Ein spezieller Reiz unseres Aufenthaltes in den Emiraten liegt in der Wechselwirkung von Ost und West. Abu Dhabi ist eine junge Stadt, wurde sie doch erst im Verlauf der vergangenen vierzig Jahre aus dem Wüstensand gestampft. Eine eigene Identität ist ihr fremd. Wer eine solche sucht, bleibt Suchender. Faszinierend jedoch ist das Aufeinanderprallen östlicher und westlicher Elemente. Ein Spagat zwischen den Strukturen Europas und Nordamerikas und der chaotischen Hektik asiatischer Metropolen. Eindrücke, wie ich sie immer wieder auf Flügen in die USA oder in den Fernen Osten erhalte. Und wüsste ich es nicht besser, so liefe ich Gefahr zu glauben, die Welt würde näher zusammenrücken.
Ungebremstes Wachstum
Nicht nur Dubai entwickelt sich rasant, auch für Abu Dhabi hegen die Städteplaner ehrgeizige Ziele. Nicht etwa, dass dies aussergewöhnlich wäre, andere Städte beeindrucken ebenfalls durch kaleidoskopische Vielfalt, Kulturenmix und rasches Wachstum. Was in diesen Breitengraden aber erstaunt ist die Tatsache, dass bei vielen Projekten amerikanische Muster angewandt werden. In den neu entstandenen grosszügigen Malls mit arabischen Namen wie Al Wahda, Khalidya oder Al Raha dominieren die „Brands“ bekannter US-Firmen, und in einzelnen Quartieren der Stadt wähnt man sich in Kalifornien oder Florida. Nicht nur der Palmen wegen. Die Art und Weise etwa, wie Verkehrsampeln über den Kreuzungen montiert werden, oder Details wie schwarz- und gelbweisse Strassenrandmarkierungen erinnern stark an amerikanische Vorbilder. Gut betuchte kaufen am „Rodeo Drive“ ein, und wer nach Verpflegungsmöglichkeiten Ausschau hält, stösst auf Namen wie TGI Fridays, Benihana, Pizza Hut oder Dunkin Donut. Von Starbucks und McDonalds ganz zu schweigen.
All diese Namen und (amerikanischen) Baustile verkommen in den UAE zur Alltäglichkeit. Niemand staunt mehr darüber, obwohl hier Widersprüche aufeinander prallen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Die Politik der Amerikaner hat sich noch nie gut mit den Prinzipien der Arabischen Welt vertragen. Von den viel zitierten Ausnahmen einmal abgesehen. Ich habe mir schon oft die Frage gestellt, wie lange es wohl dauern wird, bis islamische Extremisten, gereizt durch den giftigen Stachel ihres Erzfeindes im eigenen Territorium, ein Päcklein schnüren werden. Es muss ihnen mitunter wie blanker Hohn vorkommen, dass sich zwischen Abu Dhabi und Dubai eine US-Firma an die andere reiht. Doch im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten zeigen die Führer der Emirate Kompromiss- und Gesprächsbereitschaft und schlagen gemässigte Töne an. Sie scheinen die Lage unter Kontrolle zu haben und sie wissen haargenau um die wirtschaftliche Bedeutung ihres Staates. Zehn Prozent der weltweiten Erdöl-, sowie fünf Prozent der Gasreserven schlummern unter der Erde von Abu Dhabi. Man kann mit gutem Gewissen behaupten, dass „flüssige Mittel“ vorhanden sind, was die Emirate, im Besonderen Abu Dhabi zu einem der wichtigsten Partner im Welt-Energiegeschäft macht.
Jakarta
Kein Zweifel, in Abu Dhabi bin ich näher an den Fernen Osten gerückt. Spürbar näher. Nicht nur weil es von chinesischen, indischen oder japanischen Lokalen wimmelt. Ich geniesse auch die Flüge in den Fernen Osten. Und nicht nur, weil sie viel kürzer sind als von Zürich aus.
Destinationen wie Mumbai (mit leider sehr kurzem Hotelaufenthalt), Delhi (mit leider noch kürzerem Stop), Colombo (leider aus dem Streckennetz gestrichen) oder Kuala Lumpur (leider nur sehr selten geplant) lockern die ständigen New York-, Toronto- und Sydney-Trips angenehm auf.
Kürzlich durfte ich wieder einmal eine für mich unbekannte Destination anfliegen: Jakarta.
Grundsätzlich wird die Hauptstadt Indonesiens mit dem „B777“ bedient, seit kurzer Zeit aber kommt ab und zu auch der Airbus A340-300 zum Einsatz. Für unseren Hinflug wird gar ein A340-600 geplant. Doch auch dieses hochmoderne Flugzeug kann nicht verhindern, dass aufkommender Nebel unseren Abflug um beinahe zwei Stunden verzögert. Angesichts der Tatsache, dass wir mitten in der Nacht starten und der Flug satte acht Stunden dauert, verkommt diese Verzögerung zum absoluten „Stimmungs-, Schlaf- und Konzentrationskiller“. Als wir uns um 04.15 Uhr endlich mühsam vom Boden lösen, fühle ich mich bereits müde und ausgelaugt. Da der Copi aus Belgischen Landen noch viel mehr mit schweren Augenlidern kämpft, gönne ich ihm die erste Runde Schlaf. „Fatigue Management“ nennen wir dies; 30- bis 40-minütige „Naps“ im Cockpit, die wesentlich dazu beitragen, solche Marathonnächte zu überstehen. Während sich mein Kollege mit Augenbinde und Ohrenpfropfen von der Aussenwelt abkapselt, konsumiere ich in kleinen Schlücken Kaffee aus grossen Tassen. Irgendwann – einige Flugstunden, Schlafminuten und Nespresso-Kapseln später – geht die Sonne auf. Wir leiten den Sinkflug ein und landen auf Indonesischem Boden. Dann rollen wir über holperige Betonplatten zu unserem Standplatz und stellen die Triebwerke ab.
Kurze Erholungsphase
Es folgt eine lange Busfahrt in die Stadt. Die Strassen sind – wie in vielen asiatischen Metropolen – völlig verstopft. Ich staune immer wieder ob dem Geschick und der stoischen Ruhe unserer Driver. In Asien geniessen wir (noch) das Privileg grosser Busse, während an übrigen Destinationen die Crew-Gefährte immer kleiner werden. Es dürfte wohl eine Frage der Zeit sein, bis gewiefte Manager ihre Piloten und Kabinenbesatzungen zu Fuss vom Airport ins Hotel verschieben lassen.
Das Hotel Shangri-La heisst uns mit asiatischer Grosszügigkeit willkommen. Überall lachende Gesichter und hilfsbereites Personal, das in grosser Zahl seinen Dienst verrichtet. Mein Zimmer ist riesig. Asiatische Crewhotels sind Paläste, die sich mit vielen Details und adrett assortierten Toilettenartikeln empfehlen. Ich rufe im Health Club an und buche eine Massage. Eine halbe Stunde später liege ich auf wohligen Wolltüchern und entspanne mich unter kundigen Händen in einer Wolke exotischer Düfte.
Der Abend an der Bar ist Zugabe. Krampfhaftes Aufbäumen gegen Austrocknungserscheinungen nach acht Stunden in einer Röhre, deren Luftfeuchtigkeit lediglich fünf Prozent beträgt. Das Bier wird angereichert mit „Burger (well done) und Fries“, was, so nehme ich an, nicht jedes Ernährungsberaterinnen-Herz höher schlagen lässt. Irgendwann, kurz vor Mitternacht (21 Uhr UAE-Zeit, 18 Uhr Schweizer-Zeit, 12 Uhr New York-Zeit) falle ich todmüde ins Bett. Ich erwache am nächsten Morgen kurz vor Mittag. Das (gesunde) Frühstück habe ich verpasst. Schlimmer noch; in einer Stunden ist bereits wieder Crew-Call.
Rückflug Der Start in Jakarta, ähnlich wie am Tag zuvor in Abu Dhabi, verzögert sich ebenfalls. Grund ist ein heftiges Gewitter, das sich fünf Minuten vor unserem „Push Back“ über dem Flughafen entlädt. Gewaltige Wassermassen prasseln auf den Flugzeugrumpf. Nach einer Viertelstunde ist der Spuk vorbei und wir können loslegen. Riesige Gewittertürme zwingen uns während der ersten Hälfte des Fluges immer wieder zu Ausweichmanövern. Einmal fliegen wir 15 Meilen nördlich der geplanten Route, ein anderes Mal umfliegen wir die Cumulonimbus-Wolken im Süden. Wie auch auf dem Hinflug überkommt meinen Copi plötzlich die grosse Müdigkeit. Der Abend an der Bar war wohl zu viel für ihn. Vielleicht lag es auch an den wenigen „Margaritas“, die er sich zwischendurch genehmigt hat. Ich kann ihn nicht fragen, er schläft bereits wieder.
Auch er ein Opfer der modernen Zivilluftfahrt...
Gewittertürme über Indonesien