Saturday, August 22, 2009

Ramadan Kareem!

Heute beginnt der muslimische Fastenmonat. Alles wird ein bisschen langsamer, ruhiger. Bis zum Sonnenuntergang geschlossene Restaurants und Cafés werfen öde und fade Schatten auf die sonst so belebten Einkaufs-Malls. Selbst das Kauen von Kaugummi oder das Trinken von Wasser in der Öffentlichkeit sind tabu. Wir werden uns zuerst wieder daran gewöhnen müssen.

Fasten gehört zu den fünf Säulen des Islams; neben Beten, dem Glaubensbekenntnis, der Unterstützung von Bedürftigen und einer einmaligen Pilgerfahrt nach Mekka. Zu Beginn unseres vierten Wüstenjahres erleben wir die traditionelle Fastenzeit ein drittes Mal als Bewohner eines arabischen Landes. Im Laufe der Zeit haben wir einige Muslime, teilweise auch ihre Familien, näher kennen gelernt, im privaten wie auch im beruflichen Umfeld. Auch wenn wir unsere persönlichen Essgewohnheiten nicht ändern, glauben wir ein bisschen verstehen zu können, was diesen Menschen der "Heilige Monat" bedeutet.
Der Ramadan dominiert jede Faser des täglichen Lebens. Private Abmachungen, geschäftliche Termine und öffentliche Veranstaltungen sind alle dem Rhythmus des Fastens unterworfen. In der letzten Stunde vor Iftar, der Zeit des Fastenbrechens, steigt die Nervosität, die Anspannung wird förmlich greifbar: Die Gläubigen haben den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken. Sie sind gereizt, ungeduldig und vor allem hungrig und durstig, was sich letztlich auch auf ihre Fahrweise überträgt. Von Autofahrten wird abgeraten. Die Strassen sind wegen hektischer und undisziplinierter Fahrweise (alle wollen möglichst rasch nach Hause) tunlichst zu meiden, die Unfallrate steigt rapide. Dabei ist die soeben veröffentlichte Statistik der Verkehrstoten jetzt schon alles andere als erbaulich: Im Jahre 2008 verloren bei einer Gesamtbevölkerung von knapp fünf Millionen rund 1100 Menschen auf emiratischen Strassen ihr Leben. Verglichen mit der siebeneinhalb Millionen Einwohner zählenden Schweiz, eine ganz üble Statistik. Denn in helvetischen Landen starben im vergangenen Jahr „lediglich“ 357 Personen.

Wenn die Sonne dann endlich am Horizont verschwindet, ist die Stadt beinahe leer, die Menschen verschwinden in ihre Häuser oder in eines der vielerorts errichteten Iftar-Zelte. Nach Datteln und traditionellen Fruchtsäften legen sich die Hungrigen so richtig ins Zeug und holen nach, was ihnen während der vergangenen zwölf Stunden verboten war. Auch wir werden zweifellos wieder das eine oder andere Iftar-Buffet besuchen, um uns an Hoummus, Moutabel, Lamm, Huhn, Reis, Früchten, arabischen Süssigkeiten und dem herrlichen Umm-Ali, einem süss-klebrigen Dessertbrei, vergleichbar mit dem bei uns bekannten Brotpudding zu vergreifen.















Wie wir in den Schweizer Online-Zeitungen erfahren, leidet die Bevölkerung unter einer Hitzewelle; 34 Grad – da wird wohl so mancher Hemdenkragen feucht. In Abu Dhabi ist es ähnlich heiss – in der Nacht! Am Tag quält sich das Thermometer zehn Gradeinheiten höher. Knapp unter 45 Grad liegen die Maximalwerte. Bei einer Luftfeuchtigkeit von 70 Prozent. Allerdings verfügt auch der lausigste Geräteschuppen über eine Klimaanlage, was den unkontrollierten Flüssigkeitsausstoss des Körpers in Grenzen hält. Dummerweise hat eine völlig dilettantische Unterhaltscrew den Swimmingpool unseres Compounds wieder einmal lahmgelegt. Das Wasser hat sich dunkelgrün verfärbt und erinnert in seiner Farbe an den mittlerweile arg vergifteten Xiang-Fluss in China. Dies, nachdem bereits im März vier Wochen am Badetempel herumgewerkelt worden war. Franziska und ich haben uns heute echt geärgert. Und ich habe mir Rache geschworen. Die Verwaltung wird von mir hören! Stalkermässige Telefonanrufe, Tag und Nacht. Schliesslich wurde unser soeben um ein Jahr verlängerter Mietvertrag von einer fünfprozentigen Zinserhöhung begleitet. Da darf man doch eine funktionierende Infrastruktur erwarten. Und einen vollen Pool. Doch schwant uns Übles. Denn, wie eingangs erwähnt, beginnt heute der Fastenmonat. Und da könnte sich die Reparatur des Pools etwas in die Länge ziehen: Tage, Wochen... Ramadan Kareem!







Bis auf Weiteres geschlossen...

Thursday, August 13, 2009

Perseiden

Linda ist die einzige unserer Familie, die noch nicht aus den Ferien nach Abu Dhabi zurückgekehrt ist. Sie geniesst ausserordentliche Privilegien, darf sie doch in den ersten beiden Augustwochen mit der Familie ihres Freundes auf einer 40-Fuss Segeljacht stolze elf Tage der Küste Kroatiens entlang segeln.

Um sie entsprechend fürs Matrosenleben zu wappnen, haben wir im Vorfeld die hohe Kunst der Knotentechnik geübt. Den „Doppelten Mastwurf“ beherrscht Linda mittlerweile im Schlaf. Auch einen Fisch soll sie gefangen haben, steht in einem ihrer seltenen SMS geschrieben. Die mediterrane Seefahrt scheint ihr offensichtlich zu gefallen.


































Adria-SegelIdylle

Da sie von ihren Gastgebern am Ende des Segelturns in Split abgesetzt wird, führt sie ihr (Flug)Weg zuerst nach Frankfurt. Wir haben ein Ticket auf einem Linienflug der Croatia Airlines gebucht. Das zweite Teilstück von Frankfurt nach Abu Dhabi reist sie mit vergünstigtem Tarif auf „Standby“-Basis. Damit nichts schief gehen kann, habe ich den entsprechenden Etihad-Flug als Einsatz-Wunsch eingegeben. Im Grunde genommen ist dies ein ziemlich dämlicher „Request“. Derart dämlich, dass er die verunsicherte Einsatzplanerin zu einer Rückfrage per Email veranlasst. Ob ich wirklich exakt diesen Flug wünschen täte, argwöhnt sie; der Hinflug wäre ein Nachtflug, und nach lediglich etwas mehr als zwölf Stunden würde ich dann – wieder in der Nacht – den Flieger nach Abu Dhabi zurück pilotieren. Zwei Nachtflüge innerhalb 24 Stunden – so etwas findet sich unmöglich auf der Wunschliste eines vernünftig denkenden Piloten. Höchstens auf der, eines umsichtig waltenden Vaters. Meine Erklärung scheint sie zu überzeugen.

Am Nachmittag vor meinem Abflug fahren Franziska und ich nach Dubai. Vor der Stadt hat der US-Flugzeugträger USS Reagan für einige Tage Halt gemacht. Die 5000 Mann- und Frau-starke Besatzung strömt in die immer noch auffällig leer wirkende Wüstenmetropole und okkupiert Einkaufsmalls und Coffeeshops.
Die Träger-Besatzung stellt auch ein Eishockey-Team. Und dieses ist auf der Suche nach Gegnern an die „Dubai Sandstorms“ gelangt. Spontan wird ein Auswahlteam mit Spielern der drei UAE-Eishockeystädte zusammengestellt. Und auf heute Nachmittag eben ist die Partie im grosszügigen Icerink der brandneuen Dubai-Mall angesagt. Tim darf mittun, und wird in der Folge stolzer Besitzer eines „USS-Reagan Caps“. Die US-Navy übernimmt die Kosten für das (äusserst teure) Eis und die Caps. Und bringt damit, so sinniere ich, das US-Verteidigungsbudget arg unter Druck. Dass in der gegnerischen Mannschaft offenbar auch zwei Navy-Piloten mitspielen, beeindruckt Tim, der für die Fliegerei etwa soviel übrig hat wie ich für das Annähen von Jacket-Knöpfen, wenig. Die UAE-Habibis schlagen die US-Boys zweistellig. Schade für die zahlreich erschienen Supporter des Carrier-Teams, denen während der drei Drittel kein einziges Tor ihrer Truppe geboten wird.





























Tim beim Torschuss

Später an diesem Abend, eigentlich ist es tiefe Nacht, fliege ich dann also doch noch nach Frankfurt. Nach der Landung am nächsten Morgen verkrieche ich mich sogleich unter die Decke. Rund 14 Stunden verbleiben bis zum Rückflug. Linda landet, von Split kommend, kurz nach 16 Uhr, und fährt mit dem Taxi zu mir ins Hotel. Der flotte Kellner vom Roomservice bringt uns Burger und Baguette ins Zimmer, dann berichtet die Tochter von ihrer Segeltour und lässt mich die Reise digital nacherleben.
Bald schon klingelt das Telefon – „Wake up“ für den Rückflug. Wir duschen und stürzen uns in die Flugmontur. Beim Check-In am Flughafen eröffnet der Mann am Schalter, dass der Flug überbucht ist. Wohl gibt es in Frankfurt immer einige „No Shows“, doch ausgerechnet heute scheinen alle Passagiere festen Willens, ihre Buchung umzusetzen. Der Flieger wird ob so viel Konsequenz platschvoll. Wir vergeben in der Folge zwei Jumpseats (Crew-Sitze), den einen davon an Linda. Immerhin rechtfertigt sich auf diese Weise meine selbstlos gewünschte doppelte Nachtmission...
Ungeschickt ist die Angelegenheit für meine Tochter, die am kommenden Tag, um 10 Uhr, einen Französisch-Prüfungstermin für die Klasseneinteilung an ihrer neuen Schule ACS hat. Da kommen mir doch die Perseiden wie gerufen; Wie jedes Jahr kreuzt die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne die Überreste des Kometen 109P/Swift-Tuttle. Diese Überreste, kleine Staub- und Gesteinsteilchen, verglühen aufgrund der Reibungshitze beim Eintritt in die Erdatmosphäre, was zusammen mit anderen physikalischen Effekten zu einem kurzen Aufleuchten der Luft entlang der Flugbahn der Teilchen führt. Simpel gesagt, braust ein wahrer Sternschnuppen-Regen auf uns nieder.
Die Perseiden gelten als schönster und reichster Sternschnuppenstrom des Jahres. In den 90er-Jahren wurden teilweise mehrere Hundert Perseiden pro Stunde gezählt. Soviele notieren wir während unseres knapp sechsstündigen Rückflugs nicht. Obwohl wir ausnahmsweise die Cockpitlichter meist gelöscht haben, und uns neben den fliegerischen Aufgaben vermehrt als „Fenstergucker“ betätigen. Auf 15 komme ich aber allemal. Eine davon widme ich meiner Tochter. Auf dass ihr die morgige Franzprüfung gelinge. Ich bin ja schliesslich kein Egoist...

Friday, August 07, 2009

When the shit hits the fan

Es gibt sie immer wieder; diese Flüge oder Rotationen, bei denen lästige und ärgerliche Störungen in verschiedenen Bereichen der Besatzung Kopfweh bereiten.

Dabei fängt alles so gut an. Wieder einmal unterwegs nach London. Die wie immer grosszügige Zeitplanung (Expect the unexpected) erlaubt mir sowohl entspanntes Fahren auf der Autobahn, als auch entspanntes Kaffee trinken im Planungsraum am Flughafen. Es ist Vormittag, kurz nach elf Uhr. Um diese Zeit läuft nicht viel, und es fehlt die übliche Hektik der Spitzenzeiten. Der Copi aus dem Land wo Hyunday, Samsung und LG gegen die japanische Konkurrenz aufrüsten, erscheint ebenfalls frühzeitig. So bleibt uns neben Flugplanung und „Crew briefing“ genügend Zeit für Plaudereien. Erst als wir die Passkontrolle bereits passiert haben, kurz vor dem Besteigen des Busses, der uns zum Flugzeug bringt, realisiere ich, dass mein Laptop immer noch am Kabel für den Daten-Update hängt. Da war ich wohl etwas zu entspannt. Ohne mein „Working Brain“ geht nichts. Also gehts im Laufschritt zurück. Zumindest bis zur Passkontrolle. Dort gilt es in mühsamer Kleinarbeit den Beamten zu überzeugen, dass ich „nur“ schnell meinen Laptop holen muss. Dummerweise will ich gegen den Strom, und lokale Zöllner sind nicht die flexibelsten. Schliesslich beschlagnahmt der uniformierte Grenzwächter meinen Etihad-Ausweis und die Lizenz, dann lässt er mich gnädigerweise durch. Ich schnappe mir den Compi und haste den gleichen Weg zurück. Dass ich dabei einen Knopf meines Uniform-Jackets verliere, führe ich ausschliesslich auf meinen dynamischen Laufstil zurück.

Eine Stunde später, im Cockpit unseres A340-600, scheint wieder alles normal. Das „Boarding“ ist bereits abgeschlossen, die Passagiere machen sich neugierig mit den vielfältigen Unterhaltungs- und Spieloptionen eines modernen Flugzeugsitzes vertraut. Zwei Minuten bevor wir die Maschine vom Dock zurückstossen möchten, meldet sich unvermittelt die APU (Auxiliary Power Unit) mit einem „Kloink“ und leisem Zischen ab. Plötzlich umgibt uns eine beängstigende Stille, ähnlich wie sie die Mondfahrer vor 40 Jahren bei der Umrundung unseres Erdtrabanten erlebt haben müssen. Doch wir haben Glück, das Hilfsaggregat für Strom und Kühlung lässt sich wieder starten. Sicherheitshalber setzen wir auch gleich das erste Triebwerk in Gang, bevor wir letztlich dem Traktorfahrer signalisieren, dass er unsere 305 Tonnen-Röhre zurückstossen soll.

Über endlos lange Rollwege manövrieren wir den Airbus zur neueren der beiden Parallepisten. „Checklist completed“, ich liniere den 75 Meter langen Rumpf exakt auf der Pistenmitte auf. „Take off thrust“, das Flugzeug beginnt langsam zu beschleunigen. Dann bimmelt es, und auf dem zentralen Display erscheint die Warnung: „Air Eng 2 Bleed leak“. Ich nehme die vier Leistungshebel zurück, die Geschwindigkeit ist nicht hoch, trotzdem halten wir uns bei diesem Startabbruch an die vorgegebenen Verfahren. Auf einem Rollweg parkieren wir die Maschine und nehmen mit den Experten von der „Maintenance“ Kontakt auf, die den Grund des Übels in der hohen Aussentemperatur von 44 Grad vermuten. Irgendetwas ist faul mit unserem Pneumatiksystem. Neue Warnungen, diesmal für Triebwerk drei leuchten auf. Wir schalten sämtliche System-Komponenten aus, in der Hoffnung, das überlastete System zu entlasten. Unangenehmerweise steigt die Temperatur im Innern des Flugzeugs rasch an. Nach fünf Minuten und einigen „Resets“ schalten wir alles wieder zu. Schaut gut aus, wir verlangen eine erneute Startbewilligung und rollen langsam zurück zum Pistenanfang. Info an Kabinenbesatzung und Passagiere. Nach einer Minute bimmelt es erneut. Dasselbe Problem, jetzt im Bereich der Triebwerke drei und eins. Wir beginnen nochmals von vorn, drücken Knöpfe und warten darauf, dass die „FAULT“-Lichter erlöschen. Ich bespreche mich kurz mit dem Copi. Die Chancen stehen 50/50, dass ein erneuter Startversuch klappt. Wir wollen dem scheinbar überlasteten System bis zur letzten Sekunde Erholung gewähren. Erst als wir bereits auf der Piste stehen, im letztmöglichen Moment, schalten wir alle Komponenten zu. Die Anzeigen stimmen. Ich schiebe die Leistungshebel nach vorn – alles ok – keine Warnung – die Geschwindigkeit nimmt zu – wir heben ab. Unsere Taktik ist aufgegangen.

Soviel zur arabischen Hitze und ihren Folgen. Vielleicht noch ein Wort zur arabischen Mentalität. Ungefähr 45 Minuten vor dem Rückflug am nächsten Tag, die Passagiere sind bereits am Einsteigen, klingelt mein Handy. Wir stecken mitten in den Flugvorbereitungen im Cockpit. Am anderen Ende der Leitung vernehme ich die Stimme einer netten Dame vom Crew Control in Abu Dhabi. Sie rufe im Auftrag eines Captains an, dessen Sohn mit mir zurückreisen würde. Ich möge doch bitte sicherstellen, dass er in der richtigen Klasse sitze und dass es ihm gut gehe...
Ich staune nicht schlecht ob der Hilfsbereitschaft unseres Crew Controls, und notiere etwas befremdet den orientalischen Namen des jungen Mannes, bevor ich mich nach hinten zur Kabinenchefin begebe. Diese lächelt vielsagend, denn offenbar wurde sie bereits von einer Dame im Abaya in der gleichen Angelegenheit angesprochen. Im Gespräch mit einer Vertreterin der Bodenstation stellt sich heraus, dass der Kapitäns-Sohn zwar ein Business-Class Ticket besitzt, den entsprechenden Kleidervorschriften allerdings in keinster Weise genügt. Statt mit anständiger Hose und Krawatte ist er in zerrissener Jeans, T-Shirt und Baseball-Cap beim Check-In erschienen, worauf sich die Dame am Schalter geweigert hat, ihm einen Sitz in der Business-Klasse zu gewähren. Mittlerweile sollten die gängigen Vorschriften eigentlich allen Angestellten und ihren Familien bekannt sein, denn die Bodenstellen überwachen mit Argusaugen die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben.
Doch der Kollege in Abu Dhabi gibt nicht auf. Per Handy versucht er über seine Bekannte im Flugzeug gleich mehrfach an die Cabin Managerin zu gelangen. Das Boarding ist in vollem Gang, das scheint ihn wenig zu kümmern. Sie möge doch bitte seinen Sohn nach vorne holen – Gewand hin oder her. Doch wir haben uns abgesprochen, die Kabinenchefin bleibt hart, wohl wissend, dass ein Einlenken unangenehme Folgen mit sich bringen könnte.
So bleibt dem Filius nichts anderes übrig, als in den hinteren Reihen zu reisen. Und irgendwann schweigt auch der Vater in Abu Dhabi. So dass wir uns wieder ungestört den essentiellen Dingen dieses Fluges widmen können!

Den Kollaps eines Passagiers auf dem Rückflug will ich an dieser Stelle nicht unnötig erwähnen. Er passt ebenso ins Schema wie die Tatsache, dass der auf Sitz 1A reisende Scheich der Regierungsfamilie des Emirats Ras Al Khaimah nach der Landung sein Portemonnaie vergisst. Was uns dazu zwingt, die Bargeldbeträge zu zählen, denn ohne dies weigert sich die Bodencrew die Geldbörse zu übernehmen. In Anbetracht der dicken Notenbündel ein Unterfangen, das – nach einem siebenstündigen Flug – unerwartet viel Zeit beansprucht.
Als wir schliesslich vor der Passkontrolle stehen, kümmert sich der Beamte des Schalters für Airline Crews seelenruhig um eine fünfköpfige Familie. Etwas ungeduldig beschwere ich mich bei seinem Chef, worauf er uns – ich hätte es wissen sollen – erst recht warten lässt und gleich noch ein indisches Ehepaar nach vorne holt.

When the shit hits the fan…

Saturday, August 01, 2009

Wen die Sucht plagt

Mein „Line Check“ 2009 ist Geschichte, bis im Juli des nächsten Jahres herrscht diesbezüglich Ruhe. Doch der Schein trügt. Ein Pilot lebt ja bekanntlich nie so richtig unbeschwert, hangelt sich von einem Check zum nächsten: Bereits am 9. August muss ich wieder mit einem Instruktor das Cockpit teilen. Dass es ausgerechnet der Chefinstruktor A330/340 ist, mag Zufall sein, trägt aber nicht unbedingt zur Entspannung der Lage bei. Grund des gemeinsamen Einsatzes ist der Verfall meiner Kathmandu-Bewilligung: Wer innerhalb 90 Tagen nicht ins nepalesische Hochland geflogen ist, muss erneut zu einem Überprüfungsflug antreten. Und als wär das noch nicht genug, tanzen vor meinem geistigen Auge bereits Blutdruckmessgerät und EKG-Elektroden. Im September ist mein „Medical Check“ fällig. Dafür muss ich zwar nicht stundenlang Handbücher und Computerlernprogramme studieren, dafür werde ich in den kommenden Tagen und Wochen öfters mal die Schokolade durch einen Apfel ersetzen.

Im Oktober lassen sie mich in Frieden, da kann ich tief durchatmen, doch bereits im November holt mich die Gegenwart wieder ein; der Simulator-Check steht an, was gleichbedeutend ist mit zwei Tagen Knochenarbeit in der Tretmühle. Von der Vorbereitung mag ich an dieser Stelle gar nicht reden. Wie gesagt, Piloten müssen ständig am Ball bleiben. Das gilt für das fliegerische Greenhorn genauso wie für den Kollegen mit 15'000 Flugstunden.

Doch bevor sich Kreti und Pleti über meinen Jammergesang lustig machen, reisse ich das Steuer selber herum. Der „Line Check“ ist zwar – wie der Begriff treffend ausdrückt – ein „Check“, also eine Kontrolle, doch lachen ist deswegen keineswegs verboten. Den Nachtflug nach London bringen wir erstaunlich gut hinter uns. Wir diskutieren, angeregt von einigen Fragen des Kollegen auf dem dritten Sitz; Fragen der Automatik genauso wie Firmen- und Familienpolitisches. Obwohl der Copilot nicht gecheckt wird, beteiligt er sich mit der Leidenschaft arabischer Sippenführer lebhaft an den intensiven Gesprächen.
Der Instruktor und ich staunen nicht schlecht, als er – wir sind gerade dabei, die Erziehungsmethoden für pubertierende Töchter zu revolutionieren – unvermittelt einen Zigaretten ähnlichen Stengel in der Hand hält. Und wir glotzen wohl noch viel dämlicher, als er, wie ein echter Raucher eben, sich das Ding zwischen die Lippen klemmt und daran zu ziehen beginnt. Ob der uns verarschen will, schliessich herrscht auch bei Etihad seit mindestens zwei Jahren Rauchverbot in der Flugzeugkanzel. Kaum zu glauben, aber die Spitze dieser Peudozigarette verfärbt sich dabei glühend rot, und alsbald entweicht seinem Mund eine weiss milchige Rauchwolke. Wie echt!
Als er unser Staunen bemerkt, hält er inne. Aber nur um zu erklären, dass es sich bei diesem Modell gleichsam um einen simplifizierten „Raucher-Simulator“ handelt. Piloten reden mit Piloten am liebsten in der stark vereinfachten und im Wortschatz drastisch reduzierten Piloten-Einheitssprache. Beim Begriff „Simulator“ wird uns schlagartig bewusst, dass es sich hier nicht um eine echte Zigarette handeln kann. Wir können unsere Unterkiefer wieder entspannen und regelmässig weiter atmen. Diese Zigarettenkopie, so erfahren wir weiter, wird mit einer Nikotin-Patrone geladen und verkommt damit auf einfachste Art und Weise zu einem Sucht-Befriediger mit Placeboeffekt.
Dem Copi scheint es jedenfalls gutzutun. Entzugserscheinungen bleiben gänzlich aus. Dank dieses Stengels, den er in regelmässigen Abständen aus der einfach luxuriös anmutenden schwarzen Edelbox holt, um uns mit einigen Wolken-Imitaten die Sicht auf Instrumentenbrett und Sternenhimmel zu rauben. Das Set hat er sich übrigens in den USA erstanden. Für satte 150 US-Dollar.

Einfach unglaublich, wozu diese Raucher fähig sind...