Monday, May 03, 2010

Von Göttern in Weiss und Helden der Lüfte

In Chicago hausen die SWISS-Besatzungen im gleichen Hotel wie Etihad-Crews. Das birgt Potenzial für überraschende Begegnungen. So geschehen bei meiner letzten Rotation in die windige Stadt. Geblasen hat der Wind bei unserer Landung in O’Hare, das sieben Pisten im Angebot hat, in der Tat. Doch anders als im Winter kümmerte uns der Windchill nicht. Die Temperatur lag bei sommerlichen 27 Grad Celsius. Da wirkt eine kleine Brise ganz erfrischend.

In der Lobby des Westin Hotels an der Michigan Avenue treffe ich nach dem Einchecken auf „Zeri“, einen Airbus-Copi der SWISS, mit dem ich zu früheren Zeiten auch die eine oder andere Stunde in Eishallen verbracht habe. Er, als Star-Verteidiger des Eishockeyteams der Staffel 13, ich als bescheidener Gehilfe an der Bande. Während Zeri gegnerische Stürmer und störende Pucks aus dem eigenen Drittel spedierte, lag mein Kompetenzbereich in der Bedienung der Bandentüre. Eine Tätigkeit allerdings, die optimal ausgeführt, entscheidend zum Mannschafts-Erfolg beitragen kann. Dies nur nebenbei bemerkt.

Gemeinsam verplaudern wir den Samstagmorgen bei Kaffee und Muffin. In Anbetracht des anstehenden Rückkehrentscheids zur SWISS folge ich Zeri’s Schilderungen mit höchstem Interesse. Dann trennen sich unsere Wege.
Die SWISS-Maschine startet am Abend eine Stunde vor uns. Am Flughafen reicht es mir gerade noch für ein Stimmungsbild, dann wird der A340 mit dem Schweizerkreuz vom Traktor auf die Rampe gestossen. Der Rückflug der Kollegen dürfte mindestens sechs Stunden kürzer ausfallen als der unsrige.















Vielleicht auch etwas ruhiger. Bereits beim Boarding herrscht Aufregung. Eine schwangere Inderin verfügt nicht über das erforderliche medizinische Zertifikat zur Bestätigung ihrer Flugtauglichkeit. In der Bordküche, zwischen einsteigenden Passagieren und tausenden (!) von Handgepäckeinheiten wird heftig diskutiert. Die Kabinenchefin legt die Angelegenheit vertrauensvoll in meine Hände, dazwischen tut auch der Stationsmanager munter seine Meinung kund. Wir entscheiden „für die (schwangere) Angeklagte“ und drücken ein kleines Auge zu.
Nach dem Start mache ich es mir erst einmal auf einem der hintersten Passagiersitze gemütlich. Meine Schicht beginnt in sechseinhalb Stunden.
Nach etwas mehr als der Hälfte des Fluges, ich habe mich eben erst im Cockpit mit der allgemeinen Lage vertraut gemacht, ruft mich die Cabin Managerin aus dem Galley im Heck des Flugzeugs an. Eine „ältere“ Inderin (später stellt sich heraus, dass die Dame lediglich drei Jahre älter war als ich. Von "alt"kann nicht die Rede sein...) wäre vor der Toilette kollabiert. Immer diese Inder! Ich erfahre weiter, dass sie wieder bei Bewusstsein ist und mit Sauerstoff versorgt wird. Noch sind wir nicht gross beunruhigt. Solches passiert auf Ultralangstrecken immer wieder. Die Kabinenchefin Nadine gehört zum Instruktorenteam für das Training von Notverfahren. Sie weiss, was in diesem Fall zu tun ist.
Wenig später taucht sie im Cockpit auf. Offenbar hat sich der angeschlagene Kreislauf stabilisiert. Just in diesem Moment scheint sich die Dame wieder anders zu besinnen. Sie klagt über Schüttelfrost und Schmerzen in der Brust. Nadine macht auf dem Absatz kehrt und begibt sich zurück in die Kabine, um nach einem Arzt zu fragen.

Spätestens in diesem Moment müssen wir uns im Cockpit mit einer allfälligen Zwischenlandung beschäftigen. Gemeinsam entwerfen wir ein Szenario, bei dem wir nach einem bestimmten Entscheidungsraster vorgehen. Das Zauberwort heisst FORDEC. Jeder Buchstabe steht für einen der sechs Schritte: Facts, Options, Risks, Decision, Execution, Check. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigen wir uns in erster Linie mit den „Options“. Dies weckt Erinnerungen an einen Swissair-Flug vor elf Jahren. Mit dem Jumbo unterwegs von Zürich nach Atlanta, mussten wir in Halifax zwischenlanden. Ein Mann hatte Blutungen in der Speiseröhre. Der Zustand des Patienten verschlechterte sich während der Überquerung des Nordatlantiks. Auch damals war glücklicherweise ein Arzt an Bord. Kurz vor Halifax riet er zur Landung. Das war ein Jahr nach dem Absturz von SR111. Ausgerechnet Halifax, dachten wir...

Dem weiteren Flugverlauf angepasst erstellen wir eine Prioritätenliste aller für eine Zwischenlandung möglichen Flughäfen. Es müssen Wetterinformationen eingeholt werden. Dann versuche ich, die Landekarten in den im Cockpit zahlreich vorhandenen Ordnern zu lokalisieren, was sich als ziemlich zeitaufwändig erweist. Ich zwänge meinen Oberkörper in den Garderobenkasten und wühle auf dem Boden kauernd, in dicken Ringbüchern, die so voll sind, dass sich die Seiten kaum umblättern lassen.
Der Copi beginnt derweilen mit der Programmierung des Navigationscomputers. Im Sekundär-Flugplan speichert er den Anflugweg jenes Ausweichplatzes, den wir aktuell anfliegen würden. Da unser Airbus noch immer 287 Tonnen wiegt, liegen wir über dem maximal erlaubten Landegewicht. Wir studieren die Verfahren für das Ablassen von Sprit (Fuel Jettisoning), berechnen Landedistanzen und werfen einen Blick in die Checkliste für eine „Overweight Landing“. Im Falle eines akuten medizinischen Problems wäre es kaum angebracht, in einer Warteschlaufe wertvolle Minuten zu vergeuden. Es wird gelandet, um jeden Preis!

Glücklicherweise finden sich drei Ärzte an Bord. Ein Kinderarzt, ein Augenarzt sowie ein Kardiologe. Später werden uns die Flight Attendants mit leuchtenden Augen berichten, dass die Medizinmänner nicht nur hilfsbereit und kompetent, sondern überaus gutaussehend waren. Mir ist jedes Mittel recht, das der fragilen Konstitution der Patientin zuträglich ist.
Über das Satellitentelefon nehmen wir Kontakt mit „Medlink“ auf, einer Organisation, die rund um die Uhr Flugzeugbesatzungen bei medizinischen Notfällen zur Seite steht.
Der Copi und ich haben mittlerweile eine Liste der im weiteren Flugverlauf in Frage kommenden Landeplätze auf einen Zettel gekritzelt. Mit Angabe der Anflughilfen und Pistenlängen. Dann taucht nochmals eine Hostess im Führerstand auf. Offenbar verspürt ein weiterer Passagier Schmerzen auf der Brust. Ob es sich hier um einen ansteckenden Virus handelt? Langsam fühle ich mich wie im Ambulanzflieger. In der Kabine wird mit Meisterhand Blutdruck gemessen und Sauerstoff verabreicht. Medikamente werden geschluckt und mit Wasser runtergespült. Der Copi und ich sind bereit zum Abschwung falls nötig.

Das erübrigt sich glücklicherweise. Irgendwann folgt die Entwarnung. Beide Patienten erholen sich unter den kundigen Massnahmen der Ärzte rasch. Die Kreisläufe haben sich stabilisiert, die Verdauung ebenfalls. Schmerzen und Druckgefühl lassen nach. Die Aufregung legt sich, alles im grünen Bereich. Nur die Hostessen schwärmen noch immer von den „cute doctors“.
Sollen sie. Die Götter in Weiss wirken am Boden, die Helden der Lüfte auf 30000 Fuss und höher. Da stehen wir im wahrsten Sinne des Wortes „über“ der Sache.

7 comments:

Severin said...

gut zu hören, dann ist mein Weg von der Kabine in die Medizin vielleicht doch nicht so verkehrt :D

Crowi said...

Man erfährt bei Ihnen immer wieder Neues: So habe ich z.B. nicht um den Einfluss des Banden-Tür-Bedieners bei Eishockey Matches gewusst.

Die Kanadische Mannschaft hat das Olympia Endspiel in Vancouver knapp gewonnen. Vielleicht war ER das Zünglein an der Waage, who knows - auch wenn's im TV nicht zu sehen war. So hoffe ich der Mann im Tor...ähh...an der Türe ist entsprechend gewürdigt worden.

Dide said...

@Severin: Du wirst der perfekte Allrounder sein!
Vor dem Hintergrund immer grösserer Flugzeuge und immer längerer Flugzeiten wage ich zu behaupten, dass der Tag kommen wird, an dem einzelne Airlines Ärzten einen Spezialtarif anbieten werden: Mit der Auflage, dass sie bei Bedarf ihre Dienste während des Fluges zur Verfügung stellen...

@Crowi:Der Verschreiber ist absolut richtig! In vielen Fällen ist es der Ersatzgoalie, der die Bandentüre bedient. Ein Insider, ein Teammitglied, der die Mitspieler bestens kennt. Timing ist wichtig, aber ohne den wiederholten Klaps auf die Schulter oder den Hintern kann auch die stärkste Mannschaft nicht gewinnen.

Gruss

G! said...

Womit einmal mehr belegt wäre, dass es Frauen nur um die inneren Werte geht :-) Wie dem auch sei, ICH bin dafür, dass wir mindestens 2 Krankenschwestern mit in der Crew haben :-)

Dide said...

@G!: Ein grosses Wort, gelassen ausgesprochen. I'm with you...

Crowi said...

Jetzt 3:2 Endresultat gegen Tschechien...WOW! Hopp Schwiiz!

Dide said...

@Crowi: Wir bleiben auch in Abu Dhabi ganz nah am Puck...
Tim geniesst es, seine in der Mehrzahl kanadischen Mitspieler an die Begegnung gegen das Mutterland des Eishockeys zu erinnern!