Monday, June 29, 2009

Walk on the Moon

Auf 36000 Fuss über Alice Springs. Wir befinden uns auf dem Rückweg von Sydney. Die Dispatcher in Abu Dhabi haben uns eine Gesamtflugzeit von 14.15 Stunden errechnet. Doch bereits jetzt, gute zweienhalb Stunden nach dem Start, liegen wir acht Minuten unter der kalkulierten Vorgabe. In unseren Tanks lagern noch immer 98 Tonnen Kerosin. 28 Tonnen haben unsere vier Rolls Royce Triebwerke bis anhin bereits verbrannt und mit den Restpartikeln die Atmosphäre aufgemischt. Der Airbus A340-500 mit der Immatrikulation A6-EHB braust mit 83 Prozent der Schallgeschwindigkeit durch die absolut ruhige Luft. Die Aussentemperatur beträgt saumässig kalte minus 46 Grad Celsius, erwärmt sich jedoch am Rumpf aufgrund der Reibung auf beinahe schon angenehme minus 16 Grad Celsius.

Hinter meinem Rücken essen, trinken, dösen oder diskutieren 256 Seelen. Einige kämpfen mit den Tücken eines zwar vielfältigen aber komplexen Film- und Unterhaltungsprogramms. Es quält die Wahl, gleichzeitig rechnen die bordeigenen Server am Limit. Immer seltener wird im Flugzeug gelesen, und wenn, dann bestenfalls das bunte Hochglanzmagazin mit dem ebenfalls üppigen Zollfrei-Angebot.
Vor unseren Augen senkt sich die Sonne langsam gegen den Horizont. Abendstimmung. Wir lassen die braunen Sonnenschilder herunter und werden immer noch geblendet. Anders als beim romantischen Sonnenuntergang am Strand wünschten wir, die Erde möge sich für einen Moment schneller drehen. Selbstverständlich ignoriert sie unser Anliegen mit der würdevollen Nonchalance einer Nobeldame.
Es ist mein letzter Flug vor den Sommerferien. Deshalb kümmern mich all diese Dinge heute nicht besonders. In Gedanken bin ich bereits beim Packen. Der Reisekoffer liegt halb gefüllt auf dem Boden des verwaisten Schlafzimmers in Abu Dhabi. Heute Nacht, unmittelbar nach unserer mitternächtlichen Ankunft in den Emiraten, will ich die letzten Utensilien umschichten. Vom Arbeitskoffer in den Reisekoffer. Am Nachmittag werde ich via Frankfurt nach Zürich fliegen. Die Familie weilt bereits in der Schweiz, zumindest teilweise. Tim tourt noch mit einem Schulfreund per Zug durch einige Städte Europas: Berlin, Paris, Brüssel, Amsterdam. Ich werde den Eindruck nicht los, als wäre die Reiseroute eher vom Ruf einiger Rotlichtviertel als von gängigen Museumsführern bestimmt. Ungeachtet dessen, wird auch er in wenigen Tagen in der Schweiz eintreffen.
Linda hat Abu Dhabi als erste verlassen. Zusammen mit ihrer Schulklasse verbrachte sie eine Woche in Berlin. Anschliessend ist sie allein nach Zürich geflogen. Fest gebucht mit einem Low Cost Carrier.
Franziska ist mit Nina gereist. Stand by, dafür in der Ersten Klasse. Von Abu Dhabi direkt nach Genf. Dann mit dem Zug in der Zweiten Klasse nach Thun. Dann mit dem Auto ins Diemtigtal. Klassenlos! Die Ortschaften werden immer kleiner, nicht unbedingt unbedeutender.

Mittlerweile ist die Sonne unter der Horizontlinie abgetaucht. Wir klappen unsere Sonnenschilder hoch und knipsen die Cockpitbeleuchtung an. Der koreanische Copi berichtet mir von einem kürzlich gemachten „Gambling-Abstecher“ nach Macao. Am Tag der Abreise bescherte ihm der Jackpot den grossen Geldsegen: 50’000USD! Vielleicht sollte ich meine Freitage etwas effizienter nutzen, schiesst es mir durch den Kopf. Die Börse hält ja eh nicht, was sie vor wenigen Jahren noch versprochen hat. Ich verwerfe den Gedanken rasch wieder und konzentriere mich auf diesen Flug und meine bevorstehenden Ferien.

Wir nähern uns der australischen Ostküste. Hin und wieder erfassen uns leichte Turbulenzen. Noch zehneinhalb Stunden bis zur Landung. Vor vierzig Jahren landeten die Amerikaner auf dem Mond. Wenig später machte Neil Armstrong seine ersten Schritte auf dem Erdtrabanten. Vor wenigen Tagen ist Michael Jackson gestorben. Drei Begegnungen hatte ich mit ihm: Zwei Live-Konzerte in Basel und Hockenheim, beide in der Anonymität der tanzenden Zuschauermasse, sowie ein völlig überraschendes „Aufeinandertreffen“ auf dem Flughafen Genf. Ich war gerade dabei, meinen Koffer im dafür vorgesehenen Nebenraum zu verstauen, als er mir unvermittelt gegenüberstand. Im Schlepptau von zwei Bodyguards, die nervös mit ihren Walky-Talkies herumfuchtelten. Sein schwarzer Hut und die weisse Gesichtsmaske haben mich zweifellos mehr beeindruckt als ihn meine vier goldenen Kapitänsstreifen. Ein kurzer Augenblick nur, dann verschwanden Sänger und Aufpasser durch die automatische Schiebetür auf den Tarmac. Ich hatte den Eindruck, als hätte bei diesem Auftritt etwas gefehlt: keine kreischenden Fans, nicht ein einziger Fotograph. Doch er war es wirklich, auch wenn mir dies kaum jemand glauben wollte. Ach wie fühlte ich mich damals unverstanden.


















Moonwalker one...

















...Moonwalker two

Der Copi hat übrigens seiner Frau nichts von seinem Spielgewinn erzählt.

Was solls. Den Jackpot habe ich abgeschrieben, meinen Fussabdruck werde ich nie im Mondsand verewigen, dafür stand ich Auge in Auge mit dem begnadetsten aller „Moonwalker“. Mehr noch, ich habe ihn überlebt.

Und in 36 Stunden bin ich eh in der Schweiz, dann beginnen meine Ferien. Moonwalk hin oder her.

6 comments:

Anonymous said...

wünsche euch ganz schöne ferien gruss päde

christoph said...

Schön wenn man nach dem "Moonwalk" wieder etwas Erde und den festen Boden unter den Füssen hat :-)

Dide said...

@Päde: Vielen Dank!

@Christoph: Es gibt auch die Möglichkeit, sich im "Moonwalk" auf festem Boden zu versuchen.

christoph said...

Ja, vielleicht einfach nicht zu lange, weil irgendwann helfen auch die Schmerzmittel nicht mehr.

gruss christoph

Crowi said...

"die von Restpartikeln aufgemischte Atmosphäre"

ihr kleiner Beitrag von 28 Tonnen verbrannten Kerosins auf einer Teilstrecke von Sidney nach Abu Dhabi.

Sie finden immer die richtigen Worte.

Wörter?

Dide said...

Worte oder Wörter? Da verweise ich auf den wahren Fachmann. Bastian Sick (Zwiebelfisch) meint:

"Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen beiden Formen? Ja, den gibt es. Man spricht von "Wörtern", wenn Wörter im eigentlichen Sinne, als kleinste grammatische Einheit eines Satzes, gemeint sind.

Man spricht von "Worten", wenn damit Zitate, Redewendungen oder die ganze Sprache gemeint sind.

Um es auf eine Formel zu bringen: Wörter bestehen aus Buchstaben, Worte bestehen aus Gedanken."