Friday, August 22, 2008

Die Sache mit dem Audi-Schlüssel

A340-600-Piloten bei Etihad fliegen öfters mal nach London. Diese Flüge sind äusserst angenehm, verbinden sie doch den Komfort der modernen A340-600er Flotte mit akzeptablen Flugzeiten. Ansonsten düsen wir ja ständig nach Sydney, Toronto oder New York. Immer im pilotischen Doppelpack mit Flügen von elf Stunden oder mehr, stundenweise eingepfercht im engen „Crewbunk“ mit Luftfeuchtigkeits-Werten, die nicht nur Getränkelieferanten sondern auch jeden Hautlotion-Hersteller ins Schwärmen bringen. London verfügt ausserdem über den Vorteil eines Hotels in unmittelbarer Flughafennähe. Der Internetzugang ist gratis und das Pub liegt gleich „across the street“. Letzteres ermöglicht „Fish and Chips“-Genuss auch bei kurzen Layover-Zeiten, frühem Aufstehen oder bei typisch englischen „Low visibility conditions“ infolge hartnäckiger Nebellagen.









75m Rumpflänge; A340-600

Exklusive Fracht
Zwar fliege ich den acht Meter kürzeren A340-500 lieber als seinen „langen Bruder“. Zum einen erweist sich die rund zehn Prozent grössere Reichweite bei der Nordatlantik-Operation als nicht zu unterschätzender Vorteil. Weiter verfügt er über angenehmere Handling-Eigenschaften am Boden, während der 75 Meter lange A340-600 wenig verzeiht. Speziell Rollmanöver mit engen Kurven verlangen gefühlvolle Inputs am „Tiller“, einem kleinen Lenkrad-Segment unmittelbar neben dem „Sidestick“. Wer ruppig rollt, schlägt den Passagieren beinahe die Köpfe an der Flugzeugwand wund. Auch das Startmanöver, im Besonderen die Rotation des Flugzeuges, erfordert eine Angewöhnung. Die Gefahr des Touchierens der Heckpartie („Tailstrike“) nimmt mit der Länge des Rumpfes zu. Da die lange Röhre in dieser Phase nur langsam auf Inputs am „Sidestick“ reagiert, besteht die Gefahr, dass überkorrigiert wird.

















Airbus-Tiller (li) und Sidestick

Selbstverständlich schlucken die grossen Airbustypen auch anständige Frachtvolumen. Und immer wieder finden sich aussergewöhnliche Lieferungen. Reiche Araber beleben ihr psychisches Wohlbefinden regelmässig mit extravaganten Einkäufen im Ausland, erstehen etwa edle Falken oder teure Autos in allen erdenklichen Sonderanfertigungen. Der Preis spielt keine Rolle.
Für unseren heutigen Rückflug nach Abu Dhabi, so wird uns von den Verantwortlichen der Station mitgeteilt, soll ein exlusives Audi-Modell geladen werden. Wir treffen bereits früh beim Flugzeug ein, denn für einmal gab es keine Warteschlange vor der in London besonders aufwendigen Security-Kontrolle. Es bleibt demzufolge neben Flugplanung und Checklistenarbeit genügend Zeit für den einen oder anderen Schwatz; nicht nur mit den Kolleginnen von der Kabine, sondern auch mit Mechanikern, Putzmannschaft und Etihad-Bodencrew.

Slot
Dennoch kommt er unweigerlich; der Moment, wo ich mit dem Copi die Details der Abflugroute bespreche. Wie in Heathrow üblich, wurde uns auch heute ein Startfenster, ein sogenannter „Take off slot“ zugeteilt. Wir dürfen zufrieden sein, Verspätung sollte daraus keine entstehen. Der Ärger droht von einer anderen Seite: Der für die Beladung verantwortliche „Supervisor“ erkärt mir nämlich 20 Minuten vor dem „Push back“, dass der Audi erst spät beim Flugzeug eingetroffen und der Verlad noch nicht abgeschlossen sei. Aus Erfahrung weiss ich, dass solche „Aktionen“ aufwendig und zeitraubend sein können. Ich erinnere mich an einen Ferrari, dessen Verfrachtung in Genf seinerzeit über eine Stunde gedauert hat. Mir schwant Übles, doch als positiv eingestellter Zeitgeist halte ich vorerst mit unbedachten Äusserungen zurück. „It’s gonna take about 15 more minutes“, höre ich wenig später. Das scheint mir etwas optimistisch.
Ich hege stille Zweifel und weise diskret auf unser Startfenster hin. Denn immer mehr wird klar, dass diesem anfänglich so erfreulichen „Slot“ langsam die Luft auszugehen droht. In einer Viertelstunde läuft er aus und noch immer stehen zwei unserer Frachttore offen. Ich erfrage am Funk eine mögliche Verlängerung, worauf mir die freundliche Tower-Lady in bestem Oxford-Englisch kundtut, dass die Station das bestehende Startfenster bereits annuliert hätte. Unser neuer „Slot“ würde in anderthalb Stunden beginnen! Toll, und wieso weiss ich nichts davon?

Olympisches Schlüsselwerfen
Mich beginnt der Luxus-Audi, beziehungsweise sein schuld- und ahnungsloser Käufer ein wenig zu ärgern und ich versuche, jemanden von der Bodencrew ans Mikrophon zu kriegen. Wie lange das denn nun noch dauern würde, will ich wissen, doch die Antwort klingt eher vage: „Another 15 minutes at least.“ Das hatten wir doch schon einmal, erinnere ich mich, wohl wissend, dass ich im Moment nicht viel ändern kann. Überhaupt gehören Formulierungen wie „at least“ auf die nach oben offene Adverbien-Skala und lassen mein Schweizer Uhrenmacherherz kaum schneller hüpfen. Und wenn, höchstens weil ich mich ärgere. Dafür gibt’s Neues von der „Slot-Front“ – eine Verbesserung um 20 Minuten. Na also, es bewegt sich was. Die Richtung zumindest stimmt.
Schliesslich ist der deutsche Luxusschlitten verladen, die Frachttore verriegelt. Die Passagiertüren sind ebenfalls längst geschlossen. Just in diesem Moment werden die Kollegen von der Verladetruppe gewahr, dass sie den Audi-Schlüssel noch in ihren Händen halten. Der beim Bugrad stehende Mechaniker wartet mit einem innovativen Vorschlag auf, den er uns über das bordeigene Kommunikationssystem übermittelt: Wir sollen das Cockpitfenster öffnen, damit er den Schlüssel hochwerfen könne. Der hat wohl zu viel Olympia (Basketball, Diskuswerfen, Kugelstossen?) geschaut, denke ich. „...and what if the key gets lost because you miss the window…?” will ich wissen. Und ich versuche zu erklären, dass es nicht die Verantwortung der Besatzung sein kann, den Schlüssel zu transportieren und „irgend einer Person“ in Abu Dhabi zu übergeben. Ein Wort gibt das andere. Der Slot wird – al Hamdullilah – um weitere 20 Minuten nach vorne verschoben. Die Zeit für langwierige Verhandlungen wird knapp, und schliesslich akzeptieren wir den Schlüsseltransport trotzdem, allerdings bestehe ich darauf, eine Passagiertür zu öffnen und die Übergabe nicht zur neuen Olympischen Disziplin verkommen zu lassen. Wenig später taucht unsere indische Kabinenchefin Natasha, die früher ebenfalls für die Swissair geflogen ist, grinsend im Cockpit auf. In der Hand den wertvollen Schlüssel, schmiedet sie allerlei gewagte Pläne...
Endlich kann unser Airbus zurückgestossen werden. 54 Minuten später als geplant. Dass sich beim Start der vier Triebwerke kurzfristig ein für die Steuerung des Flugzeuges wichtiger Computer abmeldet, passt zu den vorgängigen Ereignissen. Ein „Reset“ sorgt wieder für normale Verhältnisse. Und dass uns während des gesamten Fluges ein ewig nörgelnder und provozierender Business Class-Passagier über Gebühr beschäftigt, passt ebenfalls. Gäbe es eine Petition zur Einführung von Fallschirmen zwecks Entsorgung renitenter Fluggäste – ich würde sie sofort unterschreiben.

10 comments:

Anonymous said...

Habe etwas Schmunzelnd deinen «Öl-Barometer» rechts auf deiner Webseite vorgefunden – hast ein bisschen darüber nachgedacht, gell ;-), mögen eure Patrons und Väter euch noch so viele Spielzeuge damit kaufen, aber es tönt schlussendlich doch irgendwie eher nach Last als nach Lust.

Ich hoffe einfach, dass für die Kindeskinder auch noch etwas übrig bleibt…

Dide said...

Das Angenehme daran ist ja, dass ich das geschäftige Treiben völlig gelassen erleben kann. Mehr noch; als Expat bin ich nicht nur entspannter Zuschauer, sondern nutze auch die Gunst der Stunde. Wohl wissend, dass ich mit meiner Familie jederzeit in den sicheren (?) Hafen der Schweiz zurück kann.
Eines muss ich aber festhalten: Die Flugzeuge sind nur dann "Spielzeuge", wenn sie leer und unsinnig herumfliegen. Erstaunlicherweise sind die Flüge sehr gut ausgelastet. Die Zweckmässigkeit ist (vorerst) durch das Wechselspiel von "Angebot und Nachfrage" gegeben. Das kann aber schnell ändern. Ich verzichte an dieser Stelle bewusst auf die ketzerische Frage der Manipulation.
Wie auch immer - deine Hoffnung teile ich uneingeschränkt...

Gruss

Anonymous said...

Sehr geehrte Eppler Family,

ich lese ihren Blog in relativer Regelmässigkeit, wenn ich auch nicht mehr weiß wie ich überhaupt dazu gekommen bin. Ich wollte nur einmal loswerden, dass ich ihre Einträge bewunderswert finde und es toll ist zu lesen, was sie und ihre Family erleben. Ich finde es sehr erstaunlich, wie sie Leuten Einblicke in ihr Leben geben und sehr bewunderswert mit welcher positiven Lebenseinstellung sie zu Werke gehen. Mir selber, dem der (Traum-?)Beruf Pilot, auf Grund der vielfältigen Hindernisse in Europa, noch vorläufig, vielleicht bis zum Ende des Jura-Studiums, verwehrt blieb...gibt ihr Blog die Hoffnung, auch einmal eine Landung in Toronto bei Schnee durchführen zu können. Ich lese mit sehr viel Interesse und wollte vor ihnen den Hut ziehen und zu diesem sehr, sehr gelungen Blog gratulieren. Always happy landings.

Mit freundlichen Grüßen aus dem verregneten Berlin.

M.Fischer

Dide said...

Lieber Markus,

herzlichen Dank für das Kompliment. Dass wir mit den "Wüstenspuren" zahlreichen Fremden Einblicke in unser Leben gewähren, wurde uns erst im Laufe der Zeit richtig bewusst. Die ursprüngliche Idee war in erster Linie, Freunden und Verwandten von unseren Erlebnissen zu berichten. Nun hat sich halt die Leserschaft im Laufe der Zeit etwas vergrössert. Das Niederschreiben der Beiträge ist in meinem Fall Teil der Verarbeitung, für den Rest der Familie eher eine "lästige Pflicht". Ich bin gezwungen, die Dinge gründlicher zu betrachten und wahre mir auf diese Weise - hoffentlich - ein gewisses Mass an Objektivität.

Vielleicht noch ein Wort zu deinem Traum, Pilot zu werden. Walt Disneys Worte "If you can dream it, you can do it" begleiten mich schon seit vielen Jahren. So plump und plakativ der Satz klingen mag, so oft hat er mich persönlich in entscheidenden Momenten angetrieben...

Viel Glück!
Dieter Eppler

Anonymous said...

Stimmt, man muss schlussendlich auch dorthin wo man seine Brötchen verdienen kann, dass ist manchmal alles andere als lustig.

Anonymous said...

Immer wieder sammle ich Unterschriften. Sagen sie mir nur wann und wo der Bogen erscheint und ich werde meinen Sammlertrieb erwecken.

Liest sich gut der Text. Schönes Wochenende,

Severin

Dide said...

Danke Severin!
Es ist immer gut, auf starke Rückendeckung zählen zu können...

A propos "Schönes Wochenende": In Abu Dhabi beginnt am Sonntag die Arbeitswoche. Ich habe den ersten Bürotag bereits hinter mir.

Gruss

Anonymous said...

Hallo,
auf welche Frage mich das Lesen des A346-Handlings brachte: Hat der A380 einen ähnnlichen "Radstand" und Überhang, so dass die Gefahr der Querbeschleunigung beim Lenken bzw. des Tailstrikes ähnlich hoch ist?

Anonymous said...

Wenn der innovative Schlüssel-Wurf-Mechaniker wüsste, dass er bereits Akteur ist im Wüstenspuren Blog...
zusammen mit ins Schwärmen geratenden Hautlotion-Herstellern.

Ja, auch die "nach oben offene Adverbien-Skala" war lustig, und die "Gunst der Stunde" lässt sich vielleicht als "Slot" interpretieren.

Ich persönlich finde es gut, dass sie "aufwendig" schreiben und nicht "aufwändig"...

Dide said...

@tbones,
du findest die Antwort im neuen Blog-Eintrag.

Gruss