Wednesday, August 15, 2007

Monsunregen

Einmal mehr ist der Titel irreführend. Wohl bringen mich meine Flüge des öfteren Richtung Indien, Sri Lanka, Pakistan und Bangladesh, wo zur Zeit heftige Monsunregen der Bevölkerung das Leben erschweren. Doch dieser Eintrag berichtet nicht von Asien. Was ich auf meinem letzten Einsatz nach Genf erlebte, lässt sich aber durchaus vergleichen mit den derzeitigen Wettervorgängen in den Monsungebieten.

Quälende Hitze
Seit dem 1. Juli habe ich nicht einen einzigen Tag wie in meinem publizierten Einsatz geplant, gearbeitet. Die Umstellungen wollen kein Ende nehmen. Unsere Crew Dispo arbeitet nicht einmal mehr von Tag zu Tag, sondern eher von Stunde zu Stunde. Die guten Kerle können einem richtig leid tun, ihre Situation ist alles andere als beneidenswert: viele Flüge, viele Umstellungen, keine Besatzungen. Vor diesem Hintergrund muss ich förmlich bis zum „Check-In“ um meine für den August gewünschte Genf-Rotation bangen. Doch siehe da – es klappt!
So fahre ich am 7. August, kurz vor Mittag, bei 45 Grad Celsius im angenehm gekühlten Wagen Richtung Flughafen. Doch die „angenehme Kühle“ ist von kurzer Dauer, denn wir müssen unsere Autos auf einem offenen Parkplatz, ohne gedeckten Zugang zum Hauptgebäude parken. Wie ich mich, mit Koffer und Crewbag bestückt über den aufgeheizten Beton zum Eingang schleppe, perlen alsbald die ersten Schweisstropfen auf meiner Stirn. Wenig später feuchtet sich der Nacken und ich spüre, wie Hemd und Hose am Körper zu kleben beginnen. Es bedarf einiger Minuten im Ops bis sich die Körpertemperatur wieder normalisiert. Manchmal dauert es auch etwas länger und man kann den einen oder anderen Kollegen beobachten, wie er sich auf eines der am Fenster entlang montierten A/C-Kühlaggregate setzt und sich von klimatisierter Luft abkühlen lässt.

Gewitter in Genf
Unser Flug nach Genf verläuft problemlos. Ich freue mich verständlicherweise auf etwas erträglichere Temperaturen. Der Copi aus Malayisia – derselbe, mit dem ich schon nach Brisbane geflogen bin – wird von seiner Frau begleitet. Die beiden fragen mir Löcher in den Bauch, wollen dies und das über unser Land wissen, und ich muss zur Kenntnis nehmen, dass ich ihnen nicht wirklich eine grosse Hilfe bin. Oder habt ihr eine Ahnung, welche Zug- oder Postautolinie Genf und Le Sentier im Jura verbindet, ob es in Montreux eine Parkanlage mit besonderen Blumenbeeten gibt oder welche Sonderabonnemente die SBB für ein Touristenehepaar aus dem Südostasiatischen Raum anbietet?
Genau genommen habe ich diese Genf-Rotation in einer ganz bestimmten Absicht gewünscht. Franziskas Bruder „Buda“ hat mich derzeit im Januar, anlässlich meines Dekadensprungs, zu einer Freiluftaufführung des Musicals „Les Misérables“ in Thun eingeladen. Die Planung erwies sich, in Anbetracht der herrschenden Umstände, als nicht ganz einfach. Umso mehr freuten wir uns, als schliesslich Ticketreservation und Flugwunsch in harmonischer Übereinstimmung standen.
Nun bin ich also unterwegs Richtung Heimat. Wir nähern uns der Po-Ebene. Über den Alpen türmen sich wild quellende Gewitterwolken. Im Sinkflug Richtung Cointrin schlängeln wir uns durch die gelben und roten Flecken, die sich auf dem Wetterradar breit machen. Die Landung auf der Piste 05 erfolgt eine halbe Stunde vor der flugplanmässigen Zeit.
Im Hotel angekommen ziehe ich mich sogleich um, optimiere den Kofferinhalt und eile zurück zum Flughafen. Mit Glück erwische ich den Zug um halb neun. Um 2300 Uhr holen mich Franziska und Linda am Bahnhof Thun ab. Mit von der Partie unser „Kampfhund“ Cicchi, der seit unserer Abwanderung zum festen Tierbestand des Gutes „Rieben-Baumann“ gehört und jetzt für einige Tage bei uns in den Ferien weilt. Zu später Stunde kurven wir Richtung Diemtigtal. Es gibt viel zu erzählen und die Fahrt auf die Grimmialp erscheint kurz wie nie zuvor.

Trübe Aussichten
Die Wetteraussichten waren zwar nicht vielversprechend, dennoch bin ich am nächsten Morgen beim Blick aus dem Fenster enttäuscht. Es regnet. Das wird wohl nichts mit dem Freiluftspektakel, denke ich mir. Zu kalt, zu nass, zu grauslig. Offenbar hat Petrus Mühe, ein vernünftiges Mittelmass zu finden. Irgendwo zwischen der Hitze in Abu Dhabi und der feuchten Kälte des helvetischen Alpenraums würde es wohl liegen. Heute zumindest klappt es nicht. Um 1300 Uhr kommt die definitive Absage. Der Regen prasselt immer lauter auf die Dachfenster.
Den Nachmittag verbringt die ganze Familie – seit fünf Wochen wieder einmal vereint – in Thun. Auf dem Programm stehen dringende Einkäufe sowie ein Coiffeurbesuch der Männer. Die indischen Haarkünstler in Abu Dhabi bekunden immer wieder Mühe mit den Proportionen und mittlerweile ziehe ich eitler Gockel es vor, nach Möglichkeit europäische Barbiere aufzusuchen. Tim lässt sich das braun gelockte Haar pechschwarz färben („Ich chas ja wieder abschniide...“). Das Resultat schockt weniger als erwartet, alles reine Gewöhnungssache.

Freiluft im Emmental
Buda und seine Frau Margrith haben – ungeachtet sämtlicher Wetterkapriolen – trotzdem ein Freiluftereignis organisiert. Am frühen Abend, nachdem die Jungmannschaft verpflegt ist, machen wir uns zu viert auf zum Nachtessen. Im idyllisch gelegenen Seepark Thun geniessen wir drei ausgezeichnete Gänge. Der vom Wetter getrübte Blick auf See und Berge tut dem Gaumenschmaus keinen Abbruch. Im Gegenteil, weils draussen wie aus Kübeln giesst, konzentrieren wir uns umso mehr auf das, was auf dem Teller präsentiert wird.
Nach Kaffee und Dessert setzen wir uns wieder ins Auto, dessen Scheiben – auf der Innenseite notabene – vor Feuchtigkeit triefen. Wasser überall und in jedem erdenklichen Kondensationsgrad. Die Fahrt ins Emmental zieht sich infolge der anhaltenden Regenfälle hin. Die Strasse im Tal ist bereits nicht mehr durchgehend befahrbar. Die Flüsse sprudeln gefährlich hoch. Umleitungen sind beschildert.
Nach 45 Minuten Fahrzeit erreichen wir Trubschachen. Wir können es kaum glauben, aber die Filmvorführung im „Hof3“ (www.hof3.ch), einem idyllisch gelegenen Bauernhofgelände, findet wirklich statt. Eine riesige Zeltplane überdacht die äusserst bequemen Fauteuils. Den zahlreichen Besuchern stehen unbeschränkt Wolldecken aus alten Armeebeständen zur Verfügung. Frieren muss niemand. Das Kinogefühl schwankt zwischen ungewohnt, feucht und kuschelig warm. Gezeigt wird der Film „Goodbye Bafana“, eine eindrückliche Geschichte aus dem Südafrika des Apartheidregimes.
Es wird beinahe 0200 Uhr bis Franziska und ich mit den Kindern wieder im Diemtigtal eintreffen. Der Film regt zum Nachdenken an. Ein aussergewöhnlicher und eindrücklicher Abend, nicht nur wegen des Wetters

Unterbrochene Bahnlinien
Trotz später Nachtruhe erwache ich am nächsten Morgen ziemlich früh. Mag sein, dass mich die Unruhe aus dem Bett treibt. Noch immer regnet es und ich hege Befürchtungen, dass die Zugsverbindungen zwischen Thun und Genf beeinträchtigt sein könnten. Zu Recht, wie sich beim Lesen der News im Internet herausstellt. Es sei mit erheblichen Verspätungen zu rechnen, wird berichtet. Na wo sind wir denn? In der Schweiz etwa, wo die Uhren weltmeisterlich akkurat ticken, die Weltmeister allerdings eher rar sind und die öffentlichen Verkehrsmittel ergebenste Sklaven aller Uhren sind...?
Irgendwie muten diese wetterbedingten Strassen- und Schienenprobleme seltsam an. Ich sitze in der gemütlichen Stube im Diemtigtal, blicke aus dem Fenster und muss schmunzeln. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Auch in der Schweiz nicht. Einmal mehr gilt: “Expect the unexpected!“
So wird denn neu geplant, und Franziska fährt Tim und mich bereits um viertel nach elf ins Tal. Die Zugsverbindung geht über Bern und Biel nach Genf, wo wir am späteren Nachmittag eintreffen. Die Fahrt führt uns an überschwemmten Feldern und Strassen vorbei. Bilder, wie ich sie in unserem Land selten gesehen habe. Und wenn, dann im Fernsehen. Kaum zu glauben, wir schreiben August und die Temperatur beträgt gerade einmal lausige 12 Grad. Anhaltender Regen und über die Ufer getretene Wasser: Monsun in der Schweiz.

Rückkehr und Ausblick
In Genf angekommen, verpflegen wir uns im Coffeeshop des Hotels, dann versuche ich, etwas zu schlafen. Tim liest. Er will seinen Freund Xiao, mit dem er in Abu Dhabi Eishockey spielt, am Flughafen abholen. Der Chinese möchte ihn einige Tage in der Schweiz besuchen und sitzt in der Etihad-Maschine, die ich in derselben Nacht nach Abu Dhabi zurückfliegen werde. Die Ankunft ist verspätet. Das wird wohl knapp für die Rückfahrt mit dem Zug nach Thun. Die gekappten Verbindungen haben nicht nur Verspätungen, sondern auch reduzierte Frequenzen zur Folge. Die beiden schaffen es dann aber doch noch und treffen gegen Mitternacht im Berner Oberland ein.
Ich meinerseits kämpfe mich durch die Nacht, wobei ich den Kaffeekonsum stündlich steigere. Ich habe viel erlebt in den vergangenen beiden Tagen. Und schon bald werde ich wieder in die Schweiz fliegen: Vom 18. bis zum 25. August ist eine Ferienwoche mit der Familie beim Zirkus Monti in Basel angesagt. Allerdings ohne Tim. Der ist bereits wieder in Abu Dhabi. Heute morgen habe ich ihn in Dubai abgeholt. Für ihn beginnt am 20. August das grosse Abenteuer „American Community School ACS“. Während der ersten Schulwoche wird er bei Neil, einem Freund des gleichen Klassenjahrgangs wohnen. Neil ist bereits seit zwei Jahren Schüler der ACS und kennt die Schule bestens. Während ich diese letzten Zeilen schreibe, treffen sich die beiden bereits in der Stadt. Es gibt viel zu berichten und viel zu planen. Und das ist gut so.

4 comments:

Anonymous said...

Als regelmäßiger Leser Ihrer Eppler-Blogs möchte ich mich einmal für Ihre lehrreichen Artikel bedanken. Sie finden auch in Bayern interessierte Teilnehmer an Ihren "Abenteuern" (Oman usw.), noch dazu, weil wir uns in Abu Dhabi persönlich kennen lernen durften. Wenn ich Ihnen nun mitteile, daß wir in unserem Haus 5 "Asylanten" aus der Wüste für 10 Wochen bei uns aufnahmen, davon aber am Montag Peter und Anne schon wieder in die hier vermißte Wärme zurückflogen, wissen Sie jetzt, wer Ihnen diese Zeilen schreibt.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie weiterhin alles Gute in den Emiraten und freue mich auf die nächsten Eppler-Blogs.
Herzlichst Wolfgang Veitweber

Dide said...

Lieber Herr Veitweber! Besten Dank für Ihren Eintrag - ich hab mir schon beim Wort "Bayern" Gedanken über den Schreiber angestellt... Wir waren gerade gestern Abend mit den beiden "Exil-Asylanten" in der Stadt zum gemeinsamen Nachtessen. Schliesslich gibt es einiges zu berichten nach den langen und harten Sommermonaten in der germanischen Kälte...
Liebe Grüsse
Dieter Eppler

Anonymous said...

Alternativ gibt es in Abu Dhabi aber auch ausgezeichnete empfehlenswerte Barbiere aus Bangladesh.

Und ausserdem habe ich hier (in den ganzen UAE) noch nie einen Zug mit Verspaetung gesehen.

Schoene Ferien in der europaeischen Kaelte!

Herzliche Gruesse, Giuliano

Dide said...

Giuliano bringt es wieder einmal auf den Punkt.
Aber schliesslich bist du derjenige mit der üppigsten "UAE-Erfahrung". Und ausserdem - verglichen mit Toni und mir - auch derjenige mit den meisten Haaren...

Bis bald
Dide