Der Mai ist gespickt mit Einladungen. Und dies ist nicht etwa den Kapriolen des Wonnemonats zuzuschreiben. Diese – die Kapriolen – sind in unseren Breitengraden kaum spürbar. Keine spriessenden Blüten, keine frisch wachsenden Triebe, kein morgendliches Vogelgezwitscher. Während in Europa die Cafébetreiber ihre Gäste wieder im Freien bedienen, beginnen ihre Berufskollegen in Abu Dhabi die Gartentische langsam in den Keller zu räumen. Zu heiss brennt die Sonne am Tag, so dass auch am Abend und in der Nacht der Arabische Kaffee oder der Türkische Tee lieber im klimatisierten Lokal genossen wird.
Der Grund für die vielen geselligen Zusammenkünfte ist ein anderer: die Wander-Saison der Expats steht bevor. Nach den Sommerferien werden zahlreiche Familien nicht mehr nach Abu Dhabi zurückkehren, sondern ihre Zelte an einem anderen Ort auf dieser Welt, nicht zwingend in ihrer Heimat, aufschlagen. Im Verlauf der vergangenen beiden Jahre hat sich unser Bekanntenkreis aufgrund vielfältiger Aktivitäten rapide vergrössert. Die dabei entstehende Dynamik ist beeindruckend. Über Eltern der Deutschen Schule, über den Eishockeyclub oder über die lieben Nachbarn sind immer wieder neue Beziehungen entstanden. Ist der Stein erst einmal im Rollen, lässt er sich kaum noch bremsen.
Hemmungslose Reden
In der vergangenen Woche sind gleich zwei „Farewell-Parties“ in unserer Agenda eingetragen. Im einen Fall verabschiedet eine Splittergruppe der deutsch-niederländischen Koalition zwei Familien, im anderen Fall veranstaltet die amerikanische Sippe im Al Qurm-Compound einen Abschiedsanlass für liebe Nachbarn.
Natürlich lässt man die treulosen Abwanderer nicht ohne Erinnerungsstück von dannen ziehen, was im Vorfeld solcher Parties die eine oder andere freudige Bastel-, Mal- und Klebestunde, begleitet von verschwommenen Erinnerungen an Gerda Conzetti beschert. Im Trend sind lustige Erinnerungsbücher mit Fotos und witzigen Sprüchen aller Freunde und Bekannten. Manchmal werden auch Kochrezepte gesammelt, Franziska hat ihre „Mousse au Chocolat“-Kreation, die abgesehen davon nicht ihr eigenes Werk ist, mindestens schon drei Mal auf bunte Blätter gedruckt und in Sichthüllen gesteckt. Letztlich handelt es sich bei diesen „Farewell-Parties“ aber in erster Linie um gesellige Zusammenkünfte umtriebiger Expatfamilien, bei denen nicht nur viel und angeregt geplaudert sondern auch munter geschluckt wird. Da in den Emiraten die „Null-Toleranz“ gilt, sprechen sich die meisten Paare jeweils vor dem ersten Glas ab. „Du fährst, ich trinke“ oder auch „Ich trinke, du fährst“. Es sei denn, „mann“ ist Spitzensportler, wie beispielsweise Philippe Cocu, dereinst Spieler in Diensten des FC Barcelona oder von PSV Eindhoven. Er hat sich diese Saison beim Abu Dhabi Stadtclub Al Jazeera noch einige Dirhams dazuverdient, bevor er demnächst ein Mandat als Berater der Holländischen Fussballnati annehmen wird. Auch er ist mit Frau und Glas an der erst genannten Party dabei.
Aber nicht nur die Niederländer sind lockere und aufgestellte Trinker, auch die Amerikaner und Kanadier sind allem Geistigen nicht gänzlich abgeneigt. Manchmal werde ich in solch bunten Kreisen das Gefühl nicht los, wir Schweizer wären vielleicht einfach eine Spur zu brav. Schütteln schnell einmal missbilligend den Kopf oder runzeln vielsagend die Stirn, anstatt sich gelassen treiben zu lassen. Gleiches gilt wenn’s darum geht, sich mit Worten zu verkaufen. Die anderen machen es uns vor: Schwaben, Hessen – sogar die Franken (!) gehen die Sache lockerer an. Von den Amerikanern will ich hier gar nicht erst reden: Aufgefordert, ihre Erkenntnisse der vergangenen UAE-Jahre vor versammelter Runde zu schildern, referieren sie hemmungslos drauflos. Und schwärmen in sphärischen Höhen von den „besten und treuesten Freunden“ und von den „liebsten Nachbarn“, mit denen sie eine „great time“ verbrachten. Wir Eidgenossen formulieren’s nicht gar so peppig, wenn wir denn überhaupt den Mut zur Ansprache finden. Und ich beginne mich immer mehr zu fragen, wer denn wohl Anno 1291 auf dem Rütli die hehren Worte geschwungen hat.
Normalität, nicht Gewohnheit
Doch bei all diesen Schilderungen gilt ernsthaft festzuhalten, wie sehr mich solche Momente des Abschieds ins Sinnieren bringen. Und dies nicht nur, wenn es um Andrea und Toni geht. Mir wird bewusst, wie willkürlich sich unsere Lebenswege kreuzen. Wie – ungeachtet der Erkenntnis, für begrenzte Zeit nur an einem bestimmten Ort zu leben – einzelne Menschen oder ganze Familien immer wieder neue Kontakte knüpfen. Dabei setzt uns die Zeit engere Grenzen als der Raum. Anders als bei Freundschaften im Heimatland, schwebt über solchen Beziehungen das Damoklesschwert der Trennung und des Abschieds. Erfahrene Expats haben mir bereits mehrfach bestätigt, dass dieses Kommen und Gehen zur Normalität, jedoch nicht zur Gewohnheit wird. Wir standen über die letzten Monate mit Familien in Kontakt, die diesen Sommer nach Deutschland, Norwegen, Holland, Bahrain, Saudi Arabien, New Hampshire, Boston, Pittsburgh, San Diego oder Ottawa ziehen. Für wie lange sie dort leben werden, ist in der Regel offen. In einigen Fällen sind die Männer bereits abgereist, während die Frauen mit den Kindern das Schuljahr zu Ende bringen und dabei den Umzug organisieren. Einen Umzug auf Raten – an ein Ziel mit viel Unbekanntem.
Andrea und Toni’s Abschiedsfeier ist noch ausstehend. Beim Schreiben dieser Zeilen befinde ich mich auf dem Rückflug von Sydney. Zusammen mit Toni. Es ist der zweitletzte Flug seiner Pilotenkarriere. Wie schon beim Verlassen der SWISS vor zwei Jahren ist es uns gelungen, eine gemeinsame Rotation einzufädeln. Nachtessen mit Crew in "Darling Harbour" inklusive. Sein allerletzter Flug als Kapitän der Lüfte – nach 30 Jahren im Airline-Cockpit – wird ihn nächste Woche nach Genf führen. Vorher feiern wir aber noch seinen Abschied, Und den von Andrea. Mit Freunden aus der Firma, dem Compound oder dem Kreis der Deutschen Schule. Das Erinnerungsbuch mit den Fotos und den sinnigen Sprüchen ist bereits vorbereitet. Geschenke wollen sie im Hinblick auf den bevorstehenden Umzug in die Heimat keine. Ich hätte ihnen gerne eine Rolle Toilettenpapier mit auf den Weg gegeben. Toilettenpapier wiegt nicht schwer und ist einfach zu transportieren. Und Toilettenpapier braucht man schliesslich immer. Doch oppositionelle Kreise haben mich an der Ausführung gehindert. Zum Glück gibt's noch weitere Farewell-Parties...
Thursday, May 29, 2008
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1 comment:
...um einen so schönen Bericht über den Abschied zu schreiben, muss man sich erst einmal verabschiedet haben von der gewohnten, heimeligen Umgebung!
Man muss das Wagnis in Kauf genommen haben, als Expat im Exil diese ganzen Erfahrungen zu machen, welche hier so treffend beschrieben werden.
Farewell, and keep on writing!
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