Saturday, July 26, 2008

Islamabad

Der Wecker reisst mich um 05.50 Uhr aus unruhigem Schlaf. Genau genommen ist es mein Handy, das piepst. Wer braucht denn heute noch einen Wecker? In einer Zeit, in der das omnipotente Mobiltelefon so bislang manch unersetzlichen Gegenstand des täglichen Lebens zu ersetzen vermag; den Taschenrechner beispielsweise, den Fotoapparat, die Taschenlampe, die Agenda oder den MP3-Player. Dereinst, so wage ich kühn zu prophezeien, werden Handys, mit denen wir die Zähne putzen oder verschlossene Türen öffnen, den Markt dominieren. Es lebe der technologische Fortschritt des 3. Jahrtausends!

Unruhige Nacht
Auch nach 27 Berufsjahren schlafe ich meist schlecht vor Arbeitseinsätzen am frühen Morgen. Daran ändert weder die eingangs erwähnte moderne Technik noch die Arabische Lebensform etwas. Die latente Angst, den Wecker – oder eben das Handy – zu verpassen verhindert den seinerzeit von den „Bico-Matratzen-Herstellern“ telegen propagierten „tiefen, gesunden Schlaf“. Ich mühe mich an diesem Morgen mit zerschlagenen Gliedern aus den Federn und tappe ins Bad, wo mich meine zerknitterte Visage im Spiegel vollends in die Realität zurück reisst.
Mein Einsatzplan schickt mich heute nach Islamabad. Eine für mich bislang unbekannte Destination und damit eine weitere Premiere in meiner fliegerischen Laufbahn. Ich habe mich am Vortag detailliert mit den Besonderheiten dieses Flughafens im Norden Pakistans auseinandergesetzt, habe eifrig das Internet durchforstet und sowohl im „Jeppview“ wie auch in Etihad-internen „Sites“ Karten und Informationen studiert.
Kurz vor sieben Uhr treffe ich am Flughafen ein. Die Temperaturanzeige meines Wagens zeigt bereits zu dieser frühen Stunde 38 Grad an. Ich hole mir einen Cappuccino im trendigen Pappbecher an der kleinen Bar in der Abflughalle und schlendere anschliessend ins „OCC“ (Operations Control Centre). Schnell den Laptop an der Docking-Station auf Vordermann getrimmt, anschliessend schnappe ich mir die Flugunterlagen aus dem entsprechenden Fach und richte mich an einem der freien Stehtische ein. Der Copi ist noch nicht anwesend, so bleibt Zeit, mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Und sogleich stosse ich auf ein erstes „Hindernis“, denn als Ausweichplatz wurde Peshawar geplant. Ich habe es mir beinahe gedacht. Diesen Platz darf bei Etihad jedoch nur anfliegen, wer vorgängig eine „inflight introduction“ erhalten hat, was bei mir nicht der Fall ist. Ich verlange beim Dispatcher einen neuen Flugplan mit dem Ausweichplatz Lahore. Da aber just in diesem Moment die Morgenschicht ihren Dienst antritt, will keiner so richtig zuständig sein. Mein Anliegen erweist sich als umständlich und zeitraubend. Schliesslich verzichte ich, umso mehr vorgesehen ist, den Sprit für den Rückweg bereits in Abu Dhabi zu tanken. Wir werden also über genügend Reserven verfügen. Der hohe Kerosin-Preis in Pakistan (oder der günstige Tarif in den UAE...) scheint dies zu rechtfertigen.

Voll besetzt
Wenig später streckt der australische Copi seinen Kopf durch die Tür. Er hat „erst“ ein Etihad-Jahr auf dem Buckel. Überhaupt zeigt mir ein Blick auf die Angestelltennummern der übrigen Besatzungsmitglieder, dass ich mit meinen zwei Jahren bereits zu den Dienstälteren gehöre. Dies trifft für die Mehrheit meiner Flüge zu. Das explosive Wachstum der Firma verändert das interne Gesicht rasant. Jeden zweiten Tag stösst ein neuer Pilot zum bestehenden Corps, und Kollegen, die bei meinem Antritt im Mai 2006 als Copi auf dem A330 flogen, gondeln heute als stolze Kapitäne auf dem A340-600 durch die Lüfte!
Für den Flug nach Islamabad gesellt sich noch ein drittes Cockpitmitglied zu uns. Ein Copi aus dem Land der Pharaonen, der bereits seit drei Jahren hier lebt und arbeitet. Er wurde soeben vom B777 auf den A330 umgeschult und wird nach einer Einführungszeit von sechs Monaten auf dem rechten Sitz die Kapitänsausbildung beginnen. Heute wird er uns lediglich über die Schultern schauen und ein bisschen Airbusluft schnuppern.
Mit zehn Minuten Verspätung wird unser Flugzeug vom Standplatz zurückgestossen. Erstaunlich pünktlich in Anbetracht der Tatsache, dass der Airbus A330 bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Unsere heutige Maschine mit der Immatrikulation A6-EYI verfügt über eine Zweiklassen-Bestuhlung und bietet 22 Business- und 240 Economy-Gästen Platz, in unserem Fall sind dies hauptsächlich pakistanische Gastarbeiter auf dem Weg in die Ferien.

Gewittertürme
Die geplante Flugzeit nach Islamabad beträgt zwei Stunden und 50 Minuten. Wir steigen nach dem Start direkt auf 39'000 Fuss und steuern Richtung Oman, wo sich schon bald die wilden Zacken des „Hadschar-Gebirge“ am Horizont abzeichnen. Der Himmel präsentiert sich stahlblau und die Sonne blendet uns im Cockpit so heftig, dass es mitunter schwerfällt, die matte Anzeigeschrift des „Flight Management Systems“ abzulesen. Wir ziehen sämtliche Sonnenblenden und verdunkeln so gut es geht. Mittlerweile befinden wir uns über dem Golf von Oman und der Copi, der mich fliegen lässt und auf diesem ersten Teilstück als „Pilot non flying“ waltet, ruft Teheran auf, um die Bewilligung für den Einflug in den Iranischen Luftraum zu erbitten. Gleich anschliessend wiederholt er dieselbe Anfrage für Pakistan auf der Frequenz von „Kharachi-Control“. Wer im Fernen Osten oder in Afrika herumfliegt sieht sich auch heute noch – im Zeitalter der modernen Raumfahrt und der noch moderneren Satellitenkommunikation – gezwungen, auf altmodische und bisweilen umständliche Funkverfahren zurückzugreifen. Und wir Piloten müssen einmal mehr akzeptieren, dass es einfacher ist, per SMS mit der Familie am anderen Ende der Welt zu kommunizieren, als vom Omanischen in den benachbarten Iranischen Luftraum einzufliegen. Um hier nur ein Beispiel zu nennen.
Die Flugroute führt uns weiter über Belutschistan, mit einer Fläche von 347'000 Quadratkilometern die grösste und gleichzeitig am wenigsten besiedelte Provinz Pakistans. Leider vermiest uns eine tiefer liegende und ziemlich dichte Wolkendecke den Blick auf das Sulaiman-Gebirge. Wohl erhaschen wir vereinzelt einige Landschaftsfetzen, doch können wir die karge und zerklüftete Beschaffenheit dieser Gebirgskette nur erahnen. Dafür zeichnen sich am fernen Horizont eindrückliche Gewittertürme ab. Diese „Cumulonimbus-Wolken“, in der Fachsprache kurz „CB“ genannt, machen schon jetzt klar, dass wir wohl einige Haken werden schlagen müssen, um unsere Passagiere vor Ungemach zu verschonen. So ist es denn auch. Je mehr wir uns Islamabad, und damit dem südlichen Ausläufer des Himalya nähern, desto mehr „CB’s“ kreuzen unseren Weg. Es wird Zeit, den Sinkflug einzuleiten und dabei mit Hilfe des Wetterradars die immer wieder auftauchenden Gewitterzellen schlangengleich zu umfliegen.















Gewittertürme über Pakistan

Heisse Bremsen
Der Flughafen von Pakistans Hauptstadt steht zivilen und militärischen Flugzeugen offen, verfügt jedoch lediglich über eine Piste mit einer Länge von rund 3000 Metern und einem Instrumentenlandesytem „ILS“ in nordwestlicher Anflugrichtung. Das Terrain steigt gegen Norden rasant an, die Kulisse präsentiert sich eindrücklich. Islamabad liegt lediglich 15 Kilometer von Rawalpindi entfernt. Aufgrund der Nähe der beiden Städte wird Rawalpindi als Islamabads Schwesterstadt angesehen. Tatsächlich ist sie bis heute die nach Einwohnern größere Stadt und das lebendige Marktzentrum des westlichen Punjab.
Die Anflugleitstelle lotst uns per „Radar vectors“ präzise auf den Endanflug der Piste 30. Ich bin etwas hoch und fahre deshalb die auf der Flügeloberseite liegenden „Speed Brakes“ aus, um die überschüssige Höhe zu vernichten. Dabei helfen mir die unerwartet starken Rückenwinde nicht unbedingt. Doch es bleibt genügend Zeit für eine Korrektur. Während des Endanflugs wechselt der Wind ständig, bei der Landung schliesslich bläst er mit acht Knoten von hinten. Da die Möglichkeiten zum Verlassen der Piste beschränkt sind und wir aufgrund fehlender Rollwege am Ende der Landebahn sowieso wenden und beinahe zwei Kilometer zurückrollen müssen, will ich die Bremsen nicht unnötig belasten. Dafür aktiviere ich nach dem Aufsetzen die maximale Schubumkehr. Was aber nicht verhindert, dass sich die Beläge in Anbetracht der hohen Aussentemperaturen und der langen Rollstrecke auf 300 Grad erhitzen. Glücklicherweise verfügt unser A330 über einen „Brake fan“, mit dem wir in der Lage sind, die Bremsen jederzeit und unabhängig auf die erforderlichen Maximalwerte herunterzukühlen.

Planungshürden
Es bleibt uns eine Stunde Zeit, die 260 Passagiere auszuladen und durch ebenso viele neue zu ersetzen! Wobei sich bei der Planung des Rückfluges ein kleines Problem abzeichnet: Die Angestellten der Station machen uns nämlich darauf aufmerksam, dass das maximale Rollgewicht (und damit auch das Startgewicht) wegen der reduzierten "PCN" (Pavement classification number) auf 185 Tonnen beschränkt sei. Normalerweise beträgt das maximale Startgewicht unserer Maschine 233 Tonnen. Wir sind alle drei erstaunt und verunsichert zugleich, müssen aber bei der erneuten Durchsicht der Planungsunterlagen feststellen, dass wir bereits in Abu Dhabi auf den entsprechenden Hinweis im NOTAM (Notice to airmen) gestossen sind. Allerdings, und diese Feststellung ist in diesem Fall nicht ganz unbedeutend, hat keiner von uns die Bemerkung richtig erfasst! Was nun für den Laien vielleicht etwas unprofessionell wirken mag, muss relativiert werden. Unsere Unterlagen strotzen vor vielfältigen und – weil nicht international vereinheitlicht – verwirrenden Abkürzungen. Betrachtet man die Menge der Planungsunterlagen und stellt diese in Relation zur vorhandenen Planungszeit, so ist es schlicht unmöglich, sämtliche Details zu erfassen. Oftmals einigt man sich deshalb darauf, gewisse Punkte erst während des Fluges genauer unter die Lupe zu nehmen.
Da stehen wir nun also auf dem Vorfeld und jonglieren mit diversen Gewichtsangaben. Von den ursprünglich in Abu Dhabi getankten 39,9 Tonnen Kerosin haben wir auf dem Hinflug 17,6 Tonnen verbrannt. Mit den in den Flügeltanks verbleibenden 22,3 Tonnen und dem Flugzeuggewicht ohne Sprit (Zero Fuel Weight) von 164 Tonnen ergibt sich ein Startgewicht von 185,9 Tonnen, denn für das Rollen werden 400kg abgezogen. Wir sind demzufolge 900 Kilo zu schwer und es bleibt uns nichts anderes übrig, als Fracht stehen zu lassen, die dann hoffentlich auf einem der nächsten Flüge unterkommt.
Der Rückflug führt über die genau gleiche Route und dauert lediglich zwei Minuten länger als der Hinflug. Die Uhren zeigen 16.52 Uhr als unsere Räder auf der Piste von Abu Dhabi aufsetzen.

Am Morgen danach lese ich in den „Gulf News“, dass ebenfalls gestern die beiden am Nanga Parbat geretteten Bergsteiger Walter Nones und Simon Kehrer von Islamabad in ihre Heimat abgeflogen sind. Und irgendwie macht sich das Gefühl bei mir breit, zumindest ansatzweise an den berühmten Achttausendern gekratzt zu haben. Dabei bin ich doch ein völliger Anti-Alpinist...

8 comments:

Anonymous said...

Interessanter Bericht!

Danke dafür ;)

Lg Sven

Anonymous said...

Der Text liest sich frisch und munter, der erfolgreiche Gipfelsturm sei dir verdient.

Gruess Christoph

Dide said...

@Sven

Danke für das Kompliment. Keine Ursache, gern geschehen.

@Christoph

Noch ist der Gipfelsturm nicht erfolgt. Muss mir wohl zuerst noch etwas Mut antrinken...

Anonymous said...

Dann lässt man es besser sein, denn der Gipfelsturm bringt eigentlich so oder so nicht viel, ausser Blessuren und verfrorene Zehen.

Andrea said...

cooles layout!gefällt mir
gruess us dr schwül, warme CH
Andrea

nff said...

Hallo Dide

danke für die Islamabad Einführung! Das Design gefällt und passt zum Sand!

nff, gerade zurück von Pepe's Letztflug

Dide said...

NFF hatte schon immer eine gute Nase für interessante Einsätze... Scheinst dich auf Letztflüge zu spezialisieren. Oder wollen einfach alle mal in deinem Blog erwähnt werden....?

Kannst dann dereinst auch auf meinen Last-Flight mitkommen, musst dich aber wahrscheinlich nach Abu Dhabi bemühen und in eine Etihad-Uniform zwängen. Der Espresso schäumt zwar nicht so schön wie bei euch, dafür darfst du mal nach "Down Under" jetten...

Gruss

nff said...

.... wenn ein Anti-Alpinist mit einem Anti-Beachboy zusammen fliegen, kommt das gut? Ich kaufe schon mal Daylong 50++......

Aber Achtung, wenn dann die Swiss 747-800 bestellt, dann ist Dide vielleicht schneller in der CH als ich in Abu Dhabi :-)

DISCLAIMER:
ACHTUNG AVIATIKJOURNALISTEN: BEIM OBEN ERWÄHNTEN KAUF VON NEUEN FLUGZEUGEN DURCH DIE FLUGGESELLSCHAFT SWISS HANDELT ES SICH UM EIN GERÜCHT - EIN GUTES GERÜCHT - EIN VERDAMMT GUTES!