Monday, September 13, 2010

Palast der Fata Morgana

Die Shisha blubbert sanft und zufrieden. Ich lehne mich entspannt in das mit weichen Kissen gepolsterte Sofa und reiche Tim den Schlauch, an dessen Ende das Plastikmundstück steckt. Er nimmt einen tiefen Zug und lässt den Rauch in kleinen Wolken entweichen. An der Poolbar schaukeln, von der nächtlichen Brise getragen, einige Laternen. Hinter uns lösen sich drei Araberinnen aus der Dunkelheit. Kichernd rauschen sie an uns vorbei, bevor sich ihre wallenden Abayas alsbald wieder im Schwarz der Nacht verlieren. Es ist kurz vor 23 Uhr, noch immer drückt uns die Hitze einige Schweissperlen auf die Stirn.

Vor fünf Stunden erst wurden wir Zeugen eines Sonnenuntergangs, wie ihn das lebendigste Bilderbuch nicht klebriger dokumentieren könnte. Der Kitsch triefte förmlich von den Steinwänden des Hotels Qasr al Sarab. Die orangefarbene Sonnenkugel tauchte träge und schwerfällig, müde von ihrer Tagestour, in die Weite der aufgeheizten Rub al Khali-Wüste. Ihre Farbe änderte im Minutentakt. Das zarte Abendrot am Horizont mischte sich mit dem schwächer werdenden, durchsichtigen Himmelsblau und mit dem sanften Braun der Wüste. Nach wenigen Minuten hatten die Sandmengen die Sonne vollends verschlungen.

Das im November 2009 eröffnete Qasr al Sarab schmiegt sich malerisch an die mächtigen Dünen des Leeren Viertels. So lautet die deutsche Bezeichnung für die Rub al Khali-Wüste, ihres Zeichens die grösste Sandwüste der Welt, die sich über das südliche Drittel der arabischen Halbinsel bis hinunter in den Jemen erstreckt. Die verlassene Gegend drängt sich nicht unbedingt für den Bau einer solchen Luxusanlage auf. Umso einzigartiger scheint die Tatsache, dass die Gäste von einer Infrastruktur profitieren, der es an Nichts mangelt. Das Hotel Qasr al Sarab, zu Deutsch Palast der Fata Morgana, wird seinem Namen mehr als gerecht. Für die königliche Familie der Al Nayhans wurde ein abgesonderter Gebäudetrakt im gleichen Baustil errichtet. Wir dürfen annehmen, dass deren Zimmer noch eine Spur grösser und luxuriöser dimensioniert wurden.

Mit Vasco da Gama, der 1498 (!) das Kap der Guten Hoffnung umsegelte, kamen die Portugiesen in die Gegend der heutigen Emirate und des Oman. Der Baustil des Qasr al Sarab erinnert an die von ihnen erbauten Forts. Türme und langgezogene Mauern aus hellbraunem Sandstein vermitteln den Eindruck von Sicherheit und Geborgenheit. In Anlehnung an die in Oasen oft verwendeten Falaj-Bewässerungssysteme windet sich ein Netz von Wasserkanälen durch die Anlage. Zwischen den einzelnen Trakten wandeln die Gäste durch ebenfalls in Sandtönen gehaltene lange Gänge, die mit arabischen Bildern und überdimensionierten Vasen dekoriert sind. Sämtliche Zimmer sind nach Westen ausgerichtet, um den Besuchern Abend für Abend den Blick auf die untergehende Sonne zu ermöglichen.

Wir verbringen drei Nächte in diesem Paradies aus 1001 Nacht. Der Ramadan ist soeben zu Ende gegangen, die Muslime zelebrieren Eid al Fitr. Wir wollen noch einmal mit der ganzen Familie einige gemeinsame Stunden in der Wüste verbringen. Tim hat im Verlauf der vergangenen Woche seine letzten Koffer und Taschen gepackt. Am kommenden Mittwoch werde ich mit ihm in die Schweiz fliegen, um die letzten Details vor dem Beginn seines neuen Lebensabschnitts zu regeln. Die Familienstrukturen beginnen zu bröckeln. Der Auszug der Gladiatoren hat begonnen.

Das Qasr al Sarab ist über diese islamischen Feiertage gut belegt. Allerdings sind es in erster Linie Expatfamilien aus Dubai und Abu Dhabi, die sich im Wüstenresort einquartieren. Dazwischen sichten wir nur wenige Emiratis. Der orientalische Zauber zwingt uns dennoch in seinen Bann. Allen voran bin ich es, den die Stimmung zwischen hochstämmigen Palmen, Mauern, Türmen und Dünen in eine morgenländische Trance versetzt. Ich taumle zwischen Tagtraum und Faszination.
Beim Nachtessen, zwischen Hoummus und Umm-Ali, äussere ich die Vermutung, dass ich möglicherweise ein Beduinensohn der mindestens zehnten Generation bin. Die Familie antwortet mit Kopfschütteln und Schmunzeln. Die Zweifel meines Sohnes und meiner Töchter mögen ja berechtigt sein. Zu mehr als einer Ehefrau habe ich es schliesslich nicht gebracht. Und das ist nicht nur für einen Piloten unserer Zeit, sondern auch für einen Araber reichlich kümmerlich.






























































































































































































4 comments:

Crowi said...

Ein stimmungsvoller Bericht, mit den sanft blubbernden Shishas.
Wenn sie den Rauch "in kleinen Wochen entweichen lassen": - haben sie auch schon mal Achterschleifen
ausprobiert oder sonstige wohlgeformte Rauchkringel?
Da gab's mal einen Comic, wo es um einen Wettbewerb dieser Art ging. Der Sieger schaffte es, das Bild eines kleines Hauses in die Luft zu pusten, inkl. Bäumchen & Fenster...

Tja...von wegen kitschige Sonnenuntergänge: Ich hab hier die Beschreibung eines ihrer schreibenden Pilotenkollegen:

"Ein günstiger Ort, die großartigsten Sonnenuntergänge zu beobachten, ist die Stratosphäre über dem Indischen Ozean, südlich der Kleinen Sunda Inseln.
Wir kamen über Alice Springs, die Grosse Sandwüste und Port Derby von Sydney herauf. Querab von Sumba hatten wir eine tropische Gewitterfront durchstoßen, die sich uns entgegenstellte, als wollte sie uns den Zugang zu einem verbotenen Reich verwehren. Wir durchquerten riesige Säulen und verästelte Bäume aus kondensierter Luft, flogen durch Wolkengassen wie durch altägyptische Widderalleen. Turbulenzen durchschüttelten uns, als griffe die Faust eines Tempelwächters nach uns.
Dann hatten wir es geschafft. Von einem flammenden Abendhimmel tropfte aus fernen Wolkenbänken purpurnes Licht auf die reglose See. Als roste sie, färbte sie sich unter den Wolkenschatten rötlich-braun. Im Zenit war der Himmel tintenblau. Wo die Wolken über dem Horizont das Abendlicht zurückhielten, entstanden dunklere Streifen, die durch die Qullbewegung zu wabern begannen wie Nordlicht. Hinter dem Ozean ragten die Vulkane Südjavas auf -schwarze Pyramiden, hineingewachsen in eine Weit, die sich an ihrer Freiheit zu verzehren schien.
Je mehr sich die Sonne dem Horizont näherte, um so intensiver wurden die Verwandlungen des Himmels. Schemen aus Taubengrau und opalisierendem Türkis huschten durch die Luft, die sich in ihrem Farbenreichtum zu verdichten schien. Durch die Gegensätze von fliehendem Blau und heranflackerndem Weinrot ergaben sich perspektivische Verzerrungen, die den Himmel bald als Schale, bald als breitflächige Bahn erscheinen ließen, deren Parallelen sich im Unendlichen trafen. Zwischen den Vulkankegeln zerfloß die Sonne zu rauchglasfarbener Helligkeit, während Azurblau und Karminrot an Ausdruckskraft gewannen.
Schräg hinter uns wölbte sich der Erdschatten mit düsteren Regenbogenfarben in den Nachthimmel, der vom Wetterleuchten der durchflogenen Gewitterfront erhellt wurde. Im wilden Tanz der Blitze gab es keinen Atemzug des Zögerns oder Pausierens; die kosmische Energie schöpfe aus unversiegbaren Quellen.
Vor uns, im Westen, war inzwischen die Vielfalt der Formen und Farben auf wenige Hauptmerkmale zusammengeschrumpft: Kadmiumgelb, Limonengrün, Ultramarin. Schattenwellen, auf denen die Finsternis herabgetrieben kam. Blickte man dort durch die Scheiben, wo sich die erleuchteten Fluginstrumente spiegelten, so sah man auf der reglosen Wasserfläche Zeiger, Zahlen und Drucktasten treiben wie Relikte einer surrealistischen technischen Katastrophe.
Über Bali hatte uns die östliche Nacht eingeholt und sich grün-schwarz über uns gestülpt. Ein purpurner Streifen am Horizont, in den sich der rauchende Kegel des Gunung Raung schob, bot wie durch einen Schlitz Ausblick in die eben noch gegenwärtige Farben- und Formenwelt."

Dide said...

@Crowi: für die Rauchkringel ist mein Sohn zuständig. Ich lass es einfach zünftig paffen...

Danke für den angehängten "Sonnenuntergang". Wortgewaltig, der Kollege. Wirklich eindrücklich.

Gruss

Prechiblog said...

Wunderbarer Text und herrliche Bilder!! Nur dass Vasco da Gama 1948 das Kap umsegelt hat kann ich mir nicht ganz vorstellen :-) Churchill hätte ihm womöglich den Garaus gemacht.
Gruss
Peter

Dide said...

@Prechiblog: Peinlich, gemeint ist natürlich 1498! 1498 wars, liebe Wüstenspurenleser. Werde umgehend abklären, ob ich Legastheniker oder Dyskalkuliker bin...

Ein aufmerksamer Leser, Kompliment und Gruss!