Ich hätte diesen Bericht – in Anlehnung an den letzten Blog-Eintrag – auch anders betiteln können: „Die Angst des Artisten vor dem Trapez“ beispielsweise. Doch meine Tochter fand dies doof, und so habe ich darauf verzichtet. Soll der Handke beim Fussball bleiben. Christoph wird es mir danken.
Ich schaffe es zu guter Letzt dann doch noch, nach Basel zu kommen. Das Taxi bringt mich für satte 50 Franken (Trinkgeld inklusive) in zehn Minuten vom Flughafen zum Circusgelände. Nach einer ausgiebigen Begrüssungs- und Besichtigungsrunde schleichen wir uns nach der Pause erwartungsvoll ins gut gefüllte Zelt und wohnen der zweiten Hälfte der Nachmittagsvorstellung bei. Ein erstes zaghaftes „Schnuppern“, ein erster Vorgeschmack des diesjährigen Programms. Und dann fällt bereits der Vorhang, die Vorstellung ist zu Ende, während ich verstörter Weltenbummler mit meinen Gedanken noch ganz woanders bin.
Die Abendvorstellung lassen wir aus, um mit dem extra aus Neftenbach angereisten Bruder und seiner Frau Karin den Abend und das Essen zu geniessen. Auch am Sonntag verzichten wir auf Popcorn und Manegenzauber und fahren stattdessen ins Aargauische Untersiggenthal. Dort nämlich hat Aschi Moser zusammen mit Gattin Carmen zum alljährlichen Sommertreff unserer SLS (Schweizerische Luftverkehrsschule)-Klasse aus dem Jahre 1979 geladen. Und weil’s eben so wunderprächtig passt, wollen wir uns diese Zusammenkunft nicht entgehen lassen. Neun Kollegen unserer 14-köpfigen Klasse haben sich angemeldet. Eine stattliche Teilnehmerzahl. Mit Frauen, Freundinnen und teilweise auch mit Nachwuchs (der mittlerweile in vielen Fällen die Erzeugergeneration um Haupteslänge überragt) trudeln sie ein. Herrliches Sommerwetter, ein einladender Garten und hervorragende Gaumengenüsse bilden einen tollen Rahmen. Die Diskussionen drehen sich natürlich in erster Linie ums Fliegen, wobei einzelne Gespräche deutlich machen, dass die Pensionierung unweigerlich näher rückt. 26 Jahre sind es her, seit wir unsere Pilotentätigkeit bei der Swissair begonnen habe.
Hitzige Diskussionen am SLS-Fest
Regen und spielfrei
Am Montagmorgen prasselt der Regen auf das Dach unseres Circuswagens. Heute ist spielfrei. Zu dumm, jetzt, wo wir Zeit hätten. Noch immer haben wir erst die eine Hälfte des Programms gesehen.
Es ist dies nach 2001 und 2003 bereits das dritte Mal, dass unsere Familie eine Woche im Ferienwagen des Circus Monti (http://www.circus-monti.ch/) verbringt. So viele Vorstellungen haben wir noch nie verpasst. Doch wir geniessen den Tag auch ohne Artistik und begeben uns auf einen Einkaufsbummel in die Stadt. Der Circus hat sein Zelt und die Wagenstadt auf der Rosentalanlage aufgebaut, unmittelbar neben dem Messeplatz. Die Lage ist ideal und erinnert mich immer wieder an frühere „Europazeiten“ bei der Swissair auf den Flugzeugtypen DC-9, MD-80 und Fokker 100. Wir waren damals im Swissôtel untergebracht, nur einen Steinwurf vom Monti entfernt.
Tempi passati – jetzt bin ich als Circusgast hier! Am Dienstag geht’s richtig los. Wir alle können die Abendvorstellung kaum erwarten. Unsere Mädchen sind natürlich vor allem auf die Darbietungen der beiden Muntwyler-Söhne Tobias (14) und Mario (10) gespannt. Der erste zeigt eine schnelle und variantenreiche Diabolo-Nummer auf äusserst hohem Niveau. Mario, sein jüngerer Bruder jongliert zusammen mit seinem Vater und drei weiteren Artisten. Die weissen Plastikkeulen fliegen in allen Richtungen durch die Manege und allein vom Zuschauen wird uns schwindlig. Wir sind begeistert und das rege aufmarschierte Publikum offenbar auch. Beim anschliessenden Bier zumindest bestätigt uns einer der Clowns, dass – für einen Dienstagabend – eine überraschend lebendige Atmosphäre geherrscht hätte.
Jonglieren mit Mario
Linda spielt Nummerngirl
Fliegender "Tausch" der Diabolos
Nicht alle sind gleich begabt...
Kartenspiel und Circuslektionen
Die Vorstellungen der nächsten Tage locken ähnlich viele Zuschauer ins Monti-Zelt. Johannes Muntwyler, der „Circus-Chef“ lobt die Basler und meint, dass die Gastspiele am Rheinknie jedes Jahr erfreulich ausfallen würden. Die Basler wissen wohl nicht nur Fasnacht zu feiern, hätte nur noch gefehlt, dass der Suter oder der Ospel als „Waggis“ ins Zelt marschiert wären...
"Unser Circuswagen"
Linda und Nina verbringen die meiste Zeit mit Tobi und Mario. Die beiden Jungs besuchen jeden Morgen die Circusschule, deren Camper ganz in der Nähe unseres Ferienwagens postiert ist. Die Klasse besteht lediglich aus drei Schülern. Und während der Vorstellungen hilft die Lehrerin im Buffetwagen mit. Bei einem Circus dieser Grösse wird von den Angestellten universeller Einsatz gefordert. So hat auch beim Zeltab- und aufbau jeder und jede seine zugeteilte Arbeit.
Der Nachmittag ist in der Regel schulfrei, oftmals stehen Vorstellungen auf dem Programm. Linda übt Diabolo mit Tobi, und in ahnunsloser Verspieltheit, animiert sie ihn zu einem neuen Trick, den er noch am gleichen Abend erfolgreich in seine Nummer einbaut. Mario will uns das Jonglieren mit den Keulen beibringen, merkt aber bald, dass „Hopfen und Malz“ verloren ist. Mit den Bällen geht’s schon wesentlich besser, allerdings noch nicht so, wie sich der junge Artist, der mit allem jongliert, was ihm in die Hände gerät, dies vorstellt.
Im Gegenzug zeigen Linda und Nina den Circussöhnen ausgefallene Kartenspiele wie „Gemsch“ und „Arschlöchle“. Und in der Folge sieht man die vier ständig und überall – am Gartentisch wie im Wohnwagen – mit Karten in den Fingern. Vor der Vorstellung wie auch nach Spielschluss wird gespielt und gelacht, nicht immer nur zur Freude aller Eltern, die ihre Sprösslinge lieber im Bett gesehen hätten.
Franziska und ich geniessen es, nach den Vorstellungen bei Monti-Bier oder Kaffee im Restaurant-Zelt die Zuschauer zu beobachten. Wie sie gedankenverloren die Artisten-Fotos auf den Bildwänden betrachten und dabei noch einmal einzelne Nummern im Geiste aufleben lassen. Das Gefühl, nicht mehr nach Hause fahren zu müssen, sondern im Circusareal nächtigen zu dürfen, ist Genuss, Freude und Vorfreude auf den nächsten Tag zugleich.
Artisten- und Träumerleben
Eine Woche inmitten der Circusfamilie bringt verschiedene Einblicke und relativiert so manches im Leben einer „Normalfamilie“. Der Circus hat seine eigenen Gesetze und setzt bei allen Beteiligten Flexibilität und Improvisation voraus. Die Artistentruppe ist international besetzt: Kanadier, eine Finnin, ein Deutscher, eine Amerikanerin, Franzosen, ein Italiener und natürlich die Muntwylers aus der Schweiz. Die gemeinsame Sprache ist die Artistik. Die Eigenschaft, mit hohem Körpereinsatz und besonderem Geschick die Zuschauer zu faszinieren. Die Gabe, mit subtiler Mimik und kontrollierter Bewegung Poesie und einen Hauch von Mystik in die Manege zu zaubern. Im Verlaufe dieser Woche setzen wir uns irgendwann in jede Vorstellung – sei es vor oder nach der Pause – und entdecken dabei immer wieder neue Elemente in den einzelnen Nummernsequenzen. Spannend ist es auch, in Kenntnis der Abläufe die Zuschauerreaktionen zu beobachten. Denn nicht immer reagiert das Publikum gleich. Lachen und Stille wechseln sich ab. Ich staune ob der Vielfalt der Eindrücke und spüre echte Bewunderung für diese Menschen. Ihr Leben im und mit dem Circus zieht mich in seinen Bann. Und zwischendurch drückt der Wunsch, irgendwann, später einmal, ebenfalls für eine Saison mitzuziehen. Wohl kaum als Seiltänzer – bestenfalls als Traumtänzer! Vom „Circus im Sand“ zum „Circus auf dem Land“.
Stillleben mit Artisten
Tuesday, August 28, 2007
Monday, August 20, 2007
Die Leiden des „alten Epplers“
Nicht, dass ich unglücklich verliebt wäre. Keine „Lotte“, die mich aufs Verfänglichste in ihren Bann zieht. Vielmehr beschäftigen mich strapaziöse Versuche, mit Franziska (mit der ich mich nach wie vor in harmonischem Ehestand befinde) und meinen beiden Töchtern (deren hormonelle Entwicklungs-Eskapaden mich nach wie vor in Atem halten) eine gemeinsame Ferienwoche zu verbringen. Eine Woche Ferien im August, die ich mir bei unserer Ferienplanung richtig gehend erkämpfen musste. Für eine Woche Artistik und Sägemehl beim Zirkus Monti. Als simpler Betrachter allerdings, ohne die Geschehnisse in der Manege auch nur im Geringsten zu beeinflussen.
Die Freude wird grösser, je näher der Ferienbeginn rückt. Der Start allerdings ist gepflastert mit Hindernissen...
Planungsprobleme
Eigentlich war ursprünglich geplant, am Nachmittag des 17. Augusts via Frankfurt nach Zürich zu fliegen. Da hätte mein ursprünglicher Einsatzplan perfekt gepasst. Doch die Verwendung des Präteritums ist nicht zufällig. Die Ausgangslage ändert nämlich konstant aufgrund ständig wechselnder Einsätze.
Plan eins verkommt bereits nach kurzer Zeit zur Makulatur. Flexibel wie ich bin, fasse ich die Anreise über München ins Auge. Start um 0220 Uhr, in der Nacht auf Samstag.
Am Donnerstag aber stosse ich im Computer auf eine erneute Einsatzänderung, welche die Landung in Abu Dhabi erst um 0145 Uhr vorsieht. Damit würde auch die Bayern-Variante hinfällig. Sogleich rufe ich beim Crew Control an und beklage mich darüber, dass dies meine Ferien tangieren und eine vernünftige Heimreise verunmöglichen würde. Der diensttuende Controller gibt mir Recht und bemerkt nebenbei, dass er gerade von der Schweizer Schokolade esse, die sie erst kürzlich von mir bekommen hätten (mittlerweile habe ich begonnen, eine eigene, mitunter etwas „schlüpfrige“ Taktik zu fahren. Die Schweizer Schokoladeproduzenten hätten ihre helle Freude an mir!). Zwischen zwei Würfeln der braunen Masse tauscht er meinen Einsatz erneut und gibt mir eine „Standby-Duty“ von 0800 – 1800 Uhr. Damit wahre ich mir immerhin eine vernünftige Chance, denke ich und lege mich ins Bett.
Ein Sitz in der „Pearl Business Class“
In der Tat werde ich am nächsten Tag nicht zu einem Flugeinsatz gerufen und kann so in aller Ruhe meine Vorbereitungen treffen. Kurz vor Mitternacht packe ich meinen Koffer in den Wagen und rolle gemächlich aus dem Compound. Problemloses Check-In. Der freundliche Beamte, der mich mit Händedruck begrüsst, garantiert mir sogleich einen Sitz in der jetzt offiziell neu benannten „Pearl Business Class“ (was ich auch so bestellt und bezahlt habe!). Im Flugzeug will ich nur schlafen. Eine Flasche Mineralwasser genügt, feste Nahrung lassen wir für einmal aus. Vor dem Einsteigen treffe ich Clarissa, eine „Cabin Managerin“ aus Berlin, die für vier Tage nach Hause reist.
Kurz nach dem Start fahre ich den Sitz in die Horizontale, und erst 45 Minuten vor der Landung reibe ich mir die verschlafenen Augen. Wir beginnen den Sinkflug. Beim Blick aus dem Fenster erkenne ich bewaldete Bavarische Hügelzüge, dazwischen vereinzelte Nebelschwaden. Landeklappen werden gefahren, wir sinken kontinuierlich weiter ab.
Dann tauchen wir in die neblige Suppe.
Dann röhren die Triebwerke.
Dann hebt sich die Flugzeugnase.
Dann starten wir durch!
„Diversion“ nach Frankfurt
Scheinbar endlos lange Minuten warte ich auf eine Information der Besatzung. Später teilt die „Cabin Managerin“ über den Bordlautsprecher mit, dass wir aufgrund der Wettersituation in München nach Frankfurt ausweichen würden. Es dauert weitere 20 Minuten, bis wir auf dem Rhein-Main-Flughafen landen. Die Maschine rollt aus und parkiert auf einem abgelegenen Fracht-Tarmac.
Über das „PA-System“ (Passenger Announcement) erklärt der Captain, dass eine Landung in München vorerst nicht möglich wäre, und dass er in Kürze weiter informieren würde. Clarissa übersetzt ins Deutsche. Ich offeriere den Kollegen im Führerstand ebenfalls meine Hilfe. Kurz darauf sitze ich im Cockpit und telefoniere ein erstes Mal mit der Stationsleiterin in München. Der Captain hat derweil die Einsatzleitung in Abu Dhabi am „Satcom“, dem bordeigenen Satellitentelefon. Alle Beteiligten hoffen auf baldige Wetterbesserung. Unser Airbus ist aufgrund eines technischen Defekts in seiner Landefähigkeit eingeschränkt. Gestern Abend, beim Abflug in Abu Dhabi gab es keinerlei Hinweise, die auf Nebel in München gedeutet hätten. Aufgrund des Systemausfalls benötigen wir nun aber eine Sichtweite von mindestens 550 Metern, München meldet Werte um die 300 Meter. Die Arbeitszeitlimite der Besatzung läuft in einer Stunde aus. Die Passagiere werden unruhig, die Besatzung müde, und ich möchte so schnell wie möglich nach Zürich.
Suche nach den Koffern
Doch so früh will niemand die Hoffnung auf einen baldigen Überflug nach München aufgeben. Immer wieder wird ein endgültiger Entscheid vertagt und auf besseres Wetter gehofft. Ich telefoniere bereits zum vierten Mal mit München. Wie bei einer Ausweichlandung mit Hoffnung auf baldigen Weiterflug üblich, wird vorerst keiner der Passagiere von Bord gelassen. Die Situation zieht sich hin, freuen tut sich niemand so richtig darüber.
Endlich – um 0920 Uhr Lokalzeit wird die Übung abgeblasen. Zwar hat sich die Sichtweite in München etwas verbessert, für uns ist sie jedoch noch immer ungenügend. Ein klarer Trend ist nicht erkennbar. Busse werden bestellt und die Gäste strömen zu den „Flugzeug-Exits“. In der Gepäckhalle angekommen, beginnt die grosse Suche nach dem "Baggage". Keines der Förderbänder ist mit „Etihad 005“ beschriftet. Niemand scheint in der Lage, Auskunft zu geben. Frust macht sich breit. Wo sind unsere Koffer? Schliesslich ruft einer der Passagiere mit lauter Stimme, dass wir in der falschen Halle wären. Er weist alle an, ihm zu folgen und schreitet forschen Schrittes voran. Es folgt eine offzielle Lautsprecherdurchsage, die seine Worte bestätigt. Also raus aus Halle D und rein in Halle E. Letzteres erweist sich jedoch als kein einfaches Unterfangen, da wir – rund 150 gestrandete Passagiere – wie fortpflanzungswillige Lachse gegen den Strom prozessieren. Einzelne Stimmen werden lauter und mittlerweile wird jede Person, die eine Uniform trägt, ziemlich barsch angegangen. Die meisten werden natürlich überrascht, wissen von nichts und sind daher nicht in der Lage, uns weiterzuhelfen. Irgendwie schafft es eine radikale „Splittergruppe“, sich Zugang zur Halle E zu verschaffen. In ihrem Sog folgen ihnen die übrigen Passagiere unseres Fluges.
Zeitnot
Endlich sehe ich meinen Koffer auf dem Karussell. Bei der nächsten grossen Anzeigetafel informiere ich mich über Anschlussflüge nach Zürich. Mittlerweile ist viertel vor elf. Die eine Maschine ist vor fünf Minuten abgeflogen, der nächste Flug startet um 12.05 Uhr. Das dürfte knapp werden, die Distanzen auf dem Rhein-Main-Flughafen sind gross, die Warteschlangen lang. In der riesigen Check-In Halle erschlägt es mich fast ob der wartenden Menschenmenge. Es gibt nur eine Chance: Kühn gehe ich mit meinem „Standby-Ticket“ an einen der „Priority First Class“-Schalter. Der uniformierte Angestellte erbarmt sich meiner und bereits nach wenigen Minuten bin ich mit Bordkarte unterwegs Richtung Gate „B32“. Doch oh weh – vor der „Security“ staut sich der Passagierfluss erneut in erschreckendem Masse. Und wieder fädle ich in der Spur für Erstklasspassagiere ein, überhole die geduldig wartenden Reisenden und lege meine Utensilien auf das Band der „First Class“-Röntgenmaschine. Niemand will meine Einsteigkarte sehen, schelmisch freue ich mich über die geglückte Aktion. Noch bin ich aber nicht am Ziel. Eine Passkontrolle sowie ein weiteres Handgepäck-Screening bremsen mein Vorwärtskommen. Die Zeit wird knapp – zu knapp, wie sich herausstellt: Zehn Minuten vor der Abflugzeit treffe ich am Ausgang ein. Der Bus ist weg, die Dame am Schalter meint lediglich: „Sie sind zu spät. Wir haben Sie bereits mehrfach ausgerufen. Jetzt kann ich nichts mehr für Sie tun.“
Was dann so aber auch nicht stimmt, denn gemeinsam gelingt es uns, einen Sitzplatz auf dem nächsten Flug nach Basel zu blockieren. Abflug in anderthalb Stunden, mit einem Jumbolino „operated by Eurowings“.
Die Zeiten werden immer später, die Flugzeuge immer kleiner. Aber Hauptsache, ich schaffe es, an meinem ersten Ferientag ans Ziel zu kommen und meine Familie zu treffen. Um 14.45 Uhr ist es vollbracht: Touchdown in Basel. Die Leiden haben ein Ende.
Die Freude wird grösser, je näher der Ferienbeginn rückt. Der Start allerdings ist gepflastert mit Hindernissen...
Planungsprobleme
Eigentlich war ursprünglich geplant, am Nachmittag des 17. Augusts via Frankfurt nach Zürich zu fliegen. Da hätte mein ursprünglicher Einsatzplan perfekt gepasst. Doch die Verwendung des Präteritums ist nicht zufällig. Die Ausgangslage ändert nämlich konstant aufgrund ständig wechselnder Einsätze.
Plan eins verkommt bereits nach kurzer Zeit zur Makulatur. Flexibel wie ich bin, fasse ich die Anreise über München ins Auge. Start um 0220 Uhr, in der Nacht auf Samstag.
Am Donnerstag aber stosse ich im Computer auf eine erneute Einsatzänderung, welche die Landung in Abu Dhabi erst um 0145 Uhr vorsieht. Damit würde auch die Bayern-Variante hinfällig. Sogleich rufe ich beim Crew Control an und beklage mich darüber, dass dies meine Ferien tangieren und eine vernünftige Heimreise verunmöglichen würde. Der diensttuende Controller gibt mir Recht und bemerkt nebenbei, dass er gerade von der Schweizer Schokolade esse, die sie erst kürzlich von mir bekommen hätten (mittlerweile habe ich begonnen, eine eigene, mitunter etwas „schlüpfrige“ Taktik zu fahren. Die Schweizer Schokoladeproduzenten hätten ihre helle Freude an mir!). Zwischen zwei Würfeln der braunen Masse tauscht er meinen Einsatz erneut und gibt mir eine „Standby-Duty“ von 0800 – 1800 Uhr. Damit wahre ich mir immerhin eine vernünftige Chance, denke ich und lege mich ins Bett.
Ein Sitz in der „Pearl Business Class“
In der Tat werde ich am nächsten Tag nicht zu einem Flugeinsatz gerufen und kann so in aller Ruhe meine Vorbereitungen treffen. Kurz vor Mitternacht packe ich meinen Koffer in den Wagen und rolle gemächlich aus dem Compound. Problemloses Check-In. Der freundliche Beamte, der mich mit Händedruck begrüsst, garantiert mir sogleich einen Sitz in der jetzt offiziell neu benannten „Pearl Business Class“ (was ich auch so bestellt und bezahlt habe!). Im Flugzeug will ich nur schlafen. Eine Flasche Mineralwasser genügt, feste Nahrung lassen wir für einmal aus. Vor dem Einsteigen treffe ich Clarissa, eine „Cabin Managerin“ aus Berlin, die für vier Tage nach Hause reist.
Kurz nach dem Start fahre ich den Sitz in die Horizontale, und erst 45 Minuten vor der Landung reibe ich mir die verschlafenen Augen. Wir beginnen den Sinkflug. Beim Blick aus dem Fenster erkenne ich bewaldete Bavarische Hügelzüge, dazwischen vereinzelte Nebelschwaden. Landeklappen werden gefahren, wir sinken kontinuierlich weiter ab.
Dann tauchen wir in die neblige Suppe.
Dann röhren die Triebwerke.
Dann hebt sich die Flugzeugnase.
Dann starten wir durch!
„Diversion“ nach Frankfurt
Scheinbar endlos lange Minuten warte ich auf eine Information der Besatzung. Später teilt die „Cabin Managerin“ über den Bordlautsprecher mit, dass wir aufgrund der Wettersituation in München nach Frankfurt ausweichen würden. Es dauert weitere 20 Minuten, bis wir auf dem Rhein-Main-Flughafen landen. Die Maschine rollt aus und parkiert auf einem abgelegenen Fracht-Tarmac.
Über das „PA-System“ (Passenger Announcement) erklärt der Captain, dass eine Landung in München vorerst nicht möglich wäre, und dass er in Kürze weiter informieren würde. Clarissa übersetzt ins Deutsche. Ich offeriere den Kollegen im Führerstand ebenfalls meine Hilfe. Kurz darauf sitze ich im Cockpit und telefoniere ein erstes Mal mit der Stationsleiterin in München. Der Captain hat derweil die Einsatzleitung in Abu Dhabi am „Satcom“, dem bordeigenen Satellitentelefon. Alle Beteiligten hoffen auf baldige Wetterbesserung. Unser Airbus ist aufgrund eines technischen Defekts in seiner Landefähigkeit eingeschränkt. Gestern Abend, beim Abflug in Abu Dhabi gab es keinerlei Hinweise, die auf Nebel in München gedeutet hätten. Aufgrund des Systemausfalls benötigen wir nun aber eine Sichtweite von mindestens 550 Metern, München meldet Werte um die 300 Meter. Die Arbeitszeitlimite der Besatzung läuft in einer Stunde aus. Die Passagiere werden unruhig, die Besatzung müde, und ich möchte so schnell wie möglich nach Zürich.
Suche nach den Koffern
Doch so früh will niemand die Hoffnung auf einen baldigen Überflug nach München aufgeben. Immer wieder wird ein endgültiger Entscheid vertagt und auf besseres Wetter gehofft. Ich telefoniere bereits zum vierten Mal mit München. Wie bei einer Ausweichlandung mit Hoffnung auf baldigen Weiterflug üblich, wird vorerst keiner der Passagiere von Bord gelassen. Die Situation zieht sich hin, freuen tut sich niemand so richtig darüber.
Endlich – um 0920 Uhr Lokalzeit wird die Übung abgeblasen. Zwar hat sich die Sichtweite in München etwas verbessert, für uns ist sie jedoch noch immer ungenügend. Ein klarer Trend ist nicht erkennbar. Busse werden bestellt und die Gäste strömen zu den „Flugzeug-Exits“. In der Gepäckhalle angekommen, beginnt die grosse Suche nach dem "Baggage". Keines der Förderbänder ist mit „Etihad 005“ beschriftet. Niemand scheint in der Lage, Auskunft zu geben. Frust macht sich breit. Wo sind unsere Koffer? Schliesslich ruft einer der Passagiere mit lauter Stimme, dass wir in der falschen Halle wären. Er weist alle an, ihm zu folgen und schreitet forschen Schrittes voran. Es folgt eine offzielle Lautsprecherdurchsage, die seine Worte bestätigt. Also raus aus Halle D und rein in Halle E. Letzteres erweist sich jedoch als kein einfaches Unterfangen, da wir – rund 150 gestrandete Passagiere – wie fortpflanzungswillige Lachse gegen den Strom prozessieren. Einzelne Stimmen werden lauter und mittlerweile wird jede Person, die eine Uniform trägt, ziemlich barsch angegangen. Die meisten werden natürlich überrascht, wissen von nichts und sind daher nicht in der Lage, uns weiterzuhelfen. Irgendwie schafft es eine radikale „Splittergruppe“, sich Zugang zur Halle E zu verschaffen. In ihrem Sog folgen ihnen die übrigen Passagiere unseres Fluges.
Zeitnot
Endlich sehe ich meinen Koffer auf dem Karussell. Bei der nächsten grossen Anzeigetafel informiere ich mich über Anschlussflüge nach Zürich. Mittlerweile ist viertel vor elf. Die eine Maschine ist vor fünf Minuten abgeflogen, der nächste Flug startet um 12.05 Uhr. Das dürfte knapp werden, die Distanzen auf dem Rhein-Main-Flughafen sind gross, die Warteschlangen lang. In der riesigen Check-In Halle erschlägt es mich fast ob der wartenden Menschenmenge. Es gibt nur eine Chance: Kühn gehe ich mit meinem „Standby-Ticket“ an einen der „Priority First Class“-Schalter. Der uniformierte Angestellte erbarmt sich meiner und bereits nach wenigen Minuten bin ich mit Bordkarte unterwegs Richtung Gate „B32“. Doch oh weh – vor der „Security“ staut sich der Passagierfluss erneut in erschreckendem Masse. Und wieder fädle ich in der Spur für Erstklasspassagiere ein, überhole die geduldig wartenden Reisenden und lege meine Utensilien auf das Band der „First Class“-Röntgenmaschine. Niemand will meine Einsteigkarte sehen, schelmisch freue ich mich über die geglückte Aktion. Noch bin ich aber nicht am Ziel. Eine Passkontrolle sowie ein weiteres Handgepäck-Screening bremsen mein Vorwärtskommen. Die Zeit wird knapp – zu knapp, wie sich herausstellt: Zehn Minuten vor der Abflugzeit treffe ich am Ausgang ein. Der Bus ist weg, die Dame am Schalter meint lediglich: „Sie sind zu spät. Wir haben Sie bereits mehrfach ausgerufen. Jetzt kann ich nichts mehr für Sie tun.“
Was dann so aber auch nicht stimmt, denn gemeinsam gelingt es uns, einen Sitzplatz auf dem nächsten Flug nach Basel zu blockieren. Abflug in anderthalb Stunden, mit einem Jumbolino „operated by Eurowings“.
Die Zeiten werden immer später, die Flugzeuge immer kleiner. Aber Hauptsache, ich schaffe es, an meinem ersten Ferientag ans Ziel zu kommen und meine Familie zu treffen. Um 14.45 Uhr ist es vollbracht: Touchdown in Basel. Die Leiden haben ein Ende.
Wednesday, August 15, 2007
Monsunregen
Einmal mehr ist der Titel irreführend. Wohl bringen mich meine Flüge des öfteren Richtung Indien, Sri Lanka, Pakistan und Bangladesh, wo zur Zeit heftige Monsunregen der Bevölkerung das Leben erschweren. Doch dieser Eintrag berichtet nicht von Asien. Was ich auf meinem letzten Einsatz nach Genf erlebte, lässt sich aber durchaus vergleichen mit den derzeitigen Wettervorgängen in den Monsungebieten.
Quälende Hitze
Seit dem 1. Juli habe ich nicht einen einzigen Tag wie in meinem publizierten Einsatz geplant, gearbeitet. Die Umstellungen wollen kein Ende nehmen. Unsere Crew Dispo arbeitet nicht einmal mehr von Tag zu Tag, sondern eher von Stunde zu Stunde. Die guten Kerle können einem richtig leid tun, ihre Situation ist alles andere als beneidenswert: viele Flüge, viele Umstellungen, keine Besatzungen. Vor diesem Hintergrund muss ich förmlich bis zum „Check-In“ um meine für den August gewünschte Genf-Rotation bangen. Doch siehe da – es klappt!
So fahre ich am 7. August, kurz vor Mittag, bei 45 Grad Celsius im angenehm gekühlten Wagen Richtung Flughafen. Doch die „angenehme Kühle“ ist von kurzer Dauer, denn wir müssen unsere Autos auf einem offenen Parkplatz, ohne gedeckten Zugang zum Hauptgebäude parken. Wie ich mich, mit Koffer und Crewbag bestückt über den aufgeheizten Beton zum Eingang schleppe, perlen alsbald die ersten Schweisstropfen auf meiner Stirn. Wenig später feuchtet sich der Nacken und ich spüre, wie Hemd und Hose am Körper zu kleben beginnen. Es bedarf einiger Minuten im Ops bis sich die Körpertemperatur wieder normalisiert. Manchmal dauert es auch etwas länger und man kann den einen oder anderen Kollegen beobachten, wie er sich auf eines der am Fenster entlang montierten A/C-Kühlaggregate setzt und sich von klimatisierter Luft abkühlen lässt.
Gewitter in Genf
Unser Flug nach Genf verläuft problemlos. Ich freue mich verständlicherweise auf etwas erträglichere Temperaturen. Der Copi aus Malayisia – derselbe, mit dem ich schon nach Brisbane geflogen bin – wird von seiner Frau begleitet. Die beiden fragen mir Löcher in den Bauch, wollen dies und das über unser Land wissen, und ich muss zur Kenntnis nehmen, dass ich ihnen nicht wirklich eine grosse Hilfe bin. Oder habt ihr eine Ahnung, welche Zug- oder Postautolinie Genf und Le Sentier im Jura verbindet, ob es in Montreux eine Parkanlage mit besonderen Blumenbeeten gibt oder welche Sonderabonnemente die SBB für ein Touristenehepaar aus dem Südostasiatischen Raum anbietet?
Genau genommen habe ich diese Genf-Rotation in einer ganz bestimmten Absicht gewünscht. Franziskas Bruder „Buda“ hat mich derzeit im Januar, anlässlich meines Dekadensprungs, zu einer Freiluftaufführung des Musicals „Les Misérables“ in Thun eingeladen. Die Planung erwies sich, in Anbetracht der herrschenden Umstände, als nicht ganz einfach. Umso mehr freuten wir uns, als schliesslich Ticketreservation und Flugwunsch in harmonischer Übereinstimmung standen.
Nun bin ich also unterwegs Richtung Heimat. Wir nähern uns der Po-Ebene. Über den Alpen türmen sich wild quellende Gewitterwolken. Im Sinkflug Richtung Cointrin schlängeln wir uns durch die gelben und roten Flecken, die sich auf dem Wetterradar breit machen. Die Landung auf der Piste 05 erfolgt eine halbe Stunde vor der flugplanmässigen Zeit.
Im Hotel angekommen ziehe ich mich sogleich um, optimiere den Kofferinhalt und eile zurück zum Flughafen. Mit Glück erwische ich den Zug um halb neun. Um 2300 Uhr holen mich Franziska und Linda am Bahnhof Thun ab. Mit von der Partie unser „Kampfhund“ Cicchi, der seit unserer Abwanderung zum festen Tierbestand des Gutes „Rieben-Baumann“ gehört und jetzt für einige Tage bei uns in den Ferien weilt. Zu später Stunde kurven wir Richtung Diemtigtal. Es gibt viel zu erzählen und die Fahrt auf die Grimmialp erscheint kurz wie nie zuvor.
Trübe Aussichten
Die Wetteraussichten waren zwar nicht vielversprechend, dennoch bin ich am nächsten Morgen beim Blick aus dem Fenster enttäuscht. Es regnet. Das wird wohl nichts mit dem Freiluftspektakel, denke ich mir. Zu kalt, zu nass, zu grauslig. Offenbar hat Petrus Mühe, ein vernünftiges Mittelmass zu finden. Irgendwo zwischen der Hitze in Abu Dhabi und der feuchten Kälte des helvetischen Alpenraums würde es wohl liegen. Heute zumindest klappt es nicht. Um 1300 Uhr kommt die definitive Absage. Der Regen prasselt immer lauter auf die Dachfenster.
Den Nachmittag verbringt die ganze Familie – seit fünf Wochen wieder einmal vereint – in Thun. Auf dem Programm stehen dringende Einkäufe sowie ein Coiffeurbesuch der Männer. Die indischen Haarkünstler in Abu Dhabi bekunden immer wieder Mühe mit den Proportionen und mittlerweile ziehe ich eitler Gockel es vor, nach Möglichkeit europäische Barbiere aufzusuchen. Tim lässt sich das braun gelockte Haar pechschwarz färben („Ich chas ja wieder abschniide...“). Das Resultat schockt weniger als erwartet, alles reine Gewöhnungssache.
Freiluft im Emmental
Buda und seine Frau Margrith haben – ungeachtet sämtlicher Wetterkapriolen – trotzdem ein Freiluftereignis organisiert. Am frühen Abend, nachdem die Jungmannschaft verpflegt ist, machen wir uns zu viert auf zum Nachtessen. Im idyllisch gelegenen Seepark Thun geniessen wir drei ausgezeichnete Gänge. Der vom Wetter getrübte Blick auf See und Berge tut dem Gaumenschmaus keinen Abbruch. Im Gegenteil, weils draussen wie aus Kübeln giesst, konzentrieren wir uns umso mehr auf das, was auf dem Teller präsentiert wird.
Nach Kaffee und Dessert setzen wir uns wieder ins Auto, dessen Scheiben – auf der Innenseite notabene – vor Feuchtigkeit triefen. Wasser überall und in jedem erdenklichen Kondensationsgrad. Die Fahrt ins Emmental zieht sich infolge der anhaltenden Regenfälle hin. Die Strasse im Tal ist bereits nicht mehr durchgehend befahrbar. Die Flüsse sprudeln gefährlich hoch. Umleitungen sind beschildert.
Nach 45 Minuten Fahrzeit erreichen wir Trubschachen. Wir können es kaum glauben, aber die Filmvorführung im „Hof3“ (www.hof3.ch), einem idyllisch gelegenen Bauernhofgelände, findet wirklich statt. Eine riesige Zeltplane überdacht die äusserst bequemen Fauteuils. Den zahlreichen Besuchern stehen unbeschränkt Wolldecken aus alten Armeebeständen zur Verfügung. Frieren muss niemand. Das Kinogefühl schwankt zwischen ungewohnt, feucht und kuschelig warm. Gezeigt wird der Film „Goodbye Bafana“, eine eindrückliche Geschichte aus dem Südafrika des Apartheidregimes.
Es wird beinahe 0200 Uhr bis Franziska und ich mit den Kindern wieder im Diemtigtal eintreffen. Der Film regt zum Nachdenken an. Ein aussergewöhnlicher und eindrücklicher Abend, nicht nur wegen des Wetters
Unterbrochene Bahnlinien
Trotz später Nachtruhe erwache ich am nächsten Morgen ziemlich früh. Mag sein, dass mich die Unruhe aus dem Bett treibt. Noch immer regnet es und ich hege Befürchtungen, dass die Zugsverbindungen zwischen Thun und Genf beeinträchtigt sein könnten. Zu Recht, wie sich beim Lesen der News im Internet herausstellt. Es sei mit erheblichen Verspätungen zu rechnen, wird berichtet. Na wo sind wir denn? In der Schweiz etwa, wo die Uhren weltmeisterlich akkurat ticken, die Weltmeister allerdings eher rar sind und die öffentlichen Verkehrsmittel ergebenste Sklaven aller Uhren sind...?
Irgendwie muten diese wetterbedingten Strassen- und Schienenprobleme seltsam an. Ich sitze in der gemütlichen Stube im Diemtigtal, blicke aus dem Fenster und muss schmunzeln. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Auch in der Schweiz nicht. Einmal mehr gilt: “Expect the unexpected!“
So wird denn neu geplant, und Franziska fährt Tim und mich bereits um viertel nach elf ins Tal. Die Zugsverbindung geht über Bern und Biel nach Genf, wo wir am späteren Nachmittag eintreffen. Die Fahrt führt uns an überschwemmten Feldern und Strassen vorbei. Bilder, wie ich sie in unserem Land selten gesehen habe. Und wenn, dann im Fernsehen. Kaum zu glauben, wir schreiben August und die Temperatur beträgt gerade einmal lausige 12 Grad. Anhaltender Regen und über die Ufer getretene Wasser: Monsun in der Schweiz.
Rückkehr und Ausblick
In Genf angekommen, verpflegen wir uns im Coffeeshop des Hotels, dann versuche ich, etwas zu schlafen. Tim liest. Er will seinen Freund Xiao, mit dem er in Abu Dhabi Eishockey spielt, am Flughafen abholen. Der Chinese möchte ihn einige Tage in der Schweiz besuchen und sitzt in der Etihad-Maschine, die ich in derselben Nacht nach Abu Dhabi zurückfliegen werde. Die Ankunft ist verspätet. Das wird wohl knapp für die Rückfahrt mit dem Zug nach Thun. Die gekappten Verbindungen haben nicht nur Verspätungen, sondern auch reduzierte Frequenzen zur Folge. Die beiden schaffen es dann aber doch noch und treffen gegen Mitternacht im Berner Oberland ein.
Ich meinerseits kämpfe mich durch die Nacht, wobei ich den Kaffeekonsum stündlich steigere. Ich habe viel erlebt in den vergangenen beiden Tagen. Und schon bald werde ich wieder in die Schweiz fliegen: Vom 18. bis zum 25. August ist eine Ferienwoche mit der Familie beim Zirkus Monti in Basel angesagt. Allerdings ohne Tim. Der ist bereits wieder in Abu Dhabi. Heute morgen habe ich ihn in Dubai abgeholt. Für ihn beginnt am 20. August das grosse Abenteuer „American Community School ACS“. Während der ersten Schulwoche wird er bei Neil, einem Freund des gleichen Klassenjahrgangs wohnen. Neil ist bereits seit zwei Jahren Schüler der ACS und kennt die Schule bestens. Während ich diese letzten Zeilen schreibe, treffen sich die beiden bereits in der Stadt. Es gibt viel zu berichten und viel zu planen. Und das ist gut so.
Quälende Hitze
Seit dem 1. Juli habe ich nicht einen einzigen Tag wie in meinem publizierten Einsatz geplant, gearbeitet. Die Umstellungen wollen kein Ende nehmen. Unsere Crew Dispo arbeitet nicht einmal mehr von Tag zu Tag, sondern eher von Stunde zu Stunde. Die guten Kerle können einem richtig leid tun, ihre Situation ist alles andere als beneidenswert: viele Flüge, viele Umstellungen, keine Besatzungen. Vor diesem Hintergrund muss ich förmlich bis zum „Check-In“ um meine für den August gewünschte Genf-Rotation bangen. Doch siehe da – es klappt!
So fahre ich am 7. August, kurz vor Mittag, bei 45 Grad Celsius im angenehm gekühlten Wagen Richtung Flughafen. Doch die „angenehme Kühle“ ist von kurzer Dauer, denn wir müssen unsere Autos auf einem offenen Parkplatz, ohne gedeckten Zugang zum Hauptgebäude parken. Wie ich mich, mit Koffer und Crewbag bestückt über den aufgeheizten Beton zum Eingang schleppe, perlen alsbald die ersten Schweisstropfen auf meiner Stirn. Wenig später feuchtet sich der Nacken und ich spüre, wie Hemd und Hose am Körper zu kleben beginnen. Es bedarf einiger Minuten im Ops bis sich die Körpertemperatur wieder normalisiert. Manchmal dauert es auch etwas länger und man kann den einen oder anderen Kollegen beobachten, wie er sich auf eines der am Fenster entlang montierten A/C-Kühlaggregate setzt und sich von klimatisierter Luft abkühlen lässt.
Gewitter in Genf
Unser Flug nach Genf verläuft problemlos. Ich freue mich verständlicherweise auf etwas erträglichere Temperaturen. Der Copi aus Malayisia – derselbe, mit dem ich schon nach Brisbane geflogen bin – wird von seiner Frau begleitet. Die beiden fragen mir Löcher in den Bauch, wollen dies und das über unser Land wissen, und ich muss zur Kenntnis nehmen, dass ich ihnen nicht wirklich eine grosse Hilfe bin. Oder habt ihr eine Ahnung, welche Zug- oder Postautolinie Genf und Le Sentier im Jura verbindet, ob es in Montreux eine Parkanlage mit besonderen Blumenbeeten gibt oder welche Sonderabonnemente die SBB für ein Touristenehepaar aus dem Südostasiatischen Raum anbietet?
Genau genommen habe ich diese Genf-Rotation in einer ganz bestimmten Absicht gewünscht. Franziskas Bruder „Buda“ hat mich derzeit im Januar, anlässlich meines Dekadensprungs, zu einer Freiluftaufführung des Musicals „Les Misérables“ in Thun eingeladen. Die Planung erwies sich, in Anbetracht der herrschenden Umstände, als nicht ganz einfach. Umso mehr freuten wir uns, als schliesslich Ticketreservation und Flugwunsch in harmonischer Übereinstimmung standen.
Nun bin ich also unterwegs Richtung Heimat. Wir nähern uns der Po-Ebene. Über den Alpen türmen sich wild quellende Gewitterwolken. Im Sinkflug Richtung Cointrin schlängeln wir uns durch die gelben und roten Flecken, die sich auf dem Wetterradar breit machen. Die Landung auf der Piste 05 erfolgt eine halbe Stunde vor der flugplanmässigen Zeit.
Im Hotel angekommen ziehe ich mich sogleich um, optimiere den Kofferinhalt und eile zurück zum Flughafen. Mit Glück erwische ich den Zug um halb neun. Um 2300 Uhr holen mich Franziska und Linda am Bahnhof Thun ab. Mit von der Partie unser „Kampfhund“ Cicchi, der seit unserer Abwanderung zum festen Tierbestand des Gutes „Rieben-Baumann“ gehört und jetzt für einige Tage bei uns in den Ferien weilt. Zu später Stunde kurven wir Richtung Diemtigtal. Es gibt viel zu erzählen und die Fahrt auf die Grimmialp erscheint kurz wie nie zuvor.
Trübe Aussichten
Die Wetteraussichten waren zwar nicht vielversprechend, dennoch bin ich am nächsten Morgen beim Blick aus dem Fenster enttäuscht. Es regnet. Das wird wohl nichts mit dem Freiluftspektakel, denke ich mir. Zu kalt, zu nass, zu grauslig. Offenbar hat Petrus Mühe, ein vernünftiges Mittelmass zu finden. Irgendwo zwischen der Hitze in Abu Dhabi und der feuchten Kälte des helvetischen Alpenraums würde es wohl liegen. Heute zumindest klappt es nicht. Um 1300 Uhr kommt die definitive Absage. Der Regen prasselt immer lauter auf die Dachfenster.
Den Nachmittag verbringt die ganze Familie – seit fünf Wochen wieder einmal vereint – in Thun. Auf dem Programm stehen dringende Einkäufe sowie ein Coiffeurbesuch der Männer. Die indischen Haarkünstler in Abu Dhabi bekunden immer wieder Mühe mit den Proportionen und mittlerweile ziehe ich eitler Gockel es vor, nach Möglichkeit europäische Barbiere aufzusuchen. Tim lässt sich das braun gelockte Haar pechschwarz färben („Ich chas ja wieder abschniide...“). Das Resultat schockt weniger als erwartet, alles reine Gewöhnungssache.
Freiluft im Emmental
Buda und seine Frau Margrith haben – ungeachtet sämtlicher Wetterkapriolen – trotzdem ein Freiluftereignis organisiert. Am frühen Abend, nachdem die Jungmannschaft verpflegt ist, machen wir uns zu viert auf zum Nachtessen. Im idyllisch gelegenen Seepark Thun geniessen wir drei ausgezeichnete Gänge. Der vom Wetter getrübte Blick auf See und Berge tut dem Gaumenschmaus keinen Abbruch. Im Gegenteil, weils draussen wie aus Kübeln giesst, konzentrieren wir uns umso mehr auf das, was auf dem Teller präsentiert wird.
Nach Kaffee und Dessert setzen wir uns wieder ins Auto, dessen Scheiben – auf der Innenseite notabene – vor Feuchtigkeit triefen. Wasser überall und in jedem erdenklichen Kondensationsgrad. Die Fahrt ins Emmental zieht sich infolge der anhaltenden Regenfälle hin. Die Strasse im Tal ist bereits nicht mehr durchgehend befahrbar. Die Flüsse sprudeln gefährlich hoch. Umleitungen sind beschildert.
Nach 45 Minuten Fahrzeit erreichen wir Trubschachen. Wir können es kaum glauben, aber die Filmvorführung im „Hof3“ (www.hof3.ch), einem idyllisch gelegenen Bauernhofgelände, findet wirklich statt. Eine riesige Zeltplane überdacht die äusserst bequemen Fauteuils. Den zahlreichen Besuchern stehen unbeschränkt Wolldecken aus alten Armeebeständen zur Verfügung. Frieren muss niemand. Das Kinogefühl schwankt zwischen ungewohnt, feucht und kuschelig warm. Gezeigt wird der Film „Goodbye Bafana“, eine eindrückliche Geschichte aus dem Südafrika des Apartheidregimes.
Es wird beinahe 0200 Uhr bis Franziska und ich mit den Kindern wieder im Diemtigtal eintreffen. Der Film regt zum Nachdenken an. Ein aussergewöhnlicher und eindrücklicher Abend, nicht nur wegen des Wetters
Unterbrochene Bahnlinien
Trotz später Nachtruhe erwache ich am nächsten Morgen ziemlich früh. Mag sein, dass mich die Unruhe aus dem Bett treibt. Noch immer regnet es und ich hege Befürchtungen, dass die Zugsverbindungen zwischen Thun und Genf beeinträchtigt sein könnten. Zu Recht, wie sich beim Lesen der News im Internet herausstellt. Es sei mit erheblichen Verspätungen zu rechnen, wird berichtet. Na wo sind wir denn? In der Schweiz etwa, wo die Uhren weltmeisterlich akkurat ticken, die Weltmeister allerdings eher rar sind und die öffentlichen Verkehrsmittel ergebenste Sklaven aller Uhren sind...?
Irgendwie muten diese wetterbedingten Strassen- und Schienenprobleme seltsam an. Ich sitze in der gemütlichen Stube im Diemtigtal, blicke aus dem Fenster und muss schmunzeln. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Auch in der Schweiz nicht. Einmal mehr gilt: “Expect the unexpected!“
So wird denn neu geplant, und Franziska fährt Tim und mich bereits um viertel nach elf ins Tal. Die Zugsverbindung geht über Bern und Biel nach Genf, wo wir am späteren Nachmittag eintreffen. Die Fahrt führt uns an überschwemmten Feldern und Strassen vorbei. Bilder, wie ich sie in unserem Land selten gesehen habe. Und wenn, dann im Fernsehen. Kaum zu glauben, wir schreiben August und die Temperatur beträgt gerade einmal lausige 12 Grad. Anhaltender Regen und über die Ufer getretene Wasser: Monsun in der Schweiz.
Rückkehr und Ausblick
In Genf angekommen, verpflegen wir uns im Coffeeshop des Hotels, dann versuche ich, etwas zu schlafen. Tim liest. Er will seinen Freund Xiao, mit dem er in Abu Dhabi Eishockey spielt, am Flughafen abholen. Der Chinese möchte ihn einige Tage in der Schweiz besuchen und sitzt in der Etihad-Maschine, die ich in derselben Nacht nach Abu Dhabi zurückfliegen werde. Die Ankunft ist verspätet. Das wird wohl knapp für die Rückfahrt mit dem Zug nach Thun. Die gekappten Verbindungen haben nicht nur Verspätungen, sondern auch reduzierte Frequenzen zur Folge. Die beiden schaffen es dann aber doch noch und treffen gegen Mitternacht im Berner Oberland ein.
Ich meinerseits kämpfe mich durch die Nacht, wobei ich den Kaffeekonsum stündlich steigere. Ich habe viel erlebt in den vergangenen beiden Tagen. Und schon bald werde ich wieder in die Schweiz fliegen: Vom 18. bis zum 25. August ist eine Ferienwoche mit der Familie beim Zirkus Monti in Basel angesagt. Allerdings ohne Tim. Der ist bereits wieder in Abu Dhabi. Heute morgen habe ich ihn in Dubai abgeholt. Für ihn beginnt am 20. August das grosse Abenteuer „American Community School ACS“. Während der ersten Schulwoche wird er bei Neil, einem Freund des gleichen Klassenjahrgangs wohnen. Neil ist bereits seit zwei Jahren Schüler der ACS und kennt die Schule bestens. Während ich diese letzten Zeilen schreibe, treffen sich die beiden bereits in der Stadt. Es gibt viel zu berichten und viel zu planen. Und das ist gut so.
Saturday, August 04, 2007
Von Zahn- und sonstigen Wurzeln
Noch immer schwebe ich nach der aussergewöhnlichen Brisbane-Rotation auf Wolke sieben. Doch das Schwelgen findet ein rasches Ende. Und eine harte Landung.
Aufgrund eines kurz vor besagtem Flug herausgebrochenen „Backenzahn-Aussenwandelements“ ist rasches Handeln angesagt („Die alten Zähne wurden schlecht, und man begann, sie auszureißen. Die neuen kamen g'rade recht, um damit ins Gras zu beißen.“ Heinz Erhardt).
Zahnarztbesuche gehören nun wirklich nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, und ich habe schon mehrfach die Teilnahme an einem Kurs zur Dämpfung meiner Oralophobie in Erwägung gezogen. Doch in diesem Fall gibt es kein Entrinnen mehr vor dem Bohrer. Der Termin steht. Was mich ein wenig beruhigt ist die Tatsache, dass der in medizinischen Belangen nicht ganz unerfahrene Peter mir einen guten Tipp gegeben, und einen durch seine Familie in Abu Dhabi bereits mehrfach erprobten Fachmann empfohlen hat.
Radikale Massnahmen
Dr. Ammar wirkt in der Dentalklinik eines grösseren Krankenhauses in der Stadt. Pünktlich erscheine ich zum verabredeten Zeitpunkt. Man(n) will sich ja, ungeachtet schweissiger Hände und trockener Kehle, keine Blösse geben.
Der erste Eindruck der Lokalität ist nicht übel. Alles wirkt sauber und ordentlich. Wenn nur dieses leidige Sausen und Zischen, das aus den diversen Praxisräumen dringt, nicht wäre. Auch die Damen und Herren, die mit Mundschutz ausgerüstet geschäftig durch den Gang patrouillieren, vermögen meine gedämpfte Stimmung nicht sonderlich zu heben.
Der Zahnarzt, ein Jordanier in den besten Jahren, begrüsst mich freundlich und in aufgeräumter Stimmung. Seine Praxis scheint auf neuerem Stand zu sein. Auf jeden Fall bohrt der Bohrer bereits ohne die Hilfe einer pneumatischen Fusspumpe. Mit kritischem Blick nimmt der Doktor einen ersten Augenschein. Dann wird geröntgt. Neben meinem Sitz befindet sich ein grosser Bildschirm, auf dem das Röntgenbild auch für mich ersichtlich ist. Schnell wird klar, dass mein Fall kein einfacher ist (wäre ja auch zu schön gewesen...) und in der Folge wird ein zweiter Zahnarzt, Dr. Hassan, zu Rate gezogen. Er ist Syrier, und die kurze Unterhaltung der beiden erfolgt vorerst in Arabisch. Das ist aber nicht weiter schlimm, da ich aufgrund der Tatsache, dass beide einen Mundschutz tragen und ihre Aussprache ziemlich „matschig“ klingt, auch in Englisch nicht viel mitbekommen hätte.
Schliesslich wird mir bestätigt, was ich eigentlich bereits befürchtet habe: die Beschädigung meines Zahns verlangt radikale Massnahmen. Die Entfernung des Nervs sowie eine anschliessende Wurzelbehandlung (Root canal treatment) sind unumgänglich. Eigentlich wäre ich jetzt lieber am Pool, oder im Kino, oder zuhause, gemütlich auf dem Sofa. Die Lage ist unangenehm - und ernst.
Zuerst der Nerv
Dr. Ammar verliert keine Zeit und schreitet sogleich zur Tat. „Give me injection!“ weist er die Assistentin an. Spritze, bohren – autsch, etwas zu früh – warten, weiter bohren, dann wird der Nerv entfernt. Triumphierend hält er mir die kleine Nudel (erstaunlich, welchen Schmerz so ein kleiner Körperteil erzeugen kann...) vor die Nase. Zum Schluss noch ein bisschen Deckmasse auf den „Flick“, und nach 40 Minuten bin ich wieder ein freier Mann. Das heisst, nur für wenige Stunden. Ähnlich wie ein Häftling auf Kurzurlaub. Denn bereits am nächsten Tag um 0800 Uhr erwartet mich der syrische Kollege zur Wurzelbehandlung. Er hat mir empfohlen, beim Crew Control zwei Tage „sick leave“ zu beantragen. Er will vermeiden, dass ich mit geschwollener Backe und pochendem Schmerz an den Sidestick muss. Der Anruf ist schnell gemacht.
Und so sitze ich denn nach unruhiger Nacht am folgenden Morgen bereits wieder im Vorzimmer der Dentalklinik. Warten muss ich allerdings nicht lange. Dr. Hassan schiebt mir eine lange Nadel in den Mund und setzt gekonnt zwei Injektionen. Wenig später beginnt der wilde Ameisentanz in meiner Backe. Ich will euch an dieser Stelle weitere Details ersparen. Dies im Wissen, dass triefender Speichel und nach verbranntem Kunststoff riechender Mundgeschmack nicht unbedingt Appetit anregend sind. Erfreulicherweise hält sich der Behandlungsschmerz in sehr engen Grenzen, und auch die beiden Tage danach verlaufen problemlos. Die von der Apotheke ausgefassten Schmerzmittel rühre ich nicht an. Ich bin überrascht, als sich Dr. Hassan am Nachmittag telefonisch persönlich nach meinem Befinden erkundigt. Unweigerlich kommt mir der Werbeslogan meines Arbeitgebers in den Sinn: „Change the way you see the world.“
Grosser Aufwand, geringe Kosten
Die dritte und abschliessende Behandlungsstufe ist mit der Kür bei einem Eiskunstlaufwettbewerb vergleichbar. Auf den verbliebenen Stummel zaubert der filigrane Meister mit Hilfe in die Zahnstruktur eingeschraubter Stäbchen, und unter grosszügiger Verwendung einer Komposit-Masse einen „Ersatzzahn“, der auf den ersten Blick kaum als solcher erkennbar ist. Die Behandlung zieht sich zwar etwas in die Länge, aber der Aufwand lohnt sich. Ich staune nicht schlecht, als ich das Resultat im Spiegel sehe. Wer hätte das gedacht. Und das Staunen geht weiter, als mir die Rechnung präsentiert wird. Die Kosten für die gesamten drei Behandlungstage belaufen sich auf lediglich 1200 Dirham, was 400 Franken entspricht. Den grössten Teil übernimmt die von Etihad finanzierte Versicherung, 80 Franken berappe ich aus der eigenen Tasche. Für dieses Geld würde in heimischen Gefilden die Dentalhygienikerin nicht einmal die Zahnseide auspacken.
Soviel zum Thema Zähne. Da wäre aber noch eine andere Geschichte, die zu erwähnen es sich lohnt. Denn offenbar gehen meine „Wurzeln“ in Abu Dhabi viel weiter zurück, als ich dies bis heute angenommen habe.
Auf dem „Traffic Department“
Autoversicherung und Nummernschildzulassung sind in den UAE nur ein Jahr gültig und müssen regelmässig verlängert werden. Dabei handelt es sich – einmal mehr – um einen administrativen Dauerlauf über diverse Stellen. Abgesehen davon, dass die Versicherung uns anfänglich 4500 statt 3500 Dirham Jahresgebühr in Rechnung stellte (nur dank Toni und seines untrüglichen Gespürs für monetäres Verbesserungspotenzial habe ich dies überhaupt bemerkt!), stolpere ich schliesslich noch über eine weitere Hürde. Beim „Traffic Department“, wo, nach Vorweisung eines mittelgrossen Dokumentenstapels die Zulassung verlängert wird, müssen auch die sich im Laufe des Jahres angesammelten Verkehrsbussen beglichen werden. Anders als beispielsweise in der Schweiz werden die SünderInnen nach einer Übertretung nicht sogleich benachrichtigt. Die Bussen werden über Jahresfrist gespeichert und sind dann eben bei der Verlängerung der Zulassung fällig.
Die vier Geschwindigkeitsbussen à je 200 Dirham sind schnell berappt, etwas komplizierter wird es, als mir die Dame in Schwarz eine Verfehlung aus dem Emirat Dubai unter die Nase hält; datiert aus dem Jahre 1994! Erstaunt erkläre ich ihr, dass meine arabischen Wurzeln nicht so weit zurückreichen würden, und dass ich erst vor etwas mehr als einem Jahr nach Abu Dhabi gezogen sei. Das scheint sie allerdings nicht sonderlich zu beindrucken, und sie verweist mich teilnahmslos an einen anderen Schalter. Dort erklärt mir eine ebenfalls in schwarzes Tuch gehüllte Araberin, dass sie allein nicht in der Lage wäre, das Problem zu lösen. Sie müsse sich telefonisch mit Dubai in Verbindung setzen. Das Ganze würde allerdings eine Weile dauern. Spricht's, weist mich an, Platz zu nehmen, und dreht sich ab. Den Telefonhörer lässt sie indes unberührt.
Leicht verstört setze ich mich auf einen Stuhl und warte. Nach einer Viertelstunde frage ich erneut nach, worauf ich zur Antwort erhalte: „You know, it takes some time, but it will be solved by today, insch allah...“
Die Zeiger der Uhren stehen zu diesem Zeitpunkt allerdings erst auf 13 Uhr. Das könnte sich hinziehen, denke ich mir, und überlege, nach Hause zu fahren, um morgen wieder zu kommen. Aber dann würde da mit Sicherheit eine andere Dame sitzen, und die hätte mit ebensolcher Garantie keine Ahnung von meinen Verfehlungen der vergangenen 20 Jahre, und die ganze Litanei würde wieder bei Adam und Eva beginnen. Möglicherweise wäre eine andere Person gar in der Lage, weitere Bussen auszugraben. Solches gilt es um jeden Preis zu vermeiden.
Also bleibe ich. Und siehe da – mein Ausharren wird belohnt, denn bereits nach einer weiteren halben Stunde wird die Busse von der zuständigen Stelle in Dubai kommentarlos „gelöscht“. Und der Verlängerung meines Nummernschildes steht nichts mehr im Wege.
Es sind eben die alltäglichen Banalitäten, mit denen man sich die speziellen Momente (Brisbane-Flüge uä.) verdienen muss. Aber das ist in Abu Dhabi nicht anders als irgendwo sonst auf der Welt.
Aufgrund eines kurz vor besagtem Flug herausgebrochenen „Backenzahn-Aussenwandelements“ ist rasches Handeln angesagt („Die alten Zähne wurden schlecht, und man begann, sie auszureißen. Die neuen kamen g'rade recht, um damit ins Gras zu beißen.“ Heinz Erhardt).
Zahnarztbesuche gehören nun wirklich nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, und ich habe schon mehrfach die Teilnahme an einem Kurs zur Dämpfung meiner Oralophobie in Erwägung gezogen. Doch in diesem Fall gibt es kein Entrinnen mehr vor dem Bohrer. Der Termin steht. Was mich ein wenig beruhigt ist die Tatsache, dass der in medizinischen Belangen nicht ganz unerfahrene Peter mir einen guten Tipp gegeben, und einen durch seine Familie in Abu Dhabi bereits mehrfach erprobten Fachmann empfohlen hat.
Radikale Massnahmen
Dr. Ammar wirkt in der Dentalklinik eines grösseren Krankenhauses in der Stadt. Pünktlich erscheine ich zum verabredeten Zeitpunkt. Man(n) will sich ja, ungeachtet schweissiger Hände und trockener Kehle, keine Blösse geben.
Der erste Eindruck der Lokalität ist nicht übel. Alles wirkt sauber und ordentlich. Wenn nur dieses leidige Sausen und Zischen, das aus den diversen Praxisräumen dringt, nicht wäre. Auch die Damen und Herren, die mit Mundschutz ausgerüstet geschäftig durch den Gang patrouillieren, vermögen meine gedämpfte Stimmung nicht sonderlich zu heben.
Der Zahnarzt, ein Jordanier in den besten Jahren, begrüsst mich freundlich und in aufgeräumter Stimmung. Seine Praxis scheint auf neuerem Stand zu sein. Auf jeden Fall bohrt der Bohrer bereits ohne die Hilfe einer pneumatischen Fusspumpe. Mit kritischem Blick nimmt der Doktor einen ersten Augenschein. Dann wird geröntgt. Neben meinem Sitz befindet sich ein grosser Bildschirm, auf dem das Röntgenbild auch für mich ersichtlich ist. Schnell wird klar, dass mein Fall kein einfacher ist (wäre ja auch zu schön gewesen...) und in der Folge wird ein zweiter Zahnarzt, Dr. Hassan, zu Rate gezogen. Er ist Syrier, und die kurze Unterhaltung der beiden erfolgt vorerst in Arabisch. Das ist aber nicht weiter schlimm, da ich aufgrund der Tatsache, dass beide einen Mundschutz tragen und ihre Aussprache ziemlich „matschig“ klingt, auch in Englisch nicht viel mitbekommen hätte.
Schliesslich wird mir bestätigt, was ich eigentlich bereits befürchtet habe: die Beschädigung meines Zahns verlangt radikale Massnahmen. Die Entfernung des Nervs sowie eine anschliessende Wurzelbehandlung (Root canal treatment) sind unumgänglich. Eigentlich wäre ich jetzt lieber am Pool, oder im Kino, oder zuhause, gemütlich auf dem Sofa. Die Lage ist unangenehm - und ernst.
Zuerst der Nerv
Dr. Ammar verliert keine Zeit und schreitet sogleich zur Tat. „Give me injection!“ weist er die Assistentin an. Spritze, bohren – autsch, etwas zu früh – warten, weiter bohren, dann wird der Nerv entfernt. Triumphierend hält er mir die kleine Nudel (erstaunlich, welchen Schmerz so ein kleiner Körperteil erzeugen kann...) vor die Nase. Zum Schluss noch ein bisschen Deckmasse auf den „Flick“, und nach 40 Minuten bin ich wieder ein freier Mann. Das heisst, nur für wenige Stunden. Ähnlich wie ein Häftling auf Kurzurlaub. Denn bereits am nächsten Tag um 0800 Uhr erwartet mich der syrische Kollege zur Wurzelbehandlung. Er hat mir empfohlen, beim Crew Control zwei Tage „sick leave“ zu beantragen. Er will vermeiden, dass ich mit geschwollener Backe und pochendem Schmerz an den Sidestick muss. Der Anruf ist schnell gemacht.
Und so sitze ich denn nach unruhiger Nacht am folgenden Morgen bereits wieder im Vorzimmer der Dentalklinik. Warten muss ich allerdings nicht lange. Dr. Hassan schiebt mir eine lange Nadel in den Mund und setzt gekonnt zwei Injektionen. Wenig später beginnt der wilde Ameisentanz in meiner Backe. Ich will euch an dieser Stelle weitere Details ersparen. Dies im Wissen, dass triefender Speichel und nach verbranntem Kunststoff riechender Mundgeschmack nicht unbedingt Appetit anregend sind. Erfreulicherweise hält sich der Behandlungsschmerz in sehr engen Grenzen, und auch die beiden Tage danach verlaufen problemlos. Die von der Apotheke ausgefassten Schmerzmittel rühre ich nicht an. Ich bin überrascht, als sich Dr. Hassan am Nachmittag telefonisch persönlich nach meinem Befinden erkundigt. Unweigerlich kommt mir der Werbeslogan meines Arbeitgebers in den Sinn: „Change the way you see the world.“
Grosser Aufwand, geringe Kosten
Die dritte und abschliessende Behandlungsstufe ist mit der Kür bei einem Eiskunstlaufwettbewerb vergleichbar. Auf den verbliebenen Stummel zaubert der filigrane Meister mit Hilfe in die Zahnstruktur eingeschraubter Stäbchen, und unter grosszügiger Verwendung einer Komposit-Masse einen „Ersatzzahn“, der auf den ersten Blick kaum als solcher erkennbar ist. Die Behandlung zieht sich zwar etwas in die Länge, aber der Aufwand lohnt sich. Ich staune nicht schlecht, als ich das Resultat im Spiegel sehe. Wer hätte das gedacht. Und das Staunen geht weiter, als mir die Rechnung präsentiert wird. Die Kosten für die gesamten drei Behandlungstage belaufen sich auf lediglich 1200 Dirham, was 400 Franken entspricht. Den grössten Teil übernimmt die von Etihad finanzierte Versicherung, 80 Franken berappe ich aus der eigenen Tasche. Für dieses Geld würde in heimischen Gefilden die Dentalhygienikerin nicht einmal die Zahnseide auspacken.
Soviel zum Thema Zähne. Da wäre aber noch eine andere Geschichte, die zu erwähnen es sich lohnt. Denn offenbar gehen meine „Wurzeln“ in Abu Dhabi viel weiter zurück, als ich dies bis heute angenommen habe.
Auf dem „Traffic Department“
Autoversicherung und Nummernschildzulassung sind in den UAE nur ein Jahr gültig und müssen regelmässig verlängert werden. Dabei handelt es sich – einmal mehr – um einen administrativen Dauerlauf über diverse Stellen. Abgesehen davon, dass die Versicherung uns anfänglich 4500 statt 3500 Dirham Jahresgebühr in Rechnung stellte (nur dank Toni und seines untrüglichen Gespürs für monetäres Verbesserungspotenzial habe ich dies überhaupt bemerkt!), stolpere ich schliesslich noch über eine weitere Hürde. Beim „Traffic Department“, wo, nach Vorweisung eines mittelgrossen Dokumentenstapels die Zulassung verlängert wird, müssen auch die sich im Laufe des Jahres angesammelten Verkehrsbussen beglichen werden. Anders als beispielsweise in der Schweiz werden die SünderInnen nach einer Übertretung nicht sogleich benachrichtigt. Die Bussen werden über Jahresfrist gespeichert und sind dann eben bei der Verlängerung der Zulassung fällig.
Die vier Geschwindigkeitsbussen à je 200 Dirham sind schnell berappt, etwas komplizierter wird es, als mir die Dame in Schwarz eine Verfehlung aus dem Emirat Dubai unter die Nase hält; datiert aus dem Jahre 1994! Erstaunt erkläre ich ihr, dass meine arabischen Wurzeln nicht so weit zurückreichen würden, und dass ich erst vor etwas mehr als einem Jahr nach Abu Dhabi gezogen sei. Das scheint sie allerdings nicht sonderlich zu beindrucken, und sie verweist mich teilnahmslos an einen anderen Schalter. Dort erklärt mir eine ebenfalls in schwarzes Tuch gehüllte Araberin, dass sie allein nicht in der Lage wäre, das Problem zu lösen. Sie müsse sich telefonisch mit Dubai in Verbindung setzen. Das Ganze würde allerdings eine Weile dauern. Spricht's, weist mich an, Platz zu nehmen, und dreht sich ab. Den Telefonhörer lässt sie indes unberührt.
Leicht verstört setze ich mich auf einen Stuhl und warte. Nach einer Viertelstunde frage ich erneut nach, worauf ich zur Antwort erhalte: „You know, it takes some time, but it will be solved by today, insch allah...“
Die Zeiger der Uhren stehen zu diesem Zeitpunkt allerdings erst auf 13 Uhr. Das könnte sich hinziehen, denke ich mir, und überlege, nach Hause zu fahren, um morgen wieder zu kommen. Aber dann würde da mit Sicherheit eine andere Dame sitzen, und die hätte mit ebensolcher Garantie keine Ahnung von meinen Verfehlungen der vergangenen 20 Jahre, und die ganze Litanei würde wieder bei Adam und Eva beginnen. Möglicherweise wäre eine andere Person gar in der Lage, weitere Bussen auszugraben. Solches gilt es um jeden Preis zu vermeiden.
Also bleibe ich. Und siehe da – mein Ausharren wird belohnt, denn bereits nach einer weiteren halben Stunde wird die Busse von der zuständigen Stelle in Dubai kommentarlos „gelöscht“. Und der Verlängerung meines Nummernschildes steht nichts mehr im Wege.
Es sind eben die alltäglichen Banalitäten, mit denen man sich die speziellen Momente (Brisbane-Flüge uä.) verdienen muss. Aber das ist in Abu Dhabi nicht anders als irgendwo sonst auf der Welt.
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