Es kommt vor, dass ich mitten in der Nacht aufwache und nicht mehr einschlafen kann. Vielleicht eine Folge unzähliger Nachtflüge und wiederkehrender Zeitverschiebungen. Die innere Uhr tickt andauernd daneben und bringt Biorhythmus und Verdauung völlig aus dem Häusschen. Während ich mich früher in solch unruhigen Stunden ruhelos im Bett gewälzt habe, beschreite ich heutzutage andere Wege, schleiche in die Küche, wo ich mich an Cookies, Schokolade und Milch vergreife. Erstaunlicherweise falle ich nach solch kräftigenden Auszeiten meist schnell wieder in einen erholsamen Schlaf. Allerdings stehen diese mitternächtlichen Snacks meinem „Body Mass Index“ (25.4) nicht sonderlich gut an. Dafür verhindert unbeschwertes Einschlafen die Entstehung von Augenringen. Was mir letztlich die Qual der Wahl lässt: Ringe um den Bauch oder Ringe unter den Augen – am liebsten wäre mir, ich könnte beide zum Verschwinden bringen.
Zukunftsgedanken
Manchmal beschäftige ich mich in schlaflosen Nächten auch mit banalen, alltäglichen Dingen. Vieles in Abu Dhabi ist im Laufe der Zeit zur Gewohnheit geworden. Nach zwei Jahren und vier Monaten in fremden Diensten hat sich der Fokus verändert, nicht aber die Faszination "United Arab Emirates" mit all ihren sich uns bietenden Elementen. Meine „Option to return“ erlaubt eine Rückkehr zur SWISS frühestens drei, spätestens aber vier Jahre nach meinem Wegzug, also zwischen Mai 2009 und Mai 2010. Klangen diese Daten zu Beginn unseres Wüstenabenteuers noch utopisch fern, so sind sie heute in unmittelbare Reichweite gerückt. Gemäss Vertragsklausel muss der Entscheid nach zweieinhalb Jahren gefällt werden; das ist im kommenden November. Es bleiben also noch knappe zwei Monate. Auch hier stehen wir vor der „Qual der Wahl“.
„Ihr hattet ja fürwahr genügend Zeit, euch dies zu überlegen!“, könnte, wer wollte, uns an dieser Stelle entgegenhalten. Das ist grundsätzlich richtig, allerdings pflegen auch wir ab und an, Entscheide herauszuzögern. Was in diesem Fall wohl verständlich ist. Kommt hinzu, dass sich entscheidende Vorgaben ständig verändern. Dazu gehören zweifellos das wirtschaftliche Umfeld oder die Aussichten für die weltweite Zivilluftfahrt. Beide geben nicht erst seit dem Crash von Lehman Brother zu Sorge Anlass, und es stellt sich die banale Frage, welche Airline mir als Pilot die grössere Arbeitsplatzsicherheit bietet. Wer bei der SWISS fliegt, wird heute mit 57 pensioniert. Bei drohendem Überbestand geben die Kollegen vielleicht schon bald mit 55 Jahren ihre Uniform ab. Etihad hingegen lässt bis ins greise Alter von 65 fliegen. Auch wenn ich keinesfalls so lange am Steuerknüppel "kleben" will, lässt mir dieser Zeitraum wesentlich mehr Flexibilität.
Schulgedanken
Was aber unseren Entscheid ebenso stark beeinflusst wie die Pensionierungsfrage, ist die schulische Situation der Kinder. Tim wird in zwei Jahren sein „International Baccalauréate“ (IB) machen. Er ist rundum zufrieden an der Amerikanischen Schule; das höchst kompetitive System motiviert ihn mehr als alles zuvor, was sich nicht nur in seinen Leistungen, sondern auch in seiner Arbeitsdisziplin niederschlägt. Daneben profitiert er von unzähligen Sportangeboten; nicht nur auf dem Eis, wo er dieses Jahr sowohl bei den „Falcons“ (Junioren) als auch bei den „Scorpions“ (Männern) mittut, sondern auch an der "ACS".
Lindas Abitur an der Deutschen Schule ist im Sommer 2011 fällig. Dies aber sprengt den Rahmen meiner „Option to return“, es sei denn, die SWISS liesse sich zu einer einjährigen Verlängerung bewegen. Eine Rückkehr in die Schweiz ein Jahr vor Lindas Abschluss scheint uns eine ganz unglückliche Lösung. Zu stark unterscheiden sich die Schulsysteme Deutschlands und der Schweiz, und ein Wechsel wäre zweifellos mit einem Zeitverlust verbunden. Und Nina, die jüngste, hat ihren Wechsel an die „American Community School“ (ACS) erfreulich gut gemeistert und scheint ebenfalls zufrieden. Zwar kam sie die ersten Tage jeweils völlig geschafft von der Schule nach Hause, doch mittlerweile hat sie sich an den englischsprachigen Unterricht gewöhnt. Gingen wir anfänglich davon aus, dass sie ihren Schulabschluss in der Schweiz tätigt, so haben sich auch hier die Perspektiven verschoben.
Es verbleiben uns quasi drei Varianten: Eine Rückkehr in die Schweiz innerhalb der ursprünglichen „Option to return“-Vorgaben, der Versuch, diese Frist um ein Jahr zu verlängern oder aber der vollständige Verzicht auf eine Wiedereinstellung beim langjährigen Arbeitgeber. Tatsache ist, dass wir nach den Wirren des Groundings im Jahre 2001 und nach dem Wechsel ins Ausland 2006 die Dinge wesentlich gelassener betrachten als früher. Nicht zuletzt deshalb werden wir in dieser Angelegenheit wohl nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Bauch entscheiden.
Low expectations
Damit wird die Antwort auf all die anstehenden Fragen zwar nicht einfacher zu finden sein, doch wir setzen uns weniger unter Druck. Die Vorzeichen ändern dauernd und was heute gut ist, kann morgen schon ein Nachteil sein. Hand aufs Herz; ist das nicht völlig normal? Wer gestern noch guten Gewissens in UBS-Papiere investiert hat, bereut heute, mit dem Verkauf so lange zugewartet zu haben.
Im Moment fühlen wir uns alle wohl in den Emiraten. Die Fliegerei, gekoppelt mit der Tätigkeit im Büro erweist sich als perfekte Kombination, und Franziska verbringt mit jeder Woche mehr Zeit in der neuen "Bücherei" (Deutscher Begriff für Schweizerisch "Bibliothek") der DSAD. Tatsache ist auch, dass sich der Mittlere Osten (noch) in einer Phase des Aufschwungs befindet. Oder auf unseren einfachen Nenner reduziert: Es nimmt sowohl die Zahl der Flugzeuge als auch der Bücher zu! Etihad hat bei Boeing und Airbus bekanntlich im dreistelligen Zahlenbereich geordert. Europa und weite Teile der Welt hingegen rüsten sich für den Abbau. So seltsam es klingen mag, aber ich werde das Gefühl nicht los, bei meinem momentanen Arbeitgeber eine grössere Arbeitsplatzsicherheit zu geniessen als dies in der Schweiz der Fall wäre. Ein vor zwei Jahren noch unvorstellbarer Gedanke. Zumindest im Hinblick auf eine Beschäftigung im Alterssegment zwischen 55 und 60 scheint ein Verbleib in der Wüste sinnvoller. Doch das ist nur eine Betrachtungsweise. Und eh wirs uns versehen, taumeln wir im Strudel der vielfältigen Möglichkeiten, die wir gleichzeitig als Chance wahrnehmen. Die „Qual der Wahl“ eben – oder, warum die Freiheit zu wählen, uns unglücklich macht. Da halten wir uns doch lieber an die Worte des amerikanischen Soziologieprofessors Barry Schwartz: „The secret to happiness is low expectations“.
Wednesday, September 17, 2008
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10 comments:
Letztendlich muss mal wieder der Bauch entscheiden! Darum rat ich Dir, vergiss den BMI und geniesse die Cookies während den schlaflosen Nächten :-)
nff, Herr der Ringe
Gut gebrüllt Löwe! Du weist wenigstens, wie einem in solchen Momenten zumute ist...
Ich habe noch ein weiteres Argument für die UEA anzufügen: das Wetter. Wer kommt schon bei diesen Temperaturen, wie sie im Moment in der Schweiz vorherrschen, freiwillig zurück? Ansonsten wäre der Ring um den Bauch doch sehr empfehlenswert. Gute Entscheidfindung;-)
@fröstelnde Schweizerin: Ich bin mir einfach nicht so sicher, ob meine Frau die Ringe auch so verteilen würde...
Beim Wetter hingegen herrscht völlige Übereinstimmung!
uh...DAS ist eine entscheidung, bei der ich froh bin, dass ich sie nicht treffen muss... aber da du es dir als a) verheirateter b) captain leisten kannst, kannst du die nachdenkstunden ruhig mit cookies verbringen :-)
G! (single und kurzstreckencopi -> keine ringe ;-))
...und erst noch "Doktor"...
An dieser Stelle noch einmal: Herzliche Gratulation, tolle Leistung, vor der ich respektvoll den (Kapitäns-)Hut ziehe!
Schön zu hören, dass nicht nur die Flugzeuge, sondern auch die Bücher an Zahl zunehmen! Viel Vergnügen, Franziska, beim Auswählen!
Was die andere Wahl betrifft:In jedem Bericht von Euch scheint man zu spüren,wie es Euch allen in den UEA gefällt...(langjähriger Arbeitgeber hin oder her).
Wünsche Euch eine glückliche Entscheidungsfindung
Finde es gut, Herr Eppler, dass Sie dem Bauch auch eine Stimme geben in diesem vertrackten Entscheidungsprozess. Manchmal geht man ja auch arg kopflastig an so ein Problem heran.
Vielleicht gesellt sich noch Intuition dazu, sei es via Kopf or Bauch - jedenfalls hat mir der altersweise Spruch am Schluss ganz gut gefallen, der mit dem tiefer hängen bzw. mit der nicht allzuhoch gehängten Erwartungshaltung.
Ich weiss nicht: hat der Bauch im Cockpit auch seinen Platz? Ich meine im übertragenen Sinne...
Im übertragenen Sinne auf jeden Fall, allerdings nur zu bestimmten Zeiten...
Dide, viele Dank! Aber ich hatte auch genug Zeit in der ich nichts besseres (also nicht fliegen) zu tun hatte :-)
G!
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