Auf 36000 Fuss über Alice Springs. Wir befinden uns auf dem Rückweg von Sydney. Die Dispatcher in Abu Dhabi haben uns eine Gesamtflugzeit von 14.15 Stunden errechnet. Doch bereits jetzt, gute zweienhalb Stunden nach dem Start, liegen wir acht Minuten unter der kalkulierten Vorgabe. In unseren Tanks lagern noch immer 98 Tonnen Kerosin. 28 Tonnen haben unsere vier Rolls Royce Triebwerke bis anhin bereits verbrannt und mit den Restpartikeln die Atmosphäre aufgemischt. Der Airbus A340-500 mit der Immatrikulation A6-EHB braust mit 83 Prozent der Schallgeschwindigkeit durch die absolut ruhige Luft. Die Aussentemperatur beträgt saumässig kalte minus 46 Grad Celsius, erwärmt sich jedoch am Rumpf aufgrund der Reibung auf beinahe schon angenehme minus 16 Grad Celsius.
Hinter meinem Rücken essen, trinken, dösen oder diskutieren 256 Seelen. Einige kämpfen mit den Tücken eines zwar vielfältigen aber komplexen Film- und Unterhaltungsprogramms. Es quält die Wahl, gleichzeitig rechnen die bordeigenen Server am Limit. Immer seltener wird im Flugzeug gelesen, und wenn, dann bestenfalls das bunte Hochglanzmagazin mit dem ebenfalls üppigen Zollfrei-Angebot.
Vor unseren Augen senkt sich die Sonne langsam gegen den Horizont. Abendstimmung. Wir lassen die braunen Sonnenschilder herunter und werden immer noch geblendet. Anders als beim romantischen Sonnenuntergang am Strand wünschten wir, die Erde möge sich für einen Moment schneller drehen. Selbstverständlich ignoriert sie unser Anliegen mit der würdevollen Nonchalance einer Nobeldame.
Es ist mein letzter Flug vor den Sommerferien. Deshalb kümmern mich all diese Dinge heute nicht besonders. In Gedanken bin ich bereits beim Packen. Der Reisekoffer liegt halb gefüllt auf dem Boden des verwaisten Schlafzimmers in Abu Dhabi. Heute Nacht, unmittelbar nach unserer mitternächtlichen Ankunft in den Emiraten, will ich die letzten Utensilien umschichten. Vom Arbeitskoffer in den Reisekoffer. Am Nachmittag werde ich via Frankfurt nach Zürich fliegen. Die Familie weilt bereits in der Schweiz, zumindest teilweise. Tim tourt noch mit einem Schulfreund per Zug durch einige Städte Europas: Berlin, Paris, Brüssel, Amsterdam. Ich werde den Eindruck nicht los, als wäre die Reiseroute eher vom Ruf einiger Rotlichtviertel als von gängigen Museumsführern bestimmt. Ungeachtet dessen, wird auch er in wenigen Tagen in der Schweiz eintreffen.
Linda hat Abu Dhabi als erste verlassen. Zusammen mit ihrer Schulklasse verbrachte sie eine Woche in Berlin. Anschliessend ist sie allein nach Zürich geflogen. Fest gebucht mit einem Low Cost Carrier.
Franziska ist mit Nina gereist. Stand by, dafür in der Ersten Klasse. Von Abu Dhabi direkt nach Genf. Dann mit dem Zug in der Zweiten Klasse nach Thun. Dann mit dem Auto ins Diemtigtal. Klassenlos! Die Ortschaften werden immer kleiner, nicht unbedingt unbedeutender.
Mittlerweile ist die Sonne unter der Horizontlinie abgetaucht. Wir klappen unsere Sonnenschilder hoch und knipsen die Cockpitbeleuchtung an. Der koreanische Copi berichtet mir von einem kürzlich gemachten „Gambling-Abstecher“ nach Macao. Am Tag der Abreise bescherte ihm der Jackpot den grossen Geldsegen: 50’000USD! Vielleicht sollte ich meine Freitage etwas effizienter nutzen, schiesst es mir durch den Kopf. Die Börse hält ja eh nicht, was sie vor wenigen Jahren noch versprochen hat. Ich verwerfe den Gedanken rasch wieder und konzentriere mich auf diesen Flug und meine bevorstehenden Ferien.
Wir nähern uns der australischen Ostküste. Hin und wieder erfassen uns leichte Turbulenzen. Noch zehneinhalb Stunden bis zur Landung. Vor vierzig Jahren landeten die Amerikaner auf dem Mond. Wenig später machte Neil Armstrong seine ersten Schritte auf dem Erdtrabanten. Vor wenigen Tagen ist Michael Jackson gestorben. Drei Begegnungen hatte ich mit ihm: Zwei Live-Konzerte in Basel und Hockenheim, beide in der Anonymität der tanzenden Zuschauermasse, sowie ein völlig überraschendes „Aufeinandertreffen“ auf dem Flughafen Genf. Ich war gerade dabei, meinen Koffer im dafür vorgesehenen Nebenraum zu verstauen, als er mir unvermittelt gegenüberstand. Im Schlepptau von zwei Bodyguards, die nervös mit ihren Walky-Talkies herumfuchtelten. Sein schwarzer Hut und die weisse Gesichtsmaske haben mich zweifellos mehr beeindruckt als ihn meine vier goldenen Kapitänsstreifen. Ein kurzer Augenblick nur, dann verschwanden Sänger und Aufpasser durch die automatische Schiebetür auf den Tarmac. Ich hatte den Eindruck, als hätte bei diesem Auftritt etwas gefehlt: keine kreischenden Fans, nicht ein einziger Fotograph. Doch er war es wirklich, auch wenn mir dies kaum jemand glauben wollte. Ach wie fühlte ich mich damals unverstanden.
Moonwalker one...
...Moonwalker two
Der Copi hat übrigens seiner Frau nichts von seinem Spielgewinn erzählt.
Was solls. Den Jackpot habe ich abgeschrieben, meinen Fussabdruck werde ich nie im Mondsand verewigen, dafür stand ich Auge in Auge mit dem begnadetsten aller „Moonwalker“. Mehr noch, ich habe ihn überlebt.
Und in 36 Stunden bin ich eh in der Schweiz, dann beginnen meine Ferien. Moonwalk hin oder her.
Monday, June 29, 2009
Tuesday, June 16, 2009
Schub
War im vergangenen Beitrag von Geschwindigkeit die Rede, so steht heute der Antrieb im Fokus. Mächtige Triebwerke, die träge an Flugzeugflügeln baumeln, saugen sich voll mit Umgebungsluft, komprimieren, zünden, verbrennen, um wenig später wieder auszuspucken. Triebwerke sind schluckfreudig, und hie und da nehmen sie den Mund gar ein bisschen voll.
Gewisse Gesetze sind simpel: Die Leistungsfähigkeit eines Flugzeuges ist in hohem Masse abhängig von seinem Gewicht und der Stärke des Antriebs.
Die Leistungsfähigkeit einer Airline wird durch den Umfang der eigenen Mittel bestimmt. Was nicht zwingend heissen muss, dass eine gut betuchte Airline aerodynamisch schnelle Flugzeuge in ihren Hangars parkiert. Realistischer ist die Folgerung, dass üppige Bankkonti umfangreichere Flugzeugflotten und dichtere Netzwerke generieren. Und wer über zusätzliche Einheiten verfügt, kann flexibler operieren, als eine Airline mit lediglich drei Maschinen. Flexibilität erlaubt, kurzfristige Chancen zu nutzen, ohne vorher den gesamten Flugplan zu hinterfragen. So gesehen, stimmt die Ableitung, dass reiche Airlines schneller sind als andere; wenn auch „nur“ operationell und nicht aerodynamisch.
Heute hat Etihad seine Mitarbeiter über eine gigantisch anmutende Triebwerkbestellung informiert. Es scheint, als würden die Manager im französischen Le Bourget die Dirham nicht nur für Bordeaux und Camembert ausgeben.
239 neue Schubmaschinen
Heute! In einer Zeit, wo es der Weltwirtschaft noch immer an Stabilität mangelt. In einer Zeit, wo Fluggesellschaften weltweit düsterste Prognosen publizieren und krampfhaft versuchen, ihre instabilen Gyros neu aufzurichten.
Zur Erinnerung: Anlässlich der letztjährigen Flugzeugausstellung in Farnborough unterschrieb Etihad Verträge für den Kauf von 100 Airbus- und Boeing Maschinen, die zwischen 2011 und 2020 ausgeliefert werden sollen. Jetzt ist das ansehnliche Paket fertig geschnürt und mit einer hübschen Masche versehen worden.
25 A350 erhalten Rolls-Royce Trent Triebwerke, 10 B777 werden von GE90-Aggregaten angetrieben. 35 Boeing B787 erhalten Schub von GE Aviation, an den zehn A380 werden dereinst Triebwerke aus den Werken von Engine Alliance, einem „Joint Venture“ von General Electric und Pratt and Whitney hängen, und 20 A320 werden von IAE V2500 dereinst durch die Lüfte gestossen. Bei IAE handelt es sich um eine Verbindung von Rolls-Royce, Pratt and Whitney, MTU Aero Engines und Japanese Aero Engines.
Diese Bestellung von 239 Triebwerken beinhaltet überdies 19 Ersatzaggregate, und umfasst einen Gesamtwert von sieben Milliarden USD. Sollten allenfalls noch weitere Optionen und Kaufrechte eingelöst werden, so würde sich die Summe glatt verdoppeln. Überflüssig zu erwähnen, dass es sich hier um einen rekordverdächtigen Deal in der Geschichte der kommerziellen Luftfahrt handelt.
Es wird betont, dass bei der Kaufentscheidung Umweltaspekte eine zentrale Rolle gespielt haben: "The engines Etihad Airways has chosen for its wide-body long range aircraft are amongst the most technically advanced and fuel efficient available and will help maintain the airline’s fleet as one of the greenest in the sky”, freut sich der CEO. Und er doppelt gleich nach: “These plans will establish Etihad Airways as the world’s leading airline and our hub of Abu Dhabi as a leading global centre of commerce and tourism.”
Wer daran zweifelt, möge seine Hand hochheben!
Gewisse Gesetze sind simpel: Die Leistungsfähigkeit eines Flugzeuges ist in hohem Masse abhängig von seinem Gewicht und der Stärke des Antriebs.
Die Leistungsfähigkeit einer Airline wird durch den Umfang der eigenen Mittel bestimmt. Was nicht zwingend heissen muss, dass eine gut betuchte Airline aerodynamisch schnelle Flugzeuge in ihren Hangars parkiert. Realistischer ist die Folgerung, dass üppige Bankkonti umfangreichere Flugzeugflotten und dichtere Netzwerke generieren. Und wer über zusätzliche Einheiten verfügt, kann flexibler operieren, als eine Airline mit lediglich drei Maschinen. Flexibilität erlaubt, kurzfristige Chancen zu nutzen, ohne vorher den gesamten Flugplan zu hinterfragen. So gesehen, stimmt die Ableitung, dass reiche Airlines schneller sind als andere; wenn auch „nur“ operationell und nicht aerodynamisch.
Heute hat Etihad seine Mitarbeiter über eine gigantisch anmutende Triebwerkbestellung informiert. Es scheint, als würden die Manager im französischen Le Bourget die Dirham nicht nur für Bordeaux und Camembert ausgeben.
239 neue Schubmaschinen
Heute! In einer Zeit, wo es der Weltwirtschaft noch immer an Stabilität mangelt. In einer Zeit, wo Fluggesellschaften weltweit düsterste Prognosen publizieren und krampfhaft versuchen, ihre instabilen Gyros neu aufzurichten.
Zur Erinnerung: Anlässlich der letztjährigen Flugzeugausstellung in Farnborough unterschrieb Etihad Verträge für den Kauf von 100 Airbus- und Boeing Maschinen, die zwischen 2011 und 2020 ausgeliefert werden sollen. Jetzt ist das ansehnliche Paket fertig geschnürt und mit einer hübschen Masche versehen worden.
25 A350 erhalten Rolls-Royce Trent Triebwerke, 10 B777 werden von GE90-Aggregaten angetrieben. 35 Boeing B787 erhalten Schub von GE Aviation, an den zehn A380 werden dereinst Triebwerke aus den Werken von Engine Alliance, einem „Joint Venture“ von General Electric und Pratt and Whitney hängen, und 20 A320 werden von IAE V2500 dereinst durch die Lüfte gestossen. Bei IAE handelt es sich um eine Verbindung von Rolls-Royce, Pratt and Whitney, MTU Aero Engines und Japanese Aero Engines.
Diese Bestellung von 239 Triebwerken beinhaltet überdies 19 Ersatzaggregate, und umfasst einen Gesamtwert von sieben Milliarden USD. Sollten allenfalls noch weitere Optionen und Kaufrechte eingelöst werden, so würde sich die Summe glatt verdoppeln. Überflüssig zu erwähnen, dass es sich hier um einen rekordverdächtigen Deal in der Geschichte der kommerziellen Luftfahrt handelt.
Es wird betont, dass bei der Kaufentscheidung Umweltaspekte eine zentrale Rolle gespielt haben: "The engines Etihad Airways has chosen for its wide-body long range aircraft are amongst the most technically advanced and fuel efficient available and will help maintain the airline’s fleet as one of the greenest in the sky”, freut sich der CEO. Und er doppelt gleich nach: “These plans will establish Etihad Airways as the world’s leading airline and our hub of Abu Dhabi as a leading global centre of commerce and tourism.”
Wer daran zweifelt, möge seine Hand hochheben!
Tuesday, June 09, 2009
Geschwindigkeit
Im diesen Tagen dreht sich Vieles um Geschwindigkeit. „Speed“ ist das halbe Leben. Zumindest in der Fliegerei. Doch die Sache hat einen Haken. Nur wer weiss, wie schnell – oder langsam – er wirklich fliegt, kann adäquat handeln und bei Bedarf Flugzeuglage oder Triebwerkleistung anpassen. Und wer glaubt, dass redundante Mess- und Anzeigesysteme zur Kompensation technischer Ausfälle jederzeit Abhilfe schaffen, der hat die sprichwörtliche Rechnung – leider – ohne den Wirt gemacht.
Das Planungsschicksal will, dass ich just in der Nacht des Air France-Absturzes im A330-Simulator schwitze. Es ist der dritte Tag meines halbjährlichen „Recurrent-Trainings“. Den „OPC“ (Operator Proficiency Check), dessen Bestehen über Verlängerung der Linienpilotenlizenz entscheidet, habe ich am Vortag erfolgreich hinter mich gebracht. Ebenso wie eine Übung, bei der wir uns mit doppeltem Hydraulikausfall, mit Rauch im Cockpit und einem Brand im Frachtraum herumschlagen. Heute stehen Triebwerkausfälle und Navigationsstörungen unter erweiterten Langstreckenbedingungen (Extended-range Twin-engine Operational Performance Standards) auf dem Programm. Der Höhepunkt aber ist der simulierte Einflug in Vulkanasche. Im Reiseflug, auf „Flight Level 390“, was einer Höhe von rund 11700 m entspricht.
Vulkanasche ist ein besonders heimtückisches Phänomen, das, im Gegensatz zu Gewitterzellen, von keinem Wetterradar dieser Welt entdeckt werden kann. In der Erinnerung vieler Piloten und Fachleute haftet in diesem Zusammenhang der Vorfall einer Boeing 747 der British Airways aus dem Jahr 1982, deren vier Triebwerke beim Einflug in eine Wolke von Vulkanasche beinahe gleichzeitig erlöschten. Glücklicherweise gelang es der Besatzung, sämtliche Aggregate wieder zu starten und in Jakarta sicher zu landen.
Ein „Volcanic Ash Encounter“ kann ähnliche Konsequenzen haben wie der Durchflug einer heftigen Gewitterzone. Eigentlich müsste ich anders herum formulieren: Denn wer in Vulkanasche einfliegt, wird wahrscheinlich härter bestraft als beim Passieren einer Gewitterfront. Wobei ich in diesem Fall davon ausgehe, dass die Piloten regelmässig ihr Wetterradar konsultieren und einen Weg wählen, der die gefährlichen, rot markierten Gewitterzellen vermeidet.
Unser simulierter Einflug in die Vulkanasche produziert zuerst eine Rauchwarnung im hinteren Frachtraum. Noch während wir mit der Checkliste beschäftigt sind, beginnt eine der Triebwerkanzeigen zu rebellieren. Dann geben beide Motoren innert weniger Sekunden ihren Geist auf. Ich schalte den Autopiloten aus und lege den Airbus in eine enge Umkehrkurve und beginne, leicht abzusinken. So eng es eben geht, wenn die Geschwindigkeit aufgrund des totalen Schubausfalls rapide abnimmt. Der Copilot hat sich mittlerweile die Checkliste „All Engine Flame out“ geschnappt. Mit Hilfe seiner Angaben kann ich eine Fluglage einnehmen, bei der beide Triebwerke optimal angeströmt werden. Sofort beginnt mein Kollege mit den Anlassversuchen.
Aufgrund der von Asche verstopften Pitot-Rohre und Statik-Sensoren zeigen alle drei primären Geschwindigkeitsmesser wie auch die Stand by-Anzeige unterschiedliche Werte. Autopilot und die automatische Schubregelung lassen sich nicht mehr zuschalten. Wir müssen den begonnen Sinkflug fortsetzen, um weitere Höhenmeter in Geschwindigkeit umzuwandeln. Unsere Cockpit-Kommunikation wird massiv gestört durch eine eklige Stimme, die regelmässig „Stall, Stall, Stall“ schreit. Stall bedeutet Strömungsabriss, das Flugzeug wird in der Folge unkontrollierbar. Wir fliegen zu langsam. Oder nicht? Oder doch zu schnell? Die Indikationen sind verwirrend, störend, verunsichernd. Ständig bimmelt es irgendwo, die warnende Stimme lässt nicht locker. „Aviate, navigate, communicate“ mahnt eine Grundregel der Fliegerei. Eine erfolgreich durchgeführte Checkliste nützt wenig, wenn die Piloten schlecht navigieren und in der Folge einen Berg rammen.
Noch segeln wir ohne Schub und aufgrund der stillgelegten Kabinendruckregulierung sehen wir uns gezwungen, die Sauerstoffmasken anzulegen. Die Kommunikation wird noch übler. Eines der Hauptprobleme ist, dass wir keine Ahnung haben, welche der vier angezeigten Geschwindigkeiten korrekt ist und welche Fluglage wir einnehmen müssen, um einen totalen Strömungsabriss oder ein Überschreiten der Maximalgeschwindigkeit zu verhindern. Zwar liefert uns die Checkliste für einen totalen Triebwerksausfall rudimentäre Angaben, doch hilfreicher in Sachen Speed wäre die Checkliste für „Unreliable Speed Indication“. Uns fehlt jedoch in diesem Moment schlicht die Zeit, die entsprechenden Seiten zu suchen. Auch die Checkliste für „Volcanic Ash Encounter“ nützt nicht viel, denn unser Hauptinteresse gilt in diesen Minuten dem Wiederanlassen der Rolls Royce-Triebwerke. Meine Übersicht ist eingeschränkt, die Lesebrille unter der Sauerstoffmaske will ihren Zweck nicht so richtig erfüllen.
Es gibt Momente in der Fliegerei, da fällt es schwer, die richtigen Prioritäten zu setzen. Checklisten und technische Kenntnisse sind gut, aber auch Erfahrung und Instinkt können hilfreich sein. Wenn auch der Grat äusserst schmal ist. Moderne Verkehrsflugzeuge sind vollgepfropft mit Computern, die für den Normalverbraucher (Pilot) nicht selten in völlig unlogischer Kombination miteinander vernetzt sind. Grundsätzlich sind Improvisation und unmotivierte „Pröbelei“ nicht ratsam. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass Checklisten immer und jederzeit die "richtige" Lösung bieten.
Glücklicherweise sitzen wir in dieser Nacht in einem Simulator. Ein Knopfdruck des Instruktors genügt, und die Fehler lassen sich – zumindest teilweise – beheben. Es gelingt uns, einen der beiden Motoren zu starten.
Glücklicherweise sitzen wir in einem Simulator. Der Pulsanstieg hält sich in Grenzen. Welcher Pilot weiss denn schon, wie er im Ernstfall reagiert.
Glücklicherweise sitzen wir in einem Simulator. Getragen von der Hoffnung, in der Realität niemals in eine solche Situation zu geraten.
Glückliche Umstände, die AF447 in dieser Nacht leider nicht beschieden waren.
Das Planungsschicksal will, dass ich just in der Nacht des Air France-Absturzes im A330-Simulator schwitze. Es ist der dritte Tag meines halbjährlichen „Recurrent-Trainings“. Den „OPC“ (Operator Proficiency Check), dessen Bestehen über Verlängerung der Linienpilotenlizenz entscheidet, habe ich am Vortag erfolgreich hinter mich gebracht. Ebenso wie eine Übung, bei der wir uns mit doppeltem Hydraulikausfall, mit Rauch im Cockpit und einem Brand im Frachtraum herumschlagen. Heute stehen Triebwerkausfälle und Navigationsstörungen unter erweiterten Langstreckenbedingungen (Extended-range Twin-engine Operational Performance Standards) auf dem Programm. Der Höhepunkt aber ist der simulierte Einflug in Vulkanasche. Im Reiseflug, auf „Flight Level 390“, was einer Höhe von rund 11700 m entspricht.
Vulkanasche ist ein besonders heimtückisches Phänomen, das, im Gegensatz zu Gewitterzellen, von keinem Wetterradar dieser Welt entdeckt werden kann. In der Erinnerung vieler Piloten und Fachleute haftet in diesem Zusammenhang der Vorfall einer Boeing 747 der British Airways aus dem Jahr 1982, deren vier Triebwerke beim Einflug in eine Wolke von Vulkanasche beinahe gleichzeitig erlöschten. Glücklicherweise gelang es der Besatzung, sämtliche Aggregate wieder zu starten und in Jakarta sicher zu landen.
Ein „Volcanic Ash Encounter“ kann ähnliche Konsequenzen haben wie der Durchflug einer heftigen Gewitterzone. Eigentlich müsste ich anders herum formulieren: Denn wer in Vulkanasche einfliegt, wird wahrscheinlich härter bestraft als beim Passieren einer Gewitterfront. Wobei ich in diesem Fall davon ausgehe, dass die Piloten regelmässig ihr Wetterradar konsultieren und einen Weg wählen, der die gefährlichen, rot markierten Gewitterzellen vermeidet.
Unser simulierter Einflug in die Vulkanasche produziert zuerst eine Rauchwarnung im hinteren Frachtraum. Noch während wir mit der Checkliste beschäftigt sind, beginnt eine der Triebwerkanzeigen zu rebellieren. Dann geben beide Motoren innert weniger Sekunden ihren Geist auf. Ich schalte den Autopiloten aus und lege den Airbus in eine enge Umkehrkurve und beginne, leicht abzusinken. So eng es eben geht, wenn die Geschwindigkeit aufgrund des totalen Schubausfalls rapide abnimmt. Der Copilot hat sich mittlerweile die Checkliste „All Engine Flame out“ geschnappt. Mit Hilfe seiner Angaben kann ich eine Fluglage einnehmen, bei der beide Triebwerke optimal angeströmt werden. Sofort beginnt mein Kollege mit den Anlassversuchen.
Aufgrund der von Asche verstopften Pitot-Rohre und Statik-Sensoren zeigen alle drei primären Geschwindigkeitsmesser wie auch die Stand by-Anzeige unterschiedliche Werte. Autopilot und die automatische Schubregelung lassen sich nicht mehr zuschalten. Wir müssen den begonnen Sinkflug fortsetzen, um weitere Höhenmeter in Geschwindigkeit umzuwandeln. Unsere Cockpit-Kommunikation wird massiv gestört durch eine eklige Stimme, die regelmässig „Stall, Stall, Stall“ schreit. Stall bedeutet Strömungsabriss, das Flugzeug wird in der Folge unkontrollierbar. Wir fliegen zu langsam. Oder nicht? Oder doch zu schnell? Die Indikationen sind verwirrend, störend, verunsichernd. Ständig bimmelt es irgendwo, die warnende Stimme lässt nicht locker. „Aviate, navigate, communicate“ mahnt eine Grundregel der Fliegerei. Eine erfolgreich durchgeführte Checkliste nützt wenig, wenn die Piloten schlecht navigieren und in der Folge einen Berg rammen.
Noch segeln wir ohne Schub und aufgrund der stillgelegten Kabinendruckregulierung sehen wir uns gezwungen, die Sauerstoffmasken anzulegen. Die Kommunikation wird noch übler. Eines der Hauptprobleme ist, dass wir keine Ahnung haben, welche der vier angezeigten Geschwindigkeiten korrekt ist und welche Fluglage wir einnehmen müssen, um einen totalen Strömungsabriss oder ein Überschreiten der Maximalgeschwindigkeit zu verhindern. Zwar liefert uns die Checkliste für einen totalen Triebwerksausfall rudimentäre Angaben, doch hilfreicher in Sachen Speed wäre die Checkliste für „Unreliable Speed Indication“. Uns fehlt jedoch in diesem Moment schlicht die Zeit, die entsprechenden Seiten zu suchen. Auch die Checkliste für „Volcanic Ash Encounter“ nützt nicht viel, denn unser Hauptinteresse gilt in diesen Minuten dem Wiederanlassen der Rolls Royce-Triebwerke. Meine Übersicht ist eingeschränkt, die Lesebrille unter der Sauerstoffmaske will ihren Zweck nicht so richtig erfüllen.
Es gibt Momente in der Fliegerei, da fällt es schwer, die richtigen Prioritäten zu setzen. Checklisten und technische Kenntnisse sind gut, aber auch Erfahrung und Instinkt können hilfreich sein. Wenn auch der Grat äusserst schmal ist. Moderne Verkehrsflugzeuge sind vollgepfropft mit Computern, die für den Normalverbraucher (Pilot) nicht selten in völlig unlogischer Kombination miteinander vernetzt sind. Grundsätzlich sind Improvisation und unmotivierte „Pröbelei“ nicht ratsam. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass Checklisten immer und jederzeit die "richtige" Lösung bieten.
Glücklicherweise sitzen wir in dieser Nacht in einem Simulator. Ein Knopfdruck des Instruktors genügt, und die Fehler lassen sich – zumindest teilweise – beheben. Es gelingt uns, einen der beiden Motoren zu starten.
Glücklicherweise sitzen wir in einem Simulator. Der Pulsanstieg hält sich in Grenzen. Welcher Pilot weiss denn schon, wie er im Ernstfall reagiert.
Glücklicherweise sitzen wir in einem Simulator. Getragen von der Hoffnung, in der Realität niemals in eine solche Situation zu geraten.
Glückliche Umstände, die AF447 in dieser Nacht leider nicht beschieden waren.
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