Sunday, October 25, 2009

Canarsie, Streit und Overtime

Was mich seit Beginn unseres Expat-Daseins fasziniert, sind die immer wieder wechselnden Familien-Konstellationen. Zwar leben wir (noch) zumeist gemeinsam in Abu Dhabi, doch vor allem im Sommer und über Weihnachten kommt es in wechselnder Zusammensetzung zur Völkerwanderung. Und manchmal verteilt sich die Familie auch, wenn weit und breit keine Ferien angesagt sind.

Wie am vergangenen Mittwoch etwa; In ihren Team-Trainingsanzügen steigen die Mädchen am Morgen in den Schulbus, der mittlerweile direkt vor unserem Haus anhält. Zwar drücken Nina und Linda bis zum Mittag noch die Schulbank, dann aber rückt der Fokus ausschliesslich auf das Abenteuer „EMAC“. Die Eine fliegt nach Kuwait, die Kleine zu den Pyramiden nach Kairo.
Auf meinem Einsatzplan steht "EY101", was bedeutet, das ich um 08.20 Uhr für den New York-Flug am Airport einchecke. Weil ich in letzter Zeit wenig geflogen bin, will ich den Start und die Landung selber durchführen. Normalerweise sprechen wir uns bei „Ultra-Langstreckenflügen“ so ab, dass sowohl der Captain als auch der Copi je eines der beiden Manöver fliegt. Da die meisten von uns A330 und A340 fliegen (Mixed Fleet Flying), gilt es gewisse Gesetzesvorgaben zu beachten: Innerhalb von 90 Tagen muss jeder Pilot mindestens drei Starts und Landungen selber geflogen haben, davon mindestens einen Sektor auf dem zweiten Flugzeugmuster. Also zwei Starts und Landungen auf A340, und einen Start und eine Landung auf A330 – oder umgekehrt. Bei ungünstiger Einsatzplanung oder Ferienabwesenheit kann diese Restriktion in einzenen Fällen Probleme verursachen.
Keine Probleme macht der Flug nach New York. Wir haben lediglich 79 Passagiere geladen, die sich nach der ersten Mahlzeit mehrheitlich mit dem bordeigenen Unterhaltungsprogramm beschäftigen oder im Schlummerland verlieren.
Der Sinkflug führt uns direkt über Manhattan. Dann weist uns die Anflugkontrolle den eher seltenen, aber fliegerisch interessanten „Canarsie Approach“ auf die Piste 13L zu, der uns vom Meer her über Brooklyn in einem 90 Grad-Winkel zur Pistenachse führt. Es handelt sich um einen VOR-Anflug, bei dem der Gleitweg, also der vertikale Leitstrahl, fehlt. Eine Kette blinkender Lichter weist schliesslich den optimalen Weg für die finale Kurve zum Endanflug. Dumm nur, dass diese weissen Lichter am Tage sehr schlecht erkennbar sind. Da speziell die linke der beiden Pisten 13 durch Flughafengebäude verdeckt wird, ist dieser letzte „Turn“ nicht ohne Tücken. Heute sind die Sichtverhältnisse ausgezeichnet. Mehr als 20 Grad Querlage sind nicht nötig und wenig später zeigt die Nase unseres A340-600 ans richtige Ort. Kurz darauf verlieren 233 Tonnen ihre imaginäre Leichtigkeit, und ein leises, für uns im Cockpit allerdings nicht hörbares, Quietschen bestätigt den Kontakt des Hauptfahrwerks mit der Pistenoberfläche. Die Schubumkehr sowie das „Autobrake System“ auf Stufe 2 sorgen für eine flüssige Reduktion der Geschwindigkeit, so dass wir via Piste 22R zu unserem Parkplatz rollen.



















Anflug über Manhattan













Eindrehen in den Endanflug auf 13L

Die Mädchen in Ägypten und Kuwait, der Vater in Amerika – so sitzen sich Franziska und Tim unvermittelt alleine am Esstisch gegenüber. „Quality time“ für Mutter und Sohn, umso mehr, als auch dessen Freundin mit der Volleyballtruppe verreist ist, und sich ihm so wenig „Fluchtmöglichkeiten“ bieten.

Auch ich lasse es mir gutgehen. Meine Recherchen im Internet haben ergeben, dass am Tage unserer Ankunft die „New York Islanders“ ein Heimspiel gegen die "Carolina Hurricanes" bestreiten. Das Nassau Coliseum liegt nur wenige Taximinuten von unserem Hotel in Garden City entfernt. Zwar muss ich trotzdem hetzen, der Verkehr vom Flughafen nach Long Island erweist sich zu dieser Abendstunde so zähflüssig wie abgekühlte Lava. Anderthalb Stunden dauert die Fahrt im Bus. Dies, obwohl der beleibte Fahrer die Möglichkeiten seines GPS ausreizt und jede erdenkliche Nebenstrasse nutzt. Immerhin kriegen wir bei der Fahrt durch Quartiere mit stattlichen Vorstadtvillen bereits zahlreiche Weihnachtsbeleuchtungen präsentiert. Nur die Philippinen scheinen da noch schneller, denn als mich Anfangs Oktober ein Arbeitskollege und seine Frau ins Flight Safety-Büro fahren, klingen unentwegt Weihnachtslieder aus der Stereoanlage. Meinen fragenden Blick beantwortet die Dame des Hauses ohne Zögern: Ihr Land wäre ab September auf Weihnachten eingestellt. Sogar der (künstliche) Weihnachtsbaum stünde bereits fertig geschmückt in der Stube. Da bleibt auf jeden Fall genügend Zeit, die Texte der Weihnachtslieder einzustudieren.

Bei mir hingegen wird die Zeit knapp. Das Taxi lässt auf sich warten. Es ist bereits viertel vor Sieben. In einer Viertelstunde wird der Puck zum ersten Bully eingeworfen. Ich freue mich auf „unseren“ Mark Streit, der sich bei den Islanders zu einer wichtigen Teamstütze hochgearbeitet hat. Ob es wohl „Schweizer Discount“ am Ticketschalter gibt? Die Dame schüttelt den Kopf und bietet mir einen Platz für 57 Dollar an. Das Spiel läuft bereits seit wenigen Minuten. Noch während ich für Bier und Hamburger anstehe, gehen die Islanders 1:0 in Führung. Die Sirene heult. Ob’s heute zum ersten Sieg reicht? Bis anhin gingen nämlich sämtliche Partien verloren. Trotz Mark Streit. Ich verziehe mich auf meinen Sitz in bester Lage. Die Halle ist schlecht gefüllt. Kaum habe ich mich auf meinem Klappsitz installiert, lassen auf dem Eis zwei Spieler ihre Fäuste fliegen. Stimmung und Lärmpegel steigen. Dann wird wieder Eishockey gespielt, und es wird ruhiger in der Arena. Ich erkenne Mark Streit mit der Nummer 2 und dem „A“ des Assistenzcaptains auf der Brust. Er kommt oft zum Einsatz und hinterlässt einen soliden Eindruck. Auch wenn er zweimal auf die Strafbank wandert. Das Spiel endet unentschieden und geht in die „Overtime“. Auch nach weiteren fünf Minuten fällt kein Tor. Erst im Penaltyschiessen setzt sich der Heimklub durch. Der erste Sieg der laufenden Saison. Es geht also doch. Mit „doppelter“ Schweizer Beteiligung. Schliesslich habe ich die Islanders auch lautstark angefeuert.
Vielleicht sollte ich einfach mehr nach New York fliegen.

9 comments:

Martin said...

79 PAX???

Dide said...

@Martin: Tja - so wenige waren es. Die November-Auslastung ist nicht berauschend, ansonsten sind die JFK-Flüge zu durchschnittlich 80-90% ausgelastet.

Crowi said...

Die 79 Paxe sind mir auch aufgefallen - dazu noch unterwegs im verlängerten A340-600...
Wird in so einem Fall mit dem Kabinenpersonal ähnlich grosszügig verfahren? (was ihm ja ab und zu zu gönnen/vergönnen wäre)
Oder wird es, anders als der Flieger, auf die reduzierte Passagierzahl hin zurückgestutzt?

Nina said...

Hallo "Eppler Family",

ihr seid ja aber eine sehr glückliche Familie. Das erkennt man sofort, wenn man sich das Bild anschaut. Habt Ihr bitte eventuell Bilder aus Abu Dhabi?

Liebe Grüße
Nina

Dide said...

@crowi: Die Anzahl der Kabinenbesatzung ist - zumindest nach unten - gesetzlich vorgegeben durch die Anzahl der Türen, die im Falle einer Evakuierung geöffnet werden müssen. Das sind bei einem A340-600 zehn. Natürlich gibt es hier die Möglichkeit mit weniger FA's zu fliegen, dann muss allerdings die maximale Passagierzahl entsprechend begrenzt werden.
Etihad tut dies nicht, wir fliegen auch bei kleineren Passagierzahlen mit 13 FA's. Ebenfalls mit dabei ist ein Techniker, der sich ausschliesslich darum kümmert, defekte Sitze wieder zu reparieren.
Bei der Anzahl der FA's gilt es übrigens auch zu berücksichtigen, dass für den Rückflug allenfalls mehr Passagiere an Bord sind...

@Nina: Ob wir immer sooo glücklich sind, darüber dürften die internen Meinungen geteilt sein...
Weitere Fotos gibt es einige, verteilt halt auf die früheren Beiträge. Etwas zeitaufwendig, ich weiss...

Gruss

skypointer said...

Im Final 13L einfach auf das Radisson eindrehen. Das liegt genau in der verlängerten Pistenachse und ist gut sichtbar...

Falls Du Dich entschliesst doch noch zu Swiss zurückzukehren, könnten wir dem Eishockey vielleicht mal zusammen fröhnen. Allerdings würde ich dem Ex-Club Streits den Vorzug geben. Go Habs Go...

Dide said...

@skypointer: Das Radisson ist in der Tat ein guter Tipp. Uns ist das Hotel auch aufgefallen beim Eindrehen.

Ein gemeinsamer Besuch eines NHL-Spiels wäre toll! Du darfst ruhig für die Canadiens schreien - ich bin da ganz gelassen, da ich in der Regel den Heimclub zu unterstützen pflege...

Ob ich allerdings zur Swiss zurückkehre...?

G! said...

...das Radisson muss ich mir notieren. Aha, der Dide ist ein Opportunist ("da ich in der Regel den Heimclub zu unterstützen pflege") ;-) Naja, da die Amis nicht wie die Europäer die gegnerischen Fans zu verprügeln pflegen, ginge es auch anders. NHL ist mir zu kalt, ich versuche hingegen krampfhaft einen NHL-Flug zu bekommen - bisher erfolglos.

Dide said...

@G!: Siehst du, das liegt eben an der Einstellung; Wieso sollen die denn einen NHL-Flug planen, wenn du dir eh nur die Glieder abfrierst...
...und Opportunist zu sein, ist (manchmal) gar nicht so schlecht. Ganz getreu meinem Motto: "Everything in life is about tactics!" (Hier im Arabischen Raum würde man sagen "Wasta"!

Wüstengruss