Monday, July 19, 2010

Selbstverständlichkeiten

Vor drei Stunden habe ich mich ächzend aus dem Bett gekämpft. Zu einer Zeit, wo muntere Weekend-Nachtschwärmer überlegen, ob sie noch eine finale Tequila-Shot Runde starten sollen. Gestern haben wir auf dem Männlichen die Schweizer Version von Ninas Konfirmation gefeiert. Eine gemütliche Runde auf 2225 Metern über Meer, bei den charmanten Gastgeberinnen Rita und Daniela Kaufmann.
Jetzt erwache ich langsam im Zug nach Genf. Knappe drei Stunden vor dem Abflug nach Abu Dhabi. Dabei steckt mir noch die Hinreise vor drei Tagen in den Knochen: Acht Stunden im Büro, sechseinhalb Stunden Nachtflug nach Frankfurt, schliesslich vier Stunden mit der Bahn ins Berner Oberländische Thun.

Dieser „Reisewürg“ wird notwendig, weil meine Sommerferien bereits Anfangs Juli beendet sind. Die ersten beiden Wochen nach der Heimreise rutsche ich auf dem Bürostuhl des Flight Safety Büros herum. Unterbrochen von einem kurzen Hüpfer nach Bahrain und zurück. Ein Hüpfer, der gleichzeitig als jährlicher „Line-Check“ durchgeht. Viele Fragen können bei dieser kurzen Flugzeit nicht gestellt werden. Auch nicht, wenn der Checkpilot ein Schnellredner ist. Noch weniger, wenn es sich beim Geprüften um einen Langsamdenker handelt. Der Schnellredner ist Engländer, der Langsamdenker bin ich. Ausgangslage und Kalkül lassen mich den Vorbereitungsauwand in Grenzen halten. Der Entscheid ist zweifellos richtig.

Nach drei Wochen im eidgenössischen Ferienparadies muss ich mich zuerst aufdatieren. Ein Landezwischenfall in New York, bei dem eine unserer Maschinen Teile der Pistenbefeuerung beschädigt hat, gab über die letzten Tage viel zu tun. Aus diversen (und verständlichen) Gründen gebe ich in diesem Blog keine Flight Safety-Details bekannt, doch der besagte Fall wurde mittlerweile mehrfach in diversen Pilotenchatrooms wiedergekaut, in den Medien erwähnt, und hat damit einen gewissen Öffentlichkeitsgrad erlangt.
Lange und ständig wechselnde Ferienabwesenheiten haben zur Folge, dass das „Investigation-Team“ im Laufe der Untersuchung personelle Wechsel verkraften muss. Ich komme gerade richtig, um mich, zusammen mit dem Chef Safety & Quality, um die finalen Korrekturen des Schlussberichts zu kümmern. Ultimativer Bestandteil eines solchen Berichts sind letztlich Erkenntnisse (Findings), die sich auf einen oder mehrere Gründe (Causes) zurückführen lassen, und in entsprechenden Empfehlungen (Recommendations) gipfeln.

Empfehlungen sind dann nachvollziehbar, wenn die Grundproblematik und mögliche Konsequenzen erkannt sind. Spürbare Wirkung entfalten sie erst mit der praktischen Umsetzung. Dies kann die Flugsicherheitsabteilung nicht selber an die Hand nehmen. Eine Einmischung in den operativen Bereich würde sich mit ihrer Rolle als Überwachungsorgan mit hohem Vertraulichkeitsanspruch kaum vereinbaren lassen. Flight Safety ändert keine Handbuch-Paragraphen und verordnet keine disziplinarischen Massnahmen. Ihr Spielraum beschränkt sich in diesem Fall auf Empfehlungen, die, wie oben angeführt, auf einer sauber dokumentierten und konsequent begründeten Handlungs- und Erkenntnisabfolge fussen. Die Schwierigkeit (oder die Kunst) liegt darin, betroffene Abteilungen zu überzeugen, unsere Vorschläge vollumfänglich umzusetzen. Veränderungs- und Handlungsbedarf wird oftmals zweideutig interpretiert und als departementales oder gar persönliches Ungenügen verstanden. Dabei geht vergessen, dass Anpassungen nicht selten als Folge von Markt- und Strukturveränderung notwendig werden.
Veränderungen bringen finanzielle Aufwendungen mit sich. In der heutigen Zeit ein passendes Argument, sich den gestellten Herausforderungen glaubhaft zu widersetzen. Nicht aber, so müsste man meinen, bei Fluggesellschaften, die grossmundig Sicherheit zur ihrer ersten Priorität erheben. Was aus betriebswirtschaftlicher Sicht natürlich, sagen wir mal so, mindestens anzuzweifeln ist. Das erste Ziel eines jeden Unternehmens ist Geld zu verdienen, nicht Sicherheit zu produzieren. Je mehr, desto besser! Wem dies nicht gelingt, ist zum Untergang verdammt. Da machen auch Airlines keine Ausnahme. Sicherheit nimmt einen hohen Stellenwert ein, kann letztlich aber nie „First priority“ sein.

Wir führen solche Diskussionen beinahe täglich. In unseren Büros gegenüber des neu erstellten Etihad-Hauptsitzes in der Nähe des Flughafens. Vor dem Eingang ranken schlanke Palmen in die Höhe. Die Klimaanlage hält die Temperatur derart tief, dass wir auch in Langarmhemd und mit Kravatte nicht ins Schwitzen geraten. Trotz teilweise heftiger Kontroversen.
Eine ihrem Namen gerecht werdende „Just Culture“ zu leben, ist zweifellos hohe Kunst. Das Credo von Fairness und Gerechtigkeit verlangt geduldige Überzeugungsarbeit. Das wachende Auge eines Berufsverbandes fehlt gänzlich. In einem Arbeitssegment, in dem jede Manipulation, jeder noch so kleine Steuerausschlag, jedes Antippen der Radbremsen und jede im Cockpit gesprochene Silbe aufgezeichnet werden, verkäme eine Abkehr zum Bestrafungsprinzip zum Schwanzbeisser. Wer sich unter Druck fühlt, agiert verkrampft, unsicher und deutlich fehleranfälliger. Wer Angst hat vertuscht eher, als er eingesteht. Damit würde die Fliegerei verletzungsanfälliger, und Safety First nicht nur von betriebswirtschaftlichen Grundprinzipien verdrängt.

Auf der Fahrt nach Hause hat das Thermometer in meinem Auto vergangene Woche zum ersten Mal in diesem Jahr 50° angezeigt. Trotzdem lässt sich die Hitze hier leichter ertragen, als 35° in der Schweiz. Denn klimatisierte Räume bieten „Abkühl-Oasen“, die sich wie ein locker gewobener Teppich weitläufig über die Stadt und das ganze Land verteilen. Ich schwitze in Abu Dhabi weniger, als in meinen Ferien vor drei Wochen im Berner Oberland. Klimaanlagen gehören hier zur Standardausrüstung. Jedes Land hat eben seine Selbstverständlichkeiten. Und andere Bereiche, um die man immer wieder kämpfen muss.

2 comments:

sebastian said...

Moin aus Hamburg, wo man auch bei 35° am schwitzen ist!
Darf ich fragen wie es kommt das sie den Bürojob machen, war das ihr Wunsch und wenn ja, was hat sie dazu bewegt nicht mehr nur als Pilot tätig zu sein?
Gruß Sebastian

Dide said...

@sebastian: Zum Bürojob kam ich ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde. Ich wurde von einem Freund und damaligen Chef Flight Data Monitoring (Flugdatenüberwachung) angefragt, ob ich nicht Lust hätte, mitzutun. Anfangs sass ich eine Woche pro Monat im Büro, heute sind es deren zwei. Die Arbeit ist interessant und der Mix ist perfekt.

Gruss