Saturday, August 04, 2007

Von Zahn- und sonstigen Wurzeln

Noch immer schwebe ich nach der aussergewöhnlichen Brisbane-Rotation auf Wolke sieben. Doch das Schwelgen findet ein rasches Ende. Und eine harte Landung.

Aufgrund eines kurz vor besagtem Flug herausgebrochenen „Backenzahn-Aussenwandelements“ ist rasches Handeln angesagt („Die alten Zähne wurden schlecht, und man begann, sie auszureißen. Die neuen kamen g'rade recht, um damit ins Gras zu beißen.“ Heinz Erhardt).
Zahnarztbesuche gehören nun wirklich nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, und ich habe schon mehrfach die Teilnahme an einem Kurs zur Dämpfung meiner Oralophobie in Erwägung gezogen. Doch in diesem Fall gibt es kein Entrinnen mehr vor dem Bohrer. Der Termin steht. Was mich ein wenig beruhigt ist die Tatsache, dass der in medizinischen Belangen nicht ganz unerfahrene Peter mir einen guten Tipp gegeben, und einen durch seine Familie in Abu Dhabi bereits mehrfach erprobten Fachmann empfohlen hat.

Radikale Massnahmen
Dr. Ammar wirkt in der Dentalklinik eines grösseren Krankenhauses in der Stadt. Pünktlich erscheine ich zum verabredeten Zeitpunkt. Man(n) will sich ja, ungeachtet schweissiger Hände und trockener Kehle, keine Blösse geben.
Der erste Eindruck der Lokalität ist nicht übel. Alles wirkt sauber und ordentlich. Wenn nur dieses leidige Sausen und Zischen, das aus den diversen Praxisräumen dringt, nicht wäre. Auch die Damen und Herren, die mit Mundschutz ausgerüstet geschäftig durch den Gang patrouillieren, vermögen meine gedämpfte Stimmung nicht sonderlich zu heben.
Der Zahnarzt, ein Jordanier in den besten Jahren, begrüsst mich freundlich und in aufgeräumter Stimmung. Seine Praxis scheint auf neuerem Stand zu sein. Auf jeden Fall bohrt der Bohrer bereits ohne die Hilfe einer pneumatischen Fusspumpe. Mit kritischem Blick nimmt der Doktor einen ersten Augenschein. Dann wird geröntgt. Neben meinem Sitz befindet sich ein grosser Bildschirm, auf dem das Röntgenbild auch für mich ersichtlich ist. Schnell wird klar, dass mein Fall kein einfacher ist (wäre ja auch zu schön gewesen...) und in der Folge wird ein zweiter Zahnarzt, Dr. Hassan, zu Rate gezogen. Er ist Syrier, und die kurze Unterhaltung der beiden erfolgt vorerst in Arabisch. Das ist aber nicht weiter schlimm, da ich aufgrund der Tatsache, dass beide einen Mundschutz tragen und ihre Aussprache ziemlich „matschig“ klingt, auch in Englisch nicht viel mitbekommen hätte.
Schliesslich wird mir bestätigt, was ich eigentlich bereits befürchtet habe: die Beschädigung meines Zahns verlangt radikale Massnahmen. Die Entfernung des Nervs sowie eine anschliessende Wurzelbehandlung (Root canal treatment) sind unumgänglich. Eigentlich wäre ich jetzt lieber am Pool, oder im Kino, oder zuhause, gemütlich auf dem Sofa. Die Lage ist unangenehm - und ernst.

Zuerst der Nerv
Dr. Ammar verliert keine Zeit und schreitet sogleich zur Tat. „Give me injection!“ weist er die Assistentin an. Spritze, bohren – autsch, etwas zu früh – warten, weiter bohren, dann wird der Nerv entfernt. Triumphierend hält er mir die kleine Nudel (erstaunlich, welchen Schmerz so ein kleiner Körperteil erzeugen kann...) vor die Nase. Zum Schluss noch ein bisschen Deckmasse auf den „Flick“, und nach 40 Minuten bin ich wieder ein freier Mann. Das heisst, nur für wenige Stunden. Ähnlich wie ein Häftling auf Kurzurlaub. Denn bereits am nächsten Tag um 0800 Uhr erwartet mich der syrische Kollege zur Wurzelbehandlung. Er hat mir empfohlen, beim Crew Control zwei Tage „sick leave“ zu beantragen. Er will vermeiden, dass ich mit geschwollener Backe und pochendem Schmerz an den Sidestick muss. Der Anruf ist schnell gemacht.
Und so sitze ich denn nach unruhiger Nacht am folgenden Morgen bereits wieder im Vorzimmer der Dentalklinik. Warten muss ich allerdings nicht lange. Dr. Hassan schiebt mir eine lange Nadel in den Mund und setzt gekonnt zwei Injektionen. Wenig später beginnt der wilde Ameisentanz in meiner Backe. Ich will euch an dieser Stelle weitere Details ersparen. Dies im Wissen, dass triefender Speichel und nach verbranntem Kunststoff riechender Mundgeschmack nicht unbedingt Appetit anregend sind. Erfreulicherweise hält sich der Behandlungsschmerz in sehr engen Grenzen, und auch die beiden Tage danach verlaufen problemlos. Die von der Apotheke ausgefassten Schmerzmittel rühre ich nicht an. Ich bin überrascht, als sich Dr. Hassan am Nachmittag telefonisch persönlich nach meinem Befinden erkundigt. Unweigerlich kommt mir der Werbeslogan meines Arbeitgebers in den Sinn: „Change the way you see the world.“

Grosser Aufwand, geringe Kosten
Die dritte und abschliessende Behandlungsstufe ist mit der Kür bei einem Eiskunstlaufwettbewerb vergleichbar. Auf den verbliebenen Stummel zaubert der filigrane Meister mit Hilfe in die Zahnstruktur eingeschraubter Stäbchen, und unter grosszügiger Verwendung einer Komposit-Masse einen „Ersatzzahn“, der auf den ersten Blick kaum als solcher erkennbar ist. Die Behandlung zieht sich zwar etwas in die Länge, aber der Aufwand lohnt sich. Ich staune nicht schlecht, als ich das Resultat im Spiegel sehe. Wer hätte das gedacht. Und das Staunen geht weiter, als mir die Rechnung präsentiert wird. Die Kosten für die gesamten drei Behandlungstage belaufen sich auf lediglich 1200 Dirham, was 400 Franken entspricht. Den grössten Teil übernimmt die von Etihad finanzierte Versicherung, 80 Franken berappe ich aus der eigenen Tasche. Für dieses Geld würde in heimischen Gefilden die Dentalhygienikerin nicht einmal die Zahnseide auspacken.
Soviel zum Thema Zähne. Da wäre aber noch eine andere Geschichte, die zu erwähnen es sich lohnt. Denn offenbar gehen meine „Wurzeln“ in Abu Dhabi viel weiter zurück, als ich dies bis heute angenommen habe.

Auf dem „Traffic Department“
Autoversicherung und Nummernschildzulassung sind in den UAE nur ein Jahr gültig und müssen regelmässig verlängert werden. Dabei handelt es sich – einmal mehr – um einen administrativen Dauerlauf über diverse Stellen. Abgesehen davon, dass die Versicherung uns anfänglich 4500 statt 3500 Dirham Jahresgebühr in Rechnung stellte (nur dank Toni und seines untrüglichen Gespürs für monetäres Verbesserungspotenzial habe ich dies überhaupt bemerkt!), stolpere ich schliesslich noch über eine weitere Hürde. Beim „Traffic Department“, wo, nach Vorweisung eines mittelgrossen Dokumentenstapels die Zulassung verlängert wird, müssen auch die sich im Laufe des Jahres angesammelten Verkehrsbussen beglichen werden. Anders als beispielsweise in der Schweiz werden die SünderInnen nach einer Übertretung nicht sogleich benachrichtigt. Die Bussen werden über Jahresfrist gespeichert und sind dann eben bei der Verlängerung der Zulassung fällig.
Die vier Geschwindigkeitsbussen à je 200 Dirham sind schnell berappt, etwas komplizierter wird es, als mir die Dame in Schwarz eine Verfehlung aus dem Emirat Dubai unter die Nase hält; datiert aus dem Jahre 1994! Erstaunt erkläre ich ihr, dass meine arabischen Wurzeln nicht so weit zurückreichen würden, und dass ich erst vor etwas mehr als einem Jahr nach Abu Dhabi gezogen sei. Das scheint sie allerdings nicht sonderlich zu beindrucken, und sie verweist mich teilnahmslos an einen anderen Schalter. Dort erklärt mir eine ebenfalls in schwarzes Tuch gehüllte Araberin, dass sie allein nicht in der Lage wäre, das Problem zu lösen. Sie müsse sich telefonisch mit Dubai in Verbindung setzen. Das Ganze würde allerdings eine Weile dauern. Spricht's, weist mich an, Platz zu nehmen, und dreht sich ab. Den Telefonhörer lässt sie indes unberührt.
Leicht verstört setze ich mich auf einen Stuhl und warte. Nach einer Viertelstunde frage ich erneut nach, worauf ich zur Antwort erhalte: „You know, it takes some time, but it will be solved by today, insch allah...“
Die Zeiger der Uhren stehen zu diesem Zeitpunkt allerdings erst auf 13 Uhr. Das könnte sich hinziehen, denke ich mir, und überlege, nach Hause zu fahren, um morgen wieder zu kommen. Aber dann würde da mit Sicherheit eine andere Dame sitzen, und die hätte mit ebensolcher Garantie keine Ahnung von meinen Verfehlungen der vergangenen 20 Jahre, und die ganze Litanei würde wieder bei Adam und Eva beginnen. Möglicherweise wäre eine andere Person gar in der Lage, weitere Bussen auszugraben. Solches gilt es um jeden Preis zu vermeiden.
Also bleibe ich. Und siehe da – mein Ausharren wird belohnt, denn bereits nach einer weiteren halben Stunde wird die Busse von der zuständigen Stelle in Dubai kommentarlos „gelöscht“. Und der Verlängerung meines Nummernschildes steht nichts mehr im Wege.

Es sind eben die alltäglichen Banalitäten, mit denen man sich die speziellen Momente (Brisbane-Flüge uä.) verdienen muss. Aber das ist in Abu Dhabi nicht anders als irgendwo sonst auf der Welt.

2 comments:

nff said...

Erinnert mich an meine erste Zahnextension.

Zitternd sass ich im Wartezimmer als der Doc mit einer Tasse Tee auf mich zu kam.

"... und wie gehts?"

"nicht gut - habe schiss!"

"mir geht es auch nicht gut, darum macht ein Kollege aus Kasachstan heute den Eingriff"

"WAS? Meinst Du das ernst?"

"Nein, war ein Witz. Aber jetzt siehst Du einmal wie es mir als Passagier mit Flugangst geht, wenn ich CRX fliege und ein Kasache die Kiste lenkt...."

Dide said...

In der Tat, kein schlechter Witz. Aber - bei Etihad habe ich gelernt, keine Nationalität zu unterschätzen. Der Syrier hat mir sein nachhaltiges Dentalpotenzial bewiesen, da findet sich zweifellos auch ein Kasache, der uns aviatisches Können demonstrieren kann...