Friday, April 17, 2009

Das fünfte Auge

Im Grunde genommen ist das Cockpit eines Langstreckenflugzeuges ein einsamer Arbeitsplatz. Zwei Piloten teilen sich über mehrere Stunden eine vier bis fünf Quadratmeter grosse Kanzel. Sie fliegen am frühen Morgen, am späten Abend, am hellen Tag und in dunkler Nacht. Sie harren über Stunden – ungeachtet quälender Rückenschmerzen und drohender Thrombosegefahr – geduldig auf ihren Sitzen aus. In der Regel sind die vordringlichsten Gesprächsthemen nach einem Drittel der Gesamtflugzeit abgehakt: Ich bin informiert über Vorbildung, Herkunft, Familie, Hobbies, Motivation und geplanter Länge des Etihad-Engagements meines Kollegen. Ausserdem weiss ich wie viele Kinder er hat, kenne seine Adresse wie auch sein Lieblingslokal in Abu Dhabi, und bin zudem im Bilde über Marke, Farbe und Kilometerstand seines fahrbaren Untersatzes.
Dann reduziert sich der Kommunikationsfluss in der Regel auf das Mass des Urinstrahls einer prostatisch gestörten Männerblase. Zum Einen weil es dem viel und streng reisenden Langstreckenpiloten eigen ist, in kurzen Zyklen von Müdigkeit übermannt zu werden, und sich daher seine Lust zum gemütlichen Schwatz irgendwann erschöpft, zum Anderen weil der Magen zu knurren beginnt und die Kollegen von der Ersten Klasse mit einem kulinarisch attraktiven Alternativangebot aufwarten.

Nun ist, wie Insider wissen, seit den Angriffen auf die New Yorker Zwillingstürme der Zugang zum Cockpit moderner Verkehrsflugzeuge verriegelt. Vorbei die goldenen Zeiten stets weit geöffneter Pforten, vorbei auch die Zeiten, in denen Flight Attendants im Minutentakt einen bewundernden Blick über die breiten Schultern der hart arbeitenden Flugzeugführer warfen und ihnen hie und da spontan ein Schöggeli mit Telefonnummer aufs Instrumentenbrett legten (es war auch früher nicht wirklich so, doch ich dachte mir, der Nebensatz würde meinen Text etwas aufpeppen...).
Heute regiert das gestrenge Kameraauge, das den gesamten Zugangsbereich abdeckt. Wer ins Cockpit will, muss klingelnd den Zugang erbitten. Worauf die Piloten mit kritischem Blick den Bildschirm konsultieren und im Normalfall umgehend die Türe entriegeln.
Das besagte Kamerabild wird nicht ständig angezeigt. Ertönt der Klingelton im Cockpit, muss ein Schalter betätigt werden, worauf das Bild – bei Airbustypen neuerer Bauart – auf dem unteren der beiden Mitteldisplays erscheint. Bei älteren Cockpitlayouts ist an der Rückwand des Cockpits ein kleiner Monitor montiert, so dass die Piloten jedesmal den Kopf drehen müssen und damit in Gefahr laufen, nach langen Flügen auf dem, versicherungstechnisch nicht unbedingt abgedeckten, Behandlungstisch eines Giropraktors zu landen.
Was micht angeht, so will ich wissen, was unmittelbar hinter meinem Rücken abgeht. Ich habe mir deshalb angewöhnt, öfter als verlangt einen Kontrollblick auf das besagte Kamerabild zu werfen.



























Vier Pilotenaugen sehen viel, doch was hinter der Cockpittüre abgeht, bleibt ihnen verborgen. Erst das „Fünfte Auge“ lässt sie daran teilhaben. Auf diese Weise können wir die Flight Attendants beim Herrichten der Trolleys oder beim lockeren Schwatz zwischendurch beobachten. Beim Ausschenken eines edlen Tropfens oder beim Blättern in der bunten Illustrierten. Leider immer nur schwar-weiss und tonlos, nach Stummfilmmanier der zwanziger Jahre.
Für mich ist das „Fünfte Auge“ weit mehr als reines „Security-tool“. Es belebt unser kärgliches Pilotendasein bei endlos scheinenden Nachtflügen, erweitert das enge Cockpit um wenige Flächeneinheiten und rückt uns einsame Steuermänner einige imaginäre Zentimeter näher zum Erstklass-Galley. Aber nicht nur das; dank des „Fünften Auges“ weiss ich mittlerweile auch, dass die durchschnittliche Verweildauer auf der Toilette beim Mann knapp drei Minuten beträgt, während sich das weibliche Geschlecht in der Regel für mehr als fünf Minuten aufs stille Örtchen zurückzieht. Einen „Paarbesuch“ durfte ich bis anhin noch nicht mitverfolgen. Aber ihr dürft euch sicher sein: ich werde die Zeit auf jeden Fall stoppen – und sie umgehend in diesem Blog veröffentlichen!!!

5 comments:

nff said...

... und wie ich mich über den Nebensatz gefreut habe!

Das fünfte Auge ist ein effizientes Tool, um kleinwüchsige Kolleginnen und Kollegen zu identifizieren. Tritt aber ein Viech wie ich vor die Linse, dann können höchstens die geplatzten Äderchen in der Iris erkannt werden.
Ein Beweis mehr, dass der Chef-Ing der Airbuswerke kaum grösser als 1.60 m ist.

Crowi said...

Man könnte eine Gesprächsthemen-Checkliste einführen:
Herkunft: checked
Familie: checked
Hobbies: checked
Motivation: checked and set etc.
...ha ha ha...habe mich köstlich amüsiert über "das Fünfte Auge"...was sie als clairvoyant so alles mitkriegen...

Dide said...

@nff: Nebensätze sind eben nicht nur das "Salz in der Suppe", sondern auch die "Schoggi im Blog"!

@crowi: Danke für den Input, aber wenns nicht unbedingt sein muss, verzichten wir hier lieber auf Checklisten, bei denen sich - trotz Routine und Training - immer wieder Fehler einschleichen...

Gruss

G! said...

Männer und Piloten sind halt doch sehr digital bzw. einfach gestrickt, denn der Nebensatz hat mich auch ungemein gefreut und grad die Gedanken "Mann, war das in den Pre-9/11-Zeiten noch einfach, an die Telefonnummern zu kommen" entlockt ... aber immerhin hast du selber Entwarnung gegeben (auch wenn's nur ist, weil Deine Frau mitliest ;-))

Drum haben wir - mit dem alten Layout - die Monitore hinten: damit wir nicht ständig mitschauen...

G!

Dide said...

Hej G! Deine Klammerbemerkung ist mindestens so gut wie der angesprochene Nebensatz! Und mindestens so falsch ebenfalls...

Ha - Gruss

Dide