Thursday, November 04, 2010

Nachtflug

Der Blick aus dem Fenster gibt nicht viel frei. Das helle Licht im Cockpit beraubt mich der Möglichkeit, Mond, Sterne oder Planeten auszumachen.
Ich sitze unbequem, die Schuhbändel meiner schwarzen Uniform-Einheitsschuhe habe ich gelöst. Beim Versuch, meine Beine auszustrecken stosse ich mit den Füssen gegen die Pedale fürs Seitenruder. Ich fahre den Sitz einige Zentimeter zurück, strecke mich erneut. Der Copi starrt teilnahmslos ans Instrumentenbrett, bevor er einen Schluck aus seiner Teetasse nimmt. Schliesslich schnappt er sich den Flugplan und kontrolliert unseren Brennstoffverbrauch.

Ich greife nach der grossen Wasserflasche in der Ablage neben meinem Sitz und überwinde mich zu drei, vier langen Schlücken. Zwei Liter alle vier Stunden ist die Vorgabe, damit die Nieren ausreichend durchgespült werden. Die Luft ist trocken, das Wasser ist mir trotzdem verleidet. Doch Kaffee habe ich bereits zu viel getrunken: Zuhause vor der Abfahrt, am Flughafen, im Cockpit vor der Start.
Meine Augen wandern über die Bildschirme, ohne dabei Werte festzustellen, die beunruhigen würden. Hie und da durchbrechen monotone Stimmen am Funk die Stille der Nacht. Ihnen gemeinsam ist das Fliegerenglisch, dabei unterscheiden sie sich durch typische, von der Muttersprache geprägte Akzente.
Ich verschränke meine Hände hinter dem Kopf, drehe den Oberkörper zuerst nach rechts, dann nach links, gähne, reibe mir die brennenden Augen, blicke auf die Uhr.

Die Müdigkeit nagt. Wie ein Virus hat sie sich in meinen Gliedern festgekrallt. Dabei sind wir erst etwas mehr als zwei Stunden in der Luft. Weitere sechs stehen bis zur Landung in Dublin an. Der Start erfolgte um halb drei am Morgen. Zu einer Zeit, wo anständige Menschen tief schlafen. Es ist dunkel als wir abheben, es wird auch dunkel sein bei der Landung in Irland. Wieder ein Blick auf die Uhr.

Ich winde mich aus meinem Sitz. Wer viel trinkt, der muss mal. Alte Hasen empfehlen, den ersten Gang auf die Toilette möglichst lange hinauszuzögern. Wer einmal die Hosen runterlässt, kann sich nachher kaum mehr zurückhalten. Eine von vielen Fliegerregeln. Ähnlich wie die Empfehlung, bei Ultralangstrecken vor dem Schlafen eine Tasse Bouillon zu trinken und die Temperatur im Crewbunk auf mindestens 24 Grad zu regulieren. Warme Füsse helfen mit, die Blase nicht jede halbe Stunde entleeren zu müssen.

Zurück im Cockpit lösche ich das Licht und blicke aus dem Fenster. Der mit seinem Schwert bewaffnete Orion wacht schützend über unserem Flug. Ich verharre einige Sekunden unbeweglich, sauge die Dunkelheit in mich auf. Die Augenlider werden schwer. Einen Moment nur lasse ich dies zu, vernachlässige die Gegenwehr, dann kippt mein Kopf nach vorne. Erschrocken zucke ich zusammen. Instinktiv fährt mein Blick nach rechts. Der Copi scheint in guter Verfassung. Ich bin beruhigt. Die Zeiger der Uhr bewegen sich kaum.

Wie vor jedem Nachtflug habe ich die Kabinenbesatzung beim Briefing gebeten, regelmässig einen Blick ins Cockpit zu werfen. Mindestens alle 30 Minuten sollen sie nach uns sehen. Dann rutsche ich wieder unruhig auf meinem Sitz herum, strecke die Beine, die Arme, spanne Sehnen und Muskeln. Die Uhr wirkt wie ein Magnet.
Seit der ersten Zeile sind gerade mal neun Minuten vergangen. Noch sechseinhalb Stunden bis zur Landung.

Nachtflüge sind eine Qual.

7 comments:

matzeBT said...

Ja, Nachtflüge sind eine Qual. Nicht nur für Damen und Herren die nach vorne aus dem Fenster sehen. Auch für die Paxe. Mich graut es vor meinem morgen Abend von YVR nach AMS.

Dide said...

Wünsche dennoch eine schöne Reise. Mir steht heute Nacht der Rückflug nach Abu Dhabi bevor...

Geteiltes Leid, halbes Leid!

Gruss

Skypointer said...

Ein Traumberuf, der Dir den Schlaf und damit die Träume raubt... ;-)

Denti said...

Auf der Kurzstrecke heisst es eher: Geh in der ersten Stunde, danach ist das Örtchen aus hygienischen Gründen unbenutzbar und die nächsten 4 Stunden bis Ägypten muss man halt die Schmerzen aushalten...

Und die 5 Stunden zurück dasselbe, zu zweit durch die Nacht und Morgens mit der Sonne im Gesicht landen.

matzeBT said...

Trotz allem noch eine Frage: geplante Flugzeit laut Flugplan 9 Stunden. Dann die Ansage des Captain: Flugzeit 8 Stunden durch geändertes Routing. Hm...Fragezeichen in meinen Augen. Warum nicht immer so?

Dide said...

@Denti: Die Hygiene ist natürlich ein anderes Thema. Doch eine volle Blase kann schnell einmal zum Sicherheitsrisiko werden. Und nie werde ich die mahnenden Worte eines weisshaarigen Flight Engineers auf dem guten alten Jumbo B747 vergessen: "Der Toilettenbesuch vor dem Anflug soll so angesetzt werden, dass auch ein allfälliger Go Around abgedeckt ist..."

@matzeBT: Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Allenfalls wurde ein temporär geschlossener Sektor kurzfristig freigegeben und die Route konnte entsprechend verkürzt werden (zB weekend) - ODER - der Kapitän ist ein gewiefter Taktiker und blufft anfänglich mit einer längeren Flugzeit, um wenig später seine Gäste mit einer erfreulichen Meldung bei Laune zu halten...

Gruss

junior freight dog said...

klingt nett, aber stell dir das mal ohne kaffee und ohne klo vor ;)
Bin nur froh das wir selten mehr als 4h stunden abreissen
Grüsse von FL180