Thursday, October 02, 2008

Special message

Im Verlauf der vergangenen Wochen bin ich zunehmend in meine neue Aufgabe im „Flight Data Monitoring“ (Flight Safety) hineingewachsen. Zusammenhänge werden klarer, langsam zwar, aber immerhin. Verzwackte Dreibuchstaben-Kürzel können zugeordnet werden und die Anwendung der IT-Tools gewinnt an Sicherheit. Allerdings stehe ich bei weitem noch nicht dort, wo ich stehen will und soll. Deshalb versuche ich jede sich bietende Chance zu packen. Wenns sein muss, gar auf Kosten eines Freitages bei einer Genf-Rotation.

Win-win
Etihad Airways hat ihre Flight Safety Abteilung seinerzeit förmlich aus dem Sand gestampft. Da sich mit Paolo und André zwei Schweizer Piloten um den Aufbau kümmerten, erstaunt es nicht, dass sie in der Anfangsphase bei ihrem früheren Arbeitgeber SWISS anklopften. Die so entstandene Zusammenarbeit hat sich bis in heutige Tage erhalten. Etihad profitiert von Know-How und Infrastruktur der Schweizer, wächst dabei selber unaufhörlich und hat sich in der Folge zum besten Kunden der SWISS in diesem Bereich gemausert. Das wiederum spült den Managern am Klotener Obstgarten einen erklecklichen Batzen in die Kassen, was in Zeiten serbelnder Finanzmärkte so manch leidender Seele Linderung und besseren Schlaf verschafft. Kommunikation und Zusammenarbeit funktionieren beinahe so einwandfrei und harmonisch wie die Rhythmik der Russischen Synchronschwimmerinnen in Peking. Vor diesem Hintergrund hat sich André, Manager „Flight Data Monitoring“, seines Zeichens Eidgenosse – Nachbar und Chef von mir – zu einem erneuten Besuch bei der Partnerabteilung in der Schweiz entschieden. Dass er dabei ausgerechnet den in meinem September-Einsatz geplanten Flug für seine Reise nach Genf und zurück wählt, erweist sich als besonders vorteilhafte Konstellation: Ohne die Firma zusätzlich zu belasten, profitiere ich ebenfalls vom Erfahrungsaustausch, derweil ich erst noch Hin- und Rückflug im Cockpit abspule. „Win-win“ der Sonderklasse.
Nach der Landung am frühen Morgen in der Calvinstadt und nach einigen an die Besatzung verteilten Reisetipps lege ich mich vier Stunden aufs Ohr. Dann fahre ich mit dem Zug nach Zürich, wie immer einige helvetische Tageszeitungen und ein Sandwich im Reisegepäck. Doch nach solchen Nachtflügen fühle ich mich meist „dizzy“ und irgendwie „neben den Schuhen“. Jede Zeile wird mehrfach gelesen, "mens" und "corpus", auch wenn "sana" und "sano", reagieren deutlich verlangsamt. Trotzdem freue ich mich auf das Nachtessen in einem stimmigen Zürcher Lokal mit Vertretern der SWISS Flight Safety. Der neue Leiter der Flugdatenüberwachung war früher Flottenchef des B747, einer seiner jüngst rekrutierten Mitarbeiter damaliger Chefinstruktor auf dem langjährigen Swissair-Flaggschiff. Mit beiden habe ich mehrere Jahre als Pilot und Instruktor zusammengearbeitet, und mit der zukünftigen Kollaboration im Bereich Flight Safety scheint sich auf eigentümliche Art ein Kreis zu schliessen.

„Alte" Bekannte
Der nächste Tag steht vollumfänglich im Zeichen des Austausches. Wir treffen uns um halb neun in den hellen komfortablen Büros der SWISS-Kollegen. Während sich André sogleich mit den IT-Spezialisten der Abteilung zwecks System-Justierung auf elektronische Tauchfahrt begibt, schnappe ich mir einen freien Stuhl und setze mich neben die Flugdaten-Analysten, deren Kurven etwas regelmässiger verlaufen als jene ihrer Kollegen an der Börse. Ich lasse mir ihre Arbeitsabläufe erklären, kritzle Notizen auf einen Block und versuche möglichst nichts zu verpassen. Max hat glücklicherweise ein Einsehen und vermag sein forsches Arbeitstempo im Zaum zu halten. Neueinsteiger Richi brilliert zwischendurch spontan mit brillanten Anwendertipps.
Irgendwann, im Verlauf des Nachmittags, klingelt mein Handy. Tim berichtet ziemlich aufgeregt von einer „Bombendrohung“, die diesen Nachmittag an seiner Schule in Abu Dhabi eingegangen sein soll. „Das Fussballtraining am Abend fällt aus“, klagt er, und für einen kurzen Moment bin ich mir nicht ganz sicher, was ihn nun mehr beunruhigt: Bombendrohung oder der Verzicht auf Fussball. Ich solle meine Email-Box prüfen, meint er weiter, die Schulleitung hätte eine Info verschickt.
Die Mitteilung, verfasst und unterschrieben vom „Superintendent“ (Rektor), liegt tatsächlich im elektronischen Postfach: “Dear Parents, At the end of the school day today, we received a threatening email message. While the message is very vague and does not seem to be directed toward a school, I immediately notified the Abu Dhabi police...”
Ich überfliege die Zeilen, deren Umfang ich aus Gründen des Datenschutzes hier nicht in vollem Masse wiedergebe. Zugegeben, ich bin etwas überrascht. Wer im vermeintlich sicheren und ungefährlichen Abu Dhabi lebt, neigt zur Verblendung. Es wäre naiv zu glauben, dass die Emirate vor Ungemach, und wenn es in diesem Fall „nur“ falsche Drohungen sind, verschont blieben. Solche gehören heutzutage vielerorts beinahe schon zur Tagesordnung. Mitunter sind gar Schweizer Schulen betroffen. Für Reisende gehören rigorose Sicherheitskontrollen und endlose Warteschlangen auf Flughäfen schon lange zum Tagesgeschäft. Wir haben gelernt, damit zu leben und entledigen uns des Gürtels und der Schuhe vor dem Passieren der „Security“ mit der selben Selbstverständlichkeit, mit der wir am Abend die Zähne putzen. Vielleicht werden solche Kontrollen eines Tages auch in Banken oder Stadtverwaltungen zum Einsatz kommen. Oder in Schulen.
Übertrieben? Vielleicht! Letzten Endes bleibt auch dies ausschliesslich eine Frage der Gewöhung. Die Fliegerei mit ihren ständig verstärkten Sicherheitsvorschriften und -kontrollen hat schon mehrfach bewiesen, wie schnell wir uns an neue Einschränkungen gewöhnen! Oder wie war das doch, als wir noch mit grosser Zahnpastatube und Parfumflasche im Handgepäck reisen durften...?

2 comments:

Anonymous said...

Sehr interessant, danke! Da's im Golf ausser Sand auch Öl und Geld ohne Ende gibt (zu geben scheint), ist das doch eine gute Sache, wenn ihr uns etwas davon überweist. :-)

Betr. Bombendrohung hätten die die Kollegen bei Swiss nach dem Vorfall im August ja auch grad helfen können...aber da warst du bei der falschen Abteilung.

Ich gebe dir vollkommen Recht, wir gewöhnen uns sehr schnell an neue Vorkehrungen. Nicht das du das gesagt hättest, aber das Gewöhnen bedeutet nicht, dass die Massnahmen richtig, nützlich, verhältnis- oder gar rechtmässig wären...Orwell lässt leider grüssen.

Gruess in Sand, G!

Dide said...

Stimmt natürlich! Die Gewöhnung ist das Eine, die Recht- oder Verhältnismässigkeit das Andere. Und darüber könnte man Bücher schreiben. Die Gewissheit allein, "etwas" getan zu haben, lässt viele glauben, das Grundproblem sei gelöst.

Und auch wenns um den Geldtransfer in die Schweiz geht, bin ich mit dir einig. Es ist ein verdammt gutes Gefühl, alte Freunde unterstützen zu können!

Gruss