Tuesday, August 19, 2008

Grosse kleine (Blogger-)Welt

Die Familie ist zurück in Abu Dhabi. Unser drittes „Wüstenjahr“ hat begonnen.
Nach der langen Sommerpause versuchen wir uns langsam wieder an den täglichen Rhythmus zu gewöhnen. Das mag befremdend klingen, doch nach beinahe zwei Monaten in ständig wechselnden „Familien-Kompositionen“ benötigen wir eine kurze Angewöhnungszeit. Mit meiner Ruhe ist es vorbei, die Gattin hat sich ihren Platz auf der häuslichen Kommandobrücke zurückerobert und die Kinder stürzen sich mit vollem Elan ins Freizeitleben. Letzteres vorwiegend zu unterschiedlichen und wenig koordinierten Zeiten natürlich. Zwar verkehren seit kurzem öffentliche Busse in Abu Dhabi, und Taxis gibt es auch immer mehr, doch wer vom „Al Qurm Compound“ an die Corniche will, der (oder die) bleibt vorerst aufs Auto angewiesen.

Teure Mieten
Die Stadtplanung sieht zwar vor, das Zentrum der Stadt in den kommenden Jahren Richtung Khalifa zu verlegen, doch die Realisierung solch ambitiöser Pläne braucht Zeit. Viel (Arabische) Zeit! Es entstehen zahlreiche neue Compounds, auch luxuriöse Appartementbauten in Zentrumsnähe werden errichtet, Tatsache ist jedoch, dass die zuständigen Ämter infolge Überlastung nicht in der Lage sind, die Neubauten zeitgerecht am Wasser- und Stromnetz anzuschliessen. Tragisch wenn man bedenkt, dass tausende von Wohneinheiten fehlen, und einige Firmen mittlerweile in Betracht ziehen, ihre Angestellten im eine Autofahrstunde entfernten Dubai oder Al Ain unterzubringen. Derweil die Mietpreise in Abu Dhabi selber astronomische Höhen erklimmen und für viele Expats gar nicht mehr verkraftbar sind. Wir bezahlen für unser Haus mittlerweile stolze 200'000 Dirham pro Jahr, was umgerechnet 60'000 Franken entspricht. Glaubt man den diversen Zeitungsberichten, wird sich die Lage frühestens Anfangs 2010 entspannen. Während in Europa in erster Linie die Rohstoffpreise für die sprunghafte Teuerung verantwortlich zeichnen, sind es hierzulande die horrenden Grundstücks- und Mietpreise. Ungeachtet dessen beschleunigt die Entwicklung in den Emiraten weiterhin im Formel 1-Tempo, und im Soge dieses Ausbaus strömen ausländische Fachleute nach wie vor in Scharen ins Land. Auch wer Glück – und einen grosszügigen Arbeitgeber – hat, findet nur mit grösster Mühe eine familientaugliche und zahlbare Unterkunft. Bei den Schulen sieht es nicht viel besser aus, die Klassenzimmer sind „pumpenvoll“, die Aufnahme neuer Schüler limitiert. Immer grössere und top moderne Schulanlagen sind am Entstehen, allerdings vermag auch hier die Fertigstellung nicht mit den Ideen und Wünschen der Auftraggeber mitzuhalten. Die Lage war bereits vor zwei Jahren angespannt, doch in keiner Weise mit den heute herrschenden Verhältnissen zu vergleichen.

Planung und Realität
Diese Kluft zwischen „Planung und Realität“ weckt bei mir Erinnerungen an den Anfang unseres Wüstenabenteuers. In einem der ersten Blog-Einträge im August 2006 schrieb ich nämlich:

„Der Aufbruch in ein neues Land und Leben kommt einem Wandel gleich, wie ich ihn in seiner vollen Dimension heute nicht abschätzen kann. Dies wurde mir allein in meinen ersten drei Abu Dhabi-Monaten klar. Die Pläne und Vorstellungen, geschmiedet an diversen Tischrunden in heimatlichen Gefilden decken sich bei weitem nicht immer mit den Realitäten des neuen Landes. Wunschträume verschmelzen mit Fantasien und Hoffnungen. Erst das unmittelbare Erleben des Alltags jedoch bringt uns der Wahrheit ein Stück näher. Einer Wahrheit, die sich immer wieder neu zu definieren scheint und die individuell sehr unterschiedlich empfunden wird.“

Wer sich aufmacht, einen neuen Flecken dieser Erde zu entdecken, versucht im Vorfeld möglichst viele Informationen zu ergattern. Getrieben nicht nur von einer allgemeinen Neugierde, sondern ganz einfach weil man wissen will, was einen erwartet. Wer lässt sich denn schon gerne durch unangenehme Überraschungen überrumpeln.
Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung gibt es im Zeitalter von Internet und Suchmaschinen verschiedene: beispielsweise die Lektüre eines Blogs. So sitzen Franziska und ich anfangs dieser Woche in einem Mehrzweckraum der „American Community School (ACS), denn wieder einmal ist ein Info-Abend angesagt. Für die Eltern neuer „Middle School“-Schüler, zu denen auch unsere jüngste Tochter Nina zählt. Tim besucht zwar bereits seit einem Jahr die „High School“ an eben diesem Institut, doch da ständig alles ändert, haben wir uns zum Besuch des Elternabends durchgerungen. Und auch mein bevorstehender Nachtflug nach London (Take off um 02.45 Uhr) kann mich für einmal nicht bremsen. Noch vor Beginn der Veranstaltung dreht sich die Dame vor uns plötzlich um, stellt sich vor und fragt: „Sind Sie etwa Dieter Eppler?“ Sie würde seit längerem die „Wüstenspuren“ lesen, auf die sie durch eine Freundin in Deutschland aufmerksam gemacht worden wäre. „Wir sind erst vor einer Woche nach Abu Dhabi gezogen“, berichtet sie weiter, erleichtert über die Tatsache, dass ihre beiden Kinder in der ACS Unterschlupf gefunden haben. Ich hingegen bin verblüfft und korrigiere mein Weltbild wohl zum tausendsten Mal: die reale Welt ist zwar klein – die Bloggerwelt hingegen ist riesengross.







3 comments:

nff said...

Es ist halt doch so, dass man auch mit Blogs grosse Massen erreicht. Hat der Blog die Qualität des Deinen, dann ist der Einzug in den Bloggerpromihimmel nicht mehr weit.

Dide said...

Danke für die Blumen. Es liegt mir an dieser Stelle sicher fern, Schleimereien auszutauschen, doch gerade dein jüngster Beitrag hat mich (nach 27 Jahren im Airline-Cockpit)gemahnt, im Reiseflug mehr die vorbeiziehenden Landschaften zu betrachten und weniger im Laptop zu wühlen. Etihad fliegt zwar nicht über die Anden, aber der Himalaya ist auch nicht schlecht...

Gruss

Unknown said...

Vielen Dank! Blindflug Abu Dhabi, das Buch ist super!

Genial geschrieben, lustig!! ( Der Audi Schlüssel!), wenn man selber bei der Fliegerei mit Herz und Seele dabei gewesen ist, dann versteht man es noch besser!!
Wusste nicht dass es ein Eishockey Team in Abu Dhabi gibt!
Dieter,ich habe dir vor ca. 13 Jahre Karten für das Spengler Cup Turnier organisiert, falls ihr nächstes Mal wieder dabei sein möchtest , einfach bitte melden! Liebe Grüsse aus Davos, Lorenza