Saturday, May 29, 2010

Prom

Heute Freitagabend ist „Prom“. Für Tim markiert dieser Anlass das Ende seiner Schulzeit. Der Mai war anstrengend, während des ganzen Monats fanden schriftliche „IB"-Prüfungen statt. Die letzte am 24.

Jetzt ist feiern angesagt, auch wenn die Resultate erst im Juli bekannt gegeben werden. Die Prüfungen werden weltweit eingesammelt und in Genf korrigiert und bewertet. Festina lente - gut Ding will eben Weile haben.

Die „Prom“(für promenade oder promotion) markiert in den USA das Ende der High School-Jahre und geniesst einen hohen Stellenwert. Es handelt sich bei diesem Anlass um eine gesellschaftlich und sozial bedeutungsvolle Veranstaltung. Trotz dieses formellen Charakters ist die „Prom“ bei den Schülern ausserordentlich beliebt. Hier mag die starke Identifikation mit der Schule (school spirit), die auch in der „American Community School“ (ACS) in Abu Dhabi behutsam gepflegt wird, von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Die Mädchen und Jungs stürzen sich in stattliche Roben, und kaufen am Nachmittag vor der "Prom" eine Blume, die vom Partner oder der Partnerin am Abend getragen wird. Linda liess sich ihr Kleid gar eigens von einer philippinischen Schneiderin anfertigen. Zur Erinnerung, die Preise in Abu Dhabi sind nicht mit der Schweiz vergleichbar...
Oftmals mieten die Teilnehmer „Stretch-Limos“ und lassen sich nach den diversen „Pre-prom parties“ in angeregter Stimmung zum Fest chauffieren. Dieses Jahr findet die „Prom“ im Hotel Radisson Blu auf Yas Island statt, unmittelbar neben der Formel 1 Strecke.

Die Zulassung ist eingeschränkt. Teilnehmen dürfen nur Elftklässler und der Abschlussjahrgang. Als Partner darf Mann oder Frau jedoch einen Sophomore (10. Klasse) oder Freshman (9. Klasse) einladen. Ehemalige Schulabgänger werden nicht zugelassen.

Nach der „Prom“ wird oft ausgelassen weiter gefeiert. In Clubs oder im privaten Rahmen. Tim hat sich für die Nacht abgemeldet und einen Notvorrat an Bier im Auto deponiert. Getrunken wird erst nach dem Fest, doch dafür muss vorgesorgt werden.
Linda war heute Nachmittag noch unentschlossen. Sie wird uns auf dem Laufenden halten, zumindest in groben Zügen.

Am kommenden Wochenende wartet ein Monster-Programm auf uns: Am 3. Juni steht Tims „Graduation“ an, die offzielle Übergabe der Abschlusszeugnisse. Am 4. Juni findet der Jahresabschlussball der Deutschen Internationalen Schule statt, und am darauf folgenden Tag wird Nina in der Koptischen Kapelle der St. Andrews Church konfirmiert.
Den Kleidereinkauf haben wir durch, diverse Rechnungen für die lukullischen Genüsse werden folgen. Selbstverständlich freuen wir uns auf jede einzelne dieser Feiern!



















Ready to go...



















Savannah und Tim



















Nemo und Linda


Dem grossen Bruder die Ohren lang ziehen...

Tuesday, May 25, 2010

Trommelwirbel, Freudentänze, Siegeskränze

Ein Deutscher, ein Schweizer und zwei Italiener im Cockpit unterwegs nach Down Under.
Kommuniziert wird grundsätzlich in Englisch. Die Italiener parlieren hie und da in ihrer Muttersprache, während sich der Helvetier und der Germane in Hochdeutsch austauschen. Zwischendurch wagt der Schweizer einen „Einwurf“ auf Italienisch.
Womit wir bereits beim Thema wären. „Einwerfen“ tun auch die Fussballer, allerdings nicht Worte, vielmehr den Ball, der gelegentlich ins Aus zu fliegen pflegt. Die Länderkombination und das runde Leder bergen Konfliktpotential, jedoch weder auf der linguistischen noch auf der beruflichen Ebene.
Vor drei Tagen haben die Mailänder die Bayern fussballtechnisch ausgehebelt. Einer der Copis ist Mailänder, und steht dem „Calcio“ wesentlich näher als den norditalienisch benamsten Weihnachtsguezli, die übrigens auch bei unseren nördlichen Nachbarn (noch) äusserst beliebt sind. Im Gegensatz zu „Internazionale Mailand“ oder Jose Mourinho, der im kommenden Jahr mit frisch gewetzten iberischen Pfeilen der Hoeness-Truppe weiteren Ärger bereiten wird.

Die Diskussionen beginnen bereits bei der Planung. Der deutsche Kapitän stichelt, die Tiffosi nehmen’s gelassen. Der fehlende vierte Goldstreifen schafft ungleiche Voraussetzungen. Immerhin sind die Azurri in der Überzahl. Ich halte mich vorerst raus, wir Schweizer schieben sowohl bei Deutschen als Italienern fussballtechnisch eine Nullnummer. Später, nach dem Wetterstudium, verlagere ich das Thema elegant vom grünen Rasen aufs Glatteis, wo es den „Simpson-Boys“ zwar nicht optimal lief, "wir" aber immerhin die Erwartungen übertroffen haben. Auf dem Gesicht des deutschen Kollegen macht sich ein triumphierendes Lächeln breit, derweilen mich die Italiener fragend anschauen. Mein Blick schweift durch den Planungsraum, in der Hoffnung, einen Tschechen oder Kanadier zu orten, an dem ich mein angeknacktes Selbstwertgefühl wieder aufrichten könnte. Ohne Erfolg: Tschechen sitzen (noch) nicht im Etihad-Cockpit, und die Kanadier machen sich heute Morgen rar.
Später, im Flugzeug, mischt ein brasilianisches Flight Attendant die Diskussion mit einem Touch von Zuckerhut und Maracaná auf. Auch wenn sie eigentlich mit Fussball nicht viel am Hut hat (mit Eishockey noch weniger als die Italiener), was der durchschnittliche Fussballfan eigentlich erwarten würde. Immerhin ist sie Brasilianerin.

Mir scheint, die Welt ist reif für die anstehende Fussball-Weltmeisterschaft. Wir brauchen Einflüsse, welche unseren Diskussionen am Frühstücks- und Stammtisch, im Büro und an der Migros-Kasse neuen Schwung verleihen. Strömungen, die von taumelnden Finanzmärkten und dem fallenden Euro ablenken, den gestressten Staats-Chefs (gilt auch für die weiblichen Titelträgerinnen) die machthungrige Seele läutern, und die träge Vulkanasche vertreiben.

Veränderungen brauchen Zeit und kosten Energie. Manchmal sei pure Ablenkung erlaubt. Ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Emotionen, die nicht durch Kriege und Waffen geschürt werden.

Trommelwirbel, Freudentänze, Siegeskränze.

Saturday, May 22, 2010

Vier Jahre

Vier Jahre in der Wüste! Während mein anfänglicher Mitstreiter Toni bereits seit zwei Jahren dem Rentner-Müssiggang frönt, feiert meine Wenigkeit den vierten Jahrestag im Simulator.
Ist die überschlagsmässige Kalkulation in meinem vom Notverfahren- und Checklistenstudium gesättigten präfrontalen Kortex korrekt, so dürfte dies etwa die 57ste Bestätigung meiner pilotischen Leistungsfähigkeit gewesen sein. Nebst unzähligen Trainingsübungen, Umschulungen oder den jährlichen „Line-Checks“, bei denen jeweils unsere tägliche Arbeit auf der Strecke unter die Lupe genommen wird.

Die beiden Simulatortage sind immer wieder anforderungsreich. Am ersten Tag wird trainiert, am zweiten Tag gecheckt. So die offizielle Variante, immerhin gilt es, eine gesetzliche Auflage zu erfüllen. Ein nicht bestandener „Operator Proficiency Check“ (OPC) entzieht dem Lizenzhalter das Recht zur weiteren Ausübung seines Berufes. Zumindest bis zur erfolgreichen Wiederholung. Unser Freund Peter Lembach staunt immer wieder über diese Kontrollmechanismen. Als Arzt sieht er sich täglich mit heiklen Entscheidungen konfrontiert, deren Konsequenzen schwierig abzuschätzen sind. Sein Staatsexamen und seine Facharztausbildung bescheinigen ihm jedoch Qualifikationen zur lebenslangen Ausübung seines Berufes. Angenehm für ihn, als potentieller „Kunde“ wünschte ich mir natürlich auch in der Medizin möglichst weitgehende Kontrollen. Wohl wissend, dass die totale Sicherheit angestrebt, aber niemals erreicht werden kann.

Zurück zum Simulator. Am ersten Tag kämpfen mein indischer Copi, der erst sechs Monate für Etihad fliegt und ziemlich unerfahren ist, mit blockierten Landeklappen, reduzierten Navigationscomputern, Vereisungsproblemen, Windscherungen, Flugzeugen auf Kollisionskurs, einem Triebwerk- und einem doppelten Hydraulikausfall (in dieser Verbindung besonders delikat) sowie mit einem unlöschbaren Triebwerkbrand. Vier Mal starten wir in Nagoya, zwei Mal kehren wir um, in den beiden anderen Fällen landen wir unseren fiktiven A330 in Osaka. Wir arbeiten unter Zeitdruck. In vier Stunden stehen die nächsten Kandidaten mit feuchten Händen und klammem Gefühl vor dem Simulator. Als Beübter, entweder in Anflugkarten-Ordnern, Handbüchern oder Checklisten nach der richtigen Seite suchend, verliere ich jegliches Zeitgefühl. Vier Stunden schrumpfen zu vierzig Minuten. Ich kommuniziere mit dem Kollegen zur Rechten und dem Instruktor im Rücken, der in kostensparender Personalunion die freundliche Kabinenchefin, den japanischen Fluglotsen, den Etihad Stationsvertreter und den technischen Experten vom Maintenance Kontrollcenter vereint. Ausserdem verkommt die ganze Übung in meinem Alter immer wieder zum Kampf mit der verrutschten, angelaufenen oder unauffindbaren Lesebrille. Die anfallenden Kopfrechnungen, in der Regel handelt es sich um banale Multiplikationen (1.35x2.45x1070) und Additionen (138+15+3) auf Primarschulniveau, tippe ich in solchen Momenten in mein Handy, das mich auch bei multiplen Systemfehlern im Cockpit nicht im Stich lässt.















Das Programm des zweiten Tages präsentiert sich zwar „humaner“, bieter aber nach wie vor genügend Spielraum für „errare“. Allein der Prüfungsdruck reduziert die cerebrale Virtuosität um einige Prozent. Interessanterweise falle ich in Drucksituationen, auch nach vier Jahren bei Etihad Airways, in frühere Muster zurück. Unvermittelt entfährt mir ein Begriff, wie ich ihn über Jahrzehnte im Swissaircockpit angewendet habe.
Beim Check wird grosses Schwergewicht auf Starts und Anflüge bei Nebel, sogenannte „Low Visibility Procedures“, gelegt. Selbstverständlich erschweren fantasievoll eingeflochtene technische Probleme die reibungslose Abwicklung. Ausserdem muss jeder Pilot das fehlerfreie Handling eines Triebwerkausfalls beim Start sowie zwei einmotorige Anflüge, im einen Fall mit einem Durchstart, demonstrieren. Beurteilt werden neben den fliegerischen Fähigkeiten das gesamte „Failure Handling“, das Problemlösungsverhalten und die Kommunikation. Einzig beim Anlegen der Sicherheitsgurte geniesse ich die sprichwörtliche "Freiheit über den Wolken" (auch wenn ich mich beim Anschnallen in der Regel noch darunter befinde...).
Der Weg zum erfolgreichen Cockpitmanagement liegt in der Gelassenheit. Wer zurücklehnt und sich einen Moment Zeit nimmt, gewinnt den Überblick. Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Besonders junge Kollegen neigen zu raschen Konklusionen. Der Konflikt mit dem alternden Kapitän ist vorprogrammiert, und die Klarheit schaffende Diskussion verlangt entweder Fingerspitzengefühl oder brachiale Rhetorik.

Die abschliessende Beurteilung durch die Instruktoren unterscheidet sich deutlich von der Praxis meines früheren Arbeitgebers. Besonders im Bereich der Persönlichkeitsbeurteilung. Meines Erachtens findet bei Etihad eine solche kaum statt. Qualifizert wird mit Buchstaben, nicht mit Worten und Sätzen. Ein simples „S“ vereint die Pilotenmehrheit im breit definierten (Standard-)Mittel und erledigt die Angelegenheit auf unkomplizierte Weise. In der Schweiz wird nicht nur mehr Detailkritik betrieben, sondern auch verstärkt gelobt. Doch hierzulande stammen viele Instruktoren aus dem asiatischen Raum. Hohe Anforderungen sind die Norm, mit Lob wird sparsam umgegangen. Wie sagte doch gestern unser malaysischer Instruktor beim Briefing vor dem Check: „If I don’t let you repeat any of the elements, then your check was ok.”





Monday, May 17, 2010

Human Factors

Wieder einmal in der Schule. Im Gegensatz zu meinen Kindern allerdings freiwillig. Die Instruktoren erläutern flüssig und kompetent: Zwei Australier und eine Schwedin, allesamt erfahrene Aviatik-Psychologen. Die Thematik: „Human Factors in Flight Safety“.

Der einwöchige Kurs unter dem Patronat der „European Association for Aviation Psychology“ (EAAP) findet ein- bis zweimal jährlich in verschiedenen Städten Europas statt und erfreut sich einer regen Nachfrage. Kursort ist in diesem Fall Dubai, unterrichtet wird in Räumlichkeiten des "Emirates Aviation College".
Piloten, Ingenieure, Human-Factors-Spezialisten und Vertreter der UAE-Luftaufsichtsbehörde teilen sich ein grosszügiges Klassenzimmer. Sie kommen aus den sieben Emiraten, Saudi Arabien, Griechenland, Jordanien und von den Britischen Inseln. Mindestens zwei verdienen besondere Erwähnung: Ein in Norwegen lebender Sicherheitsexperte aus der Ölindustrie, sowie ein 60jähriger DC-8 (!) Captain aus Zambia, der im Emirat Ras al Khaimah für eine Frachtgesellschaft mit dem treffenden Namen „HeavyLift Cargo“ fliegt.
Meine Motivation ist nicht nur gross, weil ich die Weiterbildung und die fünf Übernachtungen im Hotel aus der eigenen Tasche berappe. Immerhin gewährt mir mein Arbeitgeber die Arbeitstage, so dass ich nicht meine Ferien anknabbern muss. Ansonsten ist mein Weiterbildungs-Kontingent vorerst erschöpft.
Im Verlauf der vergangenen zwei Jahre in der Etihad Flight Safety-Abteilung habe ich zunehmendes Interesse für den Bereich “Human Factors“ entwickelt. Die Sicherheit der Luftfahrt geht zwar Hand in Hand mit redundanten Systemen und ausgefeilten Verfahren, doch wer (Flug-)Sicherheit verstehen will, muss sich in erster Linie mit den Besonderheiten des Homo Sapiens beschäftigen.

Deshalb reichen die Lektionen von „Understanding Human Error“, oder „Human Performance – Capabilities and Limitations“ bis zu Betrachtungen der menschlichen Integrationsfähigkeit in einem multikulturellen Umfeld. Dazwischen werden Instrumente zur Risikoanalyse erklärt und in praktischen Übungen umgesetzt. Wir befassen uns mit Methoden, die bei Untersuchungen von Zwischen- oder Unfällen zur Anwendung kommen. Das Instruktorentrio verfügt über immense praktische Erfahrungen bei der Aufklärung von Flugunfällen, wo alle drei regelmässig als Human Factors-Spezialisten zum Zug kommen. Sie teilen mit uns ihre persönlichen Erlebnisse und rekonstruieren detailgetreu die Entstehung von Flugunfällen, beispielsweise anhand der uns allen bekannten Kollision zweier Flugzeuge in Überlingen.
Eine zentrale Tätigkeit bei jeder Untersuchung ist die Befragung involvierter Besatzungsmitglieder. Wir erfahren mehr über angewandte Inverviewtechnik. Was einfach klingt, erweist sich in der Praxis als Spiessrutenlauf. Offene Fragen, positive Vestärkung, Augenkontakt, angepasste Mimik, gegen Ende des Gesprächs geschlossene Fragen, Repetitionen und eine kurze Zusammenfassung. Das Umfeld muss ebenso passen wie Planung und Absprache innerhalb des Befragerteams.
Den Abschluss bildet eine ganztägige praktische Übung in Gruppen. Meine „Mitspieler“ sind der hellenische „Accident Investigator“ des UAE-Luftamts GCAA (General Civil Aviation Authorization), der jordanische Safety-Chef eines Unternehmens für Groundhandling sowie die irische Safety-Verantwortliche einer Emirates-Abteilung. Wir arbeiten effizient und präsentieren am Abend ein realistisches „Unfallszenario“ inklusive entsprechender Analyse.





























Nach diesen fünf Tagen bin ich, so scheint mir, gerüstet für den am Donnerstag und Freitag anstehenden Simulator-Check. Zumindest weiss ich, was im Multikulti-Bereich auf der „Humanebene“ alles schief laufen kann.
Doch zurück im Flight Safety Büro werde ich gleich am ersten Arbeitstag in eine interne Untersuchung involviert und gerate daher mit den Simulator-Vorbereitungen in Verzug. Auf meinem Pult stapeln sich Papierberge. Checklisten, Verfahren, Auszüge von Handbüchern, Anflugkarten. Diese Vorbereitungen bereiten mir zunehmend Mühe. Motivationstechnisch zumindest. Mein aktueller Arbeitgeber gestaltet die Unterlagen jedes Jahr umfassender. Der Aufwand steigt. Franziska pflegt zu spötteln: „Nach 30 Jahren als Pilot solltest du eigentlich langsam wissen wie’s geht...“ Mag sein, dass sie recht hat, doch unterschätzt sie dabei den unheimlichen Wandel, der die kommerzielle Fliegerei gnadenlos antreibt. Erkenntnisse aus Unfällen oder politische Bedrohungen diktieren Anpassungen. Vorschriften und Technologien ändern, und fordern auch nach einer Dekade im Franzosencockpit immer wieder entsprechenden Lern-Tribut sowie den einen oder anderen Schweisstropfen im Simulator.

Und wenn wir denn gerade vom Schwitzen reden: Ich habe die Schlacht (nicht aber den Krieg) verloren. Wir ziehen um! Der Hausvertrag ist bereits gekündigt. In der ersten Augustwoche fahren die Zügelmänner vor. In der Werbung heisst es: „Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch“.

Ich meine: „Sind die Frauen im Haus happy, profitiert der Mann!“

Monday, May 03, 2010

Von Göttern in Weiss und Helden der Lüfte

In Chicago hausen die SWISS-Besatzungen im gleichen Hotel wie Etihad-Crews. Das birgt Potenzial für überraschende Begegnungen. So geschehen bei meiner letzten Rotation in die windige Stadt. Geblasen hat der Wind bei unserer Landung in O’Hare, das sieben Pisten im Angebot hat, in der Tat. Doch anders als im Winter kümmerte uns der Windchill nicht. Die Temperatur lag bei sommerlichen 27 Grad Celsius. Da wirkt eine kleine Brise ganz erfrischend.

In der Lobby des Westin Hotels an der Michigan Avenue treffe ich nach dem Einchecken auf „Zeri“, einen Airbus-Copi der SWISS, mit dem ich zu früheren Zeiten auch die eine oder andere Stunde in Eishallen verbracht habe. Er, als Star-Verteidiger des Eishockeyteams der Staffel 13, ich als bescheidener Gehilfe an der Bande. Während Zeri gegnerische Stürmer und störende Pucks aus dem eigenen Drittel spedierte, lag mein Kompetenzbereich in der Bedienung der Bandentüre. Eine Tätigkeit allerdings, die optimal ausgeführt, entscheidend zum Mannschafts-Erfolg beitragen kann. Dies nur nebenbei bemerkt.

Gemeinsam verplaudern wir den Samstagmorgen bei Kaffee und Muffin. In Anbetracht des anstehenden Rückkehrentscheids zur SWISS folge ich Zeri’s Schilderungen mit höchstem Interesse. Dann trennen sich unsere Wege.
Die SWISS-Maschine startet am Abend eine Stunde vor uns. Am Flughafen reicht es mir gerade noch für ein Stimmungsbild, dann wird der A340 mit dem Schweizerkreuz vom Traktor auf die Rampe gestossen. Der Rückflug der Kollegen dürfte mindestens sechs Stunden kürzer ausfallen als der unsrige.















Vielleicht auch etwas ruhiger. Bereits beim Boarding herrscht Aufregung. Eine schwangere Inderin verfügt nicht über das erforderliche medizinische Zertifikat zur Bestätigung ihrer Flugtauglichkeit. In der Bordküche, zwischen einsteigenden Passagieren und tausenden (!) von Handgepäckeinheiten wird heftig diskutiert. Die Kabinenchefin legt die Angelegenheit vertrauensvoll in meine Hände, dazwischen tut auch der Stationsmanager munter seine Meinung kund. Wir entscheiden „für die (schwangere) Angeklagte“ und drücken ein kleines Auge zu.
Nach dem Start mache ich es mir erst einmal auf einem der hintersten Passagiersitze gemütlich. Meine Schicht beginnt in sechseinhalb Stunden.
Nach etwas mehr als der Hälfte des Fluges, ich habe mich eben erst im Cockpit mit der allgemeinen Lage vertraut gemacht, ruft mich die Cabin Managerin aus dem Galley im Heck des Flugzeugs an. Eine „ältere“ Inderin (später stellt sich heraus, dass die Dame lediglich drei Jahre älter war als ich. Von "alt"kann nicht die Rede sein...) wäre vor der Toilette kollabiert. Immer diese Inder! Ich erfahre weiter, dass sie wieder bei Bewusstsein ist und mit Sauerstoff versorgt wird. Noch sind wir nicht gross beunruhigt. Solches passiert auf Ultralangstrecken immer wieder. Die Kabinenchefin Nadine gehört zum Instruktorenteam für das Training von Notverfahren. Sie weiss, was in diesem Fall zu tun ist.
Wenig später taucht sie im Cockpit auf. Offenbar hat sich der angeschlagene Kreislauf stabilisiert. Just in diesem Moment scheint sich die Dame wieder anders zu besinnen. Sie klagt über Schüttelfrost und Schmerzen in der Brust. Nadine macht auf dem Absatz kehrt und begibt sich zurück in die Kabine, um nach einem Arzt zu fragen.

Spätestens in diesem Moment müssen wir uns im Cockpit mit einer allfälligen Zwischenlandung beschäftigen. Gemeinsam entwerfen wir ein Szenario, bei dem wir nach einem bestimmten Entscheidungsraster vorgehen. Das Zauberwort heisst FORDEC. Jeder Buchstabe steht für einen der sechs Schritte: Facts, Options, Risks, Decision, Execution, Check. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigen wir uns in erster Linie mit den „Options“. Dies weckt Erinnerungen an einen Swissair-Flug vor elf Jahren. Mit dem Jumbo unterwegs von Zürich nach Atlanta, mussten wir in Halifax zwischenlanden. Ein Mann hatte Blutungen in der Speiseröhre. Der Zustand des Patienten verschlechterte sich während der Überquerung des Nordatlantiks. Auch damals war glücklicherweise ein Arzt an Bord. Kurz vor Halifax riet er zur Landung. Das war ein Jahr nach dem Absturz von SR111. Ausgerechnet Halifax, dachten wir...

Dem weiteren Flugverlauf angepasst erstellen wir eine Prioritätenliste aller für eine Zwischenlandung möglichen Flughäfen. Es müssen Wetterinformationen eingeholt werden. Dann versuche ich, die Landekarten in den im Cockpit zahlreich vorhandenen Ordnern zu lokalisieren, was sich als ziemlich zeitaufwändig erweist. Ich zwänge meinen Oberkörper in den Garderobenkasten und wühle auf dem Boden kauernd, in dicken Ringbüchern, die so voll sind, dass sich die Seiten kaum umblättern lassen.
Der Copi beginnt derweilen mit der Programmierung des Navigationscomputers. Im Sekundär-Flugplan speichert er den Anflugweg jenes Ausweichplatzes, den wir aktuell anfliegen würden. Da unser Airbus noch immer 287 Tonnen wiegt, liegen wir über dem maximal erlaubten Landegewicht. Wir studieren die Verfahren für das Ablassen von Sprit (Fuel Jettisoning), berechnen Landedistanzen und werfen einen Blick in die Checkliste für eine „Overweight Landing“. Im Falle eines akuten medizinischen Problems wäre es kaum angebracht, in einer Warteschlaufe wertvolle Minuten zu vergeuden. Es wird gelandet, um jeden Preis!

Glücklicherweise finden sich drei Ärzte an Bord. Ein Kinderarzt, ein Augenarzt sowie ein Kardiologe. Später werden uns die Flight Attendants mit leuchtenden Augen berichten, dass die Medizinmänner nicht nur hilfsbereit und kompetent, sondern überaus gutaussehend waren. Mir ist jedes Mittel recht, das der fragilen Konstitution der Patientin zuträglich ist.
Über das Satellitentelefon nehmen wir Kontakt mit „Medlink“ auf, einer Organisation, die rund um die Uhr Flugzeugbesatzungen bei medizinischen Notfällen zur Seite steht.
Der Copi und ich haben mittlerweile eine Liste der im weiteren Flugverlauf in Frage kommenden Landeplätze auf einen Zettel gekritzelt. Mit Angabe der Anflughilfen und Pistenlängen. Dann taucht nochmals eine Hostess im Führerstand auf. Offenbar verspürt ein weiterer Passagier Schmerzen auf der Brust. Ob es sich hier um einen ansteckenden Virus handelt? Langsam fühle ich mich wie im Ambulanzflieger. In der Kabine wird mit Meisterhand Blutdruck gemessen und Sauerstoff verabreicht. Medikamente werden geschluckt und mit Wasser runtergespült. Der Copi und ich sind bereit zum Abschwung falls nötig.

Das erübrigt sich glücklicherweise. Irgendwann folgt die Entwarnung. Beide Patienten erholen sich unter den kundigen Massnahmen der Ärzte rasch. Die Kreisläufe haben sich stabilisiert, die Verdauung ebenfalls. Schmerzen und Druckgefühl lassen nach. Die Aufregung legt sich, alles im grünen Bereich. Nur die Hostessen schwärmen noch immer von den „cute doctors“.
Sollen sie. Die Götter in Weiss wirken am Boden, die Helden der Lüfte auf 30000 Fuss und höher. Da stehen wir im wahrsten Sinne des Wortes „über“ der Sache.