, beziehungsweise die Schlange, wie die Autos auf emiratischen Autobahnen. Ein Araber ist sich mit einer Engländerin in die Haare geraten. Ihre engagierte Morgendiskussion verkürzt den Reisenden die Wartezeit.
Franziska und Nina sind ausgeschert und haben sich vor dem Schalter für Oversize-Baggage postiert. Doch der Beamte, der eben noch da war, hat Reissaus genommen. Ich wende mich an einen jungen Emirati im Dishdash, der sich um Ordnung bemüht. Er zögert, doch als ich mich als Etihad Captain ausweise, blitzen seine Augen. Jetzt geht die Post ab. Sofort weist er einen Uniformierten an, meinen Angehörigen helfen. Dann senkt er seine Stimme und wechselt das Thema. Er hätte einen GPA von 3.54 und wäre auf der Warteliste für die Pilotenschule... Wieviel ich denn nun wirklich verdienen würde: „45‘000“, erwidere ich etwas verblüfft. „Dollar...?!“ fragt er zurück. Nein, es wären Dirham, gebe ich ihm zu verstehen, und das Auto müsse er selber bezahlen, und überhaupt müsste ich mich jetzt um die andere Tochter am Staff-Schalter kümmern. Dann tauche ich unter in den Massen und winde mich Richtung Linda. Sie ist als nächste dran, doch der Kollege am Schalter macht wenig Hoffnung. Sie wird auf die Liste für einen „Jumpseat“ gesetzt. Warten, warten, warten. Natürlich ist sie nicht die einzige. Die Zeit läuft. Franziska und Nina gesellen sich zu uns, bevor sie sich zur Passkontrolle aufmachen. Nach weiteren 20 Minuten kommt das Aus: Der Captain würde keine Crew-Sitze vergeben. Wir sollten es doch am Abend noch einmal versuchen.
Ich will die enttäuschte Tochter mindestens mit einer heissen Schokolade trösten, als wenig später, wir haben uns bereits Richtung Starbucks aufgemacht, mein Handy klingelt. Der Captain ists: wo denn nun meine Tochter wäre...
Aha – hab ichs mir doch gedacht. Das war eine krasse Fehlinformation. Linda im Schlepptau, hetze ich wieder ans Check-In, passiere elegant die artig Wartenden und erkläre dem Beamten die neue Ausgangslage. Es dauert noch einmal fünf Minuten, bis er uns eine Bordkarte aushändigt. Unter sein Kinn hat er sich den Telefonhörer geklemmt. Ich vermute, aus taktischen Gründen, denn er sagt kein einziges Wort. Ich an seiner Stelle, hätte auch das Schild mit dem grossmundigen Hinweis, dass Etihad Airways heuer bereits zum zweiten Mal zur World's Leading Airline gekürt wurde, irgendwo hinter der Abdeckung versteckt.
Dafür erhält Linda jetzt gar einen Sitz in der Economy zugeteilt. Das soll einer noch verstehen. Wieder ab in die andere Richtung. Mein Handy klingelt, erneut der Captain. Er will wissen, wer denn diesen Unsinn über gesperrte Crewsitze verbreite. Selbstverständlich würde er nicht ohne meine Tochter fliegen. Echte Kollegenhilfe – ein bisschen Egoismus darf – oder muss? – sein. Jeder und jede ist sich selbst der oder die Nächste. Wir habens heute Morgen erlebt.
Ferienbeginn. Die Schlacht in der Abflughalle – ESC – Every Second counts!
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6 comments:
Aus dem Leben eines PADs oder auch der Jumpseat Poker ;-)
schade dass sie nicht doch den jumpseat genommen hat... dann hätte vielleicht auch jemand - nicht konzern inter- den flug nutzen können. trotzdem schön dass ihr es geschafft, und das innerhalb der firma so ein gutes kollegen verhältnis vorhanden ist.
@Anonymous uno: Oooohhhhhhhhh Jaaaaaaaa....
@Anonymous due: Der Input ist natürlich berechtigt. Allerdings gilt zu bedenken, dass der Mann am Check-In Schalter alle PAD's "entlassen" hat mit der Begründung, dass der Captain keine Jumpseats vergebe. Es war also gar niemand mehr zugegen, bei uns hat es letztlich nur funktioniert, weil mich der Captain angerufen und zurück an den Schalter geschickt hat.
Die gegenseitige Hilfe und Unterstützung ist in der Tat lobenswert. Nicht zum ersten Mal haben wir unmittelbar davon profitiert.
Gruss
Hey Mr.Family Man!
Eindrückliche Geschichte. Vortrefflich beschrieben fand ich auch die "Gnu Stampede", die Drangsal des Gedrängels in der Abflughalle.
Tolle Kollegialität unter Kapitänen.
"Jeder ist sich selbst der Nächste", sei's in Warteschlangen; oder auch im Strassenverkehr. Ein Kavalier oder eine Kavalierin am Steuer hie und da - es gibt Ausnahmen. Eine Minderheit die das Nachsehen hat, oder das Nachsehen in Kauf nimmt.
Wie heisst es so schön: "Die Ersten werden die Letzten sein".
So wie die eingeräumten Teller im Geschirrschrank.
Letztendlich.
P:S:..."die Polizei war nach Tumulten in den riesigen Schlangen von der Gapäckabfertiung eingeschritten."
So der aktuelle Bericht über die Lage am Frankfurter Flughafen.
Ob sich da jemand vorgedrängelt hat?;-)
@Crowi:"Die Ersten werden die Letzten sein"... Es gibt aber auch die andere Variante: "Die Letzten werden die Ersten sein..."
Da bleibt Spielraum für Interpretation.
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