Sunday, July 04, 2010

"Löw"enbändiger


















Als Expat bewege ich mich vorwiegend unter Ausländern. Nicht unbedingt, wie man vermuten könnte, unter Arabern, jedoch befinden sich in unserem Umfeld viele Deutsche, Engländer, Holländer, Italiener, Skandinavier, Amerikaner und Kanadier. Einige grosse Fussballnationen, von denen an der laufenden WM leider viele bereits die Segel streichen mussten.

Die Deutschen sind noch dabei, und manchmal schlägt das Schicksal unerbittlich zu. Gestern Abend beispielsweise. Ein kurzer Schwatz am Telefon mit Peter - schliesslich will man sich aus den Ferien zurückmelden - endet mit der verlockenden Einladung, das abendliche Fussballspiel gemeinsam beim Vorgesetzten des lieben Freundes zu geniessen. Genuss ist nun vielleicht der falsche Begriff. Denn es stellt sich heraus, dass die gemütliche Fussballrunde aus drei Deutschen Ärzten und mir besteht. Zur Erinnerung: Es geht um die Paarung Deutschland gegen Argentinien!
Zwei Herzchirurgen, ein Anästhesist, und ein Pilot. Na toll! Da bin ich in die Höhle des "Löw"en geraten. Nicht ganz unpassend für Südafrika, der Löwe meine ich. Und noch viel treffender im Zusammenhang mit der anstehenden Begegnung. Die Landeszugehörigkeit macht mir mehr zu schaffen als die etwas einseitige berufliche Konstellation. Die Deutschen sind nachweislich des Schweizers unliebster Gegner bei Sportveranstaltungen. Vielleicht weil wir immer aufs Dach kriegen. Das gilt beim Fussball wie beim Eishockey.
Immerhin kann ich meinen Emotionen freien Lauf lassen, und sehe mich nicht gezwungen, die sportliche Erregung im Zaum zu halten. Ein allfälliger Infarkt wäre bei dieser hochkarätig kardiologisch-anästhesistischen Besetzung ein Pappenstiel, und könnte, ähnlich wie eine Spielerauswechslung, nebenbei und zum Billigtarif behandelt werden.

Bevor ich mich hinsetze, lasse ich mich zu einer Verzweiflungstat hinreissen und oute mich als Gaucho-Fan. Ich bin es meinem Selbstwertgefühl schuldig. Mitleidiges Lächeln, bedeutungsvolle Seitenblicke. Immerhin werde ich nicht vor die Tür gestellt. Die Nationalhymnen scherbeln über den Kanal. Die Deutschen bleiben schweigend sitzen, also muss ich mir auch keine Mühe geben.
Das Spiel beginnt, die Deutsche Fraktion nippt am Weissbier, ich schlürfe mein Mineralwasser. Da knallt es auch schon. Noch keine drei Minuten und die Deutschen springen jubelnd von ihren Sitzen. 1:0 für die Löw-Truppe. Frau Merkel applaudiert, Blatter gratuliert. Ob er sich bei seiner nächsten Wahl einige Zusatzstimmen von unseren nördlichen Nachbarn verspricht?
„Der Messi wirds schon richten“, verkünde ich selbstbewusst. Allein, er ist dazu nicht in der Lage. Im Gegenteil, es kommt noch schlimmer. Die Blauweissen verhaspeln sich immer wieder. Die Deutschen machen Druck und Tempo, und schiessen überdies drei weitere Tore. Schöne Tore, ich muss es gestehen. Eine glamouröse Einzelleistung des Bastl, mit dessen Nachname sich der englische Kommentator während des ganzen Spieles äusserst schwertut. Nur der Mertesacker geht ihm noch harziger über die britischen Lippen, doch das spielt spätestens ab der 74. Minute keine Rolle mehr.

Die Ärzte jubeln vier Mal – derweilen ich weiter still an meinem Mineralwasser nippe, und geschäftig an der Tastatur meines Handys herumdrücke. Nicht einmal mit Federer oder Busacca kann ich auftrumpfen. Die sind entweder ausgeschieden oder ausgemustert.

Maradonas Chicos konntens gestern Abend nicht richten. In vier Jahren vielleicht. Es wird langsam eng. Wer um Himmels Willen kann die "Löw"en bändigen...?

8 comments:

Anonymous said...

Das kommt davon wenn die Schweizer mal nicht neutral sind!!! :-p

Ein lieber Gruß von einem glücklichen Deutschen in die Wüste ;-)

Sven

Anonymous said...

Ich kann Sie ja so gut verstehen. Nur das es mir umgekehrt ging, 5 schweizer und 1 Deutscher. Mein Jubel für jedes Tor wurde mit einem mahnenden Seitenblick quittiert. Kommentare meiner Wenigkeit über geschickte Spielzüge wurden mit der üblichen Handbewegung abgewehrt.... So kann es gehen :-)))) Freude unerwünscht, gefragt war Kopf einziehen und kuschen. Bei allem Witz muss ich sagen, ich war schon vielen Ländern zu Gast, aber in keinem Land war die Abneigung gegen die Deutschen in solchen Fällen so extrem wie hier. Da vermisse ich schon ein wenig die sonst so hochgepriesene Neutralität. Verstehen kann ich es bei jedem direkten Wettkampf, aber nicht als unbeteiligtes Land ;-)Zumal diese Mannschaft diese Reaktion nicht verdient hat. Ich würde jedenfall kein Shirt mit der Aufschrift: Ich untersütze immer jede Mannschaft die gegen die Schweiz spielt anziehen.....

Betrachten wir es doch sportlich und nehmen uns an dem olympischen Gedanken ein Beispiel: Möge der Bessere gewinnnen!

Grüsse von einem Deutschen Expat in der Ch in die Wüste :-)

Dide said...

@Anonymous and Anonimous: Glaubt es mir, ich mag euch euer Glück (fast von ganzem) Herzen gönnen! Und ich gebe unumwunden zu, dass diese Mannschaft den bisherigen Erfolg verdient hat.

Woran die sportliche Dauerfeindschaft liegen mag... Ich weiss es nicht, kann es nur erahnen. Wir klein, ihr gross, wir politisch fast unbedeutend, ihr Denker und Lenker Europas, wir rhetorisch unbeholfen, ihr feinzüngig und gewitzt, wir sportlich weniger erfolgreich, ihr oft eine Nase voraus....

Noch mehr Beispiele gefällig?

Ich freue mich auf die kommenden Fussballspiele. Und werde wohl auch das Halbfinal in derselben Runde mitverfolgen. Dann werde ich halt das imaginäre Spanienleibchen überstreifen, ein bisschen Kontroverse muss doch sein. Da kommt mir auch entgegen, dass die Nationalhymne keinen Text hat...

Auf ein faires, spannendes Spiel. Gebt Acht zu euren Kickern, wir werden unserersteits an der angekratzten Neutralität schleifen. Mögen die Besseren gewinnen!!!

Anonymous said...

Tja, nehmen wir es mit Humor und einem lachenden und einem weinenden Auge.

Es scheint ein ganz klein wenig, als ob die Schweiz ein paar Komplexe hat, man möge mir verzeihen ;-)

Gross: Es kommt nicht immer auf die Grösse an. OK, bei Piloten schon ein wenig, je grösser das Flugi, desto besser. Obwohl, ich noch heute eine sexy MD11 jeder 747 oder jeder A380 den Vorzug gebe ;-)

So politisch unbedeutend ist die Schweiz nicht, ganz und gar nicht. Man nehme nur Alt Bundesrat Joseph Deis. Und auch sonst hat die Stimme der Schweiz weltweit Gewicht.

Rhetorisch unbeholfen, na na na... Bislang hatte ich nie das Gefühl sprachlich überlegen zu sein. Im Gegenteil, ich finde es immer sehr schade, wenn auch Höflichkeit immer ins Schriftdeutsch gewechselt wird. Und welcher neu Eingereister versteht ein Wort wenn schnell im Dialekt parliert wird? Keiner, würde ich also als Vorteil werten ;-)

Und dass es in der Schweiz oft besser läuft als im grossen Kanton, da braucht man gar nicht so weit zu schauen. Die Mutti schreibt Miese ohne Ende und wer darf es am Ende richten. Die kleine aber sehr feine Tochter im Süden, die es geschafft hat sich wieder da zu platzieren, wo sie schon immer hingehörte. Premium Segement, ganz im Gegenteil zur Mutti, die es nicht mal geschafft hat für die A380 eine Biz zu lancieren ;-)

Von daher, ganz im Militär Jargon: Kopf hoch und Brust raus und einfach auf das stolz sein was man und den anderen den Erfolg nicht neiden ;-) schon gar nicht wenn er hart erkämpft wurde.

Und nicht nur imaginär, sondern in vollem Out Fit, das nimmt den Kollegen gleich den Schneid :-)

LG

PS: Was meinen Sie wie sehr mich der vorzeitige Ausstieg bei der Ice Hockey WM gereut hat, denn da hatten die Deutschen den Sieg nicht wirklich verdient und die Schweizer sehr hart gekämpft aber einfach kein Fuss auf den Boden bekommen....

Dide said...

@Anonymous: Besten Dank für die detaillierte Replik! Grundsätzlich gehe ich einig, ausser vielleicht beim MD11. Der wahre Star am Himmel ist und bleibt die B747! Bestens proportioniert, mit zwei Fingern zu steuern, stolz, aerodynamisch gereift.

Anonymous said...

Sehen Sie, nun wurde der Löwenbändiger ja gefunden ;-)

Ja, ja ich weiss, die gute MD11 - hier scheiden sich die Geister sehr oft :-)))

Nun muss man sich nur noch einigen wen man denn gerne am Sonntag im Finale als Gewinner sehen würde. Die Barcelona/Madrid Mischung oder die Mannschaft aus dem Land der Deiche und Windmühlen...

Auf jeden Fall viel Spass beim Schauen des Finals!

Dide said...

@Anonymous: Am Sonntag werde ich ganz auf der Seite der Iberer stehen. Palmen und San Miguel ziehe ich Windmühlen und Amstel vor.

Auf ein gutes Spiel

Crowi said...

Richtig!
Jetzt, wo die meisten lokal-bzw. national gefärbten Anfeuerungsrufe verstummt sind, wo in Deutschland die Autos über Nacht entflaggt wurden, schlägt auch mein Herz für Spanien.

Auch wenn gerade kein San Miguel zur Hand ist; auch wenn die Schweizer dazumal die nunmehr gross aufspielenden Spanier geschlagen haben, rufe (krächze) ich, den Schweizer Jargon etwas abwandelnd, in die Weiten des Internet:

"Hobbala Espana!"