Bereits zweimal bin ich um den Häuserblock gefahren. Um diese Tageszeit herrscht Hochbetrieb an der Delma-Street. Zumindest vor unserem Haus. Es ist kurz vor Acht, die Menschen ergeben sich in den erwachenden Tag. Aus der Tiefgarage quellen Geländewagen, am Steuer meist Mütter, die ihre morgentrüben Augen hinter mächtigen Sonnenbrillen verstecken. Neben oder hinter ihnen hängen verschlafene Kinder in den Sitzen. Zugestöpselte Ohren schützen vor elterlichen Ermahnungen. Gegen das Trommelfell hämmern wuchtige Bässe. Bald beginnt die Schule.
Um die wenigen Parkplätze rund um den zweiteiligen Wohnblock ist es zu dieser Stunde rasch geschehen. In den unteren Etagen des einen Gebäudes befindet sich eine Gerichtsabteilung. Chaotisch geparkte Autos zeugen von der mobilen Individualität der Emiratis. Schon mehrfach konnte ich erst wegfahren, nachdem ich einen Wagenbesitzer angerufen und gebeten hatte, sein Gefährt zu verschieben. Die meisten dieser Wildparker deponieren ihre Handynummer hinter der Frontscheibe. Immerhin.
Für die einen ist es früh, für andere spät. Ich gehöre in diesem Fall zu den zweiten. Die Nacht habe ich mir im Cockpit um die Ohren geschlagen. Leichtsinnig unvorbereitet, ich gebe es zu. Meine Reserve begann am Vorabend um 18 Uhr. Den ganzen Tag hatte ich in der Eishalle zu Dubai verbracht und dabei unter anderem mitansehen müssen, wie die Abu Dhabi Scorpions von den Dubai Camels im Halbfinal eliminiert wurden. Auf der Rückfahrt schläft Tim neben mir ein. Über seinen linken Unterarm zieht sich eine lange, blutige Schramme. Die Folge einer heftigen Kollision mit der gegnerischen Torumrandung.
Nach dem Abendessen widme ich mich der elektronischen Post. Später, so denke ich, werde ich den Sohn an den Flughafen fahren. Meine Reserve endet um Mitternacht, ich hab sie eigentlich schon abgehakt.
Das Telefon klingelt um halb Neun: „Hi Dieter, it’s Marshall from Crew Control. Sorry but we need you for a Lahore flight.“ Ein Blick aus dem Fenster, dann auf die Uhr. “Wann muss ich denn am Flughafen sein?”
„In half an hour – but relax, no need to rush“. Dann erklärt mir Marshall, dass es sich um einen Line Check des Copiloten handelt. Der vorgesehene Kapitän musste auf dem Weg zur Arbeit wegen plötzlicher Übelkeit umkehren. Dafür gebe ich jetzt ein bisschen mehr Gas. Vierzig Minuten später, schiebe ich meinen Crewbag auf das Band der Röntgenmaschine. Im selben Moment klingelt erneut das Handy in meiner Jackentasche. Marshall will lediglich wissen, wie weit ich schon sei. „I’m basically here“, beruhige ich ihn. Wenig später öffne ich die Tür des Planungsraums.
Als wir bei unserem A340-600 eintreffen, ist es stickig heiss in der Kabine. Wir betreten das Flugzeug durch die hinterste Türe und kämpfen uns durch den endlos langen Rumpf in den Führerstand. Die zahlreichen Mechaniker verheissen wenig Gutes. Die APU, das Aggregat, welches am Boden Strom und Kühlluft liefert, ist ausgefallen. Ausserdem ist eine Komponente der für die Navigation und Bedienung der Autopiloten zuständigen Computer defekt. Das beeinträchtigt in diesem Fall speziell den Copiloten und ist besonders deshalb ärgerlich, weil er derjenige ist, der gecheckt wird. Murphy hat heute nicht nur mit seinen Toren Abu Dhabis Finalträume zerstört (der Stürmer heisst wirklich so!), er – der andere, imaginäre – gesellt sich auch, ganz unanständig und ungefragt, heute Nacht zu uns ins Cockpit.
Wir schaffen es trotzdem ohne nennenswerte Probleme in den Punjab und wieder zurück nach Abu Dhabi. Abgesehen davon, dass die elektrische Hilfsturbine in Lahore kurz vor dem Triebwerkstart überhitzt und uns für zehn Minuten mit einer verdutzten Gästeschar im Dunkeln stehen lässt.
Jetzt sitze ich im Wohnzimmer an der Delma-Street. Der Parkplatzsuche überdrüssig, habe ich Hossein, den besten, zuverlässigsten und hilfsbereitesten aller Wachmänner angerufen. Er hat mir die Nummer eines zur Zeit unbelegten Parkfeldes in der Tiefgarage verraten. Dort habe ich den Volvo abgestellt. Anschliessend habe ich mir in der neu eröffneten syrischen Bäckerei im Hinterhof zwei Manakeesh Jubnah geholt. Ähnlich wie eine Pizza; runder Teigboden, mit Käse belegt, Sesamkörner darüber gestreut und wenige Minuten im oder auf dem Ofen gebacken. Dann gefaltet und heiss gegessen. Die perfekte Art, nach einer durchwachten Nacht den neuen Tag zu starten!
Heute Nacht fliege ich übrigens nach Mailand. Wenn nicht Manakeesh, dann halt Cappuccino...
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1 comment:
Ah ja, ich erinnere mich jetzt, aber ich habe den Schuss auf dieser Reise auch nicht bekommen :)
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