Thursday, October 09, 2008

Morgenstau

Träge und schwerfällig rollt die Blechlawine auf dem vierspurigen Highway Richtung Stadt. Stossstange reiht sich an Stossstange. Neben mir sitzt Linda, noch etwas verschlafen und geistesabwesend. In der rechten Ohrmuschel den Kopfhörer ihres hellblauen iPods, das linke Ohr hält sie anstandshalber frei, um auf allfällige Fragen oder Kommentare des Vaters reagieren zu können.

Gestern – etwa um die gleiche Zeit – kam ich von einem bei Besatzungen nicht sehr beliebten „Nacht-Beirut-Turnaround“ zurück. "Check-in" um 23.25 Uhr Lokalzeit, Rückkehr in Abu Dhabi am folgenden Morgen kurz vor neun. Dazwischen der Reiseflug über den Inselstaat Bahrain und über Saudi Arabien. Irgendwann höre ich "SWISS two two nine" am Funk, wenig später auch "SWISS two four three" Für einen kurzen Moment überlege ich, ob ich die Kollegen auf der zweiten Funkbox aufrufen soll. Auf einen kurzen Schwatz zu nächtlicher Stunde. Ich lasse es aber bleiben, die Stimmen klingen unbekannt. Im Sinkflug passieren wir das langgestreckte Libanon-Gebirge, dessen höchster Gipfel “Karnat as Sauda“ 3000 Meter hoch ist. Auch in der Dunkelheit der Nacht ist die feine Silhouette des Gebirgszugs am Horizont deutlich erkennbar. Das Gelände verlangt nach entsprechenden Höhenrestriktionen und einem steilen Sinkflug. Der „Final Approach“ schliesslich verläuft über dem Meer und führt uns präzise zum Aufsetzpunkt der Piste 16. Die libanesische Hauptstadt an der Levanteküste, politisch und wirtschaftlich über Jahre gebeutelt, erinnert mich wegen ihrer bewaldeten Hügellandschaft an meinen angestrebten Alterssitz Lugano. Sie wirkt bei unserer Landung ebenso verschlafen wie Linda im Beifahrersitz unseres Zweitwagens.

Und während die Tochter still mit der morgendlichen Müdigkeit kämpft, führt Abu Dhabi einen ähnlich harten Kampf mit zunehmenden Verkehrsströmen. Jährlich, vermutlich sogar monatlich fluten neue Arbeitskräfte die Stadt. Die Wirtschaftsturbulenzen in Europa, so versichert mir kürzlich ein Insider, würden den Zustrom noch massiv verstärken. Denn hier, wo Milch und Dattel-Honig fliessen, wird munter weiter gewachsen.
Noch vor zwei Jahren, zum Zeitpunkt unserer Ankunft, präsentierten sich die Strassen weniger befahren. Heute mehren sich Stausituationen. Die Betonstreifen werden zwar verbreitert und in der Linienführung optimiert, doch auch diese Anpassungen vermögen die Folgen der Einwandererströme kaum zu kompensieren.
Genauso wie sich die Verhältnisse auf den Strassen ändern, wird auch mein Oktober-Einsatzplan von den verantwortlichen Stellen mehrfach umgebaut. In der Folge fliege ich sehr wenig, derweil Büro- und Standby-Tage in der Überzahl sind. Gerade mal drei Flüge – Dammam, Beirut und eine Ultra-Langstrecke nach New York – überleben die Änderungen. Damit ihr mich nicht falsch versteht: Beklagen will ich mich keinesfalls! Wenig Zeitverschiebung, regelmässig schlafen und nur ein Nachtflug. Ausserdem werden die Temperaturen hier in Abu Dhabi mit jedem Tag angenehmer. Aufenthalte im Freien sind nicht mehr zwingend mit mehrfachem Tenuwechsel wegen Schweisstreiberei verbunden.

Von solchen und ähnlichen Gedanken getragen, lässt sich auch der lange Nachtflug in den Libanon leichter ertragen. Ausserdem sind wir zu dritt im Cockpit. Nicht etwa, weil der Flug so lange dauert und uns die Besatzungsplanung ein zusätzliches Nickerstündchen gönnen würde. Der Copi, ein Neuseeländer, wurde soeben vom A330 auf den A340 quergeschult und hat heute seinen „Final check“. In früheren Jahren, so teilt er mir während der Planung mit, ist er für Moritz Suter geflogen: Saab 2000 und später Embraer 145. Er ist mir trotzdem auf Anhieb sympathisch.
Auf dem dritten Sitz fliegt ein Österreicher mit. Immer wieder verfallen wir in die Deutsche Sprache. So angenehm und praktisch wie unanständig. Der Copi ignorierts, arbeitet vorbildlich und gibt sich jede erdenkliche Mühe. Wir fliegen den A340-300. Etihad operiert lediglich eine einzige Maschine dieses Typs. Im Gegensatz zu den 500er und 600er Typen hat die „EYC“ schon einige Jährchen auf dem Buckel und ist immer wieder mal für eine Überraschung gut. Heute Nacht hält sich die reife Dame (oder sind Airbus-Maschinen männlich?) allerdings erstaunlich tapfer. Keine Lampe, die ungewollt aufleuchtet, kein akkustisches Signal, das uns aus der nächtlichen Ruhe reissen würde. Die Nacht über Syrien und dem Libanon ist sternenklar. Wir lassen das hell erleuchtete Damaskus rechts liegen, während wir auf der linken Seite bereits den Lichterschein von Beirut erkennen. Der Anflug verläuft problemlos, die Landung ebenso.

Auf dem Rückflug blendet uns bereits die aufgehende Sonne wieder. Die Sonnenblende vermag ihrem Namen nicht vollumfänglich gerecht zu werden. Eine Realität, an die sich alle Piloten - ungeachtet des Flugzeugtyps - früher oder später gewöhnen müssen. Sie behelfen sich mit Zeitungen oder anderem Papier, das – über die Jahre geübt – zwischen Cockpitscheibe und Blendvorrichtung geklemmt wird. Bei unserer Landung in Abu Dhabi steht die gleissende Diva schon zu hoch am Himmel, als dass sie uns noch stören würde. Wir setzen auf und rollen zum Abstellplatz. Triebwerke abstellen, Anflugkarten einordnen und dann nichts wie aus dem Flugzeug. Die Augen brennen, der Geist ist träge. Wie ich mich auf der Autobahn der Stadt nähere, nimmt der Verkehr zu. Die Ampel vor unserem Compound wechselt in kurzen Intervallen. Auch das, so meine ich zu glauben, ging vor zwei Jahren wesentlich schneller. Ärgerlicher Morgenstau.

6 comments:

nff said...

Morgenstaus sind ärgerlich, das kennen wir auch vom Gubrist. Da lobe ich mir die staatliche SBB AG, die mich erstens gemütlich an den Flugibahnhof bringt und zweitens sich als DER Trendsetter aller Wirtschaftsbetriebe präsentiert. Die haben nämlich schon vor langer Zeit die Verluste verstaatlicht und die Gewinne privatisiert.

Gruss aus dem Engadiner Herbst

nff v/o Peter

PS: obwohl es mein Scheff beim Gegenlesen meiner Kolumnen immer auf die weibliche Form korrigiert, heisst es gemäss NZZ "der A340" und nicht "die A340". Bei Zweifeln empfehle ich die WOZ Schreibweise AirbussIn

PSPS: wohin kann ich den Flugnomaden mit persönlicher 747 Widmung schicken? Vorschläge an nff{at}me.com

Anonymous said...

"Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm"
...das mit den Kopfhörern - Ihr Piloten habt doch auch stets das eine Ohr frei, habe ich gehört, um die Mitteilungen des Nachbarn besser zu verstehen. Wieso stattet man euch nicht mit einarmigen Banditen aus, bzw. mit Einhörer-Kopfhörern?

Aber ihr wisst zu improvisieren, um mit all diesen Mängeln fertig zu werden, so wie hier mit den geschilderten Sonnenblenden.

Dabei fällt mir noch die Anekdote ein von der Concorde Erstlandung in Afrika. Der Staatspräsident Pompidou war mitgeflogen, konnte das Flugzeug jedoch nicht verlassen, da die herkömmlichen Flugzeugtreppen zu niedrig waren. Das hatte man nicht bedacht. Man behalf sich aber mit einer Orangenkiste als zusätzlicher Stufe; womit der feierlichen Prozedur nichts mehr im Wege stand.

Ansonsten hoffe ich, dass die Abu Dhabi Staus in den nächsten zwei Jahren sich nicht in Richtung Verkehrsinfarkt weiterentwickeln. Was man hier in Europa so hört...z.B. dass sich das Volumen der LKWs auf den hiesigen Autobahnen in den nächsten 10 Jahren verdoppeln soll...

Dide said...

@nff:
DER Scheff, DER A340 - dies beweist einmal mehr, wie dominant wir Männer sind...

dein PSPS klingt ausserordentlich verlockend. Jetzt bekomme ich beinahe ein schlechtes Gewissen, habe ich doch kein adäquates Werk, dass ich dir im Gegenzug mit analoger Grosszügigkeit schenken könnte. Es gibt zwar Ideen, die liegen allerdings unbearbeitet in einem meiner langsam serbelnden "Brain memory folders". Ich frage mich ja auch immer wieder, wie du neben IKEA-Möbel-Montage, stundenlangen Warteschlaufen in Miami oder aufwendigen Umfinanzierungsprojekten Zeit für die Niederschrift deiner Bücher findest. Entweder hast du eine allerliebste Frau, die sämtliche Verrichtungen für dich erledigt, oder dann bist du ein Planungs-Genie. Ich tippe jetzt mal auf ersteres...

Urs Eppler, Haltenstr. 6, 8413 Neftenbach: dies die Adresse meines Bruders. Für die Zustellung des signierten Meisterwerks. Werde ich dir nie vergessen. Darfst dafür auf Lebenszeit gratis bei mir Nespresso trinken... Falls du es mal nach Abu Dhabi schaffst...

Dank und Gruss
Dide

nff said...

... das Buch ist A-Post unterwegs!

HeGrü Peter

Dide said...

Besten Dank! Ich freu mich auf die Lektüre.

Komme im Dezember in die Schweiz und könnte dir arabische Naschereien mitbringen: Nüsse, Datteln oder Bahlava...? Letztere passen hervorragend zum (N)Espresso.

Anonymous said...

Hmm...also laut Airbus heisst es "DIE"...-> Flugzeuge weiblich. Zumindest sagt das Airbus Hamburg/Finkenwerder. Kann natürlich sein, dass die Franzosen das anders sehen ;-).