Wednesday, July 30, 2008

Bürotage

Ob ich mich langweile? Der Eindruck könnte in Anbetracht des aufgefrischten Blog-Layouts durchaus entstehen. Der Eindruck aber täuscht! Trotz „WANKER“-Periode (Wives Away No Kids Eating Rubbish) kommt keine Langeweile auf. Dies nicht zuletzt auch wegen der neu angetretenen Funktion im „Flight Safety“-Bereich.

Bunte Mischung
Nach meinem Abstecher an den Fuss des Himalaya tausche ich den immer sonnigen Fensterplatz im Cockpit für satte zwei Wochen gegen meinen Kippstuhl im kleinen aber gut klimatisierten, lichtschwachen und klaustrophobisch anmutenden „Flight Safety“-Büro. Aufgrund einer länger dauernden Ferienabwesenheit von André und seiner Familie wird unser an Erfahrung junges Team tüchtig gefordert. Das mag übertrieben klingen und nach billigem Boulevard riechen, kommt der Wahrheit jedoch näher als die Behauptung, wir genössen ein Faulenzer-Dasein. Die tägliche Überwachung und Verarbeitung der laufenden Flugoperation im Bereich „Flight Safety“, insbesondere die Erfassung der automatisch generierten „Exceedance-reports“ oder der von Piloten verfassten Rapporte hält uns auf Trab. Die Schilderung meines Büroumfeldes bietet zwar kaum Stoff für literarische Höhenflüge, soll mir an dieser Stelle aber dennoch einige Phrasen wert sein, nicht zuletzt um einen verständlichen Bogen von „Ground zero“ auf „Vierzigtausend Fuss“ zu spannen.

Der Bürotag beginnt offiziell um 0800 Uhr und endet um 1600 Uhr. Diese Zeiten aber erfreuen sich vor dem Hintergrund Arabischen Denkens (Insch Allah) einer gewissen Flexibilität. Allerdings nicht ausschliesslich zugunsten des Arbeitnehmers.
Der gesamte Bereich „Flight Safety“ befindet sich bei Etihad Airways in einem rasanten Wandel: Was von Schweizer Hand vor drei Jahren im anfänglich kleinen Rahmen minutiös aufgebaut wurde, genügt den heutigen Bedürfnissen der sprunghaft wachsenden Airline nicht mehr. Nach dem Abgang des einen „Ziehvaters“ zur Gulf Air, steht nun der Brite John D. an der Spitze des Departements, das sich neu „Corporate Safety“ nennt. Er verfügt mit seinen knapp 60 Lenzen und seinem aviatischen „Curriculum Vitae“ über äusserst sehenswerte Referenzen. Als langjähriger Pilot bei British Airways, unter anderem als Copi auf VC-10 und der Concorde, später als Captain und stellvertretender Chefpilot auf B747-400 und am Schluss auf der B777 ist er bestens mit den Belangen ständig wachsender Sicherheitsanforderungen vertraut. In sämtlichen Teilbereichen wie "Flight Data Monitoring", "Investigation" und "Risk Assessment" sind im Zuge der Vergrösserung weitere Teilzeitmitarbeiter dazugestossen. Neben dem vollamtlich im Büro tätigen „Investigator“, einem Pakistani, gehören neu Piloten aus Malaysia, Australien, Neuseeland und England zum Team. Auch ein Emirati ist mit von der Partie, und mit André – dem anderen Mann der „ersten Stunde“ – und mir nach wie vor zwei Schweizer. Um die Belange der Kabinenbesatzung kümmern sich Pushpa und Thea, zwei „Cabin Manager“ aus Indien und den Philippinen.

Kleine Büros
Unsere bescheidenen Büros liegen zur Zeit noch in einem barackenähnlichen Gebäude unmittelbar beim Flughafen. Wir teilen die Räumlichkeiten mit anderen Stellen des Bereichs „Flight Operations“. Dazu gehören der „Executive Vice President Operations“, der "Vice President Flight Ops“, die Flottenchefs und die Chefinstruktoren. Auch die technischen Piloten sowie das gesamte Administrationsteam arbeiten unter demselben Dach. Der Umzug in den neuen Hauptsitz soll Ende Jahr stattfinden.
Die Stimmung ist nicht mehr wie früher malaysisch sondern vielmehr anglistisch-germanisch geprägt und sehr locker. Die Bürotüren stehen in der Regel offen, was dem einen oder anderen Schwatz durchaus förderlich, der individuellen Effizienz hingegen eher abträglich ist. So meinte kürzlich unser „Investigator“ schmunzelnd, dass ein Wirkungsgrad von 50 Prozent unter den gegebenen Umständen bereits eine Meisterleistung sei. Und er muss es schliesslich wissen, verbringt er doch jeden Arbeitstag im Bürogebäude.
Auch das Telefon klingelt ab und zu. Vielleicht muss ich an dieser Stelle anfügen, dass der einzige Apparat in unserem, mit drei bis fünf Personen besetzten Kämmerchen auf meinem Pult steht, die meisten Anrufe aber für besagten „Investigator“, dessen Arbeitsplatz in meinem Rücken liegt, bestimmt sind. Mittlerweile haben wir Mittel und Wege gefunden, die mir auch während seiner Telefonate erlauben, meinen Pflichten nachzugehen. Und zwar ohne dabei in Gefahr zu laufen, von einem Telefonkabel stranguliert zu werden und damit definitiv unter die 50 Prozent-Effizienzmarke zu fallen.
Der indische Tea- and Coffeeboy versorgt die gesamte Belegschaft mit heissen oder kalten Getränken. Er tut dies mit beachtlicher Aufmerksamkeit und einer stoischen Ruhe. Bereits nach der ersten Bürowoche hat er meine persönlichen Präferenzen absolut im Griff. Zehn Minuten nach meinem morgendlichen Eintreffen serviert er die erste Tasse Tee mit einem Schuss Milch. Der Kaffee ist ungeniessbar. Eine halbe Stunde später bringt er unaufgefordert Nachschub. Am Nachmittag geht’s im gleichen Stil weiter. Ich habe es ihm nach meinem letzten Abstecher in die Schweiz mit einer Packung Toblerone verdankt. Wie übrigens einigen anderen Kollegen auch. Denn Geschenke erhalten ja bekanntlich die Freundschaft. Im Osten wie im Westen.

Neue Destination
Ein Vorzug bürolistischen Schaffens ist die Tatsache, stets frühzeitig informiert zu sein. Neben den allzeit hochtourig kursierenden Gerüchten, sickern harte Fakten etwas früher durch. Beispielsweise die Ankündigung, dass Etihad ab März 2009 tägliche Direktflüge nach Melbourne anzubieten plant. Neben Sydney und Brisbane wird somit eine dritte australische Destination ins Streckennetz aufgenommen. Ausserdem wird Sydney ab Oktober elf statt wie bisher sieben Mal pro Woche angeflogen. Dies ist möglich, weil zwei neue A340-600 zur Flotte stossen werden.

Wachstum in einer Dimension, wie ich es in dieser Form noch nie erlebt habe. Das alles ist natürlich nur möglich, solange genügend Personal vorhanden ist. Während sich in Europa und den USA bereits Restrukturierungen abzeichnen, rekrutiert Etihad nach wie vor Cockpitbesatzungen im grossen Stil. Um marktgerecht zu bleiben, werden per Juli die Pilotensaläre angepasst. Die „Housing allowance“ für einen Captain beispielsweise steigt von 120'000 Dirham (ca 40'000 CHF) jährlich auf 170'000 Dirham. Das entspricht einer Erhöhung von satten 41 Prozent! Dabei – dies mag Aussenstehende erstaunen – hinkt die Gesellschaft mit den neuen Entschädigungen den marktüblichen Mietpreisen nach wie vor hinten nach. Auch die Schulgelder werden für das kommende Jahr um 20 Prozent erhöht, aber auch diese Summe wird im gleichen Atemzug von den aktuell verlangten Gebühren verschlungen. Zusätzlich gibt’s per Juli eine Anhebung des Basissalärs um vier Prozent sowie neu zehn statt bis anhin vier Bonus-Tickets zum reduzierten Preis. Rechnet man alles zusammen, so fliessen rund zwölf Prozent mehr in die Lohntüten der Flugzeugführer. Dies ohne eine einzige Verhandlungsrunde und ohne vorgängige Abstimmung. Wer sich an europäische Dimensionen gewöhnt ist, dem verschlägt es ob solcher Ansätze glatt den Atem. Es sind dies letztlich untrügliche Indikatoren überschwänglicher Wachstumsraten oder einer (noch) völlig anders gelagerten Relation zwischen Piloten-Angebot und –Nachfrage.

Dass nicht alles Gold ist was glänzt, beweist die akute Wohnungsnot in Abu Dhabi. Wer heute in die Stadt zieht, hat grosse Mühe eine Unterkunft zu finden. Die wenigen Vakanzen wechseln ihre Mieter entweder unter der Hand oder sind im Preis völlig überrissen. So zahlt man heute für eine Dreizimmerwohung auf der Insel schnell einmal 250'000 Dirham. Der bei Etihad neu eingestellte „Health and Safety“-Manager gehört ebenfalls zu den Leidgeplagten. Auch nach zwei Monaten und der Hilfe des firmeninternen „Housing departments“ wohnt er mit seiner vierköpfigen Familie immer noch im Hotel. Das gefällt dem guten Mann verständlicherweise gar nicht. Die Familienmoral ist auf dem Tiefpunkt. Doch er ist Engländer und verfügt über den sprichwörtlich Britischen Humor. Jeden Morgen steckt er den Kopf in unser Büro, nie verlegen um eine treffende Pointe. Unsere Frage nach dem Befinden beanwortete er gestern trocken mit: „Oh quite good since I decided yesterday not to hang myself...“

4 comments:

Anonymous said...

Sehr menschlich, was Sie da schreiben.

Gut dass es all diese Menschen gibt, so wie Sie - I'm definitely not going to hang myself tomorrow....

Anonymous said...

Hallo Dieter,
hab mich heute köstlich amüsiert und einige male herzhaft gelacht, als ich den ganzen Blog durchgelesen habe. Ist gut dass ich mich auch während meiner Abwesenheit durch Deinen Blog auf dem Laufenden halten kann!

Auch freue ich mich dass Du Dich im Büro so gut eingelebt hast. Anfangs warst Du ja nicht so besonders interessiert, als ich Dich direkt für den Job angegangen bin. Du bist nun eine wichtige Stütze und und super Bereicherung des FS Teams. Danke.
Isch würkli lässig mit Dir zäme z'schaffe.

Liebe Grüsse aus Kalabrien,
Zbi und Familie

Anonymous said...

Achtung, bitte nicht zu viel von den Etihad-Vorzügen berichten (was das Gehalt angeht), sonst bekomme ich nächstes Jahr zu viel Konkurrenz.
Ich wohne in Deutschland und spiele schon seit 2 Jahren mit dem Gedanken, nach meinem Abitur (wird 2009 sein) und anschließendem Wehrdienst Berufspilot zu werden. Die letzten Wochen verbrachte ich intensiv damit, mich über die Lufthansa-Ausbildung kundig zu machen, doch dann habe ich durch einen glücklichen Zufall gesehen, dass Etihad nun auch weltweit Bewerbungen für ihr neues Cadet-Pilot-Program annimmt. Und die Aussichten dort sind ja absolut rosig, vorausgesetzt man ist natürlich dazu bereit, in die UAE zu ziehen. Sollte für mich allerdings kein Problem darstellen, weil ich eh der Typ "Fernweh" bin und deshalb auch schon auf ein Jahr Australien im Rahmen eines Schüleraustausches zurückblicken kann.

Ihr Blog hat mich in den letzten Tagen (ich habe seit gestern Mittag jeden einzelnen Bericht im Blog, angefangen 2006) dazu bewegt, dass ich Etihad der Lufthansa vorziehen würde. Vielen Dank für Ihre ausführlichen Berichte, nicht nur bezüglich der Umläufe, sondern auch für die Berichte über Ihr Privatleben.

MfG aus Remscheid (regenreiches Kaff in NRW),

Florian

Dide said...

@Zbi
Danke für die Blumen! Vielleicht noch eine kleine Anmerkung dazu: Es war nicht mangelndes Interesse, sondern viel eher Skepsis. Nach einem hektischen Jahr mit den Hockeyanern wollte ich vermeiden, vom Regen in die Traufe zu schlittern...

@Florian
Ich könnte jetzt natürlich problemlos drei Seiten füllen, wollte ich auf dein Feedback detailliert antworten. Lass es mich kurz machen: Pilot ist auch heute noch ein Traumberuf! Voraussetzung ist jedoch die Bereitschaft, zumindest einen Teil
seiner Berufslaufbahn im Ausland zu verbringen. Das steht so in keinem Prospekt und keiner Berufsbroschüre, wird aber, vor dem Hintergrund fusionierender Airlines und sich rasch verändernder Märkte immer aktueller und erhöht mit Sicherheit die Chance, in diesem Markt Fuss fassen zu können. Wer allerdings die Möglichkeit hat, bei einer renommierten und etablierten Airline - und dazu zähle ich die Lufthansa zweifellos - einzusteigen, sollte sich gut überlegen, ob er (oder sie), diesen Trumpf aus der Hand geben will. Ein Abgang ins Ausland ist wohl fast jederzeit möglich, eine Rückkehr nach Europa etwas schwieriger.

Auf jeden Fall - toi, toi, toi